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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] [AG Wirtschaft] Vielen Dnak für die super Diskussion

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] [AG Wirtschaft] Vielen Dnak für die super Diskussion


Chronologisch Thread 
  • From: Rudolf Müller <muellerrudolf AT on22.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] [AG Wirtschaft] Vielen Dnak für die super Diskussion
  • Date: Tue, 13 Oct 2015 16:33:49 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Nach dem Anhören der Diskussion sind bei mir noch ein paar Fragen aufgetaucht, die vielleicht an anderer Stelle schon beantwortet wurden. Für entsprechende Hinweise wäre ich dankbar. Meine Fragen:
o    ist die Globalisierung von allen Menschen der Welt so gewollt, wie ein Zuhörer suggeriert hat?
o    Möchten die Griechen tatsächlich genauso leben wie wir Deutsche? Mit möglichst hohen Versorgungsansprüchen mit 70 in Rente gehen, um nur ein Beispiel zu nennen?
o    Hat jemand die Griechen gefragt was sie tatsächlich wollen oder geht es eher nach der Devise; am deutschen Wesen soll Europa genesen? Wir Deutsche wissen doch genau was die Griechen benötigen.
o    Ist es tatsächlich notwendig und wünschenswert, dass in jedem europäischen Land die gleichen Gesetze gelten?
Dass auf verschiedenen Gebieten eine Harmonisierung erforderlich ist sehe ich zwar auch so, jedoch sollte diese erst nach gründlicher Überlegung auf das Notwendigste beschränkt werden. Die deutsche Oberlehrerrolle finde ich unerträglich.

Beste Grüße
Mumken

Am 13.10.2015 um 13:51 schrieb moneymind:
Vielleicht wäre es - um die Diskussion über die Fach- und AG-Grenzen in Gang zu bringen - eine gute Idee, wenn jemand diesen Diskussionsfaden auch in die Foren der AG Wirtschaft und der AG Recht posten könnte. Und dortige Antworten auch hier.

Hat jemand von hier auch dort Schreibberechtigung und könnte das übernehmen?

Gruß
Wolfgang

moneymind schrieb:

Hallo Tensor,

Ich fand die Diskussion auch sehr hilfreich. Sie war ein- und an manchen Stellen sogar ERleuchtend.

Das freut mich besonders deshalb, weil wir ja keinerlei Theorien erzählt haben, sondern einfach nur paar zentrale Aspekte unseres westlichen Rechtssystems beschrieben haben, die den meisten so selbstverständlich geworden ist, daß sie gar nicht mehr drüber nachdenken.

Zusammenfassend haben wir herausgearbeitet, dass wir ein funktionierendes Staatswesen benötigen, um Rechtsansprüche innerhalb einer Marktwirtschaft durchzusetzen... soweit ich das verstanden habe.

Ja, ohne Staat, der Eigentum und Zivilrecht (Vertragsrecht) garantiert, kein Kredit, kein Business, keine Bilanzen und kein Markt, sondern nur direkt persönliche Tauschbeziehungen, verwandtschaftliche Solidarität, Selbsthilfe oder Schlichtung bei Konflikten (keine unabhängigen Gerichte) etc.

(für mich) offene Fragen:

- Definition des Wirkungsraumes für dieses Staatswesen (hier konkret Europa vs. europäische Nationalstaaten)

Eine absolut zentrale Frage. Brauchen wir, weil die Märkte globalisieren und internationale Großunternehmen Staaten gegeneinander ausspielen und deren Regulations- und Sozialstaatskapazitäten untergraben können, über die Nationalstaaten hinausgehenden größere staatliche Strukturen?

Die EU ist kein Staat, sondern ein völkerrechtlicher Herrschaftsverband. Völkerrecht ist kein wirksames "Recht", weil eine unabhängige übergeordnete Instanz mit Gewaltmonopol fehlt, die es garantieren und durchsetzen könnte.

Wie sind die Nationalstaaten historisch entstanden? In einer chaotischen Situation des europäischen Bürgerkriegs (30j. Krieg), nur über eine absolutistische Zwischenphase (Hobbes: Leviathan; Zeitalter von Merkantilismus und Absolutismus, 16.-18. Jhdt). Zustände, wie wir sie heute im Nahen Osten und in Afrika haben (wo aber keine europäische Renaissance (Ideenwelt der Aufklärung) stattgefunden hat, sondern in den Köpfen eher aus dem Westen importierter Vulgärliberalismus (herrschende "Ökonomie") mit islamischem Fundamentalismus konkurriert.

