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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- Subject: Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016
- Date: Tue, 17 May 2016 11:15:07 +0200
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Am 10.02.16 um 15:06 schrieb moneymind:
> Ich würde sagen: man kann ohne Erwartungen und Akteure im Modell dann
> vielleicht mathematisch konsistente VWL machen - wo es dann aber hapert,
> ist m.E. die Realitätstauglichkeit. Finanzkrisen sind immer auch
> erwartungsbedingt und boom und bust in emotionalen Kategorien zu
> beschreiben (exuberance - depression) trifft dabei durchaus den
> emotionalen Kern dieser Erwartungen, die kollektiv sind, weil die
> Akteure vertraglich untereinander vernetzt sind.
Gut dass du das ansprichst. Mathematisch konsistent sind auch schon die
Gleichgewichtsmodelle der Neoklassik. Unsinnig wird es erst, wenn diese
Modelle auf die Realität angewendet werden. Die Ursünde der Neoklassik
ist, dass sie etwas auseinandergerissen haben, was grundsätzlich
zusammengehört: wo Guthaben sind, sind auch Schulden. Letzteres ist in
dieser Modellwelt nicht existent.
In einem kurzen Video hebt Flassbeck den entscheidenden Unterschied bei
den Neudenkern der 20er/30er Jahre hervor (Keynes, Lautenbach, aber auch
Kalecki): in gesamtwirtschaftlicher Perspektive kann es rein aus
buchhalterischer Logik keine Überschüsse oder Defizite geben[1]. Leider
wurde dieser Gedanke nie konsequent zu Ende gedacht.
Weitaus bedeutender für eine weiterführende Diskussion scheint mir
Keynes Aufsatz 'Treatise on Probability' von 1921 zu sein, in der er
sich zu Unsicherheit äussert.
Was qualifiziert die subjektive Meinung z.B. einer Ratingagentur über
die Zukunft, wie Standard Poor’s, Moody’s oder Fitch als überlegen
gegenüber der Einschätzung z.B. des Sachverständigenrates, oder deiner,
oder meiner, oder von Paul, dem Kraken?
IMHO gar nichts!
Man kann zwar versuchen mittels Methoden der Statistik eine Schätzung zu
gewinnen. Methodisch bedingt ist dies aber immer eine lineare
Fortschreibung von Daten aus der Vergangenheit, welche einen Trend für
die Zukunft projizieren. 'Linear' ist in diesem Zusammenhang so zu
verstehen, dass keine Rückkoppelungseffekte bei den Eingangsgrößen
erfasst werden. Für monokausale Sachzusammenhänge ist die statistische
Methodenlehre sicher ein geeignetes Werkzeug. Für komplexe
Zusammenhänge, wie es eine Volkswirtschaft darstellt, ist sie
bestenfalls ein Herumstochern im Nebel.
Die Quantumtheorie liefert einen radikal neuen Ansatz mit Unsicherheit
umzugehen. Im Zentrum der Überlegungen steht dabei, welche Rolle die
Zeit bei der Finanzierung spielt. Das Bankensystem bildet ein
nationales Verrechnungssystem das parallel zu den realwirtschaftlichen
Sektoren (Unternehmen, Privathaushalte, Staat bzw. öffentliche
Haushalte) existiert. Solange man eine Bank als Bestandteil dieses
Verrechnungssystems ansieht, stellen sich die registrierten Werte aus
Sicht der Bank immer als Fremdkapital dar, die Bank ist also Schuldner.
Schulden können aber nie alleine stehen, das wusste auch schon Wilhelm
Lautenbach. Jeder Schuldenposition muss aus buchhalterischen Gründen
notwendigerweise eine Guthabenposition gegenüberstehen. In dieser
Aktivum-Passivum-Relation bildet dieses Pärchen eine untrennbare
Einheit. Jede Analyse, die diese Relation auseinander reisst muss
zwangsläufig unvollständig sein!
