Re: [AG Liquid Democracy] Abschaffung der Themendelegationen

[Dinu Gherman <gherman AT darwin.in-berlin.de>]

Am 15.06.2012 um 20:10 schrieb Semon:

> Am 15.06.2012 19:03, schrieb Ganesh:
>> +1 für die kontinuierliche und offene Abstimmung. Dann kann es für alte 
>> Abstimmungen auch noch nachträglich Umschwünge und eine Meinungstimeline 
>> geben.
> Ja aber: Ich nenne das ganze dann Meinungsbildung und nicht mehr 
> Entscheidung. Es muss ganz pragmatisch Punkte im Leben dem Universum und 
> dem ganzen Rest geben, an denen man eine
> Entscheidung fällt: Esse ich jetzt ein Steak aus der lebenden Kuh, die 
> gerade neben meinem Tisch steht oder nicht. Bei so einer Entscheidung hilft 
> es nicht, wenn man es sich 5 Minuten nach dem Verzehr anders überlegt.

Mit Verlaub, ich finde die Todesstrafe (auch dieser Art) als 
Todschlagargument in Diskussionen wie dieser etwas einfallslos, und das nicht 
nur als Vegetarier.

> Spaß beiseite: Ich finde eine kontinuierliche Abstimmung kann nur ein 
> Meinungsbild sein. Ich kann auf dieser Basis kein Parteiprogramm 
> verabschieden, keine Positionen nach außen vertreten und keine Gesetze 
> beschließen.

Tatsächlich kommt es allein auf die Tragweite von Entscheidungen an, und 
selbst dann muss man einfach mal überlegen: wieviele "irreversiblen" 
Entscheidungen oder Gesetze gibt es denn in der Politik? Ausstieg aus der 
Kernenergie? War ein Scherz... Mir fallen da jetzt eigentlich nur noch 
Kriegserklärungen ein. Und selbst die spart man sich inzwischen meistens. Was 
wurde nicht alles schon entschieden, in ein Gesetz verpackt und irgendwann 
später wieder zurückgenommen? Auslandseinsätze der Bundeswehr? Noch so ein 
"Scherz". Der Euro? Mal sehen... Sogenannte Grundrechte? Nun ja...

Wenn Liquid Democracy auch nur einen Hauch von "Sex Appeal" haben soll, dann 
doch wohl den, häufiger als alle vier Jahre ein paar Kreuze zu machen. Und 
sollte irgendwann die Basisdemokratie "ausbrechen" und jeder plötzlich 
Initiative(n) entwickeln können (mit einem praktisch funktionierendem System 
freilich), dann werden sich bestimmte Fragen erst stellen, wie "Ist das 
wirklich neu?", "Gab es das schon mal?", und wenn ja: "Wann darf man wieder 
darüber abstimmen?" Ich sehe ehrlich gesagt niemanden, der sich darüber 
Gedanken macht, über etwas, was man in LQFB vielleicht als "Meta-Verfahren" 
bezeichnen würde.

Natürlich fallen einem bei einem provozierenden Begriff wie "kontinuierliche 
Abstimmung" mehr die Kategorien Umfrage und Meinungsbild als "Wahl" ein, aber 
wo ist der prinzipielle Unterschied? Beides sind "Punktwolken" entlang einer 
Frequenzachse, die mit gewissen Konfigurationsparametern auf weiteren Achsen 
einen Raum von (politischen) Möglichkeiten aufspannt. 

Und streng offiziell ist LQFB in der PP übrigens nichts weiter als genau das, 
ein MFT (und ein unverbindliches noch dazu), auch wenn ich das Wort 
"Meinungsfindungstool" nicht mag, weil es kein interessantes Problem ist, 
verschiedene Meinungen zu finden, und ihre Destillation in eine Meinung eben 
schon mehr Entscheidungscharakter hat, sonst wäre auch diese nicht 
interessant.

Ich glaube, man sollte sich klarmachen, dass es bei dem ganzen Spiel namens 
Liquid Democracy noch sehr viel mehr sinnvolle Freiheitsgerade gibt, als man 
sich gerade vorstellen kann. Dabei scheint mir, dass deren Entdeckung noch 
auf sich warten lassen wird, solange sich die Diskussion auf einen einzigen 
Aspekt, nämlich Delegationen, reduziert, was ich zumindest schade finde.

Ansonsten wie gesagt, ich glaube die AG Demokratie ist für solche 
Diskussionen der bessere Ort...

Gruß,

Dinu