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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Neuregelung Gesundheitswesen

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

Listenarchiv

Re: [AG-Gesundheit] Neuregelung Gesundheitswesen


Chronologisch Thread 
  • From: waage08 AT web.de
  • To: "AG Gesundheit" <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Neuregelung Gesundheitswesen
  • Date: Wed, 18 Apr 2012 15:37:55 +0200 (CEST)
  • Importance: normal
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>
  • Sensitivity: Normal

@Dr. Waelsch,

schon ist Sinn und Zweck meiner Mail erreicht worden. Man muss erkennen was man will und man muss auch erkennen, was man kann.
Es ist richtig, dass nur das Drehen an kleinen Stellschrauben nichts bringen kann. Schließlich wollen wir kein gebrochenes Bein richten.
Verstehen Sie meine kurze Einlassung auch nicht dahingehend, dass es nur darum geht immer mal etwas kleines zu richten und irgendwann das Ganze richtig aufgebaut zu haben. Vielmehr geht es mir darum, dass versucht wird das System in seine verschiedenen Facetten zu zerlegen und dann die einzelnen Facetten zu betrachten und in Programmen unterzubringen. Sie werden mir sicherlich recht geben, dass es viele Facetten innerhalb des Systems gibt, die ziemlich unrund laufen. Nicht zuletzt deshalb, weil es augenscheinlich politisch auch nicht anders gewollt ist. Zerlegen wir das System in einzelne Facetten, können wir auch sicherlich mehrere Facetten zusammenlegen und ganzheitlich betrachten.
 
Habe ich im Blickwinkel des Gesundheitswesens "nur" die verschiedenen Behandlungsmethoden, die reine Medikamentenabgabe, die Qualitätssicherung in den Krankenhäusern, die Abgabe von medizinischen Produkten, die Rehamaßnahmen und ähnliches, dann vertrete ich ebenfalls die Meinung "die Gesundheit der Bürger ist das Ziel. Darauf muss sich alles und alle ausrichten". Doch dieses ist für die Gesamtheit des Gesundheitssystems meiner Meinung etwas kurz gedacht (ich möchte hier anmerken, das Kaktusking nicht ohne Grund mein Spitzname ist, manchmal bin ich etwas eckig und provokant). Zum Gesundheitssystem gehören ebenfalls die Regularien der Preisfindung, die verschiedenen Abrechnungsmodalitäten, die Herstellerrabatte, das Einfließen von illegalen Medikamente in die legalen Verteilerketten, entsprechende Bonisysteme zwischen Herstellern und Großhändlern, Herstellern und Apotheken, Großhändler und Apotheken usw., genauso gehören dazu die entsprechenden Regularien für den Betrieb von Apotheken usw. usw. Wir haben in Deutschland halt ein Gesundheitssystem, von dem eine Menge Personengruppen profitieren. Es ist eben nicht nur die Gesundheit des Bürgers, die hier betrachtet werden muss. Es sind auch viele Wirtschaftszweige, die wir nicht auf einmal alle nach hinten stellen können. Natürlich steht in einem Gesundheitssystem die Gesundheit im Vordergrund und nicht irgendein wirtschaftliches Interesse; aber man kann die wirtschaftlichen Interessen nicht außer Acht lassen.
 
Meine grundsätzliche Aussage hierzu lautet (vielleicht ändere ich sie später mal, wenn ich in Diskussionen überzeugt worden bin):
 
