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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Staat und Geld

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Staat und Geld


Chronologisch Thread 
  • From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Staat und Geld
  • Date: Tue, 17 May 2016 13:22:57 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hallo Gerhard,

Rudolf Müller schrieb:
Nicht überzeugen kann mich bisher das Modell, den Markt ausschließlichen als Handelsplatz von Rechten zu sehen.
Ich denke es ist etwas voreilig, an dieser Stelle schon das Konzept
Markt einzuführen. Ich bin aber den beiden Hauptprotagonisten dieses
Ansatzes, Arne und moneymind, sehr dankbar, dass sie in den ökonomisch
relevanten sozialen Beziehungen sehr präzise ein qualitatives Merkmal
einführten: Ansprüche gegenüber einem anderen Wirtschaftssubjekt
((Geld)forderungen und Ähnliches) und Ansprüche auf ein
Wirtschaftsobjekt (Eigentumstitel).

Eigentumsrechte sind in erster Linie Ausschlußrechte gegenüber allen anderen inclusive dem Staat, also auch Grundlage persönlicher Freiheit und der Privatsphäre.

Was soll mit diesem Modell, welches sich immer weiter vom allgemeinen
Volksverständnis entfernt, erreicht werden? In einem Juristenkreis
Erkenntnis.

Wissenschaftlicher Fortschritt hat sich nie um ein 'Volksverständnis'
geschert. Am Anfang steht eine Beobachtung in der Realität, die sich
nicht mehr mit dem etablierten Modell vereinbaren lässt. Irgendwann
formuliert ein kluger Kopf ein alternatives Modell, das sowohl die
Aussagen des alten Modells bestätigt, als auch eine Erklärung für die
neue Beobachtung liefert. Beispiel wäre etwa der Wandel vom
geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild, das Steve Keen in seiner
aktuellen Einführungsvorlesung[1] illustriert.

Es geht bei der Recht-Buchhaltungs-Connection nicht um irgendwelche Modelle, sondern einfach um die Beschreibung der geltenden empirischen Rechts- und Wirtschaftswirklichkeit in Staaten mit ziviler Rechtsordnung. Wer die nicht kennt, kann nicht kaufmännisch mit ihr umgehen, und leider erziehen die modernen Staaten 95% ihrer lohnabhängigen Bürger zu dieser Unkenntnis.

Genauso wie es bei Stützels Saldenmechanik nicht um "Modelle", sondern um schlichte Beschreibung geht:

"Wir untersuchen ..., welche zahlenmäßig absolut strengen Größenbeziehungen zwischen den genannten Transaktionen (Kauf-, Zahlungs- und Kredittransaktionen, mm) innerhalb jeder empirischen Geldwirtschaft herrschen" (Stützel, VSM Kap. 2 https://www.dropbox.com/s/if7bezdn83e17a2/St%C3%BCtzel%20-%20Volkswirtschaftliche%20Saldenmechanik%20Kap.%202.pdf?dl=0, S. 57).

Von einer ganz anderen Seite gehen die Quantumökonomen an die Sache ran,
derzufolge zuerst einmal die volkswirtschaftliche Buchführung in Ordnung
gebracht werden muss. Geschäftsbanken bilden zusammen mit der
Zentralbank das *Verrechnungssystem* einer Volkswirtschaft. In dieser
Eigenschaft als Bestandteil des nationalen Verrechnungssystems sind
Banken *immer* Schuldner, die treuhänderisch die Guthaben der
Nicht-Banken-Wirtschaftssubjekte verwaltet. Spiegelbildlich bilden sich
die Rechtsverhältnisse auf den Nichtbanken-Konten ab.

+1

Die Auffassung von Geld als Aktiv-Passiv-Relation zeigt schon den Zusammenhang zur doppelten Buchführung.

Da würde ich präzisieren wollen: Kreditzahlungsmittel stellen ein Aktivum in der Bilanz eines Rechtssubjekts und gleichzeitig ein Passivum in der eines anderen Rechtssubjekts dar (Gegenbuchung), saldieren sich also gesamtwirtschaftlich immer zu null, sodaß der gesamtwirtschaftliche Nettobestand an Kreditzahlungsmitteln immer gleich Null ist.

