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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Die "Duale Vergütung" im Gesundheitswesen

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] Die "Duale Vergütung" im Gesundheitswesen


Chronologisch Thread 
  • From: "Dr. A. Cavicchioli" <cavicchioli AT t-online.de>
  • To: ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Die "Duale Vergütung" im Gesundheitswesen
  • Date: Sun, 06 May 2012 15:45:16 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Ciao,

weil es z.B. für den Laien nicht leicht ersichtlich ist, ob eine Behandlung notwendig ist und welche die beste Behandlung ist. Wenn wir alles dem Markt überlassen, dann ist der Pat. letztendlich der Dumme. Er muss eine faire Möglichkeit erhalten, zu geigneten Informationen zu kommen. Auch ist gut bekannt, dass die Behandler sich durch die Privatversicherte quer finanzieren. Das bedeutet im Unkehrschluß, dass die Privatversicherte zu viel zahlen und nicht "nur", dass die gesetzlich Versicherte zu wenig.

Viele Grüße
Alessandro

Am 06.05.2012 15:34, schrieb Dr. Holger Scholz:
Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum es im PKV Bereich überhaupt allzu starke
staatliche Eingriffe geben sollte. Der Bereich ist, wie der Name schon sagt, privat.
Die beste "Waffe" gegen die PKVen ist eine leistungsfähige, steuerfinanzierte
medizinische Grundversorgung. Daran muss gearbeitet werden. Was und warum der einzelne
dann privat macht, ist privat.
VG
HS

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: ag-gesundheitswesen-bounces AT lists.piratenpartei.de
[mailto:ag-gesundheitswesen-bounces AT lists.piratenpartei.de] Im Auftrag von
syna
Gesendet: Sonntag, 6. Mai 2012 15:13
An: ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Re: [AG-Gesundheit]Die "Duale Vergütung" im Gesundheitswesen


Wolfgang Gerstenhöfer schrieb:
Ahoi Syna,
Sorry Wolfgang,

leider dauert es manchmal lange, bis ich Zeit für Antworten habe.
Shame on me! Aber jetzt will ich gerne Stellung nehmen:

Wolfgang Gerstenhöfer schrieb:
zu dieser Thematik eine E-Mail von mir vom 10. Februar:

....

Ich stehe für eine Reform, die zu einer generationengerechten,
möglichst zukunftssicheren und bezahlbaren Krankenversicherung führt,
die größtmögliche Wahlfreiheit mit der medizinisch notwendigen
Vorsorge, Untersuchung und Behandlung verbindet.
Na, das hört sich ja gut an. Aber das sagt sinngemäß auch JEDE Partei in
ihrem Parteiprogramm - aber lesen wir mal weiter:

Wolfgang Gerstenhöfer schrieb:
Kern meines Vorschlags ist deshalb die Umstellung des
Finanzierungssystems vom Umlage- auf das Kapitaldeckungsverfahren und
gleichzeitig die Verlagerung des Sozialausgleichs in das Steuersystem
und damit auf eine wesentlich breitere Basis (alle Bürger und
Unternehmen), ohne den Menschen eine Einheitsversicherung oder
überhaupt einen bestimmten Versicherungsschutz aufzuzwingen.
Lieber Wolfgang,

das bereitet mir in der Tat *Kopfschmerzen*. Gerade das Gebaren der PKVen in
bestimmten Situationen/Bereichen - also das Schließen des Pools, die
Steigerung der Beiträge, das Ansteigen der Inkasso-Verfahren - wirft ein
bezeichnendes Licht auf die PKVen.

Es macht mir auch Kopfschmerzen, dass die höchste Maxime der PKVen, wie für
jedes privatwirtschaftliche Unternehmen, die *Rendite-Maximierung* ist. Schön
als Antrieb für schlankere Strukturen und die Aktionäre. Aber schlecht für
Bürger und Patienten: Die Kosten für Vorstand und Administration sind in der
PKV die Höchsten:

Verwaltungskosten pro Mitglied in der PKV: 377€ Verwaltungskosten pro
Mitglied in der GKV: 115€

Quelle:

http://www.bpb.de/popup/popup_druckversion_sosi.html?guid=WZDR7I&sosi_guid=AAA741&sosi_lt=AAA739#AAA505

Führungskräfte der PKV und ihre Vertreter verdienen besonders durch
Provisionen! Bei ca. sechs oder sieben Monatsbeträgen Abschlussprovision sind
es im Standard-Tarif 2.100,-€ Provision, für den Basis-Tarif aber 4.200,.-€.
(2011).