Demokratische Revolutionen gab es erst NACH der Etablierung einer absolutistischen Zentralinstanz mit Gewaltmonopol (1789 F, 1848 erster Versuch D; 1776 USA - Sonderfall, da brit. Kronkolonie, dort zunächst kein Bürgerkrieg (der kam später).

Brauchen wir einen europäischen Rechtsstaat (die EU ist keiner), und wenn ja, wie kommen wir da hin? Oder ist es besser, zu den Nationalstaaten zurückzukehren (wo Recht - in unterschiedlicher Qualität allerdings - schon etabliert ist)?

- Ist Vereinheitlichung des Rechtssystems (u.a. Steuerrecht) in Europa sinnvoll, wenn Wirkungsraum = Europa?

Zuverlässig durchsetzbares Privat- und Steuerrecht wäre m.E. Voraussetzung für eine funktionierende Währungsunion. Die Eurozone ist die erste Währungsunion, die VOR der Rechtsunion kam - wegen der liberalen Ideologie, die ihrer Planung in den letzten Jahrzehnten leider Pate stand.

- Wie soll das Staatswesen aussehen, das den aktuell in Entartung begriffenen Kapitalismus wieder auf etwas zurückführt, das der Mehrheit und nicht einer kleinen Minderheit dient?

Genau das ist die wichtigste Frage. Meine Antwort: Wiederherstellung einer realkapitalistischen Spielanordnung und systematischen "surplus recycling" (Varoufakis).

http://de.scribd.com/doc/218788496/Stephan-Schulmeister-Ein-New-Deal-fur-Europa#scribd

Das geht nur über internationale Kooperation, und größere staatliche Strukturen ermöglichen das am besten, weil so Konkurrenzparadoxa zwischen Staaten ausgeschaltet werden können.

Die staatlichen Strukturen selbst aber anders als despotisch zu schaffen, dürfte nicht einfach sein (wenn vielleicht auch nicht unmöglich ... wäre aber wohl das erste mal in der Geschichte).

Mir ist schon klar, daß das keine populäre Ansicht ist und provozierend wirkt. Ich will damit auch nicht werten, ich weiß wirklich nicht, was in dieser Situation das Beste ist.

Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind unglaublich groß ... einfach unglaublich riesig. Sehr schwer, da allzu optmistisch zu sein.

Aber handeln müssen wir, und sei es nur, daß wir uns entscheiden, nichts zu tun und abzuwarten und zuzuschauen, ohne einzugreifen, um nichts falschzumachen - auch das ist eine Entscheidung und eine Handlung.

- Welche politische Arbeit können wir als PP in diesem Kontext leisten?

Ja, genau diese Fragen müssen wir m.E. stellen.

Das sind nur meine Fragen. Vielleicht habt ihr andere.
Auf jeden Fall sollten wir offene Fragen diskutieren und die gestrige Theorie-Betankung nicht nutzlos verpuffen lassen.

Aus meiner Sicht nur empirischer "Realitäts-Hinweis" (geltendes Recht hier, was anderswo nicht gilt) und gerade keine "Theorie"-Betankung. Wir wollten eher "Theorie auf den Boden der rechtlichen Tatsachen zurückholen" und zeigen, daß es realitätsfremd ist, sich nur aufs "Geldsystem" zu konzentrieren und das "Recht", "Europa" etc. anderen zu überlassen.

Um die immensen Herausforderungen, vor denen Europa steht, zu verstehen, brauchen wir eine integrierte Perspektive, und von Staat und Recht her (im Kulturvergleich zu vorstaatlichen Gesellschaftsformen) lassen sich Wirtschaft, Recht und Politik integriert und im Zusammenhang betrachten. Nur so kann man auch zu integrierten Handlungsstrategien kommen.

Wir wollten das in Ansätzen ermöglichen und drauf hinweisen, daß auch andere jetzt endlich daran arbeiten, allen voran Frau Pistor mit ihrer Legal Theory of Finance:

*Katharina Pistor: Global Finance - made in Law*
https://www.youtube.com/watch?v=hWgaTiXOGqQ

Ihr hoffentlich bald erscheinendes Buch zur Krise der Eurozone aus Sicht der Legal Theory of Finance diskutiert sie hier in Brasilien mit Kollegen:
https://www.youtube.com/watch?v=_XFgOtrNsTI

Selten, daß man solche Leute findet - gut, daß es sie gibt.

Verlinkung ihrer Arbeiten auf der Quellenseite mache ich demnächst noch.

Danke + Gruß!

In diesem Zusammenhang mein Dank an Arne, Moneymind und Nicolas für die Vorbereitung und Durchführung des Events.

Gerne, ich freue mich, wenn wir neue Denkanstöße geben konnten.

Wolfgang





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