Warenzahlungsmittel (Edelmetallmünzen vor der Zentralbankära, Gold im Goldstandard) dagegen stellen Eigentum dar, dem keine Gegenbuchung in der Bilanz eines anderen Rechtssubjekts gegenübersteht. Diese Zahlungsmittel stellen daher auch gesamtwirtschaftliches Nettovermögen dar.

Den unterschiedlichen Qualitäten in den Rechtsbeziehungen wird durch die 'Departementalisierung' in Finanzierungs- und Fixkapital Rechnung getragen.

Diese Unterscheidung halte ich für potentiell irreführend, da es sowohl bei den Forderungen als auch bei den Eigentumsrechten kurz- und längerfristig gebundene (letztere "fix") gibt.

Vermögen besteht aus staatl. durchsetzbaren Rechten: Vermögensrechten, die Gegenstand der Vermögenshaftung sind. D.h. die Verbindlichkeiten eines Re-Subjekts sind Forderungen der Gläubiger auf dessen Vermögensrechte (Aktivseite).

Bilanzen sind Aufstellungen von Rechten und Pflichten, die in einer "monetären" Recheneinheit bewertbar und damit vergleich- und verrechenbar sind:

/"Das Vermögen ist eine Summe, eine Zusammenfassung von Rechten und Rechtsverhältnissen, und zwar im Hinblick auf eine bestimmte Person, der sie zustehen. Auch hier begegnet uns wieder die Gleichsetzung der Sache mit dem Eigentum an der Sache; so, wenn in einer Vermögensaufstellung nacheinander angeführt werden: Grundstücke, bewegliche Sachen, Forderungen und andere Vermögensrechte. Rechtlich gesehen sind Sachen, als Rechtsgegenstände erster Ordnung, nicht mit Rechten als Rechtsgegenstände zweiter Ordnung auf den gleichen Nenner zu bringen. Es müßte daher heißen: Eigentumsrechte an Grundstücken, Eigentumsrechte an beweglichen Sachen, Forderungen und sonstige Rechte. Mit Recht sagt v. Tuhr: „Keine unmittelbaren Bestandteile des Vermögens sind die Objekte der zum Vermögen gehörenden Rechte; das Vermögen besteht aus dem Eigentum an den Sachen, die dem Berechtigten gehören, nicht aus den Sachen selbst, aus den Forderungen, nicht aus den Leistungsgegenständen, die vermöge der Forderung verlangt werden können.“ Über den Kreis der Rechte und Rechtsverhältnisse hinaus wird man zum Vermögen indessen auch solche Wirtschaftsgüter rechnen müssen, die, wie ein Unternehmen, zwar keine Rechte und auch keine Objekte an ihnen bestehender Herrschaftsrechte, aber doch Gegenstände des Rechtsverkehrs und praktisch vererblich sind.
2. Zum Vermögen gehören nur, aber auch alle geldwerten Rechte, das sind Rechte, die unter normalen Verhältnissen gegen Geld veräußert oder nur gegen Geld erworben werden können oder, wie ein Nießbrauch, ihrer Bestimmung nach einen in einem Geldwert ausdrückbaren wirtschaftlichen Nutzen gewähren" (Karl Larenz: Lehrbuch des Schuldrechts, München 1987, S. 306)/

In der allgemeinen Form einer Bilanz gibt es aktiv Forderungen und Eigentumsrechte ("Realvermögen" + andere Rechte wie Markenrechte, Patente, etc.), passiv Verbindlichkeiten (Verpflichtungen) und Nettovermögen. D.h. aktiv werden Rechte verzeichnet, passiv Pflichten und Nettovermögen (ein aggregiertes Bündel von Rechten und Pflichten, auf einen gemeinsamen Nenner gebracht durch eine Recheneinheit / unit of account).

Wichtig ist der Forderungs-Verbindlichkeits-Saldo (Forderungen minus Verbindlichkeiten) = das Netto-Finanzvermögen oder Netto-Geldvermögen oder die Nettoposition. Ist es positiv, ist die Rechtsperson Netto-Gläubiger. Ist es negativ, ist sie Netto-Schuldner. Die Nettoposition einer beliebigen Rechtsperson oder Partialgruppe addiert sich mit der Nettoposition der Komplementärgruppe immer zu Null. Dann gilt: Nettovermögen = Summe des Werts der Eigentumsrechte + Nettoposition. (siehe die Präsentation hier https://www.dropbox.com/s/m8a43m95xkd9v8y/WINIR%20April%204-6%20Bristol%20Wolfgang%2BNicolas.pdf?dl=0, S. 14)

Auf der Ebene DIESER Salden spielt sich Stützels Saldenmechanik ab. Geldvermögenswirksam sind dabei nur Leistungstransaktionen, reine Finanztransaktionen (Kreditvergabe per Bilanzverlängerung, Zahlung) sind NICHT geldvermögenswirksam (VSM Kap. 2).

