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ag-waffenrecht - [Ag-waffenrecht] Schießen im Verein - Prof. Dr. Hitzler

ag-waffenrecht AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Waffenrecht

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[Ag-waffenrecht] Schießen im Verein - Prof. Dr. Hitzler


Chronologisch Thread 
  • From: Heiko Humbert <heiko.humbert AT gmx.de>
  • To: Mailingliste der AG Waffenrecht <ag-waffenrecht AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: [Ag-waffenrecht] Schießen im Verein - Prof. Dr. Hitzler
  • Date: Mon, 15 Oct 2012 09:14:55 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-waffenrecht>
  • List-id: Mailingliste der AG Waffenrecht <ag-waffenrecht.lists.piratenpartei.de>

Eine sehr schöne Zusammenfassung eines Forschungsberichtes, der von der
"Deutschen Forschungsgemeinschaft" finanziert wurde. Die DFG ist des
Lobbyismus völlig unverdächtig
http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Forschungsgemeinschaft .

Die Ausführliche Fassung der Arbeit gibt es als käuflich zu erwerbende
Facharbeit von Dr. Arne Niederbacher: "Faszination Waffe". Von der
Arbeit haben zwar schon viele Leute gehört, aber gelesen hat sie kaum
jemand. Ich habe das Buch beim Verlag bestellt, werde aber immer wieder
vertröstet, daß es nicht auf Lager wäre ...

Folgender Artikel beschreibt auch das Selbstverständnis von
Waffenbesitzern, in einer Klarheit, die den Betroffenen oft selbst nicht
bewusst ist.


Quelle für folgendes Vollzitat:
http://www.hitzler-soziologie.de/Projekte/schuetzen.html


Schießen im Verein - Eine explorative Untersuchung des legalen Besitzes
und Umgangs mit Schußwaffen


Kurzbeschreibung des Projekts:

Das Forschungsprojekt beschäftigte sich mit Schützenvereinen, welche bis
anhin - abgesehen von geschichtswissenschaftlichen und volkskundlichen
Untersuchungen über das traditionelle Schützenwesen und dessen
Brauchtumspflege - keine akademische Aufmerksamkeit gefunden hatten. Das
heißt: weder über typische Relevanzstrukturen von Schützen noch über das
Interaktionsgeschehen innerhalb von Schützenvereinen hatten
wissenschaftlich gesicherte Daten vorgelegen. Dergestalt war bislang vor
allem auch der durchaus 'brisante' Aspekt vernachlässigt worden, dass
Schützenvereine ihren Mitgliedern ermöglichen, in den legalen Besitz von
(großkalibrigen) Schusswaffen zu gelangen, welche auch zu anderen als zu
sportlichen Zwecken eingesetzt werden können. Dieses akademische
Desinteresse steht aber im eklatanten Gegensatz zur steigenden
Gesamtzahl solcher Vereine und ihrer Mitglieder. Unter Verwendung
explorativ-interpretativer Forschungsmethoden sollte deshalb die Kultur
der Schützen rekonstruiert werden.

Untersuchungsschwerpunkte waren, dem Antragsdesign entsprechend,

die Exploration des Feldzugangs und der eigenen Erstrekrutierung
(infolge der Aufteilung einer ganzen Mitarbeiterstelle in zwei halbe
Mitarbeiterstellen wurde die im Antrag projektierte Zweitrekrutierung
naheliegenderweise durch die Mitgliedschaft von zwei Mitarbeitern in je
einem Verein ersetzt)

die Exploration der Ideologiestruktur und des kollektiv geteilten
Selbstverständnisses von Schützen

die Exploration des Selbstverständnisses vom Umgang mit der Waffe auf
Seiten der Schützen

die Exploration des auf Notwehrsituationen bezogenen Rechtswissens auf
Seiten der Schützen.

Insbesondere aufgrund der sich im ersten Halbjahr der Untersuchung
offenbarenden Schwierigkeiten der Forscher, einen Zugang in das für
jedwede Form der Aufmerksamkeit 'von außen' hochgradig sensibilisierte
Feld der Schützen zu finden, was einen gegenüber der ursprünglichen
Planung erheblichen zeitlichen Mehraufwand erforderte, wurde von uns
(über das Antragsdesign hinaus) die Untersuchung zur Klärung dieser
Problematik ausgeweitet auf

die Frage nach historischen Entwicklungslinien im Schützenwesen, welche
möglicherweise Hintergründe für derartige Sensibilisierungen auf Seiten
der Schützen liefern, sowie

die Hinzuziehung der Behördenvertreter-Perspektiven, d.h. das Führen von
Interviews mit Behördenvertretern, welchen im Alltag der Schützen in
Bezug auf waffenrechtliche Erlaubnisse und Außenwahrnehmung eine
wichtige Bedeutung zukommt.

Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse

1. Das Schützenwesen konstituiert sich als institutionell durchwirkte Kultur

Schützenvereine bilden die Basis der institutionellen 'Architektur' des
Schützenwesens. Der in Vereinen statthabende soziale Schützenalltag
weist einen hohen Institutionalisierungs-grad auf. Im Wesentlichen
betrifft das die regelmäßigen Schießtermine, die Wettkämpfe, die
Rekrutierungspraktiken neuer Mitglieder und - in geringerem Ausmaß - die
sonstigen sozialen Veranstaltungen (gemeinsame Ausflüge, Sommerfeste,
gesellige Ausklänge der Trainingseinheiten). Der hohe
Institutionalisierungsgrad wird in der schriftlichen Dokumentation der
Aktivitäten und ihrer Teilnehmer (Anwesenheitslisten bei Schießterminen,
individuelle und vereinsgeführte Dokumentationen der Schießergebnisse
etc.) besonders deutlich. Diese Dokumentationen erzeugen in ihrer
Gesamtheit ein Bild vom Schützenwesen, in dem sich die offizielle Figur
des Sportschützen, der seine Waffen ausschließlich zu sportlichen
Zwecken besitzt, idealtypisch widerspiegelt.

Schützenvereine haben für die Schützen jedoch unterschiedliche
Bedeutungen. 'Hobbyschützen' (die größte Gruppe unter den Schützen)
pflegen zu ihren Vereinen ein lediglich zweckorientiertes Verhältnis.
Ihr insgesamt gemäßigtes Engagement für ihr Hobby spiegelt sich auch in
einem gemäßigten Engagement für den Verein wider: Über die mehr oder
weniger regelmäßige Teilnahme an den Schießterminen hinaus wollen sie in
die Aktivitäten des Vereins nicht involviert werden. Vereine sind für
sie letztlich nur Mittel zum Zweck - zum Zweck nämlich, Waffen besitzen
und mit ihnen umgehen zu dürfen. Eine weitere Gruppe, die
'Waffennarren', engagiert sich in ihrem Verein (bzw. in ihren Vereinen)
hingegen deutlich mehr und identifiziert sich nicht selten mit ihm (bzw.
ihnen). Die 'Waffennarren' halten die institutionelle Struktur sozusagen
'am Leben'. Durch ihr Engagement eignen ihnen umfangreiche rechtliche
Kompetenzen, die sie zum Teil sehr geschickt einsetzen, um ihren Wunsch
nach einer möglichst umfangreichen Ausgestaltung ihrer Aktivitäten
hinsichtlich Waffen- und Munitionsarten sowie verschiedener
Schießdisziplinen gegenüber den Behörden durchzusetzen.

Auf die Handlungsmöglichkeiten der Schützen haben die zuständigen
Behörden erheblichen Einfluss. Deren erklärtes Ziel, möglichst wenig
privaten Waffenbesitz zuzulassen, trifft bei den Schützen auf
Unverständnis. Für diese unverständlichen Absichten machen die Schützen
allerdings nur die in den Ministerien agierenden Beamten - und mit ihnen
die meisten Politiker - verantwortlich. Den zuständigen
Behördenvertretern vor Ort begegnen die Schützen in der Regel mit
Respekt, denn mit ihnen wollen sie gut auskommen, und mit ihnen wollen
sie einen Arbeitskonsens schließen, der darauf hinausläuft, dass die zum
Teil sehr lückenhaften und unklaren waffengesetzlichen Vorschriften im
Zweifelsfall zu ihren Gunsten, in jedem Fall aber nicht gegen sie
ausgelegt werden.


2. Das Schützenwesen konstituiert sich als Kultur des Privaten

Die Kultur der Schützen schreibt ihren Mitgliedern vor, ihr sozial
sichtbares und wirksames Handeln mit den waffengesetzlichen Vorschriften
abzugleichen. Illegale Aktivitäten werden von Schützen grundsätzlich
missbilligt. Davon unberührt gestaltet sich diese Kultur wesentlich
facettenreicher als das auf Sportlichkeit reduzierte Bild vom Schützen,
welches in der gesetzlich objektivierten Figur 'Sportschütze' zum
Ausdruck kommt.

