Re: [Ag-bauen-verkehr] ÖPNV-Diskussion

[Sven Windisch <sven.windisch AT googlemail.com>]

Holla Günni, da hast du dir ja deinen ganzen Frust von der Seele 
geschrieben. Find ich gut, muss aber doch hie und da widersprechen. :)

On 17.04.2012 15:24, Benutzer Name wrote:
> ob kostenlos oder fahrscheinlos. Genau wegen dieser Frage habe ich
> meine Meinung geändert.
> Ich wohne in Wiesbaden Innenstadt in einem der dichtbesiedelsten
> Gebiete Deutschlands. Im Umkreis von 200m fahren 12 Busse und von 500m
> > 30 Busse in der Stunde in alle Richtungen der Stadt.
> Trotzdem stehen massive Investition an, genau der Einstieg in den
> Schienengebundenen ÖPNV.

Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob das schon ein Argument war. 
Unbestreitbar ist sicher, dass es wesentlich weniger Städte und Kommunen 
gibt in denen der ÖPNV brauchbar ausgebaut ist als es eigentlich sein 
sollten. Was aber am Einstieg in den schienengebundenen ÖPNV schlecht 
sein soll, erschliesst sich mir erstmal nicht.


> Früher war ich auch für einen fahrscheinlosen ÖPNV, jetzt bin ich
> dagegen. Warum, weil ich faul bin und so aus dem Haus gehe, dass ich
> mit dem Bus fahren kann, auch wenn ich nur eine Station fahre. Damit
> schaffe ich eine "künstliche" Nachfrage, für die es keinen "echten"
> Bedarf gibt. Ich hätte ja auch zu Fuß gehen können.

Nö. Du schaffst eine echte Nachfrage. Du gehst ja nicht zur Wiesbadener 
Börse und handelst dort mit Bussitzplatz-Optionen, sondern verbrauchst 
ganz real einen Sitzplatz im Bus.

> Jeder Transport kostet Geld, daher ist mein Ansatz jetzt die Anzahl
> der motorisierten Wege zu reduzieren. Ich will die Straße zurück, ich
> will auf der Straße gehen, Fussball spielen, die Straße als
> gemeinschaftlichen Raum wieder entdecken.

Natürlich kostet jeder Transport Geld. Wenn du läufst, brauchst du 
immermal neue Schuhe und Socken, das Rad braucht manchmal Öl und 
Ersatzteile und alles was einen Motor beinhaltet braucht neben der 
Wartung natürlich auch noch Treibstoff. Eine Erstanschaffung (Schuhe, 
Radl oder Kfz) ist sowieso notwendig.

Nun kommt es darauf an, diese Anschaffungs-, Wartungs- und 
Ressourcenkosten auf möglichst viele Mitfahrer zu verteilen. Und da ist 
so eine Straßenbahn oder so ein Bus dem Auto ziemlich überlegen. Laufen 
und Radfahren sind natürlich toll, stehen aber nicht jedem als 
Fortbewegungsmittel zur Verfügung (s.u.).


> Warum wird in der Stadt so viel Platz für das Abstellen von PKW [8m²]
> bereitgestellt?
> Warum gibt es so wenig Platz und Möglcihkeiten für das Abstellen von
> Fahrrädern [1m²]?

Du wirfst hier Fragen auf, die auch in anderen Städten (z.B. hier in 
Leipzig) einer Beantwortung bedürfen, aber das hat - soweit ich das sehe 
- nichts mit dem ÖPNV zu tun.

> Als geübter Radfahren kann man ohne Probleme auch Wege über 10km im
> täglichen Leben zurücklegen.

Sollte das ein Argument kontra ÖPNV sein, dann ist das - ich denke das 
ist dir auch klar - eine ziemlich egozentrische Weltsicht. Sicher kannst 
du Dinge erlaufen oder mit dem Rad erfahren. Viele Menschen können das 
aber nicht oder nicht mehr. Das geht bei Kindern los, die noch nicht 
laufen können und setzt sich bei älteren Menschen fort, die nicht mehr 
weit laufen können und ein Fahrrad auch nur bei ihrem Enkel sehen. Diese 
Personengruppen würdest du komplett ins Auto nötigen. Das kann aber 
irgendwie nicht Sache des Erfinders sein. Stattdessen sind genau diese 
Personengruppen eine ganz wichtige Zielgruppe bei der Idee des 
fahrscheinlosen ÖPNV.

> Ich sehe keinen Sinn mehr in einem fahrscheinlosen ÖPNV. Man sollte
> darüber nachdenken, gezielt Personenkreise zu fördern. Beruftätige
> fallen mir da direkt ein, da durch sie der Verkehr am stärksten in
> seiner Menge reduziert werden kann.

Es gibt bei den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) eine ziemlich 
ausdifferenzierte Preisstruktur. Es gibt quasi ein Ticket für jede 
Geschmacksrichtung (http://www.lvb.de/tarife). Das hat, soweit ich das 
verfolgen konnte, mit dafür gesorgt dass die Nutzungszahlen in Leipzig 
angestiegen sind. Der nächste Schritt kann, meine Meinung nach, nur 
weiter in Richtung eines fahrscheinlosen ÖPNV führen, denn nur damit 
können wir die Leute raus aus den Autos holen.

Mir ist aber klar, dass momentan unmöglich alle auf den ÖPNV umsteigen 
können. Das war auch ein Ergebnis der PR-Aktion von LVB, Mitteldeutscher 
Regiobahn (MRB) und DB in der vergangenen Woche, bei der man mit seiner 
Kfz-Zulassung umsonst Bus und Bahn fahren konnte.

Beste Grüße, Sven