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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
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- Subject: Re: [AG-GOuFP] Staat und Geld
- Date: Tue, 17 May 2016 12:28:08 +0000
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Hallo Rudolf,
Die Aussage bei Minute 47, "Geld ist ein Kind des Rechts"erinnert dabei an Georg Friedrich Knapp und sein Werk: "Die staatliche Theorie des Geldes".
Um einige moderne Autoren wie z. B. Randall Wray besser zu verstehen, habe ich mich erst kürzlich recht intensiv mit Knapps Werk beschäftigt und versucht, das Wesentliche daraus in einem Artikel zusammenzufassen. Auf Knapps Werk wird sich von diesen Autoren vielfach bezogen, teilweise direkt mit Zitaten aber auch indirekt, ohne den Ursprung bei Knapp erkennen zu lassen.
http://www.um-bruch.net/uwiki/index.php?title=Georg_Friedrich_Knapp
Knapps Kernaussage: „Das Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung; [...]“ klingt zwar ähnlich wie die Aussage im o. g. Youtube-Film, jedoch bestehen inhaltlich doch sehr große Unterschiede.
Die Aussage ist zu vage. Zahlungsmittel sind ein Geschöpf der Rechtsordnung. Sie entstehen, indem das Bankensystem zum Fälligkeitstermin per staatlichem Gewaltmonopol vollstreckbare Forderungen gegenüber einer Rechtsperson monetisiert (Bilanzverlängerung, Fristentransformation). Vor der Zentralbankära (und noch im Goldstandard) fungierten auch Eigentumsrechte an Edelmetall als letztendliches Zahlungsmittel. Eigentumsrechte sind staatlich garantierte und durchsetzbare Ausschlußrechte des Eigentümers gegenüber allen anderen, inclusive Staat.
Die im einzelnen involvierten Prozesse kennst Du im Detail, Du setzt dabei nur das Rechtssystem (incl. staatl. Gewaltmonopol zwecks Durchsetzung von Rechten) einfach als gegeben voraus. Wo es jedoch nicht oder nur unzuverlässig existiert, gibt es auch keine Zahlungsmittel, sondern bestenfalls allgemeine Tauschmittel (Bsp. "Zigarettenwährung"; es werden dort dann typischerweise in Rechtsräumen mit durchsetzbarer Rechtsordnung generierte Kreditzahlungsmittel als inländisches Tauschmittel und als Zahlungsmittel gegenüber dem Ausland mit funktionierender Rechtsordnung genutzt - die Dollarisierung in "Entwicklungs"-Ländern).
Ohne Staat gibt es keine durchsetzbaren Eigentumsrechte und Verträge. Zahlungen sind Erfüllungen von Verträgen.
Der Vortrag von Nicolas beleuchtet die fehlenden "wirksamen" Rechtsnormen in Ländern wie Griechenland. Das Nichtvorhandensein dieser Normen verhindert nachhaltig die Entwicklung einer aufstrebenden Industrie.
Knapp hingegen beschäftigt sich mit dem Staat als Voraussetzung zur Etablierung von "Geld". Somit bleiben als Verbindendes nur die Überschriften?
Knapp bleibt zu vage. Der Zusammenhang von Rechtsrahmen (Privatrecht, ÖffRecht), Eigentum, Vertrag, Forderungen und ihrer Monetisierung durchs Bankensystem kann ganz konkret gezeigt werden. Kurzüberblick der Law-Accounting-Connection hier https://blog.anep-economics.org/?p=185&lang=de. Paper dazu (länger) hier https://www.dropbox.com/s/qg20d0m46i2tntq/Theil_W_WINIR_2016_Paper.doc?dl=0.
Nicht überzeugen kann mich bisher das Modell, den Markt ausschließlichen als Handelsplatz von Rechten zu sehen. Was soll mit diesem Modell, welches sich immer weiter vom allgemeinen Volksverständnis entfernt, erreicht werden?
Es ist kein Modell, sondern schlicht die empirische Beschreibung der Rechts- und Finanzwirklichkeit.
