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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!


Chronologisch Thread 
  • From: Patrik Pekrul <Patrik.pekrul AT hotmail.de>
  • To: Piratos <piratos.aka.tobias AT egomatrix.de>
  • Cc: AG-GOuFP <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!
  • Date: Fri, 3 Jan 2014 00:00:10 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>




Am 31. Dezember 2013 18:30 schrieb Piratos <piratos.aka.tobias AT egomatrix.de>:
Ja schöne Story für den Blog, oder?
Hast Du Lust Deine Mail noch etwas zu unterfüttern und auf den Blog zu
setzen?

Wie wäre es damit:

Populärer Irrtum: Die Zentralbank bestimmt die Geldpolitik

Die wenigsten Menschen fragen sich wahrscheinlich, warum es überhaupt eine Zentralbank gibt. Die häufigsten Antworten werden wohl sein:

  1. Sie gibt das Geld heraus
  2. Sie steuert die Geldmenge
  3. Sie legt das Zinsniveau fest

Warum sie das überhaupt tun sollte, werden vermutlich die meisten Menschen so begründen:

  1. Irgendwer muss ja das Geld herausgeben
  2. Sie muss Inflation verhindern
  3. Über die Zinspolitik wird die Konjunktur gesteuert

Tatsächlich beruht diese Vorstellung auf einer grundlegend falschen Annahme über die Funktionsweise unseres Geldsystems. Die Wahrheit ist:

  1. Die Geldmenge wird maßgeblich von den Geschäftsbanken geschöpft
  2. Es gibt keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation
  3. Das Zinsniveau hat nur begrenzten Einfluss auf die Investitionsentscheidungen und damit auf die Konjunktur

All dieses ist in den vergangen Jahren empirisch umfangreich untersucht worden, und selbst die Zentralbanken mussten einsehen, dass sie weder maßgeblichen Einfluss auf die Geldmenge haben, noch dass die Geldmenge wiederum entscheidend für das Preisniveau und damit die Inflationsrate ist.


"Our paper studies the relationship between money growth and consumer price inflation in the euro using wavelet analysis. Wavelet analysis allows to account for variations in the money growth - inflation relationship both across the frequency spectrum and across time. Our results indicate that over the sample period 1970-2012 there was no stable significant relationship between fluctuations in money growth and consumer price inflation at low frequencies. In contrast, most of the literature, by failing to account for the effects of time variation, estimated stable long-run relationships between money growth and inflation well into the 2000s. We also analyze the relationship between loan growth and inflation in the euro area, since bank loans represent the most important counterpart to monetary developments but find no evidence for a stable relationships between loan growth and inflation at any frequency."

Im Gegensatz zur breiten Öffentlichkeit haben die Zentralbanken dieses bereits erkannt und haben es faktisch aufgegeben, die Geldmenge steuern zu wollen (abgesehen davon, dass "die" Geldmenge ein höchst schwammiger Begriff ist, der sehr unterschiedlich interpretiert werden kann und wird). Die FED hat aus diesem Grunde auch aufgehört die Geldmenge zu erfassen und zu veröffentlichen.


"On March 23, 2006, the Board of Governors of the Federal Reserve System will cease publication of the M3 monetary aggregate. The Board will also cease publishing the following components: large-denomination time deposits, repurchase agreements (RPs), and Eurodollars. The Board will continue to publish institutional money market mutual funds as a memorandum item in this release.

...

M3 does not appear to convey any additional information about economic activity that is not already embodied in M2 and has not played a role in the monetary policy process for many years. Consequently, the Board judged that the costs of collecting the underlying data and publishing M3 outweigh the benefits."


Während die EZB immer noch vorgibt, die Inflation über die Geldmenge M3 zu kontrollieren, erklärt die FED sie für schlicht irrelevant - womit sie mehr Einsichtsfähigkeit als die europäischen Institute zeigt - dies gilt im Besonderen Maße für die Bundesbank, die immer noch autistisch dem Mythos der Quanitätstheorie nachhängt: http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Monatsberichtsaufsaetze/2005/2005_01_geldmenge.pdf?__blob=publicationFile


"Der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisen bildet die Grundlage für einen der beiden Pfeiler der geldpolitischen Strategie des Eurosystems. Monetäre Aggregate dienen als wichtige Indikatoren für die Einschätzung der mittel- bis langfristigen Preisentwicklung und damit der Risiken für die Preisstabilität. Ihre besondere Rolle in der geldpolitischen Strategie des Eurosystems verdanken sie dem relativ engen empirischen Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisen."


Diesen "empirischen Zusammenhang" gibt es schlicht nicht - insbesondere nicht für die Eurozone: http://www.voxeu.org/sites/default/files/file/DP8049.pdf


"This paper investigates whether the quantity theory of money is still alive. We argue that it is, but that the slippage is not negligible. For countries with low inflation, the relationship between average inflation and the growth rate of money is tenuous at best. A correction for variation in output growth and the opportunity cost of money, using theory implied elasticities, helps explain the slippage. For the period since 1990, inflation targeting at low rates of inflation makes it harder to establish the long run relationship between monetary growth and inflation."


