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[Berlin-squad-sozialpiraten] OpenAntrag: Grundsicherung in voller anerkannter Bedarfshöhe bei Aufstockung von Alg1 mit Alg2
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- From: Jörg Preisendörfer <jp AT left-zeit.de>
- To: Sozialpiraten Berlin <Berlin-squad-sozialpiraten AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: [Berlin-squad-sozialpiraten] OpenAntrag: Grundsicherung in voller anerkannter Bedarfshöhe bei Aufstockung von Alg1 mit Alg2
- Date: Fri, 14 Mar 2014 16:52:53 +0100
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/berlin-squad-sozialpiraten>
- List-id: <berlin-squad-sozialpiraten.lists.piratenpartei.de>
- Organization: Left Zeit Lab
Jörg Preisendörfer
Telefon 01 76 / 87 61 98 95 . http://twitter.com/jpreisendoerfer
Berlin, am 14. März 2014
+++ OpenAntrag: Grundsicherung in voller anerkannter Bedarfshöhe bei Aufstockung von Alg1 mit Alg2 +++
Liebe Mitlesende und Mitstreiter_innen,
neben der Antwort aus Berlin-Neukölln von vergangener Woche liegen nun aus dem Landkreis Göttingen und aus dem Landkreis Saarlouis substantiierte Antworten auf die eingangs bezeichnete Kleine Anfrage vor, die ich beide unten an diese Nachricht anfüge.
Beide Landkreise unterhalten als 'JobCenter' einen 'zugelassenen kommunalen Träger', was jedoch im Effekt keinen Unterschied für die Argumentationslinie der Antworten im Vergleich zu 'gemeinsamen Einrichtungen' macht.
Übernommen wurden die Kleinen Anfragen in den drei kommunalen Volksvertretungen vor Ort von den Kommunalpiraten Andreas Schelper (Kreistag Göttingen), Jörg Arweiler (Kreistag Saarlouis) und Steffen Burger (Bezirksverordnetenversammlung Neukölln von Berlin).
Ihnen auf diesem Weg vielen Dank für ihre Bereitschaft zur gedanklichen Auseinandersetzung mit dem Thema und ihr Engagement bei der Einfädelung der Kleinen Anfragen in den tagespolitischen Betrieb vor Ort!
Den Sachstand des Themas würde ich gern beim 2. Mumble-Fachgespräch am Dienstag Abend, den 18. März 2014, 19:30, besprechen. (Einladung mit Details zu Pads und Mumble-Server folgt.)
Die Antworten aus Göttingen und Saarlouis stellen durchweg darauf ab, die 'Darlehenslösung' anzuwenden; d.h. leistungsbeziehende Bürger_innen sollen bei Bedarf ein Darlehen des Grundsicherungsträgers in Anspruch nehmen, und dieses durch Raten in Höhe von 10 % des Regelbedarfs abzahlen.
Schon rein rechnerisch liegt auf der Hand, dass dies eine finanzielle Belastung bedeutet, die mehreren (!) aufeinander folgenden 'Sanktionen' in Höhe von jeweils 10 % des Regelbedarfs entspricht -- mit allen damit verbundenen wirtschaftlichen Risiken für die betreffenden Menschen, die mit Sicherheit nichts zu Stabilisierung der Lebenssituation beitragen und allenfalls der Vergrämung leistungsberechtigter Bürger_innen dienen.
In der Vergangenheit wurden bereits Sozialrechtsstreite wegen dieser Art Darlehenstilgung von der Regelleistung erfolgreich geführt, und zwar im Zusammenhang mit der Rückzahlung von Kautionsdarlehen der 'JobCenter'. Daraufhin wurde noch unter Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyens die Gesetzeslage etwas angepasst, um die von den Gerichten gestoppten Darlehenstilungen wieder zu zuzulassen. Vgl. hierzu
* http://www.linke-giessen.de/hartz-iv/399-keine-rueckzahlung-von-mietkautionsdarlehen-aus-regelleistung
Rückfragen gerne jederzeit!