Rekapitulieren wir den Begriff Finanzierung. Ganz allgemein kann man
unter Finanzierung die Bereitstellung von Zahlungsmitteln zur Erreichung
eines bestimmten Zwecks verstehen. In einer arbeitsteiligen
Volkswirtschaft sind das in erster Linie Produktionsprozesse. Der
typische Weg ist dabei die (Fremd-)Finanzierung [2].
Die Finanzmittel sollen schon zum Zeitpunkt der Entscheidung über den
Verwendungszweck zur Verfügung stehen. Gedanklich machen wir einen
kompletten Reset: in dieser Modellvolkswirtschaft existiert außer dem
Verrechnungssystem noch nichts. Es existiert aber schon der Betreiber
des Verrechnungssystems, der die Finanzmittel in Form eines Darlehens
zur Verfügung stellen kann. In so einem Darlehenskontrakt wird im
wesentlichen ein Zeitintervall definiert (Zeitpunkt der Zuteilung des
Darlehens t_0 bis zum Zeitpunkt der Rückzahlung der letzten Rate t_1).
Im übertragenen Sinne kann man Geld auch als Zeit interpretieren, die
als Gläubiger-Schuldner-Relation im Verrechnungssystem registriert ist.
Den empirische Nachweis, dass frisches Geld durch simple
Bilanzverlängerung bei den Banken in eine Volkswirtschaft kommt, führte
Richard Werner 2013 [3].
Interessant wird es jetzt, wenn Produktion hinzukommt. Mit der
Lohnzahlung bekommt der erbrachte Output erst einen ökonomischen Wert.
Es findet ein Split statt: Der Arbeitnehmer verfügt über Einkommen, das
als Forderung gegenüber der Bank registriert ist. Durch die Lohnzahlung
ist er gegenüber dem Unternehmen glattgestellt. Das Bankdepot des
Unternehmens wird um den Betrag der Lohnzahlung belastet. Per Saldo
resultiert daraus eine Verschuldung gegenüber der Bank. Im Gegenzug
verfügt er über den realen Output, den er auf den Gütermärkten
monetarisieren kann. Erst auf den Gütermärkten wird der arbeitsteilige
Produktionsprozess abgeschlossen, in dem der produzierte Output seine
endgültigen Bestimmung zugeführt wird. Erst jetzt kann auch eine Aussage
über die Profitabilität eines Produktionsprozesses gemacht werden und
eine Entscheidung darüber getroffen werden, wie ein nicht profitabler
Prozess weiter behandelt werden soll (Verlängerung des Darlehens,
unveräusserter Output als Input für einen neuen Produktionsprozess). Die
Unsicherheit wird so umgangen, da die Finalisierung erst an einen
Zeitpunkt t_1 in der Zukunft stattfindet.
gerhard
[1] Flassbeck, Heiner (2016): Boxt Keynes mit Hayek? In:
flassbeck-economics. Online unter:
<http://www.flassbeck-economics.de/boxt-keynes-mit-hayek/>.
[2] Das 'schwäbische Hausfrauen Sparen' stellt im Sinne einer
Überbrückung von Zeit auch eine Form der Finanzierung dar: Der
Verwendungszweck für die Finanzmittel liegt an einem Zeitpunkt t_1 in
der *Zukunft*. Durch Nichtverausgabung bestehenden Einkommens werden in
der Gegenwart (genauer vor dem Zeitpunkt t_1) die Finanzmittel
angesammelt, damit zum Zeitpunkt t_1 ausreichend Finanzmittel zur
Bezahlung des Verwendungszwecks zur Verfügung steht. Diese Form der
Finanzierung setzt jedoch ein bestehendes Einkommen voraus, welches aber
zu diesem Zeitpunkt noch nicht definiert ist.
[3] Werner, Richard A. (2014): Can banks individually create money out
of nothing? — The theories and the empirical evidence. In: International
Review of Financial Analysis 36, S. 1–19.
online: <http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1057521914001070>
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Gerhard, 17.05.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 17.05.2016
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