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ag-bauen-verkehr - [Ag-bauen-verkehr] Fahrradverkehr

ag-bauen-verkehr AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Bundes-AG Bauen und Verkehr Diskussionsliste

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[Ag-bauen-verkehr] Fahrradverkehr


Chronologisch Thread 
  • From: Thomas Weinert <thomas AT weinert.info>
  • To: Bundes-AG-Bauen-und-Verkehr <ag-bauen-verkehr AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: [Ag-bauen-verkehr] Fahrradverkehr
  • Date: Wed, 30 Nov 2011 17:03:15 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-bauen-verkehr>
  • List-id: Bundes-AG-Bauen-und-Verkehr <ag-bauen-verkehr.lists.piratenpartei.de>

Hoi,

Beim Thread zum Tempolimit auf Landstraßen sind wir ja schon auf das
Fahrradverkehr gekommen. Es deutet sich an, das hier noch große
Differenzen bestehen. Daher spreche ich mal einige Punkte gezielt an
und kippe meine Gedanken dazu aus.

1) StVO

Fahrräder sind Fahrzeuge. Die StVO sieht vor das Fahrzeuge auf der
Fahrbahn fahren. Dennoch hält sich hartnäckig der Irrglaube das dies
für Fahrräder anders sein müsse. 1998 wurde die StVO geändert und die
allgemeine Benutzungspflicht für Fahrradwege abgeschafft.

Es hat über ein Jahrzehnt und einige Gerichtsurteile gebraucht um ein
Umdenken in den Verwaltungen anzustoßen. Hervorzuheben ist ein Urteil
der BVerwG vom 18.11.2010. Darin wurde festgestellt, dass die
Benutzungspflicht der Sonderfall sein sollte und die Gründe dafür
nachweisbar sein müssen.

Der Regelfall ist derzeit das Verwaltungen immer noch bewusst oder
unbewusst gegen die StVO verstoßen.

2) Führerschein

Der größte Teil der Fahrradfahrer (>90%) über 18 haben einen
Führerschein. Es gibt spezielle Aktionen an Schulen. Man sollte also
überlegen das Verhalten gegenüber und als Fahrradfahrer stärker in den
Führerschein einfließen zu lassen. Angebote ähnlich der
Fahrsicherheitstrainings des ADAC könnten sinnvoll sein.

Das Gefährdungspotential eines Fahrrades liegt deutlich unter dem
eines Kraftfahrzeuges.

3) Kennzeichen

Kennzeichen an Zweirädern dienen dem Versicherungsnachweis. Zur
Identifikation durch Beobachter nach Unfällen taugen sie nicht, sie
sind zu klein. Die Schweiz hat langjährige Erfahrungen damit. Dort
wurden die Versicherungsmarken gerade abgeschafft. Die Kosten stehen
nicht in Relation zum Nutzen, da ein Großteil der Menschen bereits
direkt oder indirekt versichert sind.

4) Helmpflicht

Es gibt keinen Nachweis das eine Helmpflicht die Sicherheit erhöhen
kann. Helme können keine Unfälle vermeiden und es gibt keine
gesicherten Erkenntnisse welche und wie stark sie Unfallschäden
vermindern. Eine Helmflicht verringert jedoch den Radverkehrsanteil
drastisch (div. australische Bundesstaaten). Ein hoher
Radverkehrsanteil sorgt für mehr Sicherheit (Niederlande, Kopenhagen,
...). Der Hintergrund ist, dass Verkehrssituationen mit Radfahrern
dadurch häufiger auftreten und somit der "Gewohnheit" entsprechen. Der
Schwerpunkt sollte Unfallvermeidung sein, erst danach kommt die
Reduzierung der Schwere von Verletzungen. Einen Helm zu tragen, sollte
eine persönliche Entscheidung sein.

5) Unfallschwerpunkte

Hauptunfallschwerpunkt sind die Abbiegeunfälle bei getrennter
Verkehrsführung. Hier kreuzt ein Fahrradfahrer die Spur eines
motorisierten Fahrzeuges. Dieses müsste ihm Vorrang gewähren. Es ist
die Aufgabe des abbiegenden Fahrzeugführers dies sicherzustellen.
Durch die getrennte Verkehrsführung wird ihm das unnötig schwer
gemacht. Zum einen können Fahrradfahrer sich ungehindert durch
nachfolgenden Verkehr nähern. Der Fahrradfahrer hat keine Möglichkeit
das abbiegende Fahrzeug zu überholen. Zusätzlich ist häufig die Sicht
eingeschränkt (parkende Autos, wartende Fußgänger, ...).

