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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
- To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Juristische Diskussion zum Geldsystem.
- Date: Sat, 05 Apr 2014 22:53:02 +0000
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- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Hallo Arne,
Ich sehe bisher nur noch nicht recht, zu welchen neuen Erkenntnissen das führt - aber das kann ja noch kommen.
Die Erkenntnis besteht darin, dass man versteht, dass alle Finanzprodukte - einschließlich Beteiligungen an Unternehmen - Formen von (Kredit-)Geld sind.
Verstehe ich Dich richtig: du würdest auch Aktien als "Geld" bezeichnen? Falls ja - da könnte ich nicht zustimmen, da hier eine entscheidende Eigenschaft von "Geld" oder generell Nominalforderungen fehlt: die nominelle Fixierung, die entscheidend ist für Booms/Busts.
Beweis: Der Buchungssatz bei der Auszahlung eines Kredits lautet: Darlehenskonto Kreditnehmer an Girokonto Kreditnehmer.Das ist unstrittig. Strittig ist nur, aus wessen Perspektive die Gutschrift auf dem Girokonto "Geld" ist (also uneingeschränkt als Zahlungsmittel genutzt werden kann), und aus wessen Perspektive nicht. Ich meinte oben: aus Sicht der Nichtbank (Kreditnehmer) ist es Zahlungsmittel, er kann es als solches nutzen. Aus Sicht der Geschäftsbank dagegen nicht, denn sie braucht im Zahlungsverkehr mit anderen GBen ZB-Geld. Für Sie stellt ZB-Geld das einzige uneingeschränkt verwendbare Zahlungsmittel dar.
Die Soll-Buchung auf dem Darlehenskonto ist die Kreditforderung und die Haben-Buchung auf dem Girokonto ist die Geldschöpfung in Höhe des Kredits.
Das Geld für die Gutschrift auf dem Girokonto des Kreditnehmer musste sich die Bank von niemandem leihen; sie hat es mit und durch den Buchungssatz selbst gemacht.
Weil so die intendierte Architektur unseres Währungssystems ist. Aber auch diese Absicht wurde weitgehend durch Geldmarktpapiere unterlaufen.
Könntest Du das präzisieren?
Ich denke ganz einfach, wenn man die Geldschöpfung direkt komplett in die öffentliche Hand legt (oder verstehe ich die Intention der Vollgeldbefürworter da falsch?), würde ich damit rechnen, daß - wenn die Privaten Kreditbedarf haben, der von der Zentralstelle nicht oder nicht schnell genug bewilligt wird - sie einfach wieder auf Formen gegenseitiger direkter Kreditvergabe ausweichen werden (wie Lieferantenkredit, Wechsel etc.). Wahrscheinlich würden sogar private Parallelwährungen zur zentral kontrollierten öffentlichen Währung hinzukommen - notfalls auch unter der Hand (ähnliche Prozesse liefen im Realsozialismus ab, wenn auch nicht auf monetärer Ebene).Auch in einem Vollgeldsystem ist nicht an eine Kreditbewirtschaftung gedacht. Niemand, außer der kreditgebenden Bank selbst entscheidet, ob sie einen Kredit vergibt oder nicht. Die Zentralbank bzw. Monetative hat hier nichts zu bewilligen.
Wie siehst Du das?
Und die Bank selbst würde auch nie Schwierigkeiten der Refinanzierung haben, wenn sie bereit ist, den jeweiligen Marktpreis (= Zins ) zu zahlen und die gewünschten Sicherheiten bereit zu stellen.
Angebot und Nachfrage sind keine diskreten Werte, sondern Funktionen des Preises und der Konditionen.
In einem marktwirtschaftlichen System wird Angebot und Nachfrage über den Preis und die Konditionen ausgeglichen. Daran würde sich auch in einem Vollgeldsystem nichts ändern.
Auch heute, mit einer Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken, könnte man einen „Kreditmangel“ bitter beklagen. Die Kreditabschlüsse wäre um ein zig-faches höher, wenn der Staat die Risiken der Banken übernehmen würden.
Was für einen "Kreditmangel"? Es geht um einen Mangel an Realinvestitionen. Und die werden über "Nachfrager" gesteuert.
Inwiefern ändert ein Vollgeldsystem etwas an der Nachfragestruktur?
Würden alle Girokonten nicht bei den Geschäftsbanken, sondern ausschließlich bei der Zentralbank geführt werden, dann wäre das im Wesentlichen das Ende der privaten Geldschöpfung. Dadurch würde weder das Eigentumsrecht noch die Vertragsfreiheit tangiert, sondern lediglich das Nachmachen und in Verkehr bringen von Geld (= Geldfälschung) durch den Bankensektor unterbunden.Siehe oben.
