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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016


Chronologisch Thread 
  • From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016
  • Date: Tue, 17 May 2016 11:51:25 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hallo Gerhard,

moneymind schrieb:
Ich würde sagen: man kann ohne Erwartungen und Akteure im Modell dann
vielleicht mathematisch konsistente VWL machen - wo es dann aber hapert,
ist m.E. die Realitätstauglichkeit. Finanzkrisen sind immer auch
erwartungsbedingt und boom und bust in emotionalen Kategorien zu
beschreiben (exuberance - depression) trifft dabei durchaus den
emotionalen Kern dieser Erwartungen, die kollektiv sind, weil die
Akteure vertraglich untereinander vernetzt sind.
Gut dass du das ansprichst. Mathematisch konsistent sind auch schon die
Gleichgewichtsmodelle der Neoklassik. Unsinnig wird es erst, wenn diese
Modelle auf die Realität angewendet werden. Die Ursünde der Neoklassik
ist, dass sie etwas auseinandergerissen haben, was grundsätzlich
zusammengehört: wo Guthaben sind, sind auch Schulden. Letzteres ist in
dieser Modellwelt nicht existent.

Ja.

In einem kurzen Video hebt Flassbeck den entscheidenden Unterschied bei den Neudenkern der 20er/30er Jahre hervor (Keynes, Lautenbach, aber auch Kalecki): in gesamtwirtschaftlicher Perspektive kann es rein aus buchhalterischer Logik keine Überschüsse oder Defizite geben[1].

Auf der Ebene des gesamtwirtschaftlichen Forderungs-Verbindlichkeits-Saldo, der per definitionem immer gleich null ist, ja. Auf der Ebene von "Realvermögen" (in Geldeinheiten bewerteten Eigentumsrechten) durchaus. Daher ist es auch möglich, daß in einer Wirtschaft alle Partialgruppen nominale Nettovermögensgewinne verzeichnen: wenn zusätzliches "Realvermögen" geschaffen und/oder vorhandenes aufgewertet wird (Inflation). Das ist typisch für eine Wachstumsphase.

Leider wurde dieser Gedanke nie konsequent zu Ende gedacht.

Dabei wäre er zentral.

Weitaus bedeutender für eine weiterführende Diskussion scheint mir Keynes Aufsatz 'Treatise on Probability' von 1921 zu sein, in der er sich zu Unsicherheit äussert.

Und seine Ausführungen zu Erwartungen in der GT https://www.marxists.org/reference/subject/economics/keynes/general-theory/:

Kap. 5: Expectation as determining Output and Employment
Buch III: The Propensity to Consume
Buch IV: The Inducement to Invest.

Was qualifiziert die subjektive Meinung z.B. einer Ratingagentur über
die Zukunft, wie Standard Poor’s, Moody’s oder Fitch als überlegen
gegenüber der Einschätzung z.B. des Sachverständigenrates, oder deiner, oder meiner, oder von Paul, dem Kraken?

IMHO gar nichts!

Yup.
Man kann zwar versuchen mittels Methoden der Statistik eine Schätzung zu gewinnen. Methodisch bedingt ist dies aber immer eine lineare Fortschreibung von Daten aus der Vergangenheit, welche einen Trend für die Zukunft projizieren. 'Linear' ist in diesem Zusammenhang so zu verstehen, dass keine Rückkoppelungseffekte bei den Eingangsgrößen erfasst werden. Für monokausale Sachzusammenhänge ist die statistische Methodenlehre sicher ein geeignetes Werkzeug. Für komplexe Zusammenhänge, wie es eine Volkswirtschaft darstellt, ist sie bestenfalls ein Herumstochern im Nebel.


Das aber die Erwartungen derer, die die Ratings hören/lesen, beeinflussen. Und damit auch output und employment.

Die Quantumtheorie liefert einen radikal neuen Ansatz mit Unsicherheit
umzugehen. Im Zentrum der Überlegungen steht dabei, welche Rolle die
Zeit bei der Finanzierung spielt. Das Bankensystem bildet ein
nationales Verrechnungssystem das parallel zu den realwirtschaftlichen
Sektoren (Unternehmen, Privathaushalte, Staat bzw. öffentliche
Haushalte) existiert. Solange man eine Bank als Bestandteil dieses
Verrechnungssystems ansieht, stellen sich die registrierten Werte aus
Sicht der Bank immer als Fremdkapital dar, die Bank ist also Schuldner.

Was genau meinst Du mit "die registrierten Werte"? Forderungen oder Eigentumsrechte? Wessen Forderungen + Eigentumsrechte?

Schulden können aber nie alleine stehen, das wusste auch schon Wilhelm Lautenbach. Jeder Schuldenposition muss aus buchhalterischen Gründen notwendigerweise eine Guthabenposition gegenüberstehen. In dieser Aktivum-Passivum-Relation bildet dieses Pärchen eine untrennbare Einheit. Jede Analyse, die diese Relation auseinander reisst muss zwangsläufig unvollständig sein!

Und es ist sinnvoller und praktischer, mit der gesamtwirtschaftlichen Tatsache Verbindlichkeiten = Forderungen zu beginnen als (wie Keynes) mit S=I, obwohl beides kompatibel ist. Siehe Stützel: Volkswirtschaftliche Saldenmechanik, Kap. 3: "Satzgruppen für die Einnahme-Ausgabe-Rechnung", "Transformation der elementaren Satzgruppen in die Einkommensrechnung".

