ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Ag-umwelt mailing list
Listenarchiv
- From: "Rainer Suckow" <rainer AT suckow.de>
- To: <ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] generativ versus regenerativ
- Date: Thu, 17 May 2012 20:07:19 +0200
- Importance: Normal
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-umwelt>
- List-id: <ag-umwelt.lists.piratenpartei.de>
Ahoi
Christopher, Frank, Thomas und alle Energie- und Umweltpiraten,
zunächst
ein herzliches Willkommen an Christoper! Wir feuen uns, dass wieder ein
Energiepirat mehr an Bord ist.
Neben deiner Begrüßung ist wieder einmal
die Diskussion um den Begriff "generativ" in eine neue Runde gegangen.
Ich
habe hier schon mehrfach um Solidarität gebeten, was unseren seit 2009
entwickelten Antrag zur Energiepolitik betrifft. Die AG Energiepolitik hat daran
lange gearbeitet und wir haben vor mehr als einem Jahr auch mit der AG Umwelt
eine gemeinsame Linie gefunden, so dass nun beide AGs als Antragsteller
auftreten. In etlichen Bundesländern, zuletzt nahezu wörtlich in Bayern, diente
unser Antrag als Grundlage. Das gilt auch für Jan Hemmes Konkurrenzantrag, der
ja mit unserem Antrag weitestgehend übereinstimmt. Der wesentliche Unterschied
ist, wie Frank schon ausführt, dass Jan den Begriff "generativ" ablehnt. Über
weitere Gründe, warum er nun unbedingt einen Konkurrenzantrag einbringt, kann
man spekulieren. Ich schließe
mich außerdem der Einschätzung von Thomas an, dass solche Konkurrenzanträge
insgesamt die Wahrscheinlichkeit verringern, dass überhaupt das Thema
Energiepolitik beim nächsten BPT auf die Tagesordnung kommt. Man hätte sich im
Vorfeld einigen können, so wie das ja zwischen der AG Energiepolitik und der AG
Umwelt ja auch möglich gewesen ist.
Nun zu den
Begriffen generativ und regenerativ. Wir haben darüber lange diskutiert, ich war
zunächst auch etwas skeptisch, bin jetzt aber davon überzeugt, dass die
Einführung dieses Begriffs sinnvoll ist. Grundsätzlich ist es in einer
wissenschaftlich orientierten Welt nicht ungewöhnlich, neue Begriffe zu
definieren, wenn die bestehenden nicht mehr genügen. Genau das ist durch die
Prägung des Begriffs "generativ" geschehen. Auch die
wissenschaftliche Sprache ist eine lebendige Sprache. In der
Diskussion um erneuerbare Energien ist das Wörtchen "erneuerbar" in der
Kategorisierung der Energiequellen nicht mehr trennscharf genug. Um unser
Programm transparent und verständlich zu gestalten, benötigen wir aber klar
definierte und trennscharfe Begriffe. Durch die von Vielen, auch von den Grünen,
verwendete Gleichsetzung erneuerbar=regenerativ wird alles undifferenziert in
einen Topf geworfen; wir wollen hier klarer sagen, wofür wir stehen. Im
gegenwärtigen Sprachgebrauch versteht man unter erneuerbaren (regenerativen)
Energiequellen solche, die gemessen an menschlichen Zeithorizonten für beliebig
lange Zeiträume zur Verfügung stehen. Dazu gehören also Solarenergie,
Windenergie, Wasserkraft, Gezeiten, Geothermie und Energie aus Biomasse. Fossile
Energieträger und Atomkraft gehören nicht dazu, da die Vorräte absehbar endlich
sind. Man erkennt schon aus dieser Aufzählung, dass die Biomasse eine
Sonderstellung einnimmt, denn sie erfordert einen durch Menschen gestalteten
Kreisprozess und ist außerdem noch in eine große Zahl unterschiedlicher Methoden
(Energiepflanzen wie Mais, Grünschnitt, Hackschnitzel, Algen, Bioabfälle...)
unterteilt. Wenn man Begriffe schon wörtlich nehmen möchte, dann passt
erneuerBAR eigentlich nur auf die Energiegewinnung aus Biomasse. Die anderen
Energiequellen stehen ohne das menschengemachte (was durch die Silbe -bar
impliziert wird) Gestalten eines Kreisprozesses permanent zur Verfügung. Zur
Unterscheidung wurden auch schon die Begriffe biotisch und abiotisch diskutiert.