Welche Rolle spielen Forderungs-Verbindlichkeits-Salden in der Quantum Ökonomie?

Innerhalb dieser grundlegenden rechtlichen Unterscheidung (Eigentum + Vertrag, letzterer begründet Forderungen und Verbindlichkeiten) läßt sich dann genauer klassifizieren.

Aus kaufmännischer Sicht ist eine andere Gliederung sinnvoll (aktiv nach Liquiditätsgrad, passiv nach Fristigkeit), für die gesamtwirtschaftliche Perspektive ist die Gliederung nach Vermögensrechtstyp zentral, da nur Forderungen + Verbindlichkeiten gesamtwirtschaftlich netto zu null saldiert werden, Eigentumsrechte dagegen gesamtwirtschaftlich Nettovermögen darstellen.

Als Drittes Departement
kommt noch die eigentliche Zahlungsabwicklung hinzu (bei Quantumökonomen
'vehikuläres Geld' genannt), bei denen Änderungen in den Depots der
Bankkunden erfolgen. Auf diese Weise tritt auch keine Dichotomisierung
der Ökonomie, also die Aufteilung in nominalen und realen Werten mehr
auf;

Was genau meinst Du hier mit "reale Werte"?

für individuelle Erwartungen ist in diesem System ganz einfach kein
Platz mehr.

Warum nicht?

Wenn wir uns dann so innovative Finanzprodukte, wie diese
'Hypothekarverbriefungen' aus quantumökonomischer Sicht ansieht, so
meine ich, dass auch schon in der aktuellen Rechtsordnung der Tatbestand
der Veruntreuung erfüllt ist. Den Prozess der Securitization habe ich
anhand eines Blogartikels[5] so interpretiert:

Immobilienmakler haben Haushalten mit kleinem und mittleren Einkommen
Hypotheken aufgeschwatzt. Die großen Finanzkonzerne haben diese - noch
nicht finalisierten! - Hypothekenkontrakte im großem Stil aufgekauft.
Dort wurden diese Kontrakte gesammelt und umgelabeled. Diese wurden dann
als 'Sicherheiten' - obwohl die zugrundeliegenden Hypothekenkontrakte
noch mit Risiko behaftet sind! - an institutionelle Anleger verhökert.

Anders formuliert: Die Wall Street hat das zugrundeliegende reale
Vermögensobjekt - die Immobilie - ein zweites mal verkauft!

Das verstehe ich nicht. Was hat eine Hypothekenforderung mit einem "zweiten Haus" zu tun? Sie ist eine nominal fixierte Forderung auf eine zukünftig fällige Zahlung, die mit dem gegenwärtig geschätzten Wert des Hauses (der jederzeit steigen oder fallen kann, je nach Erwartungen der Bewerter in Bezug auf den gegenwärtig erzielbaren Verkaufspreis) gesichert ist, weil der Schuldner mit der Immobilie haftet.

Wie bei jeder anderen Forderung auch ist mit dieser ein Risiko verbunden, weil zu den haftenden Vermögenswerten eben immer auch nominal variable Eigentumstitel zählen, die zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung eben ganz anders bewertet werden können als zum Zeitpunkt der Entstehung der Forderung. Das ist doch die ganze Essenz des Kapitalismus und von Booms und Busts. Forderungen sind nominal fixiert, Eigentumsrechte werden tagesaktuell bewertet und werden in einem "Bust" bzw. einer deflationären Depression natürlich abgewertet, sodaß das Nettovermögen des Schuldners ohne irgendwelche Transaktionen eben negativ werden kann.

Ein weiteres Indiz für eine großangelegte Bilanzmanipulation ist mir in
einem Interview mit Michael Hudson zu den Panama-Leaks untergekommen, das ich aber in einem eigenen Thread diskutieren möchte.