Denn die PKV zahlen ihren Vorständen mehr Geld, sie zahlen hohe Provisionen
für Neu-Abschlüsse, und sie zahlen Dividenden aus. Und sie bezahlen Kosten
für Werbung, Marketing, Produktentwicklung. *Das alles müssen GKVen* (bzw.
muss eine Bürgerversicherung) *nicht zahlen.*

Aber auch die Gegenüberstellung Kapitaldeckungsverfahren versus Umlagefinanzierung
finde ich nicht sehr gelungen. Beide Verfahren haben ihre Schwachpunkte. Gerade in der
Finanzkrise hat sich gezeigt, dass das Kapitaldeckungsverfahren sehr anfällig ist, wenn
das Kapitel auch "eingesetzt" wird. Wird es dagegen nicht eingesetzt, ist die
Verzinsung extrem niedrig bzw. man hat sehr hohe Inflationsverluste.

Da bevorzuge ich schon eher das *Umlageverfahren*, welches generell ja auch
im Sozialhaushalt so benutzt wird - und welches - mit variablen
Anpassungsparametern ausgestattet - durchaus zukunftssicher ist. Der Gedanke
hinter dem Umlageverfahren ist ja auch ein eher solidarischer, demokratischer
Grundgedanke.

*Auch der zweite Punkt* "Steuerermäßigung bzw. Ausgleich bei
Geringverdienern" funktioniert nicht. Ganz einfach, weil viele Geringverdiener,
Rentner und Studenten unterhalb des Existenzfreibetrags liegen und deshalb gar keine
oder nur wenig Steuern zahlen. Wie sollen diese dann eine Steuerermäßigung bekommen?
Nur wer viel Steuern zahlt kann auch von einer Ermäßigung profitieren.

Oder soll es - auf Antrag - eine *Zahlung vom Finanzamt geben?* Wollen Sie
also hier den Bürokratie-Apparat weiter aufblähen: Muss also jeder
Kleinst- und Geringverdiener eine Steuererklärung abgeben und zweitens einen Antrag auf
Zahlung eines "Gesundheitsausgleichsbetrags" stellen?
Wie soll das vor sich gehen: Die wenigsten, die betroffen sind, füllen überhaupt eine
Steuererklärung aus. Für Hartz-IV-er ist es eine zusätzliche Bittstellungs-Komponente -
eine schon heute diskriminierte und psychisch kleingehaltene Klientel? Wollen Sie dort
noch zusätzlich "draufschlagen"?

------------------------------------------------------------------------

*Lieber Wolfgang,* ich sehe für Ihren Vorschlag genaugenommen eigentlich gar
keinen Spielraum bei den Piraten.

------------------------------------------------------------------------

Auch die Floskel "überhaupt einen bestimmten Versicherungsschutz
aufzuzwingen" finde ich nicht gelungen. Jede Art von Solidarität bedeutet ja
immer, dass einige Gutverdienende mehr zahlen müssen als Geringverdiener, das ist der
Inhalt von Solidarität. Sie posaunen ja oben lautstark in das Horn der Solidarität!
Aber jede Solidarität hat - leider immer ein bißchen - mit Zwang bzw. Ansprüchen an
die, die ja auch die Gewinner bzw. Profiteure unseres marktwirtschaftlichen Systems
sind, zu tun.

Ich finde auch *Freiheit und Liberalität* sind wichtige und großartige Werte
- sie sollten Grundmaximen sein. Deshalb ja auch: Freies Internet, keine GEZ-
und Kulturflat- oder sonstige Abgaben usw.

Aber im Bereich Gesundheit bewegen wir uns auf anderem Terrain - dies ist
*existenziell für das Dasein des Einzelnen* und damit letztlich auch für die
Demokratie. Deshalb ist hier auf der Einnahmeseite des Gesundheitswesens
Solidarität eine Voraussetzung für unser Gemeinwesen - und deshalb ist hier
auf der Einnahmeseite ein Solidarzwang gegenüber den Profiteueren
unverzichtbar.