Man könnte diese permanent zur Verfügung stehenden Energiequellen treffender als
"selbsterneuernd" bezeichnen, da in diesen Fällen die Energiequellen für
kosmische Zeiträume zur Verfügung stehen und die Energie nur "geerntet" werden
muss. Nun, wir waren der Meinung, dass dafür das Wort "generativ" am besten
passt, weil es sehr deskriptiv ist, weil es eingängiger ist als
„selbsterneuernd“ und weil der Begriff regenerativ ja schon im Sprachgebrauch
verankert ist. Durch die Gegenüberstellung von generativ und regenerativ bleibt
man so in einer schon bekannten Begrifflichkeit und differnziert diese
lediglich, wodurch die gewünschte Trennschärfe am besten erreicht wird. In
unserem Antrag kommt dies auch klar zum Ausdruck: in generativen Energiequellen
wird die nutzbare Energie unmittelbar durch Naturkräfte "erzeugt". Aber warum
sind diese generativen Energiequellen nun "besser" als die regenerativen? Weil
Energiegewinnung aus Biomasse in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion steht,
vergleichsweise ineffizient ist und in der Gesamtbilanz aus wissenschaftlich
belegbaren prinzipiellen Gründen schlechter abschneidet. Das wurde auch schon
mal auf einem BPT diskutiert. Es gab eine Zweidrittelmehrheit für generativ und
daher steht das bereits so in unserem Programm. Und dort soll es auch bleiben.
Ich sehe keinen Grund, das zu ändern und ich glaube ferner, dass heute wie
damals eine Zweidrittelmehrheit pro generativ besteht. Im Übrigen unterscheiden
wir uns durch unsere differenziertere und tiefer bohrende Beschäftigung mit der
Materie auch positiv von anderen Parteien. Warum sollten wir den von anderen
Parteien geprägten Sprachgebrauch unreflektiert übernehmen, anstatt ihn sinnvoll
zu präzisieren. Warum sollten wir diesen Vorteil, den wir dadurch in der
öffentlichen Darstellung haben, ohne Not aufgeben?
Der
wissenschaftliche Hintergrund kann in einem Programmantrag natürlich nicht
erschöpfend ausgeleuchtet werden. Dort genügt es, zu sagen was gemeint ist. Wir
haben hier aber oft genug auch den wissenschaftlichen Hintergrund diskutiert.
Dennoch will ich nochmals versuchen, da etwas beizusteuern. Wen das nicht
interessiert: bitte nicht weiter lesen.
Wir
wissen alle, dass Energie nicht wirklich erzeugt, sondern lediglich in
verschiedene Formen wie mechanische, thermische oder elektrische Energie
umgewandelt werden kann. Die Energiebilanz der Erde ist weitgehend ausgeglichen,
d.h. es wird genauso viel Energie in Form von Wärmestrahlung ins Weltall
abgegeben wie Energie durch die Sonne auf die Erde eingestrahlt wird. Gegen
diese riesige Energiemenge ist der geringe Beitrag der unmittelbar (also ohne
Bezug zur Sonneneinstrahlung) auf der Erde frei werdenden Wärmeenergie (durch
Gravitation [Gezeiten und Erdwärme] sowie Isotopenzerfall [ebenfalls Erdwärme])
vernachlässigbar. Nebenbei: durch CO2, Methan etc. wird die Abstrahlung der
thermischen Strahlung behindert, was in einer Erderwärmung resultiert. Fazit ist
also, wir erzeugen keine Energie, sondern wandeln diese nur um. Die wesentlichen
Faktoren bei dieser Umwandlung sind der Wirkungsgrad und letztlich die Entropie.
