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Re: [AG-GOuFP] Geldschöpfung: Alle haben Recht - aber einen Geldschöpfungsgewinn gibt es nicht.
Chronologisch Thread
- From: Patrik Pekrul <patrik.pekrul AT hotmail.de>
- To: Comenius <comenius2000 AT gmail.com>
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- Subject: Re: [AG-GOuFP] Geldschöpfung: Alle haben Recht - aber einen Geldschöpfungsgewinn gibt es nicht.
- Date: Sun, 10 Jun 2012 23:05:35 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Hallo Comenius,
endlich mal ein produktiver Beitrag zu dem Thema.
Im Wesentlichen kann ich dir in allen Punkten folgen und denke, dass man sich auf diese Erklärung einigen kann und sollte - da es gemäß deiner Ausführung de facto ein eher akademisches denn reales Problem ist.
Es gibt nur zwei Kritikpunkte:
Zu 6.) Ich glaube nicht, dass sich eine Erhöhung der "Geldschöpfungssteuer" (voll) in einer Erhöhung des Marktzinses führen würde. Genauso ,wenig wie es sich heute eine Geschäftsbank aufgrund der Konkurrenzsituation erlauben kann, eine Geldschöpfungsgebühr zu verlangen, weil sie sich sonst aus dem Markt kalkuliere würde, würde sie es im Falle einer Erhöhung der Geldschöpfungskosten durch den Staat können.
Als Wiwi dürfte dir klar sein, dass sich der MARKTzins am Markt einstellt, und zwar als Funktion von Angebot UND Nachfrage. Dem Nachfrager sind die Kosten des Anbieters allerdings vollkommen gleichgültig. Er vergleicht nur den Preis und kauft im Allgemeinen beim günstigsten. Es steht also zu vermuten, dass sie der Marktzins nicht wesentlich bewegen wird, schlicht, weil die nicht monopolistischen Anbieter einen höheren Preis am MARKT nicht durchsetzen können - sie werden wohl eine Reduzierung ihrer Margen hinnehmen müssen. Aufgrund der faktisch vorhandenen Marktmacht der Geschäftbanken würde sich eine Geldschöpfungsgebühr also im Marktzins niederschlagen, aber nur zum Teil.
Zu 2.) Dreh- und Angelpunkt dieser ganzen Debatte ist doch die Frage, ob der "über die Zeit" gestreckte Geldschöpfungsgewinn, tatsächlich als solcher bezeichnet werden kann, oder schlicht einfach "der Zins" selbst ist. Nicolais ganz begründete Frage ist doch: Wenn ich dir 100€ Bargeld leihe (das ich NICHT geschöpft habe) und am Ende des Jahres 105€ zurückerhalte, sind sich wohl alle einig, dass ich 5€=5% Zinsen erhalten habe. Wenn die die Bank nun 100€ verleiht (egal ob selbst geschöpft oder nicht) und 105€ zurückerhält, so ist dies ebenso einfach nur der Zins. Wieso einen Unterschied machen? Einen Teil dieses Zinses zwanghaft als "Geldschöpfungsgewinn" interpretieren zu wollen, ist eine rein akademische Übung ohne praktischen Mehrwert.
Wenn der Marktzins 5% ist, interpretieren wir das einfach mal so, dass die Bank 1% "Geldschöpfungsgewinn" und 4% "Zinsgewinn" hätte. Wieso kann jemand, der das Geld NICHT schöpfen kann (Nichtbank), dann auch 5% verlangen (und das kann er, denn das ist der Marktzins)? Er hätte also 5% "Zinsgewinn" und 0% "Geldschöpfungsgewinn". Was soll das? Bringt uns das in irgendeiner Weise weiter? Ist die Aufteilung zwischen beiden Gewinnarten nicht völlig beliebig? Ist die Bedeutung des Geldschöpfungsgewinns nicht einfach nur konstruiert?
Um beim Wasserbeispiel zu bleiben: Wenn ich für einen Liter Wasserverbrauch P bezahlen muss, dann ist P einfach der Wasserpreis, nicht mehr, nicht weniger. Wer unbedingt will, kann nur probieren, P gemäß seiner Kostenstruktur irgendwie aufzuteilen und die Anteile verschieden zu benennen, aber am Ende bleibt P einfach nur der Wasserpreis. Von einem Wasserschöpfungpreis könnte man nur dann sprechen, wenn ein expliziter, konkret definierter Betrag pro Liter gepumpten Wassers an irgendwen bspw. der Gemeinde abgeführt wird. Im Falle des Geldes findet das aber einfach nicht statt - es sei denn man interpretiert die Zinsen auf die erforderliche Mindestreserve als "Geldschöpfungsgewinn" der Zentralbank:
Wenn eine Geschäftsbank 100€ durch Kredit schöpft, muss sie theoretisch gleichzeitig ihre Zentralbankeinlage wegen der Mindestreserveanforderung um 1€ erhöhen. Wird der Kredit getilgt, dann kann die Geschäftsbank ihre Einlage wieder um 1€ senken. Nehmen wir an, dass die Geschäftsbank diesen 1€ von der Zentralbank geliehen hätte (und nicht etwa durch eine Kundeneinlage erhalten hat) und auf diesen 1€ über die Laufzeit des Kredites Zinsen bezahlt hätte, dann könnte man wohl diese Zinsen vielleicht als "Geldschöpfungsgewinn" der Zentralbank interpretieren - wenn man denn unbedingt einen solchen konstruieren will.