Herzlichst:
-- Jörg
____________________
Kreistag Göttingen -- per eMail übermittelt --:
Göttingen, 06. März 2014
Ihre Anfrage zur Sitzung des Kreistages am 12.03.2014
Sehr geehrter Herr [Kreistagsabgeordneter],
Ihre Anfrage vom 24.02.2014 bezüglich der Personen, die als Arbeitslosengeld I-Bezieher aufstockend Leistungen nach dem SGB II erhalten, beantworte ich wie folgt:
*Frage 1*
'Welche Hilfe bietet der Landkreis Göttingen im Regelfall den in dieser Situation stehenden Personen an?'
Das Problem unterschiedlicher Zahlungszeitpunkte für unterschiedliche Leistungen stellt sich nicht nur beim Arbeitslosengeld I, sondern beispielsweise auch erwerbstätigen Aufstockern, bei Renten oder der Berufsausbildungsbeihilfe. Die zeitliche Lücke in der Bedarfsdeckung besteht dabei grundsätzlich nur im ersten Monat, in dem die beiden Leistungen mit unterschiedlichem Auszahlungszeitpunkt erbracht werden. Für diesen ersten Monat steht den Berechtigten zunächst in der Regel nur das im Voraus erbrachte Arbeitslosengeld II zur Verfügung. Kann der Bedarf für diesen Monat vollständig gedeckt werden, kann das Arbeitslosengeld I (oder Arbeitsentgelt oder die Rente etc.), das am Monatsende gezahlt wird, gemeinsam mit den Vorausleistungen des Arbeitslosengeldes II für den Folgemonat im Folgemonat zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden.
Neben den allgemeinen, für das Jobcenter Landkreis Göttingen verbindlichen Regelungen der §§ 11 ff. SGB II [1], nach denen das Arbeitslosengeld I als Einkommen bei der Berechnung der Arbeitslosengeld II-Leistungen zu berücksichtigen ist, hat der Gesetzgeber das Problem der unterschiedlichen Auszahlungszeitpunkte verschiedener Sozialleistungen gesehen und entsprechende Regelungen geschaffen.
[1] [Anm: D.i. die Einkommensermittlung nach
* SGB II § 11, http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__11.html
* SGB II § 11a, http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__11a.html
* SGB II § 11b, http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__11b.html ]
Nach § 24 Abs. 4 SGB II [2] können SGB II-Leistungen für den folgenden Monat als Darlehen erbracht werden, soweit in diesem Monat voraussichtlich Einnahmen anfallen. Mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch [3] wurde zudem eine Spezialregelung für Auszubildende in § 27 Abs. 4 S[atz] 2 SGB II [4] geschaffen. Danach kann der SGB-II-Leistungsträger für den Monat der Aufnahme einer Ausbildung Leistungen als Darlehen erbringen.
[2] [ http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__24.html ]
[3] [ http://de.wikipedia.org/wiki/Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz ]
[4] [ http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__27.html ]
In der Gesetzesbegründung heißt es dazu:
"Mit Satz 2 wird eine Anspruchsgrundlage für Fälle geschaffen, in denen Auszubildende im ersten Monat der Ausbildung erst am Ende des Monats Leistungen (insbesondere Ausbildungsvergütung und Berufsausbildungsbeihilfe beziehungsweise Ausbildungsgeld} erhalten. Da das Arbeitslosengeld II monatlich im Voraus erbracht wird, besteht in diesen Fällen häufig eine Zahlungslücke, die einem unbelasteten Beginn der Ausbildung entgegenstehen kann. Die Leistung wird nur darlehensweise erbracht, da ansonsten für den Beginnmonat der Ausbildung doppelte Leistungen gezahlt würden. Eine Darlehensrückzahlung soll in der Regel erst für die Zeit nach abgeschlossener oder beendigter Ausbildung vorgesehen werden."
