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ag-waffenrecht - Re: [Ag-waffenrecht] Debatte BW

ag-waffenrecht AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Waffenrecht

Listenarchiv

Re: [Ag-waffenrecht] Debatte BW


Chronologisch Thread 
  • From: WolfgangR <WolfgangR AT news.piratenpartei.de>
  • To: ag-waffenrecht AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [Ag-waffenrecht] Debatte BW
  • Date: Sat, 21 Jul 2012 17:25:54 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-waffenrecht>
  • List-id: Mailingliste der AG Waffenrecht <ag-waffenrecht.lists.piratenpartei.de>

Hallo + sehr gut geschrieben!
Gruß
Wolfganguote='charly.strolchi' pid='1024844' dateline='1342878000']
Hallo!

Mit Erlaubnis des Erstellers dieses Briefes möchte ich diesen einstellen:

"Sehr geehrter Herr Sakellariou,

auf der Internet-Seite des SWR vom 20. Juli 2012 sind Sie mit Ihrem Debattenbeitrag zum Waffenrecht im Landtag von Baden-Württemberg zitiert. Demnach fordern Sie das Verbot von Großkaliberwaffen in Privathand. Ich wohne in Nordrhein-Westfalen, gleichwohl interessiert mich dieses Thema, weil es schließlich ein Bundesgesetz berührt, das Sie entsprechend ändern wollen.

Sie wollen Großkaliberwaffen in Privathand verbieten. Diese Position zu vertreten, ist Ihr gutes Recht. Mein Recht als Bürger ist es andererseitszu erfahren, was Sie verbieten wollen. Das verlangt schon das Bestimmheitsgebot des Grundgesetzes. Also: was genau wollen Sie verbieten?

Ich frage auch deshalb, weil ich gerne Neues erfahren möchte. Mir ist nämlich keine waffentechnische und darauf basierend rechtliche Definition von "Großkaliber" bekannt, weder aus Deutschland noch aus dem EU-Raum, der ja immerhin eine gemeinsame EU-Waffenrechtsrichtlinie kennt. Auch dort findet sich keine entsprechende Definition. Was es gibt, ist eine Abgrenzung des klassischen Kleinkalibers .22 Randfeuer gegenüber allen anderen (größeren) Kalibern gemäß der Sportordnung mehrerer Schießsportverbände. Damit ist aber über irgendwelche ballistische Leistungen der entsprechenden Munition überhaupt nichts ausgesagt.

Kaliber - das ist nichts anderes als der Laufdurchmesser der Waffe. Die besonders seit dem Amoklauf von Winnenden gestellte Forderung nach dem Verbot von Großkaliber in Privatbesitz verrät nur eines : Unkenntnis waffen- und munitionstechnischer Selbstverständlichkeiten. Kurz nach einem derart schrecklichen Ereignis mag dies - vor allem bei waffentechnischen Laien - verständlich und somit verzeihlich sein, nachdem aber mehr als drei Jahre vergangen sind, muss man als Bürger ein Mindestmaß an Sachkunde bei der politischen Debatte um das Waffenrecht verlangen. Leider gewinnt man immer mehr den Eindruck, als ob gerade diese notwendigen Kenntnisse bewusst vermieden würden, damit nur die einmal gefasste Meinung nicht in Gefahr gerät.