Ich sehe bisher nicht wirklich, worin die Vollgeldbefürworter da das Problem sehen. Ich würde überhaupt gern mal eine Analyse der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation, speziell in der EU, aus Sicht der Vollgeldbefürworter sehen, um entscheiden zu können, ob die Probleme, die ich für entscheidend halte und von denen ich meine, daß sie gelöst werden müßten, dort überhaupt als Probleme gesehen werden:
- mangelnde Investitionen
- Arbeitslosigkeit
- Lohndrückerei
- Sozialabbau
- arm/reich-Polarisierung
- Finanzalisierung (Liberalisierung der Finanzmärkte)
- Rückzug des Staats aus gesamtwirtschaftlicher Verantwortung zugunsten bedingungsloser Konsolidierung, stattdessen Delegation aller Verantwortung für gesamtwirtschaftliche Zielsetzungen an die Zentralbank
- Währungsunion ohne Fiskalunion und politische Union
- mangelhafte zivilrechtliche Basisstrukturen in einigen Ländern der Währungsunion (GR)
Gibt es so eine Analyse aus der Sicht der Vollgeld-Befürworter?
Ja, de facto. Ich meine eben, bei zentralisierter Geldschöpfung würden die Privaten bei Bedarf "de facto" auf privat generierte Zahlungsmittel ausweichen, notfalls unter der Hand (auch das würde die accountability der Wirtschaft enorm einschränken und zu eine parallelen "Geheimbuchführung" führen, die vor dem Staat ja geheimgehalten werden müßte; damit wäre die Vollstreckbarkeit in Frage gestellt; damit wären solche Transaktionen eigentlich keine Markttransaktionen mehr, sondern durch das staatliche Geldsystem erzeugte "Schwarzmarkt"-Transaktionen).Schon immer konnte auch Kredit als Zahlungsmittel dienen - egal, ob es nun einen Gerstengeld- oder Edelmetallgeldstandard gab.Richtig! - Aber das ist nicht der Punkt. Es ist eine Frage des Ausmaßes und wessen Kredite als Zahlungsmittel in einem Wirtschaftssystem de facto verwendet werden.
Was wäre der konkrete Bedarf und wie sollen diese privat generierten Zahlungsmittel aussehen?
Der konkrete Bedarf läßt sich natürlich nicht vorhersehen, sondern ergäbe sich aus den Zukunftserwartungen und Investitionsplänen der Realunternehmer. Privat generierte Zahlungsmittel dürften im einfachsten Fall einfach Wechsel sein. Für deren multilaterale Verrechnung dürften sich dann Clearingstellen bilden (wie private Banken ab dem 13. Jahrhundert, beginnend in Norditalien, und schon in der griechischen Antike, ursprünglich aus dieser Funktion entstanden sind).
Warum sollte sich überhaupt was ändern, wenn 99% aller Menschen sowieso glauben, dass das Geld durch die Zentralbank und nicht durch die Geschäftsbanken bereitgestellt wird.
Es geht nicht um Geld, sondern um die Finanzierung von Käufen zwischen Unternehmen.
Durch ein Vollgeldsystem würde das Währungssystem den Vorstellungen der Menschen über das Währungssystem angeglichen werden.
Bei einer zentralisierten Geldschöpfung wird primär die Geldmenge - aber nicht die Kreditmenge bestimmt.
Weder Geld- noch Kredit-"Menge" sind aus meiner Sicht irgendwie relevante Größen. Geld-"Menge" in Relation wozu genau? Die Vorstellung, eine "optimale GEldmenge" quantitativ festlegen zu können, braucht ja einen Referenzpunkt. Optimal wofür? In Relation wozu?
Die Zentralbanken haben zu Recht längst Geldmengensteuerungskonzepte aufgegeben und haben das Ansteuern eines dubiosen Geldmengenziels durch das Ansteuern eines Inflationsziels ersetzt, was (in Bezug auf die Realwirtschaft) auch sinnvoll und theoretisch konsistent ist (müßte ich ggf. ausführen, falls ja bitte nachfragen).
Theoretisch kann aus jeder beliebig kleinen Zentralbankgeldmenge jede beliebig große Kreditmenge generiert werden. Rein praktisch werden dieser Entwicklung durch die Schranken bei der Umlaufgeschwindigkeit, den Zahlungsgröße und Zahlungsgewohnheiten Grenzen gesetzt.
Wie schon gesagt, halte ich absolute "Mengen" hier für völlig irrelevant. Es geht um Relationen - genug, zuviel oder zuwenig Geld oder Kredit wofür? (kann ich gern aus meiner Sicht beantworten, ggf. bitte nachfragen).
