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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Die PKV muss abgeschafft werden!

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] Die PKV muss abgeschafft werden!


Chronologisch Thread 
  • From: syna <syna AT news.piratenpartei.de>
  • To: ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Die PKV muss abgeschafft werden!
  • Date: Thu, 11 Aug 2011 13:21:59 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>
  • Organization: Newsserver der Piratenpartei Deutschland - Infos siehe: http://wiki.piratenpartei.de/Syncom/Newsserver



Pappchinese schrieb:
> Ich habe in den letzten zwei Tagen den gesamten Thread durchlesen.


Na, meine Gratulation, lieber Stefan!

Denn Durchlesen ist schon mal gut. *Willkommen * bei den Piraten - der
Partei konsequenten Denkens und neuer Ideen! Nun im Einzelnen zu einigen
Deiner Gedanken:



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Eins: Gleiche, gute medizinische Versorgung

Pappchinese schrieb:
> 1. Im System der PKV funktionieren einige Dinge besser als in der GKV.
> Hier denke ich insbesondere an die Leistungserbringung (Geld bezahlen).
> Denn in der PKV funktioniert genau dieses sehr gut. Patient wird
> behandelt - Arzt schreibt

> Rechnung an Patient - PKV leistet nach Weiterleitung der Rechnung an
> Patient bzw. Versicherungsnehmer - VN oder Patient zahlt an Arzt ->
> alle Glücklich.


Die Diskussion {Sachleistungsprinzip <--> Kostenerstattung} hat erstmal
mit der Diskussion {GKV <--> PKV} im Kern nichts zu tun. Denn man kann ja
politisch festlegen, dass die GKV nur noch nach Kostenerstattung
funktioniere - oder umgekehrt die PKVen zur Sachleistung verpflichten.


*a. Sachleistungsprinzip <--> Kostenerstattung*
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Vorausgesetzt, es gibt eine bundeseinheitliche Gebührenordnung in Euro
für die Hausärzte, ist das Sachleistungssystem besser und erfolgreicher
als die Kostenerstattung. Denn die Kostenerstattung ist viel zu
aufwändig für den hausärztlichen Bereich. Die Kostenerstattung führt
ja Marktmechanismen derart ein, dass der Patient - obwohl ja eigentlich
krank - mit dem Arzt um Behandlung und Kosten feilschen kann. Weil
teilweise Prozesse und Verfahren von den Kassen nicht bezahlt werden,
andere

dagegen schon. Nicht mehr die Behandlung der Krankheit steht im
Vordergrund, sondern die Bezahlung. Bei jedem Schritt und Vorschlag des
Arztes wird erstmal die Bezahlung ausgehandelt, die Erstattungslage
betrachtet, eventuell geht das Feilschen los. Wollen Sie das wirklich?
Bedenken Sie eines: Wenn Sie als Patient ernsthaft krank sind, wird Ihnen
das Feilschen schwer fallen, Sie sind dann ausgeliefert. Der wirklich
Kranke ist in einer extrem schwächeren Position gegenüber dem Arzt, er
ist ihm praktisch ausgeliefert. Ausgeliefert im finanziellen Sinne. Auch
den Arzt zwingt die Kostenerstattung dazu, noch mehr Kaufmann statt
Mediziner zu sein.


*b. Markt-Mechanismen bei der Erbringung von Gesundheitsleistungen*

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So gut Marktmechanismen manchmal sind, sie funktionieren leider nur in
einem ausreichend diversifizierten Umfeld, das aus vielen
gleichberechtigten Spielern besteht. In einem weniger diversifiziertem
Umfeld mit wenigen Spielern führt Deregulierung nicht zu mehr
Marktmechanismen - sondern im Gegenteil zur Bildung von Oligopolen - zu
sehen im Strom-, Transport-, Ver- und Entsorgungsmarkt. Das steht leider
auch im Gesundheitsbereich bei der Leistungserbringung zu befürchten -
mit vielen unangenehmen Nebenwirklungen.


*Beispiel:* Der durch den Gesetzgeber in den letzten Jahren erzwungene
Wettbewerb führte dazu, dass sich die GKV vermehrt um die Gesunden
kümmern. Sie wollen gesunde und gut betuchte Mitglieder haben, denn die
kosten weniger und bedeuten gleichzeitig höhere Einnahmen. Diese
Fehlsteuerung durch auferlegten Wettbewerb muss der Beitragszahler teuer
bezahlen - die Kosten dafür steigen nämlich. Das zeigt die
Kostenaufstellung der DAK für 2008:



DAK-Bilanzbericht 2008 schrieb:
> Verwaltungskosten: Der seit 2003 kontinuierlich anhaltende Rückgang
> der Verwaltungskosten hat sich im Berichtsjahr nicht weiter
> fortgesetzt. Sie sind vielmehr gegenüber dem Vorjahr von 180,69 Euro
> um 5,7 % auf 190,92 Euro je Mitglied gestiegen. Hier wirkten sich vor
> allem die sächlichen Umsetzungskosten des ProDAKKonzeptes aus, mit dem
> die DAK ihre Beratungs-und Servicequalität unter Nutzung modernster
> Kommunikations- und Organisationsinstrumente weiter verbessern will.