Sie stellen die folgende Gleichung auf: großes Kaliber = große Wirkung, kleines Kaliber = kleine Wirkung. Das ist schlicht naiv und waffentechnischer Unsinn. Auf der Basis gleichen Kalibers gibt es Patronen völlig unterschiedlicher Wirkungen - von hoher Durchschlagskraft bis zu geringer Durchschlagsleistung, dafür aber besserer Aufhaltekraft. Und was Sie offensichtlich ncith erkannt haben: Kleinkalibrig kann sogar weit gefährlicher als großkalibrig sein. Im November 2009 erschoss ein US -Major in Fort Hood (Texas) mehrere Menschen mit einer Pistole des Kalibers 5,7mm x 20. Dieses Kaliber ist so klein, dass es seit der Waffengesetzänderung von 2009 in Deutschland zu den verbotenen Gegenständen zählt. Und waffentechnisch gesehen, hat auch der norwegische Täter eine kleinkalibrige Waffe benutzt, nämlich die Ruger Mini 14 im Kaliber 5,56mm x 45. Das ist nichts anderes als das gängige NATO-Kaliber, also dasselbe wie z.B. beim G 36 der Bundeswehr. Der Wechsel vom damaligen NATO-Kaliber 7,62mm x 51 hat man doch nicht gemacht, um eine geringere Wirkung hinzunehmen, im Gegenteil: das kleinere aber erheblich schnellere Geschoss führt zu deutlich schwieriger zu behandelnden Verletzungen. Der Grund für den Kaliberwechsel bei der NATO war banal: der Soldat kann wegen des geringeren Gewichts deutlich mehr Patronen mit sich führen als bislang.

Schauen wir einmal auf die Polizei. Jahrzehntelang war die verbreitetste Munition im polizeilichen Einzeldienst die Patrone 7,65 mm, die nach der Definition der Schießsportverbände zu den Großkalibern zählt. Wegen erwiesener unzureichender Leistung wurde dieses Kaliber bei der Polizei ausgemustert, nämlich mit der Einführung der ersten echten Polizeiwaffengeneration 1977, die allgemein das Kaliber 9mmx19 einführte. Noch kurioser: die weibliche Kriminalpolizei führte Pistolen des Kalibers 6,35 mm, auch dies nach der genannten Defintion ein Großkaliber, aber in der ballistischen Leistung schwächer als so manche Laborierungen der klassischen Kleinklaiberpatrone .22 Randfeuer.

Bis ca. 1999 gab es bei den Polizeien von Bund und Ländern die Patrone des Kalibers 9mm x 19 mit einem Vollmantelrundkopfgeschoss, das eine erhebliche Durchschlagskraft, aber eine miserable Aufhaltekraft hatte. Erst nachdem im Herbst 1999 in München bei einem Einsatz nicht nur der Angreifer, sondern auch der hinter ihm stehende unbeteiligte Bruder von ein- udn demselben Projektil getötet worden war, kam Bewegung in die politische debatte, die bis dahin "fies" vor angeblicher Dum-Dum-Muniton gewesen war (auch dies ein weiterer schlimmer Beweis dafür, wenn eine öffentliche Debatte jegliche Sachkenntnis vermeidet).Technisch betrachtet, handelt es sich bei der jetzigen Polizeimunition um eine Patrone mit einem Hohlspitzgeschoss, das sich kontrolliert aufpilzt, um bei Weichzielen eine bestimmte Aufhaltekraft zu entfalten, andererseits bei Beschuss von Hartzielen noch eine genügende Durchschlagskraft zu bewahren – ein klassischer Kompromiss. Die Durchschlagskraft aber ist deutlich geringer als bei der alten VM-Munition. Es geht aber auch andersherum: die Bundeswehr verwendet in Afghanistan dieselbe Patrone mit einem Stahlkerngeschoss, um auch Schutzwesten durchschlagen zu können. Auch die Spezialeinheiten der Polizeien von Bund und Ländern verfügen über diese Munition, um für die verschiedenen polizeilichen Lagen eine entsprechend breite Munitionspalette zur Verfügung zu haben.

