ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
Betreff: AG Gesundheit
Listenarchiv
- From: "Martin E. Waelsch" <dr.m.e.waelsch AT t-online.de>
- To: <AG-Gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: [AG-Gesundheit] Homöopathie alleine ist nicht die Zukunft
- Date: Sun, 1 Apr 2012 15:23:01 +0200
- Importance: High
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
- List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>
- Sensitivity: Company-Confidential
Ich habe mich vor paar Monaten in die MailingListe eingetragen und beobachte mit Interesse die laufende Diskussion. Bei der Debatte für und gegen Homöopathie zeigt sich deutlich, welche Auswirkungen es haben kann, wenn versucht wird, eine Frage mit entweder-oder zu beantworten. Wir haben in der Medizin schon immer das Problem der Trennung zwischen dem organischen und psychischen Bereich des menschlichen Lebens. Spätestens seit Descartes Materialismus gibt es hier eine scharfe Linie, die sämtliche Entwicklungen in der medizinischen Entwicklung und Versorgung determiniert hat. Heute wird versucht diese Spaltung mit Betrachtungen des Leib-Seele-Problems einerseits und mit Pushen der biologistischen wissenschaftlichen Untersuchungen andererseits zu überbrücken. Eine Integration zu ganzheitlichen Betrachtungsweise hat bislang nicht stattgefunden und wird seit Seehofers-Gesundheitsminister-Lebensabschnitt durch die reformistische Organisationsversuche der medizinischen Versorgung verhindert. Die Homöopathie ist nichts anders als wenn ein Stein ins Wasser geworfen wird. Man beobachtet die danach entstehenden Kreise. Mehr ist es nicht. Gleichzeitig ist es aber sehr viel, wenn man sich vorstellt, wer da beobachtet. Derjenige, der den Stein geworfen hat, also derjenige, der die Homöopathie-Pille eingenommen hat. Das gesamte individuelle Universum des Betroffenen beobachtet und reagiert auf die Auswirkungen der Homöopathie-Pille (Steines). Wir haben bislang keine wissenschaftlichen Instrumente, um diese komplexen Zusammenhänge valide zu untersuchen. Aber es reicht, wenn sich jeder an seine Examina erinnert und daran, wie viele Erkrankungen man da in dem Examensvorbereitungsstress bekommt. Bekannt sind die schweren Anginen mit hart weißen Belegen, die sogar ohne bakterielle Infektion entstehen und wenn, sich dann mit Antibiotika und Natur behandeln lassen – am besten aber nach dem erfolgreich abgeschlossenem Examen verschwinden. Es ist nichts anderes, als hier das Immunsystem des Examenskandidaten massiv durch den Stress durcheinander komme und so reagiert, als ob eine Infektion vorhanden wäre. Das Immunsystem hat durch die Brille der Examensangst eine existentielle Bedrohung ausgemacht, gegen die es sich wehrt. Da das Immunsystem genauso wie die Leber usw. in seiner Gesamtheit zu dem Netzwerk des Unbewussten gehört, kann man sich unschwer vorstellen, was in uns alles abläuft. Das Unbewusste macht etwas 80-90% dessen aus, was uns ausmacht, wenn wir es nicht hätten, könnten wir nicht einmal Autofahren erlernen. D. h. auch die in uns innewohnenden Automatisierungsfähigkeiten gehören dazu. Komplex. Deshalb kann es nicht vernünftig sein: „Wer heilt, hat recht.“ Damit haben sich schon Generationen von Ärzten, Pharmafirmen und sonstigen Heilverkünder aus der Verantwortung gestohlen. Entscheidend ist jeweils, wie heilt das, was heilt. Eben innerhalb der Betrachtung der komplexen Zusammenhänge. Insofern ist die Homöopathie keine Methode, die weder begünstigt noch abgeschafft gehört, sondern sie bleibt auf der Agenda der ungeklärten medizinischen Fragen. Sie ist auch nur ein Ausschnitt aus dem Komplex. Die Homöopathie hat immer versucht, sich als Antwort auf ungelöste Fragen der Medizin zu positionieren. Die Menschen nehmen es gerne an, weil es mit viel Hoffnung verbunden ist. Die Hoffnung kann man den Menschen nicht nehmen, weil sie selbst mit dem Hebel Hoffnung an der Heilung beteiligt sind (Stichwort Placebo-Effekt). „Die Freiheit des Einzelnen findet dort seine Grenzen, wo die Freiheit eines anderen unverhältnismäßig beeinträchtigt wird.“ (Grundsatzprogramm Piraten) Einer der zentralen Sätze aus dem Grundsatzprogramm, welches im Bereich Gesundheit sehr wichtig ist. Die Reformen im Gesundheitswesen haben diesen Grundsatz nicht berücksichtigt. Die Auswirkungen der Fallpauschale (DRGs) sind verheerend. Sie haben die medizinische Versorgung verteuert und eine massive Ausweitung von Personal verursacht, das nicht mit dem Patienten arbeitet, sondern mit den Auswirkungen und mit der Bewältigung der Reformen beschäftigt ist. Im Gegenzug gehen immer weniger medizinische Fachleute in die Versorgung, weil sie dort keine Entwicklungsmöglichkeiten finden und nur noch „gedeckelt“ werden – wie die Budgets eben auch. Mittlerweile ist man auf die versponnene Idee gekommen, nun die Fallpauschale auch in der Psychiatrie einzuführen und