Wenn ich Dir auf Kredit Dein Auto abkaufe, haben wir Vermögensrechte ausgetauscht. Du hast das Eigentumsrecht an Deinem Auto gegen eine Forderung mir gegenüber getauscht, "Realvermögen" gegen "Finanzvermögen" (Forderung). Dein Nettovermögen blieb unverändert, Dein "Realvermögen" (Eigentumsrecht = Vermögensrecht) wurde um den Kaufpreis gemindert, Dein Netto-Finanzvermögen (Forderungen minus Verbindlichkeiten) um den Kaufpreis vermehrt. Nennt sich im Rechnungswesen eine Einnahme. Ich habe umgekehrt Finanzvermögen gegen Realvermögen getauscht. Mein Realvermögen hat sich um den Wert des Autos vermehrt, mein Finanzvermögen durch die Einbuchung der Verbindlichkeit dir gegenüber um den Kaufpreis vermindert.
Und Recht ist eine Form der Organisation von Macht (siehe J.P. Robé: Property Rights and the World Power System https://www.dropbox.com/s/kvn1won0ee1ajyb/WINIR_Symposium_2016_Jean-Philippe-Robe_191918_1458310408.pdf?dl=0).
In einem Juristenkreis ist dieses Modell sicherlich höchst dienlich, aber ich stelle mir vor, dass ich dieses Modell an der Theke einem aufgeschlossenen, interessierten Laien vermitteln will.
Der Laie braucht dafür nur einfache kaufmännische Grundlagen, die die entspr. rechtlichen Grundlagen ja einschließen. Die allerdings braucht er.
Kann man den Inhalt nicht einfacher und verständlicher gestalten? In Griechenland fehlt die bei uns vorhandene Rechtssicherheit und die Durchsetzbarkeit der Rechte. Während wir diesen Turbolader fest integriert haben fehlt er den Griechen noch an an ihrem Staats- und Wirtschaftsmotor. Ohne diesen Turbolader kann Griechenland nur im Schlußfeld mitfahren.
Es sind genau diese vagen Metaphern, die gerade kein präzises Verständnis, sondern Unschärfen und Mißverständnisse schaffen. Nicht nur kaufmännische Praktiker, sondern jeder braucht hier die in der empirischen Rechtswirklichkeit geltende Präzision, und allzu schwer ist es nicht.
Es ist die Präzision des röm. Rechts, auf dem doppelte Buchführung (als Mittel, über Rechte und Verpflichtungen den Überblick zu behalten, weil man sich eben nicht leisten kann, mit vollstreckbaren Rechten und Pflichten rumzuschlampen) beruht. Haben jetzt auch auch zwei japanische Ökonomen sehr schön erkannt:
http://aries.sanken.keio.ac.jp/publication/KEO-dp/109/DP109.pdf
In other words, wenn man wie Du schon erkannt hat, daß die Präzision des Rechnungswesens entscheidend ist, wenn man das Kredit- und Geldsystem verstehen will, ist es nur noch ein Katzensprung, die diesem zugrundeliegenden (staatlich durchsetzbaren) Rechtsbeziehungen explizit zu machen.
Das ist kein Modell, es ist nur empirische Beschreibung geltender Rechtswirklichkeit, hinter der der Staat mit seiner monopolisierten Waffengewalt steht. Und wenn man sich dafür nicht interessiert, interessiert man sich nicht für die Wirklichkeit, die man (hoffentlich) verstehen will.
Für Juristen selbstverständlicher Erstsemesterpipifax, für Kaufleute tägl. Praxis, für alle anderen essentiell, um moderne Gesellschaften empirisch statt ersatzweise phantasievoll ideologisch zu verstehen.
Speziell die klare Unterscheidung zwischen Recht (Kauf/Verkauf, staatl. Gewaltmonopol immer involviert, selbst wenn es nicht aktiv wird, sondern seine Gewaltausübung nur als antizipierte wirksam wird) und Sitte/Tradition (z.B. weihnachtlicher Gabentausch, ohne staatl. Gewaltmonopol).
Gruß
Wolfgang
- Re: [AG-GOuFP] Staat und Geld, Gerhard, 17.05.2016
- Re: [AG-GOuFP] Staat und Geld, moneymind, 17.05.2016
- <Mögliche Wiederholung(en)>
- Re: [AG-GOuFP] Staat und Geld, moneymind, 17.05.2016
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