Hauptunfallursache durch Radfahrer sind Alkohol und Geisterradeln. Bei
ersterem gelten die gleichen Regeln wie beim Kraftfahrzeug. Man kann
auch genauso den Führerschein verlieren. Das Fahren auf der falschen
Straßenseite ist meiner Meinung nach ein Kind der Verkehrspolitik der
letzten Jahrzehnte. Es wird zu häufig vorgeschrieben. Dies gilt
genauso für das Fahren auf Fußwegen, wobei sie kein Unfallschwerpunkt
sind.

Unfälle im Längsverkehr sind selten und fast ausschließlich auf ein
grobes Fehlverhalten des Überholenden zurückzuführen.

###

Geht von der Prämisse aus den Fahrradverkehr steigern zu wollen, gibt
es drei Hauptargumente gegen separate Fahrradwege. Am geringsten davon
ist der Komfort zu werten. Es ist viel bequemer für einen
Fahrradfahrer auf Asphalt zu fahren statt auf Pflasterwegen.
Fahrbahnen werden geräumt und gereinigt und deutlich weniger durch
Hindernisse blockiert. Es ist möglich Hindernissen auszuweichen. Viele
dieser Punkte gehen auch in das Argument Sicherheit ein. Es kann nicht
sein das man sich den Komfort einer Fahrzeugart mit der Gefährdung
einer anderen erkauft. Der dritte Punkt ist die Wirtschaftlichkeit.
Man kann Verkehrsführungen nicht alle paar Jahre umbauen, nur weil
sich die Verkehrsanteile ändern. Eine gemeinsame Verkehrsführung kann
hingegen Schwankungen besser verkraften.

Es gibt zwei Argumente gegen die gemeinsame Verkehrsführung. Das eine
ist die gefühlte Scheinsicherheit der Fahrradfahrer. Ich denke, dass
wir als Piraten keinen Irrglauben unterstützen sollten, nur weil er
existiert. Hier ist ein Umschwenken in der
Verkehrsbildung/Öffentlichkeitsarbeit notwendig. Das andere ist der
Komfort der Autofahrer. Man denkt das der Verkehr flüssiger wird, wenn
man die Fahrradfahrer ausschließt. Erfahrungen zeigen jedoch, dass das
Verkehrsaufkommen des MIV stieg. Somit also auch alle damit
verbundenen Probleme sich verstärkten.

Warum soll der Fahrradverkehrsanteil gesteigert werden? Viele Städte
sehen keine andere Chance mehr. PKW nehmen zu viel Platz weg. Ein PKW
kostet im bewegten Verkehr ungefähr so viel Platz wie 3-4 Fahrräder.
Im ruhenden Verkehr steigt dieses Verhältnis noch. Man kann dies jedes
Jahr beobachten, wenn das Wetter wieder schlechter wird. Viele Pendler
steigen vom Fahrrad auf das Auto um und erhöhen dadurch das
motorisierte Verkehrsaufkommen drastisch. Im Gegensatz zu Lärm und
Luftqualität wird sich dies auch nicht durch E-Autos ändern. Dazu
kommt der Punkt "gesellschaftliche Teilhabe". Aufgrund der Jugend, des
Alters, des finanziellen Status oder anderer Umstände gibt es
Menschen, welche über kein Auto verfügen. Der ÖPNV kann nicht alles
leisten, auch wenn er den größeren Teil davon übernimmt. Er muss durch
Individualverkehr ergänzt werden.

Für ein Auto muss man sowohl für die Anschaffung als auch den Betrieb
viel Geld investieren. Ein großer Teil dieses Geldes geht in den
internationalen Finanzverkehr. Fahrradfahrer geben dieses Geld (soweit
sie darüber verfügen) auch aus, allerdings kleinteiliger und auch
lokaler. Es bleibt also ein größerer Teil des Geldes vor Ort. Dazu
kommt das Fahrradfahrer naturgemäß kürzere Wege bevorzugen. Für
kleinere, lokale Geschäfte ist dies von Vorteil.

Es sind also nicht nur die umweltpolitischen Gesichtspunkte die hier
zählen. Der/die Einzelne und auch die Gesellschaft an sich bringt kein
"Opfer". Aber natürlich sind auch dies positive Punkte. Das Verhältnis
von Nutzlast zu Energieverbrauch ist bei einem PKW-Pendler denkbar
ungünstig - gerade auf der Kurzstrecke. Es werden (zumindest derzeit)
Unmengen an wertvollen, nicht regenerativen Rohstoffen verbraucht. Die
Verantwortung dafür liegt in meinen Augen weniger beim einzelnen
Pendler sondern bei der Gesellschaft insgesamt.

Gruß
Thomas Weinert




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