Ich glaube weder an rein öffentlich kontrollierte noch rein privat kontrollierte Kredit-/Geldschöpfung, sondern an ein flexibles Zusammenspiel beider Gegenpole.Die private Giralgeldschöpfung macht verbuchtes Geld nach und bringt es in den Verkehr. Die private „Blütenschöpfung“ - besser bekannt als Falschgeld - macht verbrieftes Geld (= Banknoten, Münzen) nach und bringt es in den Verkehr. Der Unterschied zwischen verbucht und verbrieft ist eine Frage der Verpackung und nicht des Inhalts. Und wenn ich Geldfälschung als nicht OK betrachte, dann muss ich zwangsläufig das fälschen von Buchgeld ebenfalls als nicht OK betrachten.
Wo liegt die Relevanz für die Wirtschaft?
Erst aus diesem Zusammenspiel der Gegenpole - der prozyklisch wirkenden privaten und der potentiell antizyklisch wirkenden öffentlichen Kreditnahme/-vergabe - entsteht (für mich) eine dynamische, freie Marktwirtschaft.Ich möchte dir nicht zu nahe treten, aber nach meinem Verständnis wurde der Begriff „freie“ Marktwirtschaft eingeführt, um zu desinformieren.
Ich denke, dann verstehen wir nicht dasselbe unter dem Begriff.
Begriffe wie freie Marktwirtschaft gehören für mich in die gleiche Kategorie wie die Jungfrauengeburt und die Unfehlbarkeit der kath. Kirche. Man muss dran glauben. - Und selbst dann sind sie nur schwer verdaulich.
Zunächst mal gehören sie in die Kategorie "mehrdeutige Begriffe, unter denen Du und ich möglicherweise nicht konkret dasselbe verstehen. Ich "glaube" nicht an "die freie Marktwirtschaft".
Es kann keine freie Marktwirtschaft geben, sondern allenfalls eine mehr oder weniger geregelte Marktwirtschaft.
Sehe ich genauso.
Was als Freiheit verkauft wird, ist bei näherer Betrachtung die Macht der Stärkeren, die im Schein des Rechtes die wirtschaftlich Schwächeren bzw. nicht Skrupellosen bis zur Sittenwidrigkeit unter und über den Tisch ziehen. - Und dann auch noch die Frechheit haben, so zu tun als gäbe es keine Alternative und ihr Verhalten in Wahrheit den Schwächeren zu gute kommen würde.
Ja, und ein entscheidender Punkt für Stärke besteht natürlich in Vermögen. Doppelt freie Lohnarbeiter haben das bekanntlich nicht.
Aber ich muß zugeben, daß ich mich mit dem Vollgeldvorschlag bisher nicht im Detail beschäftigt habe. Was würdest Du mir zum einlesen empfehlen? Huber? Gocht? Kannst Du was konkretes empfehlen? Danke.
Für Vollgeld halte ich die Seiten der Monetative für empfehlenswert: http://www.monetative.de/
Dort finden sich auch Links und Buchempfehlungen wie z.B. das 100%-Geld von Irving Fisher.
Und von Gocht kann ich dir sein Buch *Kritische Betrachtungen zur nationalen und internationalen Geldordnung* wärmstens empfehlen: http://www.buch.de/shop/home/rubrikartikel/ID29368071.html?ProvID=10905481&ia-pkpmtrack=9-8353835313236323131303-103-100-101#kritische-betrachtungen-zur-nationalen-und-internationalen-geldordnung
Danke. Werde bei der Monetative mal reinschauen, zunächst mal wohl vor allem, um zu sehen, wie deren Problemanalyse aussieht.
Gruß
Wolfgang
- Re: [AG-GOuFP] Juristische Diskussion zum Geldsystem., (fortgesetzt)
- Re: [AG-GOuFP] Juristische Diskussion zum Geldsystem., Arne Pfeilsticker, 05.04.2014
- Re: [AG-GOuFP] Juristische Diskussion zum Geldsystem., Rudi, 05.04.2014
- Re: [AG-GOuFP] Juristische Diskussion zum Geldsystem., Arne Pfeilsticker, 05.04.2014
- Re: [AG-GOuFP] Juristische Diskussion zum Geldsystem., Rudi, 05.04.2014
- Re: [AG-GOuFP] Juristische Diskussion zum Geldsystem., Rudi, 05.04.2014
- Re: [AG-GOuFP] Juristische Diskussion zum Geldsystem., Arne Pfeilsticker, 05.04.2014
- Re: [AG-GOuFP] Juristische Diskussion zum Geldsystem., moneymind, 05.04.2014
- Re: [AG-GOuFP] Juristische Diskussion zum Geldsystem., Rudi, 06.04.2014
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- Re: [AG-GOuFP] Juristische Diskussion zum Geldsystem., Ex-SystemPirat, 06.04.2014
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- Re: [AG-GOuFP] Juristische Diskussion zum Geldsystem., Ex-SystemPirat, 06.04.2014
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