Diese Studie bestätigt die Ergebnisse der vorherigen. In Zeiten "normaler" Inflationsraten gibt es keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Geldmengenwachstum und Preisentwicklung. Sie kommt zu dem Schluss, dass es allenfalls langfristig einen Zusammenhang geben könnte, allerdings mit sehr großen Unsicherheiten:


"Quantity theory is still alive, but there are some brown spots, which merit serious attention. The slippage between explained long run inflation rates and actual inflation rates can reasonably be as high as six percent, which should be considered dangerously high to base long-term monetary policy upon without taking into account more information.

In particular, for the period since 1990, we argue that success at targeting low inflation, together with greater dispersion in deregulation and technology adoption, make it harder to establish the long run relationship between inflation and monetary growth."


Auf gut deutsch: Kaffeesatzleserei.


Aufgrund dieser Tatsache, haben sich die Zentralbanken weitestgehend auf die Beeinflussung des Zinsniveaus verlegt. Auch hier herrscht die mittlerweile weltfremde Theorie vor, dass sich die Geschäftsbanken hauptsächlich bei den Zentralbanken refinanzieren würden, und diese also durch ihre Zinsniveau-Vorgaben maßgeblichen Einfluss auf die Marktzinsen und damit die Kreditvergabe hätten. Auch diese Vorstellung ist von der Realität längst überholt, aber nichts hält sich hartnäckig wie früh erlernte Glaubenssätze.


Die Banken finanzieren sich mittlerweile weitestgehend gegenseitig über den sog. Interbankenmarkt und legen ihren Referenzzinssatz - z.B.. den Libor oder Euribor - selbst fest. Die Folgen sind bekannt: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/zinsmanipulation-die-libor-bande-12057074.html


"Die großen Banken der Welt haben in einem beispiellosen Kartell über Jahre hinweg den Zins manipuliert, die wichtigste Stellgröße der Wirtschaft. Sie haben ihn mit üblen Tricks nach unten und oben getrieben - genauso, wie es ihnen gerade passte. Und keiner konnte sich ihrer Machenschaften entziehen. Während man bei Zertifikaten oder komplizierten Finanzprodukten immer noch selbst entscheiden kann, ob man sie kauft, entkommt der Macht des Zinses keiner.

Ein wichtiger Grund dafür, dass es zu den Manipulationen überhaupt kommen konnte, war offenbar, dass man die Libor-Meldungen in den Banken nicht besonders ernst nahm. Obwohl der Zins für die Weltwirtschaft so wichtig ist, war das Risikobewusstsein gering. Entsprechend schlecht waren die Kontrollen, entsprechend wenig Überwachung gab es."


Na so ein Zufall, hat wahrscheinlich keiner gemerkt oder gewusst...


Dass den Zentralbanken aufgrund des wachsenden Interbankenmarktes die Kontrolle weitgehend entglitten ist, hat unlängst sogar Draghi bestätigt: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ezb-chef-draghi-sieht-ermutigende-zeichen-bei-euro-rettung-a-941064.html


"Draghi wies den Vorwurf zurück, die EZB-Politik niedriger Leitzinsen gehe zu Lasten der Sparer. Dass die Rendite entsprechender Anlagen teilweise nicht einmal die Inflation ausgleiche, sei "nicht die Schuld der EZB", sagte er. "Insbesondere in den vergangenen Jahren konnten wir die langfristigen Zinsen gar nicht kontrollieren, weil die Investoren wegen der Euro-Krise hochgradig verunsichert waren." Stattdessen würden die langfristigen Kapitalrenditen auf den globalen Finanzmärkten bestimmt."


Nachdem also in der Vergangenheit die Zentralbanken schon eingeräumt haben, dass sie keinen Einfluss auf die Geldmenge haben und sich stattdessen auf die Beeinflussung der Zinsen verlegten, räumt nun Draghi ein, dass die Zentralbank auch keine Kontrolle über das Zinsniveau hat.


Frage: Wenn eine Zentralbank also weder Einfluss auf Geldmenge und Zinsen hat, aber genau das ihr Instrumentarium sein soll, um das Preisniveau zu stabilisieren - was zwar ihr Auftrag ist, aber auch empirisch widerlegt wurde - wozu brauchen wir sie dann noch?


Antwort: Die einzige sinnvolle Funktion ist die des "Lender of last resort" (für die Banken) bzw. des Hauptfinanziers des Staates (in souveränen Staaten). Und selbst diese Funktion wird ihr im Falle der EZB sogar institutionell vorenthalten.


Die Zentralbank ist heute nichts weiter als ein Relikt aus dem Zeitalter konvertibler Währungen - eine Illusion. Faktisch kontrollieren heute "die Märkte" allein sowohl das Geld-/Kreditangebot als auch das Zinsniveau - alles andere ist Schmierentheater. 




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