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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Zinskritik: Erfordert ein System mit Zinsen eine ständige Geldmengenexpansion? Nein!

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Zinskritik: Erfordert ein System mit Zinsen eine ständige Geldmengenexpansion? Nein!


Chronologisch Thread 
  • From: Thomas Irmer / ID Concept <irmer AT id-concept24.de>
  • To: Ag Geldordnung Und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Zinskritik: Erfordert ein System mit Zinsen eine ständige Geldmengenexpansion? Nein!
  • Date: Wed, 04 Apr 2012 19:27:02 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Um des Themas willen,
und auf Cosmics Bitte,

hier noch mal, die von Tobias und Raimund Brichta geführte sehr interessante Diskussion um das Zinsproblem:


Hallo Tobias, gut, dass wir uns schon mal in der grundsätzlichen Funktionsweise einig sind :-) Differenzen gibt es aber noch im Detail.

Sie schreiben:
"Es ist richtig, dass eher "Reiche" bei der Umverteilung der Guthabenzinsen
und der Dividenden profitieren und dann eher den Leistungsverzicht üben
können um zu sparen, aber das ist immer ein aktives Handeln des Empfänger
der Ausschüttungen der Bank. Er kann es auch konsumieren."


Kann er nicht, weil er soviel gar nicht konsumieren könnte. Zudem gibt ihm das System des Zinses und des Zinseszinses auf Geldvermögen ja gerade den Anreiz dazu, noch reicher (und damit noch mächtiger) zu werden. Das heißt, früher oder später führt das gegenwärtige System automatisch dazu, dass es zu der Situation kommt, die wir haben. Die von Ihnen genannte "Entscheidungsfreiheit" gibt es nicht mehr.

Sie schreiben weiter:
"Erhält eine Putzfrau der Bank ihren Lohn, kann diese "Leistungsverzicht"
nicht betreiben und muss ihren Lohn in der Wirtschaft weiter tauschen.
Sie liefern eigentlich genau die Begründung, für das, was ich behaupte,
dass das "Sparen" von Tauschmittel zur Krise führt."


Aber genau darum geht es doch: Um die Frage nämlich, ob das gegenwärtige System, Zins und Zinseszins für Geld kassieren zu können (das zudem noch zum großen Teil aus dem Nichts erzeugt wird), früher oder später automatisch zur Krise führt. Das tut es doch, da sind wir uns einig, oder?
Sie argumentieren eigentlich nur semantisch, indem Sie schreiben, problematisch sei nicht der Zins und Zinseszins, problematisch sei nur das "Sparen" des Tauschmittels an sich. Beides gehört aber zusammen, denn Zins und Zinseszins stellen den hauptsächlichen Antrieb dafür bereit. Würde ohne Zins gespart, würde dem Kreislauf einfach nur Geld entzogen, so dass sich entweder die Umlaufgeschwindigkeit der Restgeldmenge erhöhen oder - wenn dies nicht mehr möglich ist - neues Geld als Ausgleich geschaffen werden müsste, um eine unveränderte Menge an Gütern und  Dienstleistungen tauschen zu können. Durch Zins und Zinseszins muss aber nicht nur die durch Sparen entzogene Menge ersetzt werden, sondern es kommt zu einem Wachstumszwang der Geldmenge über diesen Ersatz hinaus.

Die empirischen Zahlen belegen dies im Übrigen, wenn Sie sich einmal die Entwicklung der wichtigsten Geldmengen über die letzten Jahrzehnte anschauen.

Sie schreiben weiter:
"Ich sehe nicht den "fehlenden Zins" als Ursache, abgesehen davon natürlich,
dass die "Kosten" einer Bank. ein viel, viel größerer Um-verteiler für die Zinseinahmen
sind, als die "Guthabenzinsen/Ausschüttungen". Uns selbstverständlich kann ein Boni
Empfänger der Bank das Geld sparen, aber er kann sich auch eine Villa kaufen und so
das Geld im System lassen."

Bestreiten Sie denn, dass diejenigen Zinsen und Bank-Dividenden, die nicht wieder ausgegeben werden, in Ihrem Sinne "fehlen"?

Wenn Sie es nicht bestreiten, wäre das schon einmal eine erste Schnittmenge zwischen uns.
Dazu kommen dann noch weitere Kosten der Bank, die man ebenfalls noch zum "fehlenden Zins" dazurechnen kann:  Der Teil der Löhne und Boni an Angestellte, der ebenfalls gebunkert wird. Darüber hinaus alle anderen Zahlungen, die an  Leute oder Institutionen fließen, die ebenfalls bunkern. Dazu kommen alle Zahlungen, die zwar nicht sofort gebunkert werden, die aber nach mehreren Zwischenstationen bei irgendjemandem landen, der sie dann wieder bei einer Bank bunkert. Das läppert sich ...