Bewertung hat immer eine subjektive Komponente, und jeder wird natürlich im eigenen Interesse bewerten. Aber auch die Gläubiger bewerten ja die Aktiva ihrer Schuldner. Boom/Bust sind ist also Prozesse kollektiver Erwartungsbildung und emotionaler Zukunftsbilder. Keynes' "animal spirits" eben.

ist dieses Modell sicherlich höchst dienlich, aber ich stelle mir vor, dass ich dieses Modell an der Theke einem aufgeschlossenen, interessierten Laien vermitteln will. Kann man den Inhalt nicht einfacher und verständlicher gestalten?
Das ist ein berechtigter Wunsch. Und meines Erachtens auch notwendig um
einen wissenschaftlichen Paradigmenwechsel auf breiter Front
herbeizuführen. Das schwierigste an einem Paradigmenwechsel ist ja, dass
etablierte Denkschemata durchbrochen werden müssen.

In erster Linie müssen hier nur per rein empirischer Beschreibung der Rechts- und Buchhaltungswirklichkeit für selbstverständlich genommene oder übersehene Zusammenhänge bewußt gemacht werden. Aber der schlimmste Feind dabei sind die eingefahrenen Wahrnehmungsgewohnheiten. Wie Keynes im Vorwort der GT sagte:

Diese Dinge sind lächerlich einfach, und jeder kann sie im Prinzip sofort verstehen. Die Schwierigkeit besteht nicht darin, daß es kompliziert wäre, sondern in den gewohnten Denk- und Wahrnehmungsmustern (siehe hier, Seite 29 https://www.dropbox.com/s/m8a43m95xkd9v8y/WINIR%20April%204-6%20Bristol%20Wolfgang%2BNicolas.pdf?dl=0)

In der Quantumökonomie haben wir die Volkswirtschaft als Ganzes als konstituierende Einheit.

Ja, wie auch in anderen Accounting-based Kreislaufmodellen. Zwei Japaner haben dabei sogar die rechtlichen Fundamente explizit (wenigstens teilweise, beschränkt aufs Privatrecht) erkannt:

Civil Law, Quadruple Entry System, and the System of National Accounts
http://aries.sanken.keio.ac.jp/publication/KEO-dp/109/DP109.pdf

Monetäre Phänomene können mit den Methoden der doppelten Buchführung sowohl innerhalb einer Volkswirtschaft als auch zwischen Volkswirtschaften beschrieben werden.

Ja.

Da die Doppik einzige Voraussetzung für das Quantummodell ist,

Ich würde sagen: Menschen, die durch Zivilrecht (Privatrecht: Eigentum + Vertrag) in Beziehung treten und über ihre quantifizierbaren Rechten und Pflichten "Buch führen". Die Buchhaltung ist der "logische" Teil, der die Verbindung zwischen Einzel- und Gesamtwirtschaft herstellt und deren paradoxe Beziehung klar macht (Stützel); Menschen, die innerhalb dieses rechtlichen Käfigs handeln müssen, und ihre Bedürfnisse, Ziele und Erwartungen (animal spirits) sind die nächste essentielle Komponente. Um die Erklärung von deren seltsamem Verhalten unter den Bedingungen des Privatrechts geht es ja beim Versuch, "Kapitalismus" und seine Unterschiede zu anderen Formen sozialen Zusammenlebens verstehen zu wollen.

erfüllt es einerseits 'Occams Razor', derzufolge eine wissenschaftliche Theorie möglichst einfach sein soll, andererseits besteht Hoffnung auf eine breite Akzeptanz beim interessierten Laien, der das Prinzip der Doppik häufig schon aus seiner beruflichen Ausbildung kennt.

Ja. Und durch die Verbindung zum Recht kann man auch die Juristen ins Boot holen, die sich sehr für Ökonomie interessieren, derzeit aber von Neoklassikern irregeführt werden.

Ich versuche es einmal ganz plakativ zu formulieren: Geld *ist* Zeit.

M.E. näher am Kern: vertragliche Forderungen haben einen Fälligkeitstermin, an dem sie durchsetzbar werden. Zeit als solche gibt es auch, wo es keine durchsetzbaren vertraglichen Forderungen gibt (Stammesgesellschaften z.B.) und kann deshalb die Spezifika von vertragsbasierter Geldwirtschaft nicht erklären.

Grüße
Wolfgang




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