Zum Inhalt springen.
Sympa Menü

bzv-stuttgart - [Bzv-stuttgart] Boris Palmer und der Stresstest gestern (vorsicht, lange email!)

bzv-stuttgart AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Bzv-stuttgart mailing list

Listenarchiv

[Bzv-stuttgart] Boris Palmer und der Stresstest gestern (vorsicht, lange email!)


Chronologisch Thread 
  • From: "Stefan Urbat (Orca)" <stefan.urbat AT piratenpartei-bw.de>
  • To: Mailingliste Piraten Stuttgart <bw-stuttgart AT lists.piratenpartei.de>
  • Cc: Mailingliste BzV Stuttgart <bzv-stuttgart AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: [Bzv-stuttgart] Boris Palmer und der Stresstest gestern (vorsicht, lange email!)
  • Date: Fri, 5 Aug 2011 08:25:35 +0200 (CEST)
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/bzv-stuttgart>
  • List-id: <bzv-stuttgart.lists.piratenpartei.de>

Hallo,

ich kam ca. 18:45 am Rathaus an, da war es schon ziemlich voll - kurz darauf wurde zugemacht, weil mit 700 Besuchern des Vortrags die Genehmigungsgrenze des Gebäudes erreicht wurde, ca. 100 mussten abgewiesen werden - und das trotz Ferienzeit, schönem Wetter und Sommerfest.

Die Besucher waren nachher über großen Sitzungssaal, Empore darüber, mittleren und kleinen Sitzungssaal verteilt, ich habe nicht einmal in letzterem mehr einen normalen Sitzplatz gefunden.

Für die K21-Bewegung ist Boris Palmer ganz offensichtlich gerade so etwas wie ein Held - unser Stadtrat Rockenbauch hat ganz unverfroren darauf hingewiesen, dass hier in Stuttgart nächstes Jahr eine Stelle zu besetzen ist - worauf Palmer aber nicht einging (er wäre auch schön blöd zu diesem Zeitpunkt).

Interessant ist der enge Kontakt, den er aktuell zur Landesregierung pflegt (v.a. Kretschmann und Hermann) - offenbar wurde er ganz bewusst nicht in die Landesregierung berufen, fungiert aber unauffällig als Berater. - Er meinte, er könne nicht ständig nach Stuttgart kommen, weil in Tübingen schon manche Stimmen laut werden, was er hier eigentlich sucht.

Das alles kann ich nur so interpretieren, dass er vermutlich als Kandidat zur OB-Wahl in Stuttgart wird antreten müssen, ob er nun da 100% hinter steht oder nicht.

Zum Inhalt: viele der Aussagen von sma sind weitaus negativer für die Bahn, als es vordergründig erscheint, die Kostenrisiken und betrieblichen Probleme wurden lediglich sehr verbindlich und nicht konsequent dargestellt. Die Mängel im vorgstellten Fahrplan sind offensichtlich (teils doppelt belegte Regionalzüge statt einem IC z.B., zu kurze Abstände zweier Züge aus gleicher Richtung, sinnlos lange Haltezeiten solcher Regionalzüge, absichtlich rasche Ausdünnung nach 8 Uhr, um die Verspätungen aus der Stunde zwischen 7 und 8 Uhr möglichst rasch abzubauen,...).

Ein weiteres Problem, was ungeklärt ist, und das EBA nicht aufgrund von Vorschriften entscheiden kann, mithin eine Verkehrssicherheitsentscheidung treffen muss, aller Voraussicht nach gegen die Bahn: Doppelbelegung auf so stark mit Gefälle behafteten Gleisen kann bei gar nicht so seltenen Bremsversagen zum Aufeinanderrutschen zweier Züge führen - das wäre zu gefährlich und wird voraussichtlich untersagt. Schon damit bricht der Simulationsfahrplan zusammen wie ein Kartenhaus.

Die Probleme am Filderabschnitt (Rohrer Kurve, Bahnhof) und der Wendlinger Kurve bleiben ungelöst, an letzterer sind aktuell nur zwei statt der geforderten drei Züge pro Stunde möglich wegen viel zu umständlicher Schienenführung und nur einem Gleis. Dort müsste auf jeden Fall ein zweites Gleis dazukommen, sonst funktioniert das keinesfalls.

Die Frage der richtigen Positionierung von Weichen und Signalen ist noch viel heikler, als ich dachte: die Rutschwege (Bremswegreserven für fehlgeleitete Züge, sind halt lang) sind zu kurz und eine korrekte Anordnung kann ebenfalls bei Komplettkorrektur zum Scheitern des simulierten Fahrplans führen. Leider hat sma nämlich nicht zusammen alle Korrekturen einkalkuliert, sondern nur einzelne und deren Folgen abgeschätzt. Dem Bericht ist dennoch zu entnehmen, dass die Folgen unkalkulierbar (negativ) sind: "nicht absehbar", wenn man das täte.

