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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Wikibeitrag über Vollgeld

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Wikibeitrag über Vollgeld


Chronologisch Thread 
  • From: Nicolai Haehnle <nhaehnle AT gmail.com>
  • To: CU_Mayer AT menschen-gerechte-gesellschaft.de
  • Cc: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Wikibeitrag über Vollgeld
  • Date: Wed, 28 Mar 2012 10:10:57 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

On Mon, Mar 26, 2012 at 11:11 PM,
<CU_Mayer AT menschen-gerechte-gesellschaft.de> wrote:
> An dieser Stelle möchte ich gerne die Diskussion darüber, ob die Veränderung
> der Geldschöpfung „kosmetisch“ sei oder nicht wieder aufnehmen.
>
> Weiterführung aus und in: https://piratenpad.de/p/ysZzzHpXQh (Geldschöpfung:
> Wie genau funktioniert sie, was bewirkt sie, was nicht, welche Alternativen
> funktionieren wie?)
>
>
>
>
>
> Nicolai Haehnle:
>
>
> Natürlich kannst du deine Buchführung so umdefinieren, dass die
> Verbindlichkeiten nicht auftauchen. Aber *funktional* ändert sich dadurch am
> Verhalten des Geldsystems nicht. Der Handlungsspielraum von privaten
> Akteuren und Regierung ist exakt gleich, egal ob man nun die
> Verbindlichkeiten offen irgendwo hinschreibt oder nicht.
> Auch in deinem System könnte man die Buchführung mit den Verbindlichkeiten
> wieder einführen, und es würde sich *nichts* am Handlungsspielraum von
> Regierung oder privaten Akteuren ändern.
> Das meine ich damit, dass es sich nur um eine kosmetische Änderung handelt,
> und deswegen finde ich nicht angemessen, damit Werbung zu machen.
>
> @ Nicolai: Kannst Du das bitte näher erklären bzw. belegen?
>
> Es gibt verschiedene Begriff von "Vollgeld" und so weiter. In der Regel
> haben sie eine Kompenente gemeinsam, die eigentlich von dem Vollgeld an sich
> eher unabhängig ist, nämlich dass es eine staatliche Stelle gibt, die
> beliebig viel Geld ausgeben kann. Mit "beliebig viel" meine ich damit: wenn
> diese Stelle gemäß ihrer Statuten beschließt, dass Geld ausgegeben werden
> soll, dann gibt es niemanden, der dem widersprechen kann. Insbesondere ist
> die Ausgabe von Geld nicht davon abhängig, dass Finanzmarktakteure
> irgendwelche Anleihen kaufen.
>
> Wenn diese Stelle, nennen wir sie Stelle Z, nun Geld ausgibt, zum Beispiel
> damit Frau Müller für ihren Dienst als staatliche Angestellte bezahlt wird,
> dann ändern sich die Bilanzen sinnvollerweise wie folgt:
>
> Frau Müller, Aktiva +X€ Sichteinlage auf Bankkonto
>
> Geschäftsbank, bei der Frau Müller ihr Konto hat: Passiva +X€ Sichteinlage,
> Aktiva +X€ Forderung an Stelle Z
>
> Stelle Z: Passiva +X€
> Solange die Stelle Z nicht gleichzeitig die Funktion der Zentralbank
> übernimmt, muss die GB ihre Forderung der Stelle Z gegenüber uneingeschränkt
> in Zentralbankgeld umwandeln dürfen, damit sie die Aktiva letztendlich auch
> im normalen Zahlungsverkehr einsetzen kann. Wenn die GB das macht, sie also
> ihre Forderung gegenüber der Stelle Z in Zentralbankgeld umwandeln lässt,
> dann sieht die Gesamtänderung der Bilanzen wie folgt aus:
>
> Frau Müller, Aktiva +X€ Sichteinlage auf Bankkonto
>
> Geschäftsbank, bei der Frau Müller ihr Konto hat: Passiva +X€ Sichteinlage,
> Aktiva +X€ Zentralbankgeld
>
> Zentralbank: Passive +X€ Zentralbankgeld, Aktiva +X€ Forderung an Stelle Z
>
> Stelle Z: Passiva +X€
>
> In jedem Fall hat die Stelle Z als Folge ihrer Geldausgabe einen neuen
> Eintrag auf der Passivseite, eine Verbindlichkeit also, vulgo eine Schuld.
> Viele der alternativen Geldsystemvorschläge erklären nun, dass dieser
> Passiveintrag zukünftig einfach nicht mehr in die Bücher aufgenommen werden
> soll. Dadurch ändert sich natürlich an den eigentlichen Abläufen im System
> nichts. Es ist also absurd, diesen rein kosmetischen Unterschied als
> Heilsbringer verkaufen zu wollen. (nha)
>
>
>
> Christoph:
>
>
>
> 1. Diese Buchhaltungssätze können meiner Ansicht nach nicht stimmen. Sonst
> würde ja eine Überweisung an eine Person zur Bilanzverschlechterung von
> dessen Bank führen!