Jeder einzelne Bürger, sei er gesund oder krank, muss in einem System leben, welches finanzierbar und durchschaubar ist (welch heres, wahrscheinlich nicht erreichbares Ziel). Es kann nicht sein, dass Kostenträger bei gleichen Sachverhalten unterschiedlich entscheiden. Es kann nicht sein, dass staatlich in das System eingegriffen wird, um Defizite bei Kostenträger auszugleichen (z. B. Praxisgebühr, Festsetzung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge, Erhebung von Zusatzbeiträgen) aber im Gegenzug ein staatliches Eingreifen verhindert wird, wenn es darum geht Maßnahmen zurückzuschrauben, wenn der Sinn und Zweck der Maßnahme erfüllt worden ist oder eine Maßnahme als nicht effektiv einzustufen ist. Was nützt IQWIG und G-BA wenn während der Entscheidungsphase der pharmazeutische Hersteller seinen frei bestimmten Preis verlangen kann. Was nützt ein einheitlicher Herstellerabgabepreis (gefordert in § 78 Abs. 3 AMG), wenn eine Nichteinhaltung nicht im Gesetz mit Sanktionen belegt ist. Was nützt ein AVWG, ein GKV-WSG, ein § 7 HWG, wenn bekannte Schlupflöcher nicht geschlossen werden bzw. Änderungen in der Hilfstaxe dazu führen, dass verbotene Rabatte durch die Kostenträger abgegriffen werden können. Zwar sind die Preisspannen der Apotheken bei der Abgabe von parenteralen Zubereitungen seit 2009 ausgenommen, doch eine transparente und faire Preispolitik wurde dadurch auch nicht geschaffen. Hier wird die Ohnmacht deutlich, sich gegen die pharmazeutische Industrie durchzusetzen.
Man muss das System im Ganzen betrachten, dass ist richtig, aber es ist vermessen zu behaupten, man kann es auch im Ganzen auf einmal verändern. Man sollte auch so ehrlich sein und dies dem objektiven Betrachter deutlich machen. Scheibchenweise Veränderungen sind relativ zu betrachten. Es ist ein Unterschied, ob ich eine 30 cm Salami in 1 cm dicke Scheiben schneide oder in 5 cm dicken Scheiben. Und so sollte man es auch bei Veränderungen von komplexen Systemen betrachten. Lieber dickere Scheiben vernünftig bearbeiten (Facetten zusammenlegen) und Erfolge erzielen, als mit einem Schlag alles in seiner Form verändern wollen und nicht richtig verstanden werden oder kläglich zu scheitern. Wichtig ist immer, einer Linie treu zu bleiben und die Vorgehensweise transparent allen Beteiligten darzustellen. Auch gewünschte Erfolge sollte man von Anfang darlegen um zu zeigen, dass alle davon profitieren können. Allen recht machen kann man es nie, das ist klar. Sicherlich bleibt auch der eine oder andere auf der Strecke. Doch so lohnt sich ein Neuanfang.
 
Klar sind neue Sichtweisen und Methoden wichtig, doch sollte man das eine oder andere gute alte auch mitnehmen und nicht liegenlassen.
 
Wie gesagt, es müssen dicke Bretter gebohrt werden, um ein so komplexes System in seiner Gesamtheit zu erneuern und hoffentlich auch zu verbessern. Doch ob es in einer Gesamtheit gelingt wage ich zu bezweifeln, lasse mich aber gerne eines besseren belehren.
 
Bitte nicht falsch verstehen, ich möchte nicht nur kleine Dinge langsam bewegen. Mir liegt auch daran etwas im Ganzen zu bewegen. Doch leider musste ich schmerzlich erfahren, dass es nichts bringt ein ganzes Steak in den Mund zu nehmen und festzustellen, dass man es nicht schlucken kann. Man spuckt es dann aus und hat nichts von dem wunderbaren Geschmack. In kleineren Häppchen kann man es hervorragend genießen und jemand anderen von dem Genuß überzeugen. Durch meine Tätigkeit und mein Einblick in viele Bereiche, die anderen sicherlich verwehrt bleiben werden bin ich zu der Auffassung gekommen, dass man leider nicht alles auf Mal ändern kann. Es gilt Schwerpunkte zu finden und diese in den Vordergrund zu stellen. Mehr kann und darf ich in solch einem Forum zur Zeit leider nicht äußern.
 
Kaktusking
Gesendet: Mittwoch, 18. April 2012 um 14:14 Uhr
Von: "Martin E. Waelsch" <dr.m.e.waelsch AT t-online.de>
An: "'AG Gesundheit'" <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
Betreff: Re: [AG-Gesundheit] Neuregelung Gesundheitswesen

Ich nutze Ihre Stellungnahme zu einer grundsätzlichen Aussage.

Die Gesundheit der Bürger ist das Ziel. Darauf muss sich alles und alle ausrichten.

Die Grundvoraussetzungen Freiheit, Transparenz, Gerechtigkeit und Demokratie müssen dabei präsent sein.

Lobbyisten haben ihre Logen und dort können sie sich zum Essen verabreden. In Ministerien usw. haben Lobbyisten nichts zu suchen. Sie werden auch in Hearings eingeladen, um alle Argumente zusammen tragen zu können und dann müssen sie die Ergebnisse ihren Auftraggebern vermitteln, damit diese es umsetzen können. Solange man sein Essen selber bezahlen kann, braucht man keine Abhängigkeit von Lobbyisten. Bei dem „ändern“ geht es ja auch darum, dass durch Lobbyisten aufgebohrte Interessen sicher nicht die Lösung für die Allgemeinheit sondern nur für die Auftraggeber sind.