Vielleicht ist das ein praktisch nachvollziehbarer und buchhalterisch nachweisbarer "Geldschöpfungsgewinn" und eine mögliche praktisch relevante Definition.
Am 10.06.2012 um 20:27 schrieb Comenius:
Nachdem ich ein wenig bei Carsten Lange gelesen habe, habe ich Einiges verstanden, das möglicherweise dazu beitragen kann, den Streit um den Geldschöpfungs"gewinn" beizulegen.
Fazit:
- Der Staat kann eine Seignorage (Geldschöpfungsgewinn) realisieren, wenn und solange er ein Monopol auf die Geldschöpfung hat. Ohne dieses Monopol könnte jeder beliebig viel Geld "drucken", das Geld würde dann auf dem Markt nicht einmal die Herstellungskosten realisieren können, hätte also lediglich den Wert von Altpapier. Also: Ohne Monopol auf Geldschöpfung kein Geldschöpfungsgewinn. Für Bargeld ist das unbestritten.
- Würde sich der Staat das Geldschöpfungsmonopol auch für die Schöpfung des Giralgeldes vorbehalten, könnte er auch dafür einen Gewinn realisieren. Es gibt aber einen wichtigen Unterschied: Bei der Geldschöpfung durch Kreditvergabe (so entsteht ja Giralgeld) kann sich der Geldschöpfer, anders als beim frisch gedruckten Bargeld, nichts dafür kaufen, da er das Geld ja bereits verliehen hat. Es bleiben ihm aber die Zinsen über die gesamte Laufzeit des Kredites abzüglich der Verwaltungskosten. - Ein Bombengeschäft, so scheint es, erheblich lukrativer als die Seignorage aus dem Bargeld, allein schon wegen der geringen Herstellungskosten, der praktisch unbegrenzten Haltbarkeit und der weitaus größeren Menge. Hinzu käme, dass der Staat als Geldschöpfungsmonopolist den Zins für das geschöpfte Geld selbst festlegen könnte.
- Die Monopolisierung der Giralgeldschöpfung bei der Zentralbank, könnte dem Staat also Milliarden jährlich in die Kassen spülen. [Da haben Arne und Christoph vollkommen Recht.]
- Da der Staat als Monopolist den Zins auf das Giralgeld beliebig festsetzen könnte, könnte er ihn einerseits sehr hoch setzen und damit sehr viel verdienen oder ihn auf Null setzen und gar nichts verdienen. Insofern würde ein solcher "Geldschöpfungsgewinn" einer Zentralbank, die das Giralgeldschöpfungsmonopol hätte, in Erscheinungsform und Auswirkungen eher einer Steuer ähneln als einer Seignorage - auch in dem Vorteil, dass sie ständig anfällt und nicht nur einmalig beim Geldschöpfungsakt.
- Das bedeutet mit der Monopolisierung der Giralgeldschöpfung bei der Zentralbank hätte der Staat (unter anderem) die Möglichkeit praktisch eine "Steuer" auf die Geldschöpfung zu erheben. Die Höhe dieser Steuer könnte er, je nachdem was "er" für sinnvoll hält, festsetzen.
- Eine Erhöhung dieser Geldschöpfungssteuer (=Zins auf geschöpftes Giralgeld) würde zu einer Erhöhung des Marktzinses führen, eine Senkung führte zu einer Senkung des Marktzinses. In der Folge würde auch das Geldmengenwachstum in der jeweils entgegengesetzten Richtung beeinflusst.
[Ich vermute, bis hierher können noch alle mitgehen.]
- Wenn wir nun den Konjunktiv beenden und uns der Realität zuwenden, sehen wir, dass der Staat auf das Monopol der Giralgeldschöpfung verzichtet hat. Das bedeutet (neben anderem), dass er sich entschieden hat, den Zins auf frisch geschöpftes Giralgeld auf Null zu setzen. Damit kann jede Bank "zum Nulltarif" Geld schöpfen (begrenzt durch Eigenkapitalvorschriften u.ä.). Und dies geschieht natürlich auch in großem Stil.
- Was man aber zum Nulltarif bekommen kann, kann man aber nicht verkaufen (höchstens zum Preis der "Transportkosten"). Oder anders ausgedrückt, da keine Bank ein Monopol auf die Giralgeldschöpfung hat, kann auch keine Bank einen Giralgeldschöpfungsgewinn realisieren. [Insofern hat Nicolai vollständig recht.]