(BT-Drs. 17/3404, S. 103, 104)[5]
[5] [ http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/034/1703404.pdf ]
Das Jobcenter Landkreis Göttingen wendet diesen Ansatz nicht nur über § 27 Abs. 4 SGB II bei Auszubildenden an, sondern prüft in jedem betroffenen Fall eine Darlehensgewährung nach § 24 Abs. 4 SGB II auch für andere Leistungsberechtigte für den ersten Monat des Bezuges einer anderen Sozialleistung oder eines anderen Einkommens, das bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II zu berücksichtigen ist. Zur Bedarfsdeckung in den Folgemonaten werden die Leistungsberechtigten dann auf die Verwendung der am Monatsende ausgezahlten Leistungen verwiesen. Damit wird eine Bedarfsdeckung in allen Monaten sichergestellt.
*Frage 2*
'Hält der Landkreis Göttingen es für möglich,
* sich im Regelfall den Anspruch der betreffenden Personen auf Arbeitslosengeld I von ihnen abtreten zu lassen,
* die Grundsicherung jeweils in voller anerkannter Bedarfshöhe am Monatsanfang auszuzahlen und
* die in Frage stehende Arbeitslosengeld I-Zahlung von der Bundesagentur für Arbeit jeweils am Ende des Monats einzuziehen, so dass für die betreffenden Personen zu keinem Zeitpunkt eine Deckungslücke zum gesetzlichen Existenzminimum entsteht?'
Das Jobcenter Landkreis Göttingen sieht diese Möglichkeit grundsätzlich nicht. Diese Vergehensweise würde den Verwaltungsaufwand sowohl für das Jobcenter als auch für die Arbeitsagentur deutlich erhöhen, da monatlich geprüft werden müsste, ob die Arbeitslosengeld I-Zahlung in voller Höhe von der Arbeitsagentur gezahlt wurde. Beide Leistungsträger müssten regelmäßig die laufende Fallbearbeitung abstimmen. Sofern die Agentur für Arbeit beispielsweise am Monatsende infolge von Aufrechnungen oder Sanktionen nur anteilige Leistungen erbringen würde, hätte das Jobcenter Landkreis Göttingen den vollen Leistungsbetrag bereits im Voraus erbracht. Damit würden nicht nur die gesetzlichen Vorschriften beispielsweise im Sanktionsrecht umgangen, das Jobcenter müsste darüber hinaus die zu viel erbrachten Leistungen vom Betroffenen zurückfordern. Da der Lebensunterhalt der Betroffenen durch die unter Frage 1) dargestellte Vergehensweise sichergestellt ist, sind der Mehraufwand der Verwaltung und das Ausfallrisiko bei Überzahlungen nicht gerechtfertigt.
*Frage 2a*
'Wenn ja: Ist dies bereits gängige Praxis bzw. ab wann soll dies gängige Praxis werden?'
Die Abtretung der Arbeitslosengeld I-Ansprüche wird weder beim Jobcenter Landkreis Göttingen noch in den gemeinsamen Einrichtungen praktiziert. Es ist auch nicht beabsichtigt, die bestehende Vorgehensweise, die den Vorgaben des SGB II entspricht, zukünftig in der vorgeschlagenen Weise abzuändern.
*Frage 2b*
'Wenn nein: Aus welchen rechtlichen und tatsächlichen (praktischen) Gründen wird dies nicht für möglich gehalten?'
Die §§ 11 ff. SGB II regeln verbindlich und abschließend, wie Einkommen bei der Berechnung der Arbeitslosengeld II-Leistungen zu behandeln ist und erfassen auch Arbeitslosengeld I-Zahlungen. Durch die vorhandenen gesetzlichen Regelungen zur Darlehensgewährung sind die Interessen der Leistungsberechtigten hinreichend gewahrt. Die hier vorgeschlagene Abtretung des Arbeitslosengeldes II würde zu einem erheblichen Mehraufwand in der Leistungssachbearbeitung des Jobcenters Landkreis Göttingen und bei der Arbeitsagentur führen, der den Leistungsberechtigten keinen zusätzlichen Vorteil verschaffen würde, da ihr Lebensunterhalt bereits jetzt sicher gestellt ist. Für eine Sonderbehandlung aufstockender Arbeitslosengeld I-Bezieher verglichen mit den Beziehern anderer Einkommen gibt es zudem ebenso wenig eine Veranlassung wie für die Einführung einer besonderen Vorgehensweise, die von den anderen Jobcentern nicht praktiziert wird.
