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ag-barrierefreiheit - Re: [Ag-barrierefreiheit] Parteiprogramm in leichter Sprache?

ag-barrierefreiheit AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Koordinations und Arbeitsliste der AG Barrierefreiheit

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Re: [Ag-barrierefreiheit] Parteiprogramm in leichter Sprache?


Chronologisch Thread 
  • From: Alexander Schestag <alex AT schestag.info>
  • To: Koordinations und Arbeitsliste der AG Barrierefreiheit <ag-barrierefreiheit AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [Ag-barrierefreiheit] Parteiprogramm in leichter Sprache?
  • Date: Tue, 01 May 2012 23:22:43 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-barrierefreiheit>
  • List-id: Koordinations und Arbeitsliste der AG Barrierefreiheit <ag-barrierefreiheit.lists.piratenpartei.de>

Am 01.05.2012 22:31, schrieb Andreas Alin:
> Nein! Das sind keine Synonyme. Menschen mit Lernschwierigkeiten haben
> zwar auch einen unterdurchschnittlichen IQ, aber sind noch nicht geistig
> behindert. Ist praktisch jetzt mal total politisch inkorrekt
> ausgedrückt: die Zwischenstufe.

Sorry, aber du bist hier nicht mehr auf dem neuesten Stand der
Diskussion innerhalb der Behindertenbewegungen und auch nicht mehr auf
dem neuesten Stand der Forschung. Es geht hier primär zunächst gar nicht
um eine wissenschaftliche Definition anhand des IQ, sondern um die
Frage, wie Betroffene selbst genannt werden wollen. Dazu ist die Aussage
auf http://www.people1.de/was_mensch.html einschlägig.

Es kommt also nicht so gut, im Zusammenhang mit Leichter Sprache von
geistig behindert zu reden, wenn man mit "People First" zusammenarbeiten
will, weil in diesem Kontext und von dieser Vereinigung dieser Begriff
explizit abgelehnt wird.

Mittlerweile ist der Begriff "Menschen mit Lernschwierigkeiten" als
Synonym für "geistige Behinderung" aber auch im wissenschaftlichen
Kontext angekommen. Es wird in dem Zusammenhang vielfach auf die
Problematik des Begriffs "geistige Behinderung" hingewiesen. Zitat:

"An dieser Stelle möchte ich nun die Personengruppe definieren, auf die
ich mich in der gesamten Arbeit beziehen werde und die üblicherweise
"geistig behindert" genannt wird. Die Definition ist dem
Abschlussbericht einer Studie (Kniel/Windisch 2002) entnommen, die sich
mit der Lebenssituation der beeinträchtigten Personen befasst hat. Die
Betroffenen werden folgendermaßen beschrieben:

Personen mit unterschiedlichen physischen oder psycho-sozialen
Schädigungen und Funktionsstörungen (hirnorganische Schädigung, Trisomie
21, psychotische Symptomatik, soziale Deprivation usw.) (...), die ihre
kognitiven oder psycho-sozialen Ressourcen (individuelle Fähigkeiten und
Fertigkeiten wie etwa Lesen oder Rechnen bzw. Umgang mit Geld)
einschränken. Damit gehen in den jeweiligen Lebensphasen und -bereichen
(z.B. Kindheit, Jugend, Erwachsenenwelt, Schule, Arbeit, Wohnen und
Freizeit) im allgemeinen soziale Benachteiligungen bzw.
Partizipationsstörungen (z.B. fehlende Wahlmöglichkeiten beim
Schulbesuch, fehlende Möglichkeiten für eine berufliche Qualifikation,
Beschränkung der Arbeitsmöglichkeiten auf die Werkstatt für Behinderte)
einher. Die sozialen Benachteiligungen bzw. Partizipationsstörungen sind
ihrerseits wiederum als hemmende und einschränkende Bedingungen für die
Entwicklung individueller Ressourcen zur Bewältigung des Lebensalltags
zu werten." (Kniel/Windisch 2002, 6)

1.2.1.3 Kritik der Bezeichnung "geistig behindert"

Gleichzeitig mit dem In-Frage-Stellen von Definitionskriterien für
"Geistige Behinderung" stellt sich die Frage, ob "geistige Behinderung"
eine passende Bezeichnung darstellt. Viele betroffene Personen,
Angehörige und Fachleute lehnen den Begriff ab, weil er wenig
Aussagekraft bezüglich der tatsächlichen Fähigkeiten und Defizite der
Person hat und die derart bezeichneten Personen aufgrund dieser
Benennung Diskriminierung erleiden. Kniel/Windisch, die Verfasser der
oben angeführten Studie, bringen die Kritik auf den Punkt. Sie führen
an, dass der Begriff "Geistige Behinderung" einen "unspezifische(n)
Charakter und geringe analytische Differenzierungsfähigkeit" habe, was
"dazu führt, den Menschen in seiner Gesamtheit mit dem Phänomen der
geistigen Behinderung zu identifizieren." (a.a.O., 8). Sie geben an,
dass diese Bezeichnung eine immense negative Vorinformation für die
Umwelt bezüglich der betroffenen Person bedeutet, nämlich dass eine
"Behinderung des gesamten Menschen" bestehe, d.h. alle Fähigkeiten
geschwächt und defizitär seien. "Infolge ihrer unklaren
Identifizierbarkeit im Unterschied zu deutlich sichtbaren Behinderungen
bietet der Begriff "Geistige Behinderung" schnell Anlass, diese
Behinderungsart auf sämtliche kognitiven, kommunikativen,
sozio-emotionalen und kulturellen Fähigkeiten einer Person und deren
Lebensbereiche auszudehnen." (ebd.)"

(http://bidok.uibk.ac.at/library/erlinger-selbstbestimmung.html#id3010089)

Die Studie von Kniel und Windisch gilt in dem Kontext als einschlägig
und wird immer wieder zitiert, wenn es um die Problematik des Begriffs
"geistige Behinderung" geht.

Grüße,

Alex


--
Alexander Schestag
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