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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Pharma-Industrie und AWBs

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] Pharma-Industrie und AWBs


Chronologisch Thread 
  • From: "Jörg H" <joergdr24 AT googlemail.com>
  • To: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Pharma-Industrie und AWBs
  • Date: Tue, 16 Aug 2011 23:04:35 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Am 16.08.2011 09:47, schrieb Guido Heymann: From: Jörg H  Sent: Monday, August 15, 2011 11:21 PM
Normalerweise werden die Schrittinnovationen als Arzneimittel mit
verbesserten Produktprofile beworben. Die Nebenwirkungshäufigkeit ist
oft niedriger als des Vorgängerproduktes. ...
Ich beobachte das jetzt schon fast 2 Jahrzehnte, aber von einem
Nachfolgeprodukt, welches schlechter als das sein Vorgänger ist, habe
ich nicht gehört. Das wäre auch nicht zu erwarten, weil sich die
Anforderungen an die an die Zulassungsunterlagen, in den letzten 2
Jahrzehnten bis ins absurde gesteigert haben. Das Produkt wäre schon in
der Entwicklung abgebrochen worden. (Die Kundschaft ( Ärzte) ist doch
nicht blöd.)

Lieber Jörg

Du beschreibst die Sache doch etwas zu rosig.
Das allgemeine Vereinfachen steckt an :-)
Ich stimme Dir zu, wenn Du sagst, dass Schritt(Schein)-Innovationen oft ein geringeres Nebenwirkungsprofil aufweisen, leider aber oft auch zu Lasten der Wirkung (wie ein alter Pharmaprof von mir sagte: Keine Wirkung ohne Nebenwirkung).
Das sieht ja sogar das IQWiG so:
http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/arzneimittelpolitik/article/607157/neuer-iqwig-chef-grossteil-medikamente-ueberfluessig.html

IQWiG wurde als Einsparinstitut gegründet und ist darin erfolgreich. Es ist für mich keine unabhängige Instanz. Deine Quelle ist ein wunderschönes Beispiel dafür. Die Zahl von 50000 entspricht der seit vielen Jahren kursierenden Zahl der Zulassungen.  Im Eurokraten-englisch heißen Zulassungen recht treffend "Marketing Authorisations" = Vermarktungsberechtigungen. Da jede Stärke (25 mg, 50 mg) eine eigene bekommt ist die Anzahl der Medikamente deutlich niedriger als 54652.[1]
Die große Zahl beruht primär auf der marktwirtschaftlichen Organisation des Arzneimittelmarktes. Auch jeder Parallelimport braucht eine formale Zulassung und erhöht die Zahl. Der erste Kommentator zum Artikel bemerkt 'nur ca. 9000 seien in der Roten Liste.' Bei den Neuen Generika gab es in den letzten Jahren häufig 20-30 Firmen, die Zulassungen erworben hatten. Mit einer Reduktion auf nur eine würde man Mangels Konkurrenz nur den Wettbewerb abschaffen und die Preise erhöhen.

10000 dürfte die realistische Zahl der Medikamente sein,
Mir fallen aus dem Stehgreif zwei Gegenbeispiele ein:

1) Mitte der 90er Jahre kam Torasemid auf den Markt und wurde sehr aggressiv beworben.
Obwohl Furosemid gut wirksam war und alle Anwender die Schwächen kannten, verschwand kurze Zeit später unseligerweise Furosemid sogar aus unserer Krankenhausapotheke. Hier war der Nachfolger mal billiger.
Torasemid hat jedoch alle mir bekannten Ärzte genervt. Es war in seiner Wirkung kaum vorhersehbar und auch in der Einschätzung aller weniger wirksam. Wir brauchten nur 3 Monate, um Furosemid zurückzubekommen.
Es ist mir bisher auch keine (unabhängige) Untersuchung bekannt, die für Torasemid echte Vorteile findet.