Mit freundlichen Grüßen
[Uz.]
____________________
Kreistag Saarlouis -- http://pirat.ly/9h719 --:
Ihre Anfrage zum Jobcenter vom 21.02. 2014
Sehr geeehrter Herr [Kreistagsabgeordneter],
Ihre Frage betreffend den unterschiedlichen Auszahlungszeitpunkt von Alg I und Alg II werden wie folgt beantwortet:
zu Frage 1 -- 'Welche Hilfe bietet der Grundsicherungsträger im Regelfall den in dieser Situation stehenden Bürgern an?'
Arbeitsentgelt wird in den meisten Fällen am Ende eines Monats ausgezahlt, so dass Personen, die aufgrund des Eintritts einer Arbeitslosigkeit einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II stellen, in der Regel ausreichende Mittel zur Überbrückung der Zeit bis zur Auszahlung des ersten Alg I am Ende des Monats zur Verfügung stehen. Ist es dem Antragsteller in Ausnahmefällen nicht möglich, den Lebensunterhalt bis zur Auszahlung des Alg I selbst zu bestreiten, kann der Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende ein Darlehen gewähren.
zu Frage 2 -- 'Kann der Grundsicherungsträger Leistungen ohne Anrechnung des Alg I erbringen und sich jeweils am Ende des Monats das Alg I aufgrund einer Abtretung von der Bundesagentur erstatten lassen?
Eine dauerhafte Vorleistung aufgrund unterschiedlicher Auszahlungszeitpunkte von Sozialleistungen ist vom Gesetzgeber nicht vorgesehen und auch nicht erforderlich. Wenn der Überbrückungszeitraum ein Mal durch ein Darlehen abgesichert und am Ende des betreffenden Monats das Alg I zusätzlich ausgezahlt wurde, kann mit Hilfe dieser zusätzlichen Einnahmen im Folgemonat der Lebensunterhalt bestritten werden.
zu Frage 2b -- 'Aus welchen Gründen wird dies nicht für möglich gehalten?'
Nach dem im SGB geltenden Zuflussprinzip sind lfd. Einnahmen in dem Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen (§ 11 Abs. 2 SGB II [1]). Kann die Zeit bis zum tatsächlichen Zahlungstermin nicht überbrückt werden, kommt nach § 24 Abs. 4 SGB II [2] ein Darlehen in Betracht. Nach § 42a Abs. 1 SGB II [3] muss der Leistungsempfänger aber zunächst alle Möglichkeiten der Selbsthilfe einsetzen (z. B. Vermögensfreibeträge). Das Darlehen ist nach § 42a SGB II in monatlichen Raten in Höhe von 10 % des Regelbedarfs aufzurechnen.
[1] [ SGB II § 11, http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__11.html ]
[2] [ SGB II § 24, http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__24.html ]
[3] [ SGB II § 42a, http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__42a.html ]
Mit freundlichen Grüßen
[Uz.]
____________________
Die fachlich weniger ergiebige Antwort des 'JobCenters' Neukölln ('gemeinsame Einrichtung', Sonderkonstruktion Berlin) ist abzurufen unter
* http://www.berlin.de/ba-neukoelln/bvv-online/ka020.asp?KALFDNR=363
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- [Berlin-squad-sozialpiraten] OpenAntrag: Grundsicherung in voller anerkannter Bedarfshöhe bei Aufstockung von Alg1 mit Alg2, Jörg Preisendörfer, 10.03.2014
- <Mögliche Wiederholung(en)>
- [Berlin-squad-sozialpiraten] OpenAntrag: Grundsicherung in voller anerkannter Bedarfshöhe bei Aufstockung von Alg1 mit Alg2, Jörg Preisendörfer, 14.03.2014
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