Ich will diesen Zusammenhang für Nicht-Wiwis noch kurz an einem Beispiel verdeutlichen:
Würde der Staat ein Wassermonopol für sich beanspruchen, könnte er z.B. auf jeden Liter "geschöpftes" Wasser 1 Cent Wasserschöpfungssteuer erheben. Solange er das nicht tut, kann jeder in seinem Garten ein Loch graben und erhält sein Wasser "zum Nulltarif". Niemand kann also mit dem "Schöpfen" von Wasser Geld verdienen, wohl aber mit dem Brunnengraben, der Wasseraufbereitung und dem Transport in meine Küche. Also: Solange es kein Wassermonopol gibt, zahle ich nur für Aufbereitung und Transport des Wassers, nicht fürs "Schöpfen". Nur ein Wasserschöpfungsmonopolist könnte einen Wasserschöpfungsgewinn realisieren. Würde der Staat zum Wassermonopolisten und würde einen Wasserschöpfungsgewinn einfordern, würde natürlich der Wasserpreis steigen. D.h. aber: Den Vorteil, der daraus resultiert, dass der Staat keinen Wasserschöpfungsgewinn beansprucht, hat nicht allein das Wasserwerk, sondern alle an der Wasserwirtschaft beteiligten - in erster Linie die Wasserverbraucher wegen des nicht erhöhten Wasserpreises. Diesen Vorteil, der sich aus der Nichterhebung einer Wasserschöpfungsabgabe ergibt, kann man aber m.E. nicht sinnvoll als "Wasserschöpfungsgewinn" bezeichnen.- Der Vorteil, der sich aus dem Verzicht des Staates auf einen Giralgeldschöpfungsgewinn ergibt, ist nur insofern "real", als es ja auch anders sein könnte. Er "realisiert" sich über nicht erhöhte Zinsen zum Vorteil der gesamten Geldwirtschaft [ein solcher potentieller Vorteil aus einer nicht erhobenen Steuer steht natürlich auch in keiner Bilanz]. Diesen Vorteil haben aber eben nicht allein und auch nicht in erster Linie die Banken [das haben Arne und Christoph ja auch bereits zugestanden], sondern die gesamte Geldwirtschaft, also z.B auch die Kreditnehmer. Diesen Vorteil (gegenüber einer nur möglichen, vorgestellten anderen Situation) aber als "Geldschöpfungsgewinn" zu bezeichnen, ist einfach irreführend. Genauso gut könnte ich den Verzicht des Staates auf eine Luftschöpfungssteuer als Luftschöpfungsgewinn bezeichnen, der sich mit jedem Atemzug realisiert. Wenn man einen solchen "potentiellen Vorteil" nun Opportunitätskosten-Seignorage nennt und diesen Begriff sauber definiert, mag das gerade noch angehen. Wenn man aber von einem "Gewinn" spricht, dann sollte man den auch in einer Bilanz wiederfinden können. Genau das kann man aber nicht. [Insofern kann es auch keinen Geldschöpfungsertrag geben, den ich in meinem letzten Posting "das Grillfest beenden" fast zugestanden hätte.]
- Wenn Arne also definiert: "Der Geldschöpfungsgewinn ist der Barwert der ersparten Zinses auf die nicht zu leistende eigene Liquidität", dann kann er das so tun, da aber auf geschöpftes Geld kein Zins erhoben werden kann, ist auch der ersparte Zins genau 0. Niemand würde Zinsen für kostenlos geschöpftes Geld zahlen, wenn er es auch selbst schöpfen könnte. Und jeder kann Geld schöpfen, wenn er nur eine Bank gründet (z.B. eine Genossenschaftsbank). Wenn die Banken nun aber kein Geld zinslos verleihen, auch selbst geschöpftes nicht, so liegt das einerseits an den Verwaltungskosten und andererseits an der Mischkalkulation zwischen (kostenlos) geschöpftem und weiter verliehenem Geld, für das die Bank selbst Zinsen zahlen muss.
- Einen Geldschöpfungsgewinn gibt es nur und kann es nur geben, wenn und solange es ein Geldschöpfungsmonopol gibt.
- Die Höhe dieses Gewinnes kann der Monopolist frei festlegen. (Das Optimum dürfte in der Nähe des Marktzinses liegen. Aber das ist erstmal nur eine Hypothese.)
- Ohne Geldschöpfungsmonopol ist die Geldschöpfung freigegeben und somit kostenlos, kann also auch nicht gewinnbringend verkauft werden. Ohne Geldschöpfungsmonopol kein Geldschöpfungsgewinn.
- Würde der Staat das Monopol der Giralgeldschöpfung für sich reklamieren, könnte er richtig fett krass Kasse machen. Über Risiken und Nebenwirkungen eines solchen Monopols haben wir noch nicht gesprochen.
Ich hoffe es hilft weiter.
Ahoi,
Comenius
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