Greifen wir nur einmal das Beispiel Ihres Villenkaufs durch den Bonusempfänger auf: Nehmen wir an, dass der Verkäufer der Villa ebenfalls gut betucht ist und dass dieser dann das Geld wieder bei einer Bank anlegt. Und wenn er es nicht macht, dann tut es vielleicht der nächsten Empfänger des Geldes, etwa der Verkäufer einer Luxus-Yacht, die sich der Villenverkäufer zulegt. Verstehen Sie, was ich damit sagen will? Die Summen, um die es geht, sind viel größer, als Sie mit Ihren einfachen Beispielen Glauben machen. Und diese Summen wachsen darüber hinaus stetig an, weil die Geldvermögen durch Zinseszins immer weiter wachsen. 

Sie schreiben weiter:
"Wenn in 2010 insgesamt 210 Mrd. "Netto-Neugespart" wurden und davon "nur "45 Mrd.
Kapitalerträge waren (grade mal 8,7 Mrd. Abgeltungssteuer als Quellensteuer),  frage ich
mich, was ist der größerer Faktor, der die Geldvermögen antreibt?"


Bevor wir über diese Zahlen diskutieren, bitte ich Sie zu erläutern, woraus genau sie sich zusammensetzen und welche Quelle Sie dafür haben. Für diese Recherche fehlt mir momentan die Zeit.

Sie schreiben weiter:
"Das sehe ich nicht so, in meiner Welt der Bankbilanzen wird Giralgeld M1
reduziert, wenn Geldvermögen aus Bankbilanzen rausgekauft wird, die
Geldmenge sinkt, Geldvermögen wird an Nichtbanken verkauft, wenn diese
"sparten" also "Geld anlegt in z.B. Staatsanleihen".


Es wird doch kein Geldvermögen aus Bankbilanzen rausgekauft, das ist ein Missverständnis. Was meinen Sie damit? Verzinsliche Fremdkapitalpositionen auf der Passivseite von Bankbilanzen (egal, ob es sich um Einlagen, Obligationen oder sonstiges handelt), wachsen mindestens in dem Maße, in dem die daraus resultierenden Zinsen von den Empfängern nicht ausgegeben, sondern wieder bei einer Bank angelegt werden (das muss auch nicht einmal dieselbe Bank sein). Andere Faktoren tragen selbstverständlich ebenfalls zum Wachstum bei (siehe weiter unten).

Ihren Hinweis auf die Staatsanleihen kann ich in diesem Zusammenhang nicht einordnen. Ich kann Ihnen nur so viel sagen, dass z.B. lediglich 1-2% der deutschen Staatsanleihen in Händen von Privatanlegern sind. Der Hauptteil ist in Händen von institutionellen Anlegern wie Banken, Versicherungen, Fonds.

Sie schreiben weiter:
 "Der Guthabenzins auf Festgelder (Geldanlagen, M2,M3 in der Bilanz) ist ein
sehr kleiner Anteil der Eigenkapitalverwendung der Bank.
Wie oben erwähnt, steigen die Geldvermögen überwiegend durch Neusparen(fast
Faktor 4 größer als Kapitalerträge)."


Hier ein Ausschnitt aus der GuV der Deutschen Bank 2010:

Die Tabelle lässt sich leider nicht hier rein kopieren- ich versuche es so wieder zu geben (meine Anm.):

GuV 2010:
Zinsen und ähnliche Erträge: 28.779 Mio.
Zinsaufwendungen:                13.196 Mio.
____________________________________
Zinsüberschuss:                       15.583 Mio.

Daran sehen Sie, dass die Deutsche Bank fast die Hälfte ihrer Zinseinnahmen als Zinsaufwand an Geldvermögensbesitzer weitergeleitet hat. Zu diesem Betrag kommen all jene Ausgaben dazu, die  - wie oben beschrieben - ebenfalls irgendwann (und sei es nach mehreren Zwischenstationen) auf Konten der Geldvermögensbesitzer landen.

Sie schreiben weiter:
"Der Zins ist sicherlich ein falscher Motivator aber jedes Neusparen des
"erhalten Zins" ist aktives Handeln eines Menschen, der damit seinen
Sparwillen dokumentiert, am Markt gibt es außer dem unbedeutenden Sparbuch
auch keine Geldanlagen die eine Zinsezins Effekt enthalten. Alle zahlen nur
einen Zins."


Einspruch:

Zum einen gibt es unzählige Anlageformen, bei denen die Zinsen jedes Jahr automatisch dem Anlagebetrag zugeschrieben werden. Unterhalten Sie sich darüber bitte einmal mit Ihrem Anlageberater.