Dieser scheinbare Widerspruch löst sich schnell auf: Das Waffengesetz
lässt genügend Freiraum für die Besitzer legaler Schusswaffen, denn es
regelt lediglich das institutionalisierte, soziale Leben der Schützen;
und genau dieses macht nur einen Teil ihrer Kultur aus. Vieles von dem,
was den Alltag der Schützen darüber hinaus ausmacht, spielt sich im
Privaten ab: zu Hause verwahren sie ihre Waffen, pflegen und putzen sie,
bauen sie auseinander und wieder zusammen, erfreuen sich an ihrem
Aussehen, sammeln und lesen Hintergrundberichte usw. Und aus welchem
Grunde der einzelne Schütze 'eigentlich' seine Waffe(n) hat, und warum
er damit schießt, ist seine Privatsache - die Kultur der Schützen
schreibt ihren Mitgliedern diesbezüglich nichts vor.

Wichtig ist den Schützen allerdings, dass der Einzelne in seiner
'privaten' Praxis des Umgangs mit Waffen dem Image des Schützenwesens
keinen (weiteren) Schaden zufügt. Vor dem Hintergrund strikter
Rekrutierungspraktiken und entsprechender Schließungsprozeduren vertraut
man im Kreise der Schützen auf das, was als die Vernunft aller
Mitglieder dieser Kultur betrachtet wird. Insbesondere vertrauen die
Schützen darauf, dass (vermeintlich) 'heikle' Details nicht 'an die
große Glocke' gehängt werden, denn ihr Misstrauen gegenüber
Außenstehenden, solche Details absichtsvoll 'falsch' bzw. zu ihrem
Nachteil auslegen zu wollen, ist groß.


3. Schützen begreifen sich als Waffenbesitzer

Im Zentrum der Relevanzen von Schützen steht nicht das Schießen, sondern
stehen die Waffen - sie sind die Bezugspunkte ihrer Leidenschaft. Über
das durchaus emotionale Verhältnis der Schützen zu ihren Waffen hinaus -
sie gefallen, sind schön und anziehend - gründet deren nachdrücklicher
Anspruch auf den Besitz von und das Eigentum an Waffen auf einer
gesellschaftspolitischen Gesinnung: Waffenbesitz gilt den Schützen als
Grundrecht gesetzestreuer und loyaler Bürger. In allen Bemühungen von
Seiten des Staates, dieses Recht zu beschneiden, sehen sie antiliberale,
wenn nicht sogar totalitäre Tendenzen. Ihr Selbstverständnis als
Waffenbesitzer und Schützen - und dezidiert nicht als Sportschützen -
ist für sie ein Bekenntnis zu einer Leidenschaft und politisches
Statement zugleich.


4. Schützen konstituieren eine bürgerliche Kultur

Die Schützen verstehen sich nicht nur als loyale und gesetzestreue
Bürger, sondern auch als Leistungsträger der Gesellschaft - und daher
wollen sie in ihren Reihen nur Personen mit 'angesehenen' Berufen,
festem Wohnsitz und gutem Leumund haben. Die Auseinandersetzung mit
Waffen stellt sich für sie nicht als zweifelhafte Angelegenheit dar,
sondern als Inbegriff liberal-bürgerlichen Daseins: Der Umgang mit
Waffen schult ihrer Ansicht nach vor allem anderen die Disziplin im
Umgang mit gefährlichen Gegenständen, und dies evoziert ihrem
Selbstverständnis nach ein Nachdenken über das eigene Verhältnis zu
Macht und Gewalt, weswegen der Umgang mit Waffen ein wichtiger Beitrag
zur Aufrechterhaltung von Zivilisiertheit ist. Waffen sind für die
Schützen insofern ein Symbol bürgerlicher Zivilisation - und übrigens
auch historische Zeitzeugen auf dem Weg dorthin.

Nun sehen sich die Schützen aber einer Öffentlichkeit gegenüber, die
ihrer Ansicht nach kein Verständnis dafür hat, dass sie Schusswaffen ihr
Eigentum nennen. Sie sehen sich einem ständigen Rechtfertigungsdruck
ausgesetzt, von dem sie obendrein aus Erfahrung wissen, dass auch
umfangreiche Imagekampagnen ihn nicht wirksam mindern können. Die einzig
Erfolg versprechende Strategie im Hinblick auf die Bewahrung ihrer
gefährdeten Kultur sehen die Schützen daher im permanenten Nachweis
ihrer Seriosität - vor allem gegenüber den Behörden.


Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt ist
abgeschlossen. Ein Abschlussbericht liegt vor.

Laufzeit: 01.07.2000 bis 30.06.2002

Kontakt: Dr. Arne Niederbacher




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