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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Staat und Geld

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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Staat und Geld


Chronologisch Thread 

Am 01.04.16 um 11:03 schrieb Rudolf Müller:

> Nicht überzeugen kann mich bisher das Modell, den Markt
> ausschließlichen als Handelsplatz von Rechten zu sehen.

Ich denke es ist etwas voreilig, an dieser Stelle schon das Konzept
Markt einzuführen. Ich bin aber den beiden Hauptprotagonisten dieses
Ansatzes, Arne und moneymind, sehr dankbar, dass sie in den ökonomisch
relevanten sozialen Beziehungen sehr präzise ein qualitatives Merkmal
einführten: Ansprüche gegenüber einem anderen Wirtschaftssubjekt
((Geld)forderungen und Ähnliches) und Ansprüche auf ein
Wirtschaftsobjekt (Eigentumstitel).

> Was soll mit diesem Modell, welches sich immer weiter vom allgemeinen
> Volksverständnis entfernt, erreicht werden? In einem Juristenkreis

Erkenntnis.

Wissenschaftlicher Fortschritt hat sich nie um ein 'Volksverständnis'
geschert. Am Anfang steht eine Beobachtung in der Realität, die sich
nicht mehr mit dem etablierten Modell vereinbaren lässt. Irgendwann
formuliert ein kluger Kopf ein alternatives Modell, das sowohl die
Aussagen des alten Modells bestätigt, als auch eine Erklärung für die
neue Beobachtung liefert. Beispiel wäre etwa der Wandel vom
geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild, das Steve Keen in seiner
aktuellen Einführungsvorlesung[1] illustriert.

Obige Aussage über die qualitativen Unterschied in wertmäßig erfassten
Wertbeziehungen widerspricht aber der Annahme der Quantitätstheorie,
dass in volkswirtschaftlichen Bilanzen rein tautologische Beziehungen
abgebildet werden.

Ich habe hier schon mehrfach Heribert Genreith erwähnt, der auf der
Grundannahme des noch abstrakteren Noether-Theorems eine eigene
Formulierung der Quantitätstheorie[2] entwickelt. In einer Fussnote
macht er erst einmal einen schwerwiegenden Rechenfehler aus, als in der
traditionellen Formulierung der Quantitätstheorie die Investitionsgüter
doppelt gezählt werden.

In die selbe Kerbe schlägt Richard Werner mit seiner Quantitätstheorie
des Kredits[3]. Gemeinsam ist in Werners als auch Genreiths Ansatz, dass
sie die Quantitätsgleichung aufsplitten in Finanztransaktionen und
realwirtschaftlich wirksame Transaktionen.

Von einer ganz anderen Seite gehen die Quantumökonomen an die Sache ran,
derzufolge zuerst einmal die volkswirtschaftliche Buchführung in Ordnung
gebracht werden muss. Geschäftsbanken bilden zusammen mit der
Zentralbank das *Verrechnungssystem* einer Volkswirtschaft. In dieser
Eigenschaft als Bestandteil des nationalen Verrechnungssystems sind
Banken *immer* Schuldner, die treuhänderisch die Guthaben der
Nicht-Banken-Wirtschaftssubjekte verwaltet. Spiegelbildlich bilden sich
die Rechtsverhältnisse auf den Nichtbanken-Konten ab.

Die Auffassung von Geld als Aktiv-Passiv-Relation zeigt schon den
Zusammenhang zur doppelten Buchführung. Den unterschiedlichen Qualitäten
in den Rechtsbeziehungen wird durch die 'Departementalisierung' in
Finanzierungs- und Fixkapital Rechnung getragen. Als Drittes Departement
kommt noch die eigentliche Zahlungsabwicklung hinzu (bei Quantumökonomen
'vehikuläres Geld' genannt), bei denen Änderungen in den Depots der
Bankkunden erfolgen. Auf diese Weise tritt auch keine Dichotomisierung
der Ökonomie, also die Aufteilung in nominalen und realen Werten mehr
auf; für individuelle Erwartungen ist in diesem System ganz einfach kein
Platz mehr.

Diese Dichotomisierung tritt gemäß Bruuns Systematik nur im
'Nominalismus-Currency'-Ansatz auf, etwa der Quantitätstheorie. Laut der
Quantuminterpretation liegt der grundsätzliche Fehler im aktuellen
Bankensystem darin, dass Fixkapital noch kaufkraftwirksam auf dem
Finanzmarkt in Erscheinung treten kann. Hier tritt die Parallele zu
Genreiths Ansatz zutage, der in seiner Analyse der Quantitätstheorie
eine Doppeltzählung von Fixkapitalgütern (Investitionsgüter) ausgemacht
hat. Als Fixkapital wird derjenige Anteil des (physischen) Outputs
verstanden, der noch produktiv in einer Volkswirtschaft genutzt wird.

Der Quantumansatz bringt auch etliche Vereinfachungen. Die verschiedenen
Basel-Abkommen zur Eigenkapitaldeckung können ersatzlos entfallen. Die
Bank sieht ja jetzt auf einen Blick, welche Kredithöhe sie einem
potentiellen Kreditnehmer zusagen kann. Entsprechende Sicherheiten
(Immobilien etc.) sind bereits als Fixkapital in dessen Fixkapital-Depot
registriert.

