Re: [Ag Meinungsfindungstool] Piratenwerte und Manifest

[Frauke Mattfeldt <mattfeldt AT karten-verlag.de>]

Am 04.02.2013 17:17, schrieb Frauke Mattfeldt:
> Am 04.02.2013 10:08, schrieb bIV:
> > Frauke schrieb:
> > > Also gut, liebe Piraten,
> > > ich stelle euch meine Manifestvorlage zur Verfügung (meinetwegen 
> > > auch noch den 12-Punkte-Plan, wenn ihr den haben wollt):
> > > http://www.karten-verlag.de/manifesto/anatomy.pdf
> > > Das könnt ihr als Grundlage benutzen bzw. Passagen rausnehmen, wenn 
> > > ihr wollt.
> > > (Die Gottesbezüge werdet ihr sicherlich rausstreichen wollen)
> >
> > von meiner Seite aus: danke für das Manifest
> >
> > das Problem, das ich jedoch mit der Verwendung von Religion als 
> > Begründung für demokratisch-anständiges Verhalten sehe ist, dass 
> > nicht nur Nicht-Gläubige ausgeschlossen sind, sondern dass implizit 
> > immer die Grundannahme mitschwingt, dass rationales, 
> > naturwissenschaftlich basiertes Denken gar nicht fähig ist, 
> > Menschlichkeit im Verhalten zu begründen - und ich denke, dass die 
> > jüngsten Forschungen da eine völlig entgegengesetzte Richtung 
> > aufweisen. Nur ein Beispiel:
> >
> > Instinktives Verhalten des Menschen: Geborene Helfer 
> > http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/verhalten-mensch-ist-von-natur-aus-hilfbereit-und-solidarisch-a-878804.html 
> > "Bei Geburt sind alle solidarisch, erst das Leben macht uns zu Egoisten"
> >
> > Folgerung, auch der Piraten? Wir müssen "das Leben" ändern, dann 
> > bleiben wir auch menschlich, denn die Evolution hat Anstand und 
> > (relativ) egalitäres Verhalten nicht umsonst in unsere Köpfe 
> > gepflanzt: Herdenbildung ist energieeffizienter und fördert damit 
> > ganz direkt das Überleben des Individuums, senkt wohl auch die 
> > Kriminalität 
> > http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=hi&dig=2010%2F03%2F13%2Fa0019
> >
> > das Problem einer Milliardenbevölkerung ist einfach nur, dass die 
> > alten gruppenerhaltenden Bioprogrammierungen für Verbände bis ca. 150 
> > Personen ausgelegt waren und deshalb schon in den Großdörfern an ihre 
> > Grenzen stießen
> >
> > Nebenbemerkung
> > hinsichtlich der Grundüberzeugung vieler Leute, dass die frühen 
> > Menschen gewalttätige Barbaren gewesen seien und dass Gewalt immer 
> > noch unser Hauptmerkmal ist: Wir müssen Schluss machen mit der immer 
> > zweifelhafter anmutenden Vorstellung, Menschen wären nichts als 
> > egoistische Tiere ohne Weitblick, die nur ans eigene Fressen und 
> > Fortpflanzen denken können und ihr prächtiges Gehirn zu nichts 
> > anderem bekommen haben als für ein Verhalten, das bereits bei Fischen 
> > zu beobachten ist. Dafür aber wäre der evolutionäre Aufwand für 
> > unseren Riesenkopf viel zu hoch gewesen. Ein Anwendungsbeispiel für 
> > diese zweifelhafte Grundüberzeugung "Homo homini lupus" ist die 
> > jüngste, hochgelobte BBC-Fernsehsendung "Die Geschichte des Menschen" 
> > http://www.spiegel.de/kultur/tv/bbc-doku-die-geschichte-des-menschen-interview-alexander-kluge-a-879635.html, 
> > in der wie viel zu häufig davon ausgegangen wird, dass Menschlichkeit 
> > eine Erfindung der Moderne ist: Zitat: "Die frühen Megastädte wie 
> > Uruk oder Çatalhöyük vor rund 7000 bzw. 9000 Jahren sind eine 
> > gewaltige Toleranzleistung. In den Zeiten davor hätte man Menschen 
> > nicht so eng wie in einer Stadt zusammenpacken können, ohne dass sie 
> > sich totgeschlagen hätten." Diese Behauptung ist jedoch nicht so 
> > offensichtlich wie es für unsere Kultur zu sein scheint. Dass 
> > Toleranz in Menschenhirnen recht plötzlich von 0 auf 100 schießen 