Die Frage der Betriebsqualität ist diffiziler als gedacht: früher (bis Ende 2007) gab es drei Stufen, "gut", "mittel" und "mangelhaft". Die Bahn hat dann ab 2008 aber ein neues System eingeführt, mit vier Stufen, "Premium", "wirschaftlich optimal", "risikobehaftet" und "mangelhaft". Die Bahn hat auch hier via Deutungshoheit manipuliert, und tut so, als entspräche Stufe "wirtschaftlich optimal" der früheren "gut", dabei ist diese nur mittelmäßig ("Premium" war Palmers Ziel bei Formulierung der Stresstestziele, aber unter dem Zeitdruck fiel niemandem dort auf, dass es "gut" nicht mehr gibt und sie daher "Premium" audrücklich hätten fordern müssen - das optimal der Deutschen Bahn AG gilt da halt nur für die Wirtschaftlichkeit (kostet halt am Wenigsten, wenn man die Infrastruktur auf Kante näht), Verspätungsaufbau in der Hauptstunde zwischen 7 und 8 Uhr ist garantiert, wenn auch bei den Modellparametern nicht sehr stark (muss man sich wohl ungefähr wie bei der S-Bahn Stuttgart oder etwas schlechter vorstellen, morgens im normalen Berufsverkehr). S.a.u.

Der Hamburger Hauptbahnhof ist wirklich der unpünktlichste große Bahnhof in Deutschland. Das hat Gründe: obwohl er ein Durchgangsbahnhof ist, ist die Doppelbelegung der Gleise (immerhin mit Zügen, die in entgegegengesetzten Richtungen ausfahren, und wie in der norddeutschen Tiefebene normal, ohne Neigung) kein Erfolgsmodell, denn auch so ist er mit 4,4 Zügen Pro Gleis und Stunde klar überlastet (Qualität risikobehaftet). Bei S21 ergibt sich aus der Stresstest-Simulation eine Last von ca. 7 Zügen pro Gleis und Stunde (gleiche Hauptverkehrszeit), was ein Wunder bedürfte, wenn es da noch ohne extreme Verspätungen abgehen soll. - In der Praxis muss man wohl davon ausgehen, dass S21 locker der unpünktlichste große Bahnhof in Deutschland wird, wenn er wie weiterhin geplant mit 8 Gleisen gebaut wird.

Die Noten von sma sind viel schlechter als öffentlich dargestellt und der Alternativplan SK 2.2 ist laut Boris Palmer u.a. ein offenes Misstrauensvotum gegen die Bahn-Pläne mit S21 (tatsächlich sind die Unterschiede zwischen SBB und DB AG noch viel krasser als gedacht: in der Schweiz werden zuerst Zielfahrpläne erstellt und dann die Infrastruktur wie Bahnhöfe, Zulaufstrecken und Fahrwege so geplant und/oder angepasst, dass das ganze in Premium-Qualität funktioniert - kein Wunder, dass die Verspätungen in der viel bahnlastigeren Schweiz nur ein Bruchteil derer in Deutschland sind, wo pro Einwohner weit mehr Bahnkilometer gefahren werden als in Deutschland).

Boris Palmer und Hannes Rockenbauch (Aktionsbündnissprecher) waren unisono, auch unter Bezug auf sma, der Meinung, man müsse und könne bis Jahresende inhaltlich den Geißler-sma-Vorschlag SK 2.2 ausreichend gründlich prüfen, um ihn abschließend bewerten zu können.

Es ist klar, dass bis dahin zumindest Maßnahmen unterbleiben sollten, die über den Plan SK 2.2 hinaus gehen, es wurde sogar erneut ein totaler Baustopp bis dahin gefordert (der für SK 2.2 nicht total sein müsste, wohl aber für K21). Vermutlich ist K21 (auch laut Professor Bodack, Anmerkung von mir) nach wie vor besser als SK 2.2, aber trotz leicht theatralischer Überspitzung von Geißler ist eine Friedenskompromißlösung eben auch so etwas wert, von praktischen Details mal abgesehen. - Die Leistungsreserven des bestehenden Kopfbahnhofs sind offenbar beträchtlich, kein Wunder, dass die Bahn das nicht untersuchen wollte (dürfte bei "wirschaftlich optimal" nach Palmers Meinung bei 50 bis 60 Zügen pro Hauptverkehrsstunde liegen, trotz Mitverwendung von i.a. drei Gleisen (momentan nur noch zwei, eines ist derzeit nicht mehr anfahrbar) als Reserve für die S-Bahn bei den nicht gerade seltenen Tunnelstörungen. Vor Ende der 70'er Jahre (S-Bahn-Einführung) lief der Kopfbahnhof übrigens in "Premium" mit 52 Zügen zwischen 7 und 8 Uhr morgens werktags, wie einige Bahnhofskenner ausgegragen haben.

Da mir persönlich aufgrund der fatalen Lage auch hinsichtlich des Volksentscheids (Ergebnis ist vorhersehbar: Mehrheit stimmt für Ausstieg aus S21, verfehlt aber das hohe Quorum) SK 2.2 als einzig sinnvolle Lösung erscheint, hoffe ich mal, dass die Gerüchte stimmen, dass die Bahn ebenfalls nach einem Ausweg/Ausstieg sucht, ohne das zuzugeben. Die nötige Zeit hätte sie nämlich aktuell noch immer, trotz voreiliger Vergaben.

Interessant ist auch, dass schon die Existenz der von den Grünen geführten, damit hauchdünn mehrheitlich gegen S21 eingestellten Landesregierung bzw. Regierunskoalition die Bahn sehr viel mehr stört, als sie meist zu erkennen gibt.

Alles in allem bleibt es richtig spannend und wir können nur hoffen, dass nicht wieder ab 1. Oktober 2011 die nächste Abholzungsrunde im Schloßgarten eröffnet wird - bis dahin sind es keine zwei Monate mehr. Das würde sicher zu einer mindestens ebenso dramatischen Eskalation führen wie vor einem Jahr und auch bei Versuchen, den Südflügel abzureissen (sprengen?), muss man schlimmes befürchten.

Alles Gute, Stefan


Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.

Seitenanfang