beschäftigt seit 2010 damit die Psychiatriebeschäftigten. Neue Kosten werden damit produziert und die wachsende Versorgung in der Psychiatrie auf den Stand von 1968 zurückgeschraubt. Jemanden muss in den Regierungs- und Kassengremien die gut funktionierende Personal-Verordnung für die Psychiatrie (Psych-PV) so ein großer Dorn im Auge gewesen sein, dass diese Innovation nach 10 Jahren wieder kassiert werden soll. Es war eben gut berechenbar, wie viel von welcher Berufsgruppe für die Behandlung jeweils erforderlich ist. Die oberste Maxime bei der Durchführung des jetzigen gesetzlichen Vorhabens ist eben Personalreduktion. Verweildauer ist in der Psychiatrie schon lange kein Thema. Diese Auswirkungen der Reformen zeigen, dass die Freiheit der Menschen in der medizinischen Versorgung nach Etatvorstellungen eingeschränkt wird und nicht entlang der Frage, wie und mit welchen Mitteln kann die jeweils mögliche Gesundheit erreicht werden. Es liegt daran, dass sich die biologistische Denkweise mit der buchhalterischen am besten verknüpfen lässt. Mit dieser einseitigen Betrachtungsweise werden wir aber das Ziel der PSYCHOSOZIALEN GESUNDHEIT nicht erreichen. Die psychosoziale Gesundheit ist nicht nur die Innovation des nächsten Wachstumszyklus, sondern ein basaler Produktivfaktor. Gerade in der laufenden und zu erwartenden Demographie-Entwicklung werden wir damit konfrontiert, dass weniger Menschen für die Arbeitswelt zur Verfügung stehen und stehen werden. Wenn von dieser kleineren Menge auch noch eine wachsende Zahl erkrankt sein wird, dann haben wir nicht nur ein Demographie-Problem, sondern auch Arbeitskräfte und Fachkräfte-Problem. Die Produktivität lässt sich aber nicht nur unter dem Aspekt betrachten, wie viele Leute stehen für die Werkbank zur Verfügung, sondern wesentlich weiter gedacht, wie viele Leute werden daran gehindert, sich zu entwickeln. Und hier besteht der Keim, der die Gesundheit maßgeblich verfrüh stückt. Wenn wir die neoliberale technokratische Lösung von gesellschaftlichen Problemen nicht wollen, dann müssen wir die psychosoziale Gesundheit als Ziel vorne dran stellen und die Organisation, Untersuchungen und unter dieser Leitlinie durchführen. Eine Gesundheitsökonomie, die sich nicht an der Psychosozialen Gesundheit orientiert, produziert unweigerlich gesellschaftlich bedingte Erkrankungen, vor allem, leistet den Vorschub für die chronifizierung von Erkrankungen (40% der Krankheitsfälle mindestens). Was das für Kostenlawine und Störungen in der gesellschaftlichen Entwicklung mit sich bringt, kann sich jeder bei den Krankheitszahlen leicht vorstellen. Wir können spätesten während der Finanzkrise seit 2008 gut beobachten, welche Auswirkungen das Auspressen von Ressourcen und Werten aus der Bevölkerung hat. In den Betrieben macht sich Frustration, Demotivation, Angst, Existenzangst und Zukunftsangst breit. In den Familien werden Planungen immer mehr zu einem Lotteriespiel. Die Verlässlichkeit von Vereinbarungen hat die Banken bereits verlassen und, was wichtig ist, kommt ohne Regulierung des Finanzmarktes nicht zurück. Für den einen oder anderen mag es weit hergeholt sein, bei der Diskussion über Gesundheitsfragen die Makroökonomische Lage zu bemühen. Es ist aber kein Luxus der Argumentationsbreite, sondern die pure Notwendigkeit, wie können Rahmenbedingungen so gestellt werden, dass sie Gesundheit (Freiheit) ermöglichen und nicht verhindern. (In China haben die Volkskrankheiten unter der kapitalistischen Volksdiktatur um 20-40% zugenommen, in dem kurzen Zeitfenster des BRICS-Wachstums. Wir können dabei zusehen, wie dieser Werkbank der Welt unter den Erkrankungen zusammenkrachen wird.) Es sind also andere Wachstumsfaktoren, die dem Menschen erlauben, gesund oder gesünder zu leben. Es ist nicht die Homöopathie, genau so wenig wie die Schulmedizin, es ist alles zusammen. Über die bisherigen Wachstumszyklen haben sich die Menschen und ihre Umgebung zu Gunsten vom Wachstum systematisch vergiftet. Trotz aller ökologischen Bemühungen läuft diese Tendenz weiter, weil sie für einige Ausgewählte sehr lukrativ ist. Das hat aber mit „Die Freiheit des Einzelnen findet dort seine Grenzen, wo die Freiheit eines anderen unverhältnismäßig beeinträchtigt wird.“ herzlich wenig zu tun. Deshalb müssen die Ziele in der Gesundheitsdiskussion anders formuliert werden, damit sie in die verschiedenen Einzelregelungen herunter gebrochen werden können und bei jedem Betroffenen Gesundheit nicht verhindern sondern fördern.
Herzliche grüße
Dr. med. Martin E. Waelsch Marktstr. 13 - 17 73207 Plochingen Tel: 07153 921931 Fax:07153 921932 Mobil: 0151 52 503 458 Skype: marell1317 Email: waelsch AT mentalnet.de
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- [AG-Gesundheit] Homöopathie alleine ist nicht die Zukunft, Martin E. Waelsch, 01.04.2012
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