ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
Betreff: AG Gesundheit
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- From: ZweiPi <zweipi85 AT googlemail.com>
- To: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [AG-Gesundheit] Strukturelle Schwächen der GKV
- Date: Sun, 8 Jan 2012 13:35:20 +0100
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
- List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>
Am 8. Januar 2012 11:28 schrieb Klugscheißer <Klugschei%C3%9Fer AT news.piratenpartei.de>:
ZweiPi schrieb:Es geht hier gar nicht darum, ob irgendwer im Forum der Bewertung meiner Unfallgeschichte glaubt. Das, was da geschah, ist Standard und kein Ausnahmefall. Wenn Du mit einem Unfallschaden in die Werkstatt gehst, dann ist die erste Frage fast immer, ob die Versicherung zahlt oder Du selbst. Das hat auch wenig damit zu tun, wer die Rechnung erhalten soll, sondern das beeinflusst grundsätzlich die Höhe des Rechnungsbetrags. Das weiß jeder, das wissen auch die Versicherungen, weshalb sie inzwischen zunehmend mit Werkstätten Rahmenverträge abschließen und den Unfallgegner bitten, eine solche Werkstatt auszuwählen, ist mir gerade vor einem Jahr passiert, wo ich Geschädigter eines Unfalls war. Man scheint seitens der Versicherungen nun so langsam einzulenken, weil erfahrungsgemäß privat gezahlte Schäden maximal 35% der Kosten verursachen wie Schäden, die über Dritte abgerechnet werden.
Ja, ich will nicht den Vergleich angreifen, darum: Was ist die Alternative. Klar ist das Gesundheitssystem mit Bürokratie behaftet, weil es kein freier Markt ist, der die Preise durch Wettbewerb niedrig hält. Es muss ein anderes Instrument geben.
Diese entstand durch notwendige Kontrollen des Mißbrauchs und der Kosten. Außerdem finanziert das Gesundheitssystem gemeinschaftliche Schwächen. So muss nicht jeder selbst ein Krankenhaus bezahlen, sondern es zahlt die Gemeinschaft. Somit kann man sich im Falle eines Unfalls immer darauf verlassen, das einem unabhängig vom Geldbeutel geholfen wird. Dieses Problem hast du bei Lebensmittel nicht.
Das Problem ist also nicht die Gemeinschaftsfinanzierung, sondern das es heutzutage glücklicherweise bedingt durch den wissenschaftlichen Fortschritt sehr viele Behandlungsmöglichkeiten gibt. Das Ding ist nur, dass das aktuelle System es nicht zahlen kann. Egal wie du die System anlegst, entweder entscheidet der Staat, die Bürger oder jeder selbst, was er nicht bekommt, weil die zur Verfügung stehende Geldmenge nicht ausreicht.
Der von dir geschilderte Einzelfall ist da wenig hilfreich, da kaum einer die genauen Hintergründe kennt. (Gegenbeispiel: Der Auffahrunfall meiner Mutter hatte beim Gegner den optisch größeren Schaden hinterlassen, durch ein Verziehen des Unterbodens war das Auto meiner Mutter aber insgesamt ein Fall für die Schrottpresse). Was wir da bräuchten wäre statistisch messbare Zahlen und gerade in der GKV ist das sensibel, Gesundheit in Geld auszudrücken.
Grüße ZweiPi
Ein Beispiel aus dem Gesundheitswesen: Ich bin gesetzlicher Betreuer eines alten Mannes, der an Demenz leidet und in einem Pflegeheim ist. Nachdem er zu häufigen Stürzen neigte und sich mehrmals am Kopf verletzt hatte, bekam er einen Schutzhelm, den die Kasse nach den gesetzlichen Vorschriften zu finanzieren hatte. Dieser musste allerdings über ein Sanitätshaus bezogen werden, obwohl es auch auf dem freien Markt vergleichbare Produkte gibt, die allesamt im zweistelligen Eurobereich kosten. Der Helm aus dem Sanitätshaus kostete 450 Euro, also gut das 5-7-fache dessen, was der freie Markt dafür verlangen würde.
Du fragst indirekt, welche Konsequenzen das haben sollte?
Ich habe meinen Beitrag exakt wegen dieser Frage herein gestellt.
Dass ein solidarisches System die großen wirtschaftlichen Risiken quasi versicherungstechnisch finanziert, ist ja durchaus vernünftig, weil ansonsten die meisten Menschen nach einem schweren Unfall entweder systembedingt bankrott oder einfach tot wären.
Das hindert uns aber nicht, darüber nachzudenken, ob es nicht insgesamt kostengünstiger, aber auch qualitativ besser wäre, bis zu einer bestimmten jährlichen Belastung des Einzelnen, den Versicherungsschutz auszusetzen und stattdessen all diese unsinnigen Zuzahlungen wegfallen zu lassen, die insgesamt nur zusätzliche administrative Kosten verursachen, aber keinerlei Kosten dämpfenden Effekt haben.
Wenn man die Frage eines Selbstbeteiligungssystems im Gesundheitswesen in den Raum wirft, dann kommt meist als erstes das Scheinargument, dass es sich dann viele nicht mehr leisten könnten.
Das ist allerdings blanker Unsinn, weil man beispielsweise Transferempfängern ja bisher den Versicherungsschutz kostenfrei gewährt, die konkreten Leistungen dieser Menschen aber trotzdem finanziert werden. Selbst wenn man Transferempfängern den Maximalbetrag der Eigenbeteiligung zusätzlich an Transfers geben würde, wäre das in Summe keine Mehrbelastung. Es würde halt nur aus einem anderen Topf finanziert.
Das was du vorschlägst ist die verkappte Kopfpauschale des Herrn Rößler. Es zahlt bei dir dann allerdings nur der, welcher gerade betroffen ist. Bei Kopfpauschale übernimmt das die Gemeinschaft. Bei dir jeder Einzelne.
Dort wo es geht, kommen die Zuzahlungen ja schon. Praxisgebühr und Zuzahlen sind doch schon an der Tagesordnung. Dein Betreuter überweist zum Jahresende den Selbstbeteiligungsbetrag in Höhe von ca. 40-80 € für 1% Grenze für chronisch Kranke im Voraus und fertig ist. Den Rest übernimmt wieder die Krankenkasse. Deswegen sieht es so aus, als müsste er nichts mehr zuzahlen. Das was du vorschlägst existiert schon. Nur kann man noch den grad der Selbstbeteiligung anheben. Oder verstehe ich dich falsch?
In der Schweiz gibt es diese Kopfpauschale. Dort zahlt der Staat 35% aller Menschen einen Zuschuss oder den ganzen Beitrages. Und die Schweiz ist nicht das ärmste Land. D.h. bei uns kannst du mit 40-45% rechnen, wo der Staat die Kosten relativ schnell übernehmen wird. (Nicht bloß ALG 2 sondern auch Niedriglohnjobs)
Grüße ZweiPi
- [AG-Gesundheit] Strukturelle Schwächen der GKV, Klugscheißer, 08.01.2012
- Re: [AG-Gesundheit] Strukturelle Schwächen der GKV, ZweiPi, 08.01.2012
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