Wolfgang Gerstenhöfer schrieb:
Was bei einer Einheitskrankenversicherung - vielleicht auch noch in
Form eines Staatlichen Gesundheitsdienstes - geschieht, kann man sich
durchaus in verschiedenen Ländern ansehen. Dort entsteht nämlich quasi
ein zweiter, privater Gesundheitsmarkt, den sich dann nur noch sehr
wenige leisten können.

Dann haben wir nicht mehr "nur" die Unterscheidung zwischen Kassen-
und Privatpatienten, die ich beseitigen möchte, sondern die
Unterscheidung zwischen "Staatspatienten" und Selbstzahlern.

Die Rationierung der Gesundheitsleistungen wird dann noch stärker als
bisher auf dem Rücken der im Gesundheitswesen Beschäftigten
ausgetragen und eine gute bis optimale Versorgung können sich nur noch
die leisten, die es aus der eigenen Tasche - also ohne die Hilfe einer
Solidar-, einer Versichertengemeinschaft - bezahlen können.

Dann haben wir tatsächlich eine Zwei-Klassen-Medizin, die ich nicht
erleben und auch meinen beiden Töchtern nicht wünschen möchte.
Auch hier malen Sie ein* schiefes Bild.* Nur weil im NHS in England nicht
alles super funktioniert, nehmen Sie auschließlich die negativen
Erscheinungen dieses Systems auf. Die Lebenserwartung ist in England höher
als in Deutschland. Gleichzeitig sind die Gesundheitsausgaben niedriger als
in Deutschland. Für mich sind das Kennzeichen eines überlegenen Systems -
trotz aller seiner Schwächen in manchen Details.

Die Ärzte innerhalb des NHS können sich zudem wirklich *um die Patienten
kümmern*, müssen sich nicht - wie in Deutschland teilweise - dem Diktat des
Khs-Controllers oder dem Diktat ihrer Praxiserwerbs-Schulden unterwerfen.

Wenn man dagegen das System in den *USA als Vergleich* nimmt - ein rein
privatwirtschaftliches System, wie Sie es ja auch hier propagieren - dann
sieht es ganz anders aus: Die Gesundheitsausgaben in den USA sind mit Abstand
die höchsten überhaupt (über 15% des BIP). Da zeichnet sich ein desaströses
Bild des rein privatwirtschaftlichen Vorzeige- Gesundheitswesens ab.

Wenn es in diese Richtung geht, dann müssen Ihre Töchter schon viel Glück
haben (gute Heirat oder sehr hohes Einkommen!), um auf Dauer für ihre
Gesundheit und die ihrer Familie sorgen zu können. Überlegen Sie mal!

Wolfgang Gerstenhöfer schrieb:
Wir brauchen nach meiner Überzeugung eine radikale und solidarische
Reform. Mehr Menschen in ein schon lange nicht mehr zeitgemäßes System
zu zwingen, macht es nicht besser. Es mag sein, dass wir damit die
Probleme noch ein paar Jahre, vielleicht sogar noch das eine oder
andere Jahrzehnt aufschieben, aber aufgeschoben ist bekanntlich nicht
aufgehoben.

Jetzt gilt es, die Finanzierung unseres Gesundheitswesens bzw. unserer
Krankenversicherung auf eine zukunftsorientierte Basis zu stellen und
das Problem nicht weiter zu vertagen.
Ja, Wolfgang: Diesen Allgemeinplätzen kann ich zustimmen. Sie sehen aber: In der konkreten
Ausgestaltung bin ich - aus guten Gründen - ganz anderer Meingung. Sie umrahmen Ihre Vorschläge
immer mit Attributen wie "solidarisch" und "zukunftssicher" - in der realen
Ausgestaltung kommen Ihre Vorschläge diesen Attributen aber kaum nahe.

Einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen,

Greetings, Syna.
--
AG-Gesundheitswesen mailing list
AG-Gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
https://service.piratenpartei.de/listinfo/ag-gesundheitswesen




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