> > sollte, passt eigentlich nicht so ganz zum evolutionären Denken. Und 
> > dass dies erfolgt sein sollte, weil Menschen den vorsätzlichen Rausch 
> > erfunden hätten (Zitat: "Erst entstand Bier, dann Brot"), kommt mir 
> > persönlich angesichts der Trunkenheitsdelikte in unserer Gesellschaft 
> > ein wenig seltsam vor.
> >
> > So ist auch die wie selbstverständlich anmutende Interpretation der 
> > Beziehung zur Parallelspezies "Neanderthaler" als Kampf keineswegs 
> > unumstritten: Zitat: "Episode 1: Die ersten Menschen (70.000 - 1.600 
> > v. Chr.)... Der Kampf der Homo sapiens gegen die Neandertaler" (aus 
> > "Alles fing auf dem Weg nach Norden an" 
> > http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/die-geschichte-des-menschen-vox-alles-fing-auf-dem-weg-nach-norden-an-12046399.html). 
> > Es gibt Funde, die ein vieltausendjähriges Nebeneinander beider 
> > Hominidentypen vermuten lassen, also ein (überwiegend) friedfertiges 
> > Nebeneinander als Szenario genauso zulassen
> >
> > das Problem, dass diese Gewaltverherrlichung und diese Barbarisierung 
> > der Menschen mit sich bringt, ist, dass es Sozialdarwinisten als 
> > "natürliche" Begründung für ihr Gesetz des Stärkeren dient - wobei 
> > das Gesetz des Stärkeren eine Gruppenstrategie ist, die komplementär 
> > zur Demokratie ist. Demokratie kann nicht funktionieren, wenn das 
> > Gesetz des Stärkeren als Basis der Gruppendynamik herangezogen wird
> >
> > wer glaubt, dass noch einige tausend Generationen vor uns - zu 
> > Zeiten, als die Grundlagen von Schrift und Wissenschaft erfunden 
> > wurden - die Menschen noch gewalttätige, instinktgesteuerte Egomanen 
> > waren, dem kann die Evolution niemals erklären, wie sich eine Spezies 
> > so schnell "zum Besseren" wenden könnte, der wird immer daran 
> > glauben, dass Menschen die harte Hand eines Führers brauchen, den 
> > strengen Gott, der ihnen bei Fehlverhalten auf die Finger schlägt, 
> > der ist aber auch schwerlich fähig zur Demokratie, denn dazu gehört 
> > Selbstverantwortung:
> >
> > Zitat: "Wenn wir Menschen nicht vertrauen, wieso leben wir dann in 
> > einer Demokratie? Dann brauchen wir eine Monarchie!" (Marina Weisband 
> > http://www.spiegel.de/politik/deutschland/interview-wie-marina-weisband-die-demokratie-revolutionieren-will-a-880513.html)
>
> Na ja. Ich empfinde es aber auch als Unterstellung, wenn
>
> 1. jemandem, der an Gott glaubt unterstellt wird, dass es einen 
> "Führer" bräuchte.
> 2. gläubige Menschen nicht zur Demokratie fähig sind
>
> Ich schreibe in der "Anatomie des Menschlichen" ja von Demokratie. Ich 
> verstehe also nicht, weshalb immer und immer wieder mit irgendwelchen 
> Vorurteilen herumgeschmissen werden muss. Ich sehe Gott nicht als 
> Führer - sondern als etwas Geistiges, das alle Menschen miteinander 
> verbindet. Im besten Fall halten sich die Menschen an gewisse geistige 
> Gesetzmäßigkeiten. In einem solchen Fall bräuchte man auch gar keine 
> (weltliche) Regierung mehr.

bzw. keine Gesetze

> Ich habe nicht gesagt, dass Religion in das Manifest einfließen sollte 
> pder muss. Es ist lediglich in mein Geschreibsel eingeflossen, weil 
> ich mich intensiv damit beschäftigt hatte.
>
> Was Du über Uruk schreibst in Punkto "Das war eine enorme 
> Toleranzleistung" kann ich in keiner Weise nachvollziehen. Inwiefern 
> war das eine Toleranzleistung? In dieser Zeit der ersten Mega-Städte 
> wurden die ersten Gesetzeswerke verfasst. Vorher wäre die Gründung von 
> Städten in der Größenordnung einfach nicht möglich gewesen. Hinzu 
> kommt die immer stärkere Spezialisierung und Arbeitsteilung.