ag-waffenrecht AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Mailingliste der AG Waffenrecht
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- From: <charly.strolchi AT t-online.de>
 - To: <ag-waffenrecht AT lists.piratenpartei.de>
 - Subject: [Ag-waffenrecht] Debatte BW
 - Date: 21 Jul 2012 13:40 GMT
 - List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-waffenrecht>
 - List-id: Mailingliste der AG Waffenrecht <ag-waffenrecht.lists.piratenpartei.de>
 
Hallo!
Mit Erlaubnis des Erstellers dieses Briefes möchte ich diesen einstellen:
"Sehr geehrter Herr Sakellariou,
auf der Internet-Seite des SWR vom 20. Juli
2012 
sind Sie mit Ihrem Debattenbeitrag zum Waffenrecht im Landtag von 
Baden-Württemberg zitiert. Demnach fordern Sie das Verbot von
Großkaliberwaffen 
in Privathand. Ich wohne in Nordrhein-Westfalen, gleichwohl interessiert
mich 
dieses Thema, weil es schließlich ein Bundesgesetz berührt, das Sie
entsprechend 
ändern wollen.
Sie wollen Großkaliberwaffen in Privathand
verbieten. Diese Position zu vertreten, ist Ihr gutes Recht. Mein Recht
als 
Bürger ist es andererseitszu erfahren, was Sie verbieten wollen. Das
verlangt 
schon das Bestimmheitsgebot des Grundgesetzes. Also: was genau wollen
Sie 
verbieten?
Ich frage auch deshalb, weil ich gerne
Neues 
erfahren möchte. Mir ist nämlich keine waffentechnische und darauf
basierend 
rechtliche Definition von "Großkaliber" bekannt, weder aus Deutschland
noch aus 
dem EU-Raum, der ja immerhin eine gemeinsame EU-Waffenrechtsrichtlinie
kennt. 
Auch dort findet sich keine entsprechende Definition. Was es gibt, ist
eine 
Abgrenzung des klassischen Kleinkalibers .22 Randfeuer gegenüber
allen 
anderen (größeren) Kalibern gemäß der Sportordnung mehrerer
Schießsportverbände. 
Damit ist aber über irgendwelche ballistische Leistungen der
entsprechenden 
Munition überhaupt nichts ausgesagt. 
Kaliber - das ist nichts anderes als der 
Laufdurchmesser der Waffe. Die besonders seit dem Amoklauf von Winnenden
gestellte Forderung nach dem Verbot von Großkaliber in Privatbesitz
verrät nur 
eines : Unkenntnis waffen- und munitionstechnischer
Selbstverständlichkeiten. 
Kurz nach einem derart schrecklichen Ereignis mag dies - vor allem bei 
waffentechnischen Laien - verständlich und somit verzeihlich sein,
nachdem aber 
mehr als drei Jahre vergangen sind, muss man als Bürger ein Mindestmaß
an 
Sachkunde bei der politischen Debatte um das Waffenrecht verlangen.
Leider 
gewinnt man immer mehr den Eindruck, als ob gerade diese notwendigen
Kenntnisse 
bewusst vermieden würden, damit nur die einmal gefasste Meinung nicht in
Gefahr 
gerät.
Sie
stellen 
die folgende Gleichung auf: großes Kaliber = große Wirkung, kleines
Kaliber = 
kleine Wirkung. Das ist schlicht naiv und waffentechnischer Unsinn. Auf
der 
Basis gleichen Kalibers gibt es Patronen völlig unterschiedlicher
Wirkungen - 
von hoher Durchschlagskraft  bis zu geringer Durchschlagsleistung,
dafür 
aber besserer Aufhaltekraft. Und was Sie offensichtlich ncith erkannt 
haben:  Kleinkalibrig 
kann sogar weit gefährlicher als großkalibrig sein. Im November 2009
erschoss 
ein US -Major in Fort Hood (Texas) mehrere Menschen mit einer Pistole
des 
Kalibers 5,7mm x 20. Dieses Kaliber ist so klein, dass es seit der 
Waffengesetzänderung von 2009 in Deutschland zu den verbotenen
Gegenständen 
zählt. Und waffentechnisch gesehen, hat auch der norwegische Täter eine
kleinkalibrige Waffe benutzt, nämlich die Ruger Mini 14 im Kaliber
5,56mm x 45. 
Das ist nichts anderes als das gängige NATO-Kaliber, also dasselbe wie
z.B. beim 
G 36 der Bundeswehr. Der Wechsel vom damaligen NATO-Kaliber 7,62mm x 51
hat man 
doch nicht gemacht, um eine geringere Wirkung hinzunehmen, im Gegenteil:
das 
kleinere aber erheblich schnellere Geschoss führt zu deutlich
schwieriger zu 
behandelnden Verletzungen. Der Grund für den Kaliberwechsel bei der NATO
war 
banal: der Soldat kann wegen des geringeren Gewichts deutlich mehr
Patronen mit 
sich führen als bislang. 
 