Einnahme/Ausgabe verwendet Stützel wie das deutschpr. Rechnungswesen für Veränderungen des Forderungs-Verbindlichkeits-Saldos (Netto-Finanzvermögens) einer Partialgruppe (Einnahme der Partialgruppe = Ausgabe der Komplementärgruppe, d.h. des Rests der Welt), vgl. Volkswirtsch. Saldenmechanik, Kap. 2 https://www.dropbox.com/s/if7bezdn83e17a2/St%C3%BCtzel%20-%20Volkswirtschaftliche%20Saldenmechanik%20Kap.%202.pdf?dl=0.

Das ist absolut zentral: Stützels Zweiteilung der Objekts der Geldtheorie in Geldvermögensströme und Zahlungsmittelströme. Einnahmen/Ausgaben sind geldvermögenswirksam, d.h. verändern der Forderungs-Verbindlichkeits-Saldo. Sie fließen in entgegengesetzter Richtung der realen Leistungsströme. Bloße _Zahlungs_ströme dagegen sind NICHT geldvermögenswirksam, sondern reine Finanztransaktionen, die nur Bilanzen verlängern oder verkürzen. Siehe wieder Kap. 2 der VSM https://www.dropbox.com/s/if7bezdn83e17a2/St%C3%BCtzel%20-%20Volkswirtschaftliche%20Saldenmechanik%20Kap.%202.pdf?dl=0.

Rekapitulieren wir den Begriff Finanzierung. Ganz allgemein kann man
unter Finanzierung die Bereitstellung von Zahlungsmitteln zur Erreichung eines bestimmten Zwecks verstehen.

Wenn ich Dir Dein Auto auf Kredit abkaufe, buchst Du aktiv - Auto + Forderung ggü. moneymind, ich buche aktiv + Auto und passiv + Verbindlichkeit ggü. Gerhard.

Das würdest Du noch nicht als Finanzierung bezeichnen (da ja nur eine "sonstige Forderung" im Spiel ist, die nicht ohne weiteres als Zahlungsmittel verwendet werden kann)?

Kaufst Du mir 30 Tage später im Gegenzug mein Boot zu dem Betrag ab, den ich Dir schulde, können wir unsere Forderungen verrechnen. Zahlungsmittel waren in dieser Transaktion nicht involviert.

Deiner Terminologie nach auch keine Finanzierung?

In einer arbeitsteiligen
Volkswirtschaft sind das in erster Linie Produktionsprozesse. Der
typische Weg ist dabei die (Fremd-)Finanzierung [2].

Die Finanzmittel sollen schon zum Zeitpunkt der Entscheidung über den
Verwendungszweck zur Verfügung stehen. Gedanklich machen wir einen
kompletten Reset: in dieser Modellvolkswirtschaft existiert außer dem
Verrechnungssystem noch nichts. Es existiert aber schon der Betreiber
des Verrechnungssystems, der die Finanzmittel in Form eines Darlehens
zur Verfügung stellen kann. In so einem Darlehenskontrakt wird im
wesentlichen ein Zeitintervall definiert (Zeitpunkt der Zuteilung des
Darlehens t_0 bis zum Zeitpunkt der Rückzahlung der letzten Rate t_1).


Entscheidend ist, daß Forderungen zum Fälligkeitstermin rechtlich durchgesetzt, d.h. mithilfe des staatl. Gewaltmonopols vollstreckt werden können. Ohne diese Gewalt kein Kredit- und Finanzsystem (siehe GR, wo dieses nicht zuverlässig funktioniert, daher kein landesinternes Kreditsystem auf die Beine kommt).

Das wäre ohne Fälligkeitstermin nicht möglich. Erst hieraus ergibt sich der Handlungszwang und die "accountability" der Eigentümer. Und letztlich die Dynamik einer eigentums- und vertragsbasierten Wirtschaft, die rationale Zeitplanung und Arbeitsorganisation der Eigentümer, etc.

Im übertragenen Sinne kann man Geld auch als Zeit interpretieren, die als Gläubiger-Schuldner-Relation im Verrechnungssystem registriert ist. Den empirische Nachweis, dass frisches Geld durch simple Bilanzverlängerung bei den Banken in eine Volkswirtschaft kommt, führte Richard Werner 2013 [3].

Entscheidend ist nicht "Zeit" per se, sondern: zum Fälligkeitstermin sind Forderungen per Rechtsgewalt durchsetzbar.

Interessant wird es jetzt, wenn Produktion hinzukommt.

Ja.

Mit der
Lohnzahlung bekommt der erbrachte Output erst einen ökonomischen Wert.
Es findet ein Split statt: Der Arbeitnehmer verfügt über Einkommen, das
als Forderung gegenüber der Bank registriert ist. Durch die Lohnzahlung
ist er gegenüber dem Unternehmen glattgestellt. Das Bankdepot des
Unternehmens wird um den Betrag der Lohnzahlung belastet. Per Saldo
resultiert daraus eine Verschuldung gegenüber der Bank. Im Gegenzug
verfügt er über den realen Output, den er auf den Gütermärkten
monetarisieren kann. Erst auf den Gütermärkten wird der arbeitsteilige
Produktionsprozess abgeschlossen, in dem der produzierte Output seine
endgültigen Bestimmung zugeführt wird.

Ein saldenmechanisch konsistentes Kreislaufmodell, ja. Allerdings müssen darin Akteure enthalten sein, die ihre nominal variablen Vermögenswerte (Eigentumsrechte) in Abhängigkeit von Erwartungen bewerten (bzw. beim für den Verkauf bestimmten Umlaufvermögen: auspreisen).

Da würde mich interessieren: wie geht die Quantum-Ökonomie mit diesen Bewertungsakten und generell mit den Entscheidungen der Wi-Subjekte (Konsumieren oder Sparen? Investieren oder nicht?) um? Ähnlich wie Keynes?

Danke+Gruß
Wolfgang




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