Interessen von Verbänden usw. können ja offen vertreten werden und dürfen nicht in irgendwelchen versteckten Kreisen entscheidend sein. Die Nachteile der bisherigen Pflege der Lobbyisten in Pflegestufe 3 sind halbherzige Reformen. Wie das aussieht haben wir bei den Banken oder bei den Arzneimitteln vor Augen, immer wenn Lobbyisten am Werk zugelassen werden, ist es für den Versicherten, für den Verbraucher oder für den Steuerzahler mit erheblichen Mehraufwand verbunden. Das Ergebnis ist dann der z. Z. bestehenden Subventionskapitalismus und Aufhebung der sozialen Marktwirtschaft. Dieser Subventionskapitalismus muss beseitigt werden.

 

Ich bin auch gegen scheibchenweise Probleme anzugehen, Probleme zu lösen. Das ist die bisherige Politik seit Seehofer Gesundheitsminister war. Ergebnis: wird immer teurer und die Qualität immer weiter gefährdet, zum Teil schon erheblich erodiert und nur durch (nicht honorierte) Mehrleistung der Mitarbeiter aufrechterhalten.

Deshalb ist es schon wichtig, dass sich eine neue Bewegung wie die Piraten auch moderner Methoden und Sichtweisen bedienen. Das Gesundheitssystem als System betrachten, systemisch, und nicht mal da und hier an einer Stellschraube (scheibchenweise) drehen.

 

Bitte nicht die „altbewährte“ Stammtisch- und Hinterzimmerpolitik.

 

Dr. med. Martin E. Waelsch

Marktstr. 13 - 17

73207 Plochingen

Tel: 07153 921931

Fax:07153 921932

Mobil: 0151 52 503 458

Skype: marell1317

Email: waelsch AT mentalnet.de

Web:  http://www.mentalnet.de

 

Von: ag-gesundheitswesen-bounces AT lists.piratenpartei.de [mailto:ag-gesundheitswesen-bounces AT lists.piratenpartei.de] Im Auftrag von waage08 AT web.de
Gesendet: Mittwoch, 18. April 2012 13:38
An: AG Gesundheit
Betreff: Re: [AG-Gesundheit] Neuregelung Gesundheitswesen

 


Hallo liebe Piraten!

 

Bin ein Neumitglied und als Beamter im Gesundheitswesen natürlich etwas vorsichtig mit meinen Äußerungen (noch). Die Diskussion über die sogenannten Zweiklassenmedizin finde ich sehr interessant und auch sehr fruchtbar. Passt sicherlich gut ins Programm und ist sehr ausbaufähig. Man sollte sich aber jetzt noch keine Gedanken über den Namen für ein neues Modell machen. Den Namen vergeben schon früh genug die Presse und andere Beteiligte. Zwar ist es schön, ein Schlagwort für ein Modell zu entwickeln, doch leider besteht immer die Gefahr, dass dieses Schlagwort einen Touch bekommt, den man so nicht wollte. Auch birgt ein festes Schlagwort die Gefahr, dass sich der Betrachter bei dem Schlagwort schon ein Bild über das nachfolgende Programm macht und es schnell zur Seite legt wenn es nicht seinen, bereits gefassten, Vorstellungen entspricht. Bin der Meinung, dass man gerade bei einer Neuregelung im Gesundheitswesen die Betrachter dazu bewegen muss, Vorschläge und Programme zu lesen und erst nach der Lektüre eine Meinung zu fassen. Machen wir uns nichts vor, es müssen sehr sehr dicke Bretter gebohrt werden, um eine vernünftige Neuregelung treffen zu können. Wobei natürlich immer die Frage ist, was ist vernünftig. Da hat jeder so seine eigene Vorstellungen. Bevor man mit einem Programm an die Öffentlichkeit geht, muss man auch klar definieren, welchen Bereich des Gesundheitswesens man mit dem vorliegenden Programm in eine andere Richtung lenken möchte. Es ist ein breites Spektrum zu beachten und ich bin der Meinung, dass man nur scheibchenweise daran arbeiten kann. Klar ist eine Gesamtbetrachtung wichtig, um die verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten zu eroieren, doch Veränderungen schafft man nur im Kleinen. Bisher ist den Parteien noch kein guter Wurf geglückt, der das System im Gesamten erträglich macht. Das große Problem ist, dass man es zu vielen recht machen will/muss und deshalb versucht einen Gesamtschlag zu vollbringen. Ich glaube zum jetzigen Zeitpunkt ist die Piratenpartei noch in der glücklichen Lage nicht von den Lobbyisten abzuhängen. Diese Chance sollte man nutzen. Wichtig ist, nur lieber kleine aber dafür klar definierte Schritte zu gehen, als schnell loszulaufen und auf halber Strecke merken, das die Luft ausgeht. Knapp daneben ist halt auch vorbei.

Also, hoffe auf eine interessante Parteizeit und viele Diskussionen, die auch Erfolg bringen.

 

Viele Grüße von der Elbe

 

Kaktusking

 



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