Ich verstehe nicht, was du hier meinst. In welcher Hinsicht wird die
Bilanz "schlechter"? Aktiva und Passiva verändern sich bei der GB
immer um den gleichen Betrag.


> Also:
>
> - Die Zentralbank erzeugt z.B. 1.000€ neues Geld, dieses wird an Frau Müller
> überwiesen.
>
> - Dazu erscheinen die 1.000€ auf dem Konto der Bank von Frau Müller bei der
> Zentralbank (Kontonummer = Bankleitzahl) mit dem Vermerk, dass es für Frau
> Müller ist.
>
> - Dieses Geld kommt nun auf die Aktiva-Seite der Geschäftsbank, die
> Geschäftsbank wiederum schreibt die 1.000€ auf dem Girokonto von Frau Müller
> gut.
>
> - Die Geschäftsbank hat dabei weder einen Geldgewinn noch einen Geldverlust,
> die Billanzveränderung ist 0. Eine Forderung an Z entsteht nicht.

So wie du das beschrieben hast, ist Z effektiv Teil der Zentralbank
ist. Anders formuliert: Du hast implizit die Bilanzen der Zentralbank
und von Z in eine einzige Bilanz überführt. Das kann man natürlich
machen.

Und das bekräftigt im Grunde auch nur mein Argument: wenn Z gegenüber
der Zentralbank weisungsbefugt ist, solche Geschäfte durchzuführen,
dann ist die Funktionsweise des Systems exakt die gleiche, wie ich sie
beschrieben habe, auch wenn du die Bilanzen etwas anders formulierst.
Deswegen Kosmetik: die Unterschiede sind nur in der Präsentation,
während die eigentliche Funktion des Systems die gleiche ist.


> - Frau Müller hebt die 1000€ ab und kauft einen neuen Wintermantel
>
> - Was macht die Bank, verliert sie auch die 1000€ oder bleiben sie in der
> Bilanz?

Die Bank muss Frau Müller ja die 1000€ Bargeld geben, d.h. aus der
Bilanz der Bank verschwinden auf der Aktivseite auch 1000€ (sonst
würde die Bank ja einen Gewinn machen, wenn jemand Geld abhebt!).


> Des Weiteren: Wenn die Bank genötigt wäre, für das neue Guthaben auf dem
> Girokonto einen Kredit an Person/Stelle Z zu vergeben, dann würde das das
> Kreditangebot erhöhen und den Zinssatz markttechnisch senken, was eines der
> Ziele der Geldreformen ist.

Das kann man so sehen, ja. Die Ausgabe von neuem Zentralbankgeld (bei
ansonsten gleichbleibender Regeln) senkt tendenziell den
Interbankenzins. Genau das wird von der Zentralbank ausgenutzt, wenn
sie Offenmarktoperationen durchführt.


> 2. Wenn diese Bilanzierungstechnik zum Problem führt, dann muss man sie halt
> ändern. Eine Möglichkeit ist die, wie beim Vollgeld vorgeschlagen (Huber,
> Joseph, 2011, „Monetäre Modernisierung“, S. 91):
>
> Geschäftsbanken führen sämtliche Sichteinlagen, Girokonten außerhalb der
> Bankbilanzen, sie verwalten sie lediglich.
>
> Damit fällt der Zentralbank das alleinige Geldschöpfungsrecht für Bargeld
> (wie heute auch schon) und Giralgeld (neu) zu. Nur die Zentralbank
> kontrolliert also die Geldmenge M1.

Das ist aber weit mehr als nur die Änderung der Bilanzierungstechnik.
Bei dem Vorschlag wird auch ganz massiv die Funktionsweise des Systems
geändert!

Mir ging es ja gerade darum aufzuzeigen, dass man ein und dieselbe
Funktionsweise eines Systems mit verschiedenen Bilanzbegriffen haben
kann. Deshalb der Begriff "Kosmetik", weil nur die tatsächliche
Funktionsweise des Systems wirklich relevant ist.

Schöne Grüße,
Nicolai
--
Lerne, wie die Welt wirklich ist,
aber vergiss niemals, wie sie sein sollte.




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