Schauen wir 
einmal auf die Polizei. Jahrzehntelang war die verbreitetste Munition im
polizeilichen Einzeldienst die Patrone 7,65 mm, die nach der Definition
der 
Schießsportverbände zu den Großkalibern zählt. Wegen erwiesener
unzureichender 
Leistung wurde dieses Kaliber bei der Polizei ausgemustert, nämlich mit
der 
Einführung der ersten echten Polizeiwaffengeneration 1977, die allgemein
das 
Kaliber 9mmx19 einführte. Noch kurioser: die weibliche Kriminalpolizei
führte 
Pistolen des Kalibers 6,35 mm, auch dies nach der genannten Defintion
ein 
Großkaliber, aber in der ballistischen Leistung schwächer als so
manche 
Laborierungen der klassischen Kleinklaiberpatrone .22 
Randfeuer.
 
Bis
ca. 1999 
gab es bei den Polizeien von Bund und Ländern die Patrone des
Kalibers 9mm 
x 19 mit einem Vollmantelrundkopfgeschoss, das eine erhebliche 
Durchschlagskraft, aber eine miserable Aufhaltekraft hatte. Erst
nachdem im 
Herbst 1999 in München bei einem Einsatz nicht nur der Angreifer,
sondern auch 
der hinter ihm stehende unbeteiligte Bruder von ein- udn demselben
Projektil 
getötet worden war, kam Bewegung in die politische debatte, die bis
dahin "fies" 
vor angeblicher Dum-Dum-Muniton gewesen war (auch dies ein weiterer
schlimmer 
Beweis dafür, wenn eine öffentliche Debatte jegliche Sachkenntnis 
vermeidet).Technisch betrachtet, handelt es sich bei der jetzigen 
Polizeimunition um eine Patrone mit einem Hohlspitzgeschoss, das sich 
kontrolliert aufpilzt, um bei Weichzielen eine bestimmte Aufhaltekraft
zu 
entfalten, andererseits bei Beschuss von Hartzielen noch eine genügende
Durchschlagskraft zu bewahren – ein klassischer Kompromiss. Die 
Durchschlagskraft aber ist deutlich geringer als bei der alten
VM-Munition. Es 
geht aber auch andersherum: die Bundeswehr verwendet in Afghanistan
dieselbe 
Patrone mit einem Stahlkerngeschoss, um auch Schutzwesten durchschlagen
zu 
können. Auch die Spezialeinheiten der Polizeien von Bund und Ländern
verfügen 
über diese Munition, um für die verschiedenen polizeilichen Lagen eine 
entsprechend breite Munitionspalette zur Verfügung zu 
haben. 
 
Also: es ist 
eine Mär, dass Großkaliber grundsätzlich gefährlicher sei als
Kleinkaliber.  Blinde Ideologie ist ein
schlechter 
Ratgeber. Für diese Ansicht habe ich einen Mitstreiter, den ehemaligen 
Vorsitzenden des Bundestags-Innenausschusses, Dr. Dieter Wiefelspütz
(SPD). Er 
hat zum Waffenrecht folgendes gesagt:
 
„Ob
man also 
den Schießsport mag oder nicht, 
ob
man 
privat Waffen mag oder nicht, 
ob
man die 
Jagd mag oder nicht,
ob
man 
Gotcha-Spiele mag oder nicht -
das alles 
kann nicht die Gesetzgebung bestimmen.“
 
Eines zum 
Schluss: der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) hatte sich auf die
Seite des 
Aktionsbündnisses Winnenden geschlagen und ein Verbot von
Großkaliberwaffen in 
Privathand gefordert. Die Öffentlichkeit, Medien und Politik glauben
seither, 
einen gewichtigen Kronzeugen für ihre Haltung zu haben. Weit gefehlt,
das ist 
schlicht pharisäerhaft. Dazu folgende
Aufklärung:
 