Also: es ist eine Mär, dass Großkaliber grundsätzlich gefährlicher sei als Kleinkaliber. Blinde Ideologie ist ein schlechter Ratgeber. Für diese Ansicht habe ich einen Mitstreiter, den ehemaligen Vorsitzenden des Bundestags-Innenausschusses, Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD). Er hat zum Waffenrecht folgendes gesagt:

/„Ob man also den Schießsport mag oder nicht, /
/ob man privat Waffen mag oder nicht, /
/ob man die Jagd mag oder nicht,/
/ob man Gotcha-Spiele mag oder nicht -/
/das alles kann nicht die Gesetzgebung bestimmen.“/

Eines zum Schluss: der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) hatte sich auf die Seite des Aktionsbündnisses Winnenden geschlagen und ein Verbot von Großkaliberwaffen in Privathand gefordert. Die Öffentlichkeit, Medien und Politik glauben seither, einen gewichtigen Kronzeugen für ihre Haltung zu haben. Weit gefehlt, das ist schlicht pharisäerhaft. Dazu folgende Aufklärung:


Der BDK-Bundesdelegiertentag vom 6. bis 8. Oktober 2009 in Suhl beschloss den Antrag Nr. 2.6, der sich für ein solches Verbot von Großkaliberwaffen in Privatbesitz ausspricht. Dumm nur: das Ganze ist geheuchelt. Wer nämlich diesen Beschluss im vollständigen Wortlaut liest, stellt Erstaunliches fest:

Das Verbot von Großkaliberwaffen soll für alle Bürger gelten – nur nicht für die eigenen BDK-Mitglieder. Der Beschlusstext nennt nämlich eine Ausnahme von diesem Verbot:
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*„Personen, die zum Führen von Waffen berechtigt sind, bleiben davon unberührt“.*
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Woher nehmen Sie übrigens die Hoffnung, dass das Verbot von Großkaliber in Privathand irgendetwas verhindern könnte? Sie übersehen offenbar, dass nur wenige Tage nach dem Amoklauf von Winnenden ebenfalls in Baden-Württemberg ein junger Mann eine Kleinkaliberpistole aus einem Schützenhaus gestohlen (soviel zu der angeblich sicheren Aufbewahrung von Waffen und Munition in Schützenhäusern) und dann vier Menschen seiner Familie erschossen hatte. Weiter istz darauf hinzuweisen, dass die beiden Amoktaten in Finnland (in der Zeit nach Winnenden) mit Kleinkaliberwaffen verübt wurden. Merkt eigentlich niemand, dass die ganze Diskussion über das Tatmittel "Schusswaffe" in die Irre führt? Mit Messern werden jährlich wesentlich mehr Menschen getötet oder verletzt. Angesichts der deutlich geringeren öffentlichen und politischen Aufmerksamkeit für diese Straftaten drängt sich der Eindruck auf, als sei es weit weniger schlimm erstochen als erschossen zu werden. Ich empfinde dies als bedenkliche Verharmlosung von Körperverletzungs- und Tötungsdelikten, wenn das Tatmittel "bloß" ein Messer war.

Was sehr bedenklich stimmt, ist die um sich greifende Art, Mißliebiges verbieten zu wollen (in aller Regel dann, wenn es einen selbst nichts kostet). Da sind Sie allerdings nicht alleine. Die Grünen gehen ebenfalls diesen Weg in eine Verbotsrepublik Deutschland. Das ist einmal mehr bei ihren Gesetzesanträgen zum Waffenrecht deutlich geworden, die am 21. Mai 2012 Gegenstand der Anhörung vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages waren. Alle dort anwesenden Fachleute, auch die von Polizei und Staatsanwaltschaft, haben sich gegen die Vorschläge der Grünen gewandt. Dabei haben die Grünen auch bei diesen Gesetzesanträgen ein Verbot verlangt (diesmal von halbautomatischen Waffen, die wie Kriegswaffen aussehen). Hintergrund ist - so in deren Begründung zum Gesetzesantrag nachzulesen - das schreckliche Verbrechen in Oslo. Bemerkenswert ist, dass die betroffenen Norweger selbst es rundheraus abgelehnt haben, ihr Waffengesetz aufgrund dieses Verbrechens zu ändern. Das hat kürzlich erst noch die Richterin im Prozess, Wenche Elizabeth Arntzen, bekräftigt: "Ausnahmetaten brauchen keine Ausnahmegesetze."
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