Zum anderen geht der Zinseszinseffekt natürlich weit über die automatische Dazuschreibung hinaus: Zinsen und Dividenden werden selbstverständlich auch bewusst wieder angelegt. Und wo sie ausgegeben werden sollten, landen sie später einmal bei jemanden, der das Geld anlegt. Für Sie ist das dann gar nicht mehr als wieder angelegter Zins erkennbar, weil das Geld inzwischen durch mehrere Hände lief. Aber tatsächlich ist es eine Wiederanlage. Auch hier greift Ihre Sichtweise also viel zu kurz. Denn es geht ja um den gesamten und langfristigen Effekt auf Geldmengen und Geldvermögen.  

Sie schreiben weiter:
"Zinsenzahlungen sind immer ein Passivtausch "ins Eigenkapital" und zurück,
wie soll da was anwachsen?"


Ganz einfach dadurch, dass sich die Forderungen der Geldvermögensbesitzer auf der Passivseite der Bankbilanzen dadurch auf Dauer erhöhen. Die ebenfalls auf der Passivseite stehenden Forderungen der Kreditnehmer, die in Form von Kontoguthaben bei der Kreditvergabe entstanden sind, verschwinden dagegen wieder, sobald die Kredite getilgt werden.

Sie sehen also, wie etwas Vergängliches, nämlich die bei der Kreditvergabe entstehenden Einlagen, durch dieses Umbuchen (den Passivtausch) Stück für Stück zu etwas Permanentem werden. Die Forderungen der Geldvermögensbesitzer werden die Banken nämlich nicht wieder los - zumindest freiwillig nicht. Sie wachsen und wachsen. Verstehen Sie das?

Sie schreiben weiter:
"Anwachsen lässt eine Passivseite der Bank die erzeugte Liquidität bei "Kreditvergabe" und
"Wertpapierankauf"(auch Überweisungen). Aus diesem Grund halte ich Ausschuldungs-Begründung "
Zins" für die falsche Fährte."


Sellbstverständlich ist der Umstand, das sich in unserem Fiatgeld-System sehr leicht Geld aus dem Nichts per Kreditvergabe erzeugen lässt, ebenfalls ein Faktor, der die Passivseiten der Bankbilanzen zusätzlich zum Anschwellen bringt. Beide Faktoren wirken aber zusammen. Betraglich trennen lassen sie sich nicht. Zumal der Zinseszinsfaktor und die daraus resultierenden wachsenden Forderungen der Geldvermögensbesitzer die Banken ja geradezu dazu zwingt, durch neue - und stetig wachsende - Kreditvergaben für "Zinsnachschub" zu sorgen.

Im Übrigen gilt für mich bis zum Beweis des Gegenteils die These: Die Passivseiten der Bankbilanzen müssen im Durchschnitt mindestens um den Zins anwachsen.

In der Vergangenheit war das jedenfalls der Fall, wie ein Blick in die Bundesbank-Statistiken zeigt (http://www.bundesbank.de/statistik/statistik_zeitreihen.php?open=banken):

Seit 1950 wuchsen die Passivseiten um 11% pro Jahr. Das entspricht einer waschechten Exponentialfunktion. Und der Zins ist dabei einer der beiden treibenden Faktoren.

Sie schreiben weiter:
"Ich denke, der Tauschmittelentzug der Wirtschaft, der durch
Leistungsverzicht entsteht, verhindert, das der Schuldner im System jemals sein Kredit ganz tilgen kann.

Wenn Zinseinnahmen gespart werden, ist das das gleich, wie wenn ein Beamter in eine Lebensversicherung
einzahlt, das Geld steht der Wirtschaft nicht mehr zur Schuldentilgung zur Verfügung. Nicht "der Zins fehlt",
sondern "das Gesparte fehlt"."


Auch hier greift ihre Sichtweise wieder zu kurz: Denn selbstverständlich wird dem Kreislauf auch zusätzlich zum Zins noch weiter Tauschmittel entzogen. Beide Effekte überlagern sich auch hier. Zins und Zinseszins sorgen allerdings für einen jährlich steigenden Mindestbetrag dieses Entzuges. Für längere Frist kann der Tauschmittelentzug niemals unter diesen Mindestbetrag fallen, ohne dass das System zusammenbricht.

Freundlicher Gruß
Raimund Brichta




Ich musste die Diskussion, zwar mehrmals lesen, um alles zu verstehen, aber Herr Brichta schreibt so deutlich und gut verständlich, dass ein Verstehen und Nachvollziehen der jeweiligen Argumente der beiden Kontrahenten, auch für einen Laien wie mich möglich ist.

Vielen herzlichen dank an Sie Herr Brichta, dass sie sich solch eine differenzierte Mühe gemacht haben, und auf Ihr Gegenüber so konkret ein gegangen sind! Großartig!

Ich bin der Meinung, dass wir damit das Thema "der Zinz ist kein Problem für unser System" endlich auf den Müllhaufen der Geschichte verbannen können! Wer anderer Meinung ist, möge sich noch ein mal die Diskussion im Detail durchlesen. Danke.

Ahoi!
Thomas




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