 
Der
BDK-Bundesdelegiertentag vom 6. bis 8. Oktober 2009 in Suhl beschloss
den Antrag 
Nr. 2.6, der sich für ein solches Verbot von Großkaliberwaffen in
Privatbesitz 
ausspricht. Dumm nur: das Ganze ist geheuchelt. Wer nämlich diesen 
Beschluss  im vollständigen Wortlaut liest, stellt Erstaunliches 
fest:
 
Das
Verbot 
von Großkaliberwaffen soll für alle Bürger gelten – nur nicht für die
eigenen 
BDK-Mitglieder. Der Beschlusstext nennt nämlich eine Ausnahme von diesem
Verbot: 
xxxxxxx"
„Personen, die zum Führen von Waffen berechtigt sind, bleiben davon unberührt“.
Woher nehmen Sie übrigens die Hoffnung, dass das Verbot von Großkaliber in Privathand irgendetwas verhindern könnte? Sie übersehen offenbar, dass nur wenige Tage nach dem Amoklauf von Winnenden ebenfalls in Baden-Württemberg ein junger Mann eine Kleinkaliberpistole aus einem Schützenhaus gestohlen (soviel zu der angeblich sicheren Aufbewahrung von Waffen und Munition in Schützenhäusern) und dann vier Menschen seiner Familie erschossen hatte. Weiter istz darauf hinzuweisen, dass die beiden Amoktaten in Finnland (in der Zeit nach Winnenden) mit Kleinkaliberwaffen verübt wurden. Merkt eigentlich niemand, dass die ganze Diskussion über das Tatmittel "Schusswaffe" in die Irre führt? Mit Messern werden jährlich wesentlich mehr Menschen getötet oder verletzt. Angesichts der deutlich geringeren öffentlichen und politischen Aufmerksamkeit für diese Straftaten drängt sich der Eindruck auf, als sei es weit weniger schlimm erstochen als erschossen zu werden. Ich empfinde dies als bedenkliche Verharmlosung von Körperverletzungs- und Tötungsdelikten, wenn das Tatmittel "bloß" ein Messer war. Was sehr bedenklich stimmt, ist die um sich greifende Art, Mißliebiges verbieten zu wollen (in aller Regel dann, wenn es einen selbst nichts kostet). Da sind Sie allerdings nicht alleine. Die Grünen gehen ebenfalls diesen Weg in eine Verbotsrepublik Deutschland. Das ist einmal mehr bei ihren Gesetzesanträgen zum Waffenrecht deutlich geworden, die am 21. Mai 2012 Gegenstand der Anhörung vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages waren. Alle dort anwesenden Fachleute, auch die von Polizei und Staatsanwaltschaft, haben sich gegen die Vorschläge der Grünen gewandt. Dabei haben die Grünen auch bei diesen Gesetzesanträgen ein Verbot verlangt (diesmal von halbautomatischen Waffen, die wie Kriegswaffen aussehen). Hintergrund ist - so in deren Begründung zum Gesetzesantrag nachzulesen - das schreckliche Verbrechen in Oslo. Bemerkenswert ist, dass die betroffenen Norweger selbst es rundheraus abgelehnt haben, ihr Waffengesetz aufgrund dieses Verbrechens zu ändern. Das hat kürzlich erst noch die Richterin im Prozess, Wenche Elizabeth Arntzen, bekräftigt: "Ausnahmetaten brauchen keine Ausnahmegesetze."
Mit freundlichen Grüßen
xxxxxxx"
- [Ag-waffenrecht] Debatte BW, charly.strolchi, 19.07.2012
- Re: [Ag-waffenrecht] Debatte BW, Holger Deussen, 19.07.2012
 
- <Mögliche Wiederholung(en)>
 - [Ag-waffenrecht] Debatte BW, charly.strolchi, 21.07.2012
- Re: [Ag-waffenrecht] Debatte BW, WolfgangR, 21.07.2012
 - Re: [Ag-waffenrecht] Debatte BW, Kaspardavid, 22.07.2012
- Re: [Ag-waffenrecht] Debatte BW, Ralf Berger, 23.07.2012
 
 
 
 
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