Die Sonne strahlt hochfrequente (hochenergetische) Photonen auf die Erde ein und
diese sendet sehr viel mehr niederfrequente (niederenergetische) Photonen wieder
aus, aber eben genau so viele, dass die Energiebilanz zu Null wird. Dadurch
entsteht auf der Erde Entropieverringerung eine im Vergleich zum umgebenden
Sonnensystem, dessen Entropie insgesamt ansteigt. In der wissenschaftlichen
Literatur wird dies als „Entropiepumpe“ bezeichnet. Geringe Entropie bedeutet,
dass hochgeordnete und komplexe Strukturen (Leben) durch
Selbstorganisationsprozesse entstehen können, ansteigende Entropie bedeutet
Unordnung, Chaos und Zerfall. Wenn wir Energie in für uns nutzbare Energieformen
umwandeln, so erhöhen wir damit zwangsläufig die Entropie. Diese
Entropieerhöhung ist bei der Nutzung fossiler Energieträger weit höher als bei
erneuerbaren Energien. Und bei den generativen Energieträgern ist die
Entropieerhöhung mit Abstand am geringsten. Anders ausgedrückt: man kann die
Sonnenenergie prinzipiell mit dem höchsten Wirkungsgrad und damit der geringsten
Entropieerhöhung direkt in andere Energieträger umwandeln. Jeder
zwischengeschaltete Kreisprozess, sei er nun kuzfristig über Energiepflanzen
oder in erdgeschichtlichen Zeiträumen über fossile Energieträger, führt zu einer
zusätzlichen Entropieerhöhung. Deshalb sind die generativen Energiequellen
vorzuziehen. Unsere wichtigste generative Energiequelle ist die Sonne, daneben
kommen auch Erdwärme und Gezeiten in Frage. Die Sonnenenergie direkt zu nutzen
ist entropisch gesehen das Beste, was man machen kann. Allerdings muss man auch
hier die Gesamtbilanz sehen, da beispielsweise die Herstellung und Entsorgung
von Solarzellen ebenfalls mit einbezogen werden muss. Auch die Windkraft und die
Wasserkraft sind mittelbare Sonnenenergie, die ohne unser Zutun so lange zur
Verfügung steht, wie die Sonne brennt und es auf der Erde Wasser und eine
Atmosphäre gibt. Es kam mal der Einwand, dass irgendwann die Sonne erlöschen
wird, so dass in diesem Sinne auch diese generative Energiequelle nicht
unendlich lange zur Verfügung stehen kann. Wenn man weiter spinnen will, kann
man aber sagen, dass wir in einer Milliarde Jahre entweder ausgestorben sind
oder in der Lage, in ein anderes Sonnensystem umzuziehen. Wenn alle Sonnen
erloschen sind, bleiben uns bis ans Ende der Zeit noch schwarze Löcher, die
unter Abgabe von Hawking-Strahlung zerfallen, so dass auch da noch Inseln mit
Leben möglich sind.
Herzlicher
Gruß
Hartmut
- Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Wer_bin_ich? / generativ versus regenerativ, pirates, 17.05.2012
- Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Wer_bin_ich? / generativ versus regenerativ, Jan Hemme, 17.05.2012
- Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Wer_bin_ich? / generativ versus regenerativ, Kai Orak, 18.05.2012
- Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Wer_bin_ich? / generativ versus regenerativ, volker jaenisch, 18.05.2012
- Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Wer_bin_ich? / generativ versus regenerativ, Kai Orak, 18.05.2012
- Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Wer_bin_ich? / generativ versus regenerativ / Squirrelbrainfuck, Frank Behr, 17.05.2012
- Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] generativ versus regenerativ, Rainer Suckow, 17.05.2012
- Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Wer_bin_ich? / generativ versus regenerativ, Bernd, 18.05.2012
- Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Wer_bin_ich? / generativ versus regenerativ, Jan Hemme, 17.05.2012
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