Das kannte ich noch nicht, es war vor meiner Zeit. Danke für das Beispiel. Furosemid wird heute wenig eingesetzt. Es über 30 Jahre alt. Die Anforderungen an Studien waren Anfang der 90er Jahre doch deutlich niedriger. Die meisten (Vor-)urteile und auch Begriffe wie Me-too kommen ja aus der Zeit vor 20-30 Jahren, als es noch leicht und billig war Arzneimittel auf den Markt zu bringen.
2) Omeprazol war eine echte Innovation und Pantoprazol war ebenso wirksam und dabei noch billiger.
Negativbeispiel der Nachahmer in diesem lukrativen Markt ist Esomeprazol: teurer und laut Patienten, die vorher andere Protonenpumpenhemmer bekamen, auch weniger wirksam.
Esomeprazol ist das (S)-Enantiomer von Omeprazol. Die FDA hat ja eine Zeitlang  ganz kräftig für reine Enatiomere geworben, weil sie theoretisch ein niedrigeres Nebenwirkungspotential haben. (Drohung keinen Razemate mehr zuzulassen.) Ich kann mich aber an keines erinnern, das ein wirklich großer (kommerzieller ) Erfolg gewesen wäre. Bei den meisten Mensch und razemischen Wirkstoffen wird doch das eine Enantiomer in das andere umgewandelt. Die wenigen, die davon profitieren lernen es dann nicht mehr kennen.(http://de.wikipedia.org/wiki/Razemat)
Das Problem der Enatiomere ist, das man viel zu wenig untersucht hat welche Methaboliser-Typen davon profitierten. Als die Mode waren, wusste man über diese Unterschiede beim Verstoffwechseln noch zu wenig.

Die Patienten auch nicht was für ein Typ sie sind, woher auch. Ich frage mich, ob es nicht besser wäre, wenn man da

Prantoprazol könte man als  Me-too bezeichnet, weil es aus der gleiche Kasse kommt, natürlich musste es billiger als Omeprazol einführen um Astra Marktanteile weg zunehmen. Damit hat es einen Beitrag zur Kostensbegrenzung geleistet.
---
Die DPHG hat dazu ein Papier erstellt, leider fehlt diesem Link die Liste mit Stoffnamen, die ich an anderer Stelle gesehen habe. Es werden nur einige namentlich genannt.
---> "Analog- (me-too-) Präparate ­ nur Kostensteigerung oder (auch) therapeutischer Fortschritt?
" (2002)
http://www.dphg.de/read_news/?detail=19

Ähnliche Beispiele finden sich bei den Statinen, den ß-Blockern und sogar bei Antibiotika (Cephalosporine).

Bei den Statinen gab es glaube ich, sehr viele Parallelentwicklungen. Mit schien das jeder der Big Pharma einen eigenen hatte. Das Erste Produkt war aber nicht das Beste. ( Habe ich in einer Übersicht gelesen. ) Bei Antibiotika macht man ja mittlerweile standardmäßig einen Resistenztest in Deutschland und das ist gut so.
Aktuell dürfen wir gespannt sein auf Dabigatran. Der Vorläufer (Xi)Melagatran wurde ja 2006 wegen schwerer Nebenwirkungen vom Markt genommen.
Was ich eigentlich sagen wollte: häufig ist das erste nicht das beste mal sehen, ob es ich besser macht.

Ich habe die Eindruck die meisten Neuentwicklungen sind so speziell geprüft, das die Massentauglichkeit fehlt.

Die KV Nordrhein hat sogar eine Liste veröffentlicht, die Alternativen nennt:
http://www.kvno.de/downloads/verordnungen/me_too2011.pdf
und wurde dafür ausgiebig kritisiert. Ich bin ja kein KV-Freund, aber hier liegen die m.E.n. mal richtig.

Noch zwei interessante Links zu Monopol etc.
http://www.medico-international.de/kampagne/gesundheit/downloads/pharmazeitung2007.pdf
http://www.medico.de/media/medico-report-27-patienten-patente-und-profite.pdf

Grüße

Guido [MaHe Berlin]
Dei DPHG hat da ein schönes Papier über die Frage Innovation oder nicht herausgebracht.
Kriterien für die Beurteilung von Arzneimittelinnovationen (2005)
http://www.dphg.de/read_news/?detail=41

Gruß
Jörg





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