Wenn wir uns dann so innovative Finanzprodukte, wie diese
'Hypothekarverbriefungen' aus quantumökonomischer Sicht ansieht, so
meine ich, dass auch schon in der aktuellen Rechtsordnung der Tatbestand
der Veruntreuung erfüllt ist. Den Prozess der Securitization habe ich
anhand eines Blogartikels[5] so interpretiert:

Immobilienmakler haben Haushalten mit kleinem und mittleren Einkommen
Hypotheken aufgeschwatzt. Die großen Finanzkonzerne haben diese - noch
nicht finalisierten! - Hypothekenkontrakte im großem Stil aufgekauft.
Dort wurden diese Kontrakte gesammelt und umgelabeled. Diese wurden dann
als 'Sicherheiten' - obwohl die zugrundeliegenden Hypothekenkontrakte
noch mit Risiko behaftet sind! - an institutionelle Anleger verhökert.

Anders formuliert: Die Wall Street hat das zugrundeliegende reale
Vermögensobjekt - die Immobilie - ein zweites mal verkauft!

Ein weiteres Indiz für eine großangelegte Bilanzmanipulation ist mir in
einem Interview mit Michael Hudson zu den Panama-Leaks untergekommen,
das ich aber in einem eigenen Thread diskutieren möchte.

> ist dieses Modell sicherlich höchst dienlich, aber ich stelle mir
> vor, dass ich dieses Modell an der Theke einem aufgeschlossenen,
> interessierten Laien vermitteln will. Kann man den Inhalt nicht
> einfacher und verständlicher gestalten?

Das ist ein berechtigter Wunsch. Und meines Erachtens auch notwendig um
einen wissenschaftlichen Paradigmenwechsel auf breiter Front
herbeizuführen. Das schwierigste an einem Paradigmenwechsel ist ja, dass
etablierte Denkschemata durchbrochen werden müssen. In der
Quantumökonomie haben wir die Volkswirtschaft als Ganzes als
konstituierende Einheit. Monetäre Phänomene können mit den Methoden der
doppelten Buchführung sowohl innerhalb einer Volkswirtschaft als auch
zwischen Volkswirtschaften beschrieben werden. Da die Doppik einzige
Voraussetzung für das Quantummodell ist, erfüllt es einerseits 'Occams
Razor', derzufolge eine wissenschaftliche Theorie möglichst einfach sein
soll, andererseits besteht Hoffnung auf eine breite Akzeptanz beim
interessierten Laien, der das Prinzip der Doppik häufig schon aus seiner
beruflichen Ausbildung kennt.

Ich versuche es einmal ganz plakativ zu formulieren: Geld *ist* Zeit.
Durch die Kreditgewährung verschaffen die Banken den
volkswirtschaftlichen Produktionsprozessen die Zeit, in der Produktion
stattfinden kann. Durch die den Banken ureigenste Aufgabe der
*Finanzierung* verschaffen sie den Unternehmen die Zahlungsmittel, um
die für die Produktion notwendigen Vorleistungen zu kaufen. Diese 'Zeit'
manifestiert sich in einer positiven Zahl auf einem Bankdepot.

Hier kann man auch einen Bezug zu Wolfgang Stützel herstellen. Er hat ja
in seiner Saldenmechanik volkswirtschaftliche Anomalien ausgemacht, die
auf zeitlichen Vorlauf beruhen. In einer 'quantisierten' Zeit lösen sich
die Vorlaufphänomene als quasi 'gleichzeitig' auf, da zwischen zwei
Zahlungen keine Veränderung an Bestandsgrößen (=Bankdepots) auftritt.

> In Griechenland fehlt die bei uns vorhandene Rechtssicherheit und
> die Durchsetzbarkeit der Rechte.

Das ist ein ein notorisches Problem seit 1829:
Reinhart, Carmen M./Trebesch, Christoph (2015): The pitfalls of external
dependence: Greece, 1829-2015. In: BPEA Conference Draft. Online
unter:
<http://www.brookings.edu/~/media/projects/bpea/fall-2015_embargoed/conferencedraft_reinharttrebesch_greekdebtcrisis.pdf>.

gerhard

Fussnoten:
[1] Powerpointfolie auf
<http://www.debtdeflation.com/blogs/2015/10/05/lecture-1-in-becoming-an-economist-at-kingston-university/>

[2] Genreith, Heribert (2014): Field Theory of Macroeconomics.
<http://arxiv.org/abs/1407.6334>

[3] Werner, Richard A. (2012): The Quantity Theory of Credit and Some of
its Applications. Robinson College, Cambridge. Online unter:
<http://www.postkeynesian.net/downloads/Werner/RW301012PPT.pdf<.

[4] Ricardo, David (1821): On the Principles of Political Economy and
Taxation. 3. Aufl. London: John Murray. Online unter:
<http://www.econlib.org/library/Ricardo/ricPCover.html>

[5] Claessens, Stijn et al. (2013): Shadow banking: Economics and policy
priorities. In: VoxEU.org. Online unter:
<http://www.voxeu.org/article/shadow-banking-economics-and-policy-priorities>.
Wird zitiert von David Ruccio in: Real-World Economics Review Blog.
Online unter: <https://rwer.wordpress.com/2016/04/11/out-of-the-shadows/>.





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