>
> Darüber hinaus sind im Rahmen der Vereinheitlichung des Sprach-und
> Datennetzes und der Umstellung auf Voice over IP höhere Ausgaben für
> Post-und Fernmeldegebühren (+3,9 Mio. Euro) entstanden. Eine Rolle
> spielten auch bestimmte DMP-Ausgaben (Programmentwicklungen,

> Akkreditierungen, Dokumentationen etc.), die bis Ende 2007 noch im
> Leistungssektor gebucht wurden, sowie höhere Ausgaben für Gutachten
> und Fachberatungen, die vor allem im Zusammenhang mit der
> IT-Ausgründung und mit dem ProDAK-Umsetzungsprozess entstanden sind.


Durch den Zusatzklimbin (ProDAKKonzept), durch den gutbetuchte gesunde
Mitglieder geködert werden sollen, stiegen die Verwaltungskosten also
erheblich! Dieser Fehlanreiz zur Geldverschwendung für den "Wettbewerb"
muss aufhören!


Ich will keine Pilateskurse! Ich nutze das nicht, ich will das nicht, ich
will erstrecht nicht dafür zahlen. Ich will einen Ansprechpartner in der
Kasse, der ans Telefon geht, wenn ich eine Frage habe - ansonsten sollen
die mich mit ihrem "Service" in Ruhe lassen. Mit den "Kernleistungen"
kann man jedoch nicht den Wettbewerb bestreiten. Diese Art von Wettbewerb
ist destruktiv und kostentreibend.


*Fazit:* Einfach nur "Marktregeln und Wettbewerb Einführen Wollen"
führt leider oft zum Gegenteil von Effizienz und Kosteneinsparung.
Deshalb meine Schlussfolgerung und Forderung: Die GKVen sollen ihren
solidarisches Fundament und ihre Ausrichtung auf die Bezahlung von
Behandlungen konzentrieren. Sie sollen nicht Gelder in einem
profitorientierten Wettbewerb um gesunde Patienten verschwenden. Sie
sollen sich also nicht auf Nebenschauplätzen tummeln und Geld dort
versickern lassen. Stattdessen sollen Sie ihr Kernziel und ihre
Kernaufgabe bestmöglich und mit wenig Friktion erfüllen.


*c. Geschäftsmodell der PKV*

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Sie unterstellen immer, dass das Geschäft der PKV funktionieren würde.
Für Super-Betuchte, die den im Alter entstehenden, immensen
Kostenanstieg stemmen können, funktioniert die PKV ja auch gut (und das
sei hier auch nicht kritisiert). Für viele andere ist die PKV jedoch
eine Katastrophe.


Denn die Kosten der Privaten Krankenversicherung wachsen doppelt so
schnell wie die der gesetzlichen Krankenkassen, und ihr
Verwaltungsapparat ist doppelt so teuer. 2004 kostete ein
Vertragsabschluss in der Privaten Krankenversicherung 3946 Euro,
verglichen mit nur 17 Euro bei der Gesetzlichen Krankenversicherung.
Quellen: "1. Lauterbach, K., Klever-Deichert, G., Gerber, A., Lüngen,
M.: Kapitaldeckung und Vertragsabschlusskosten der Privaten
Krankenversicherung in Deutschland. Studien zu Gesundheit, Medizin und
Gesellschaft 2006; Köln: Ausgabe 02/2006 vom 05.04.2006. 2. "Gemeinsame
Wettbewerbsgrundsätze der Aufsichtsbehörden der gesetzlichen
Krankenversicherung" in der gültigen Fassung vom 20.10.200 Randziffer
34".


Ähnliches gilt für die Entwicklung der Leistungsausgaben pro
Versichertem. Zwischen 1985 und 2001 haben sich diese in der Privaten
Krankenversicherung je Vollversichertem um 122,1 % erhöht, in der
gesetzlichen Krankenversicherung dagegen nur um 67%. Wären die Ausgaben
der Gesetzlichen Krankenversicherung im gleichem Maße wie die der
Privaten Krankenversicherung gestiegen, so hätte Berechnungen zufolge
der durchschnittliche Beitragssatz 2003 um ca. 3,5 Prozentpunkte höher
gelegen. Quellen: "Ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen
Mitgliederentwicklung: Institut für Wirtschaft und Soziales (WISO) 2005:
Strukturen und Kostensteuerungsmechanismen im deutschen
Gesundheitssystem: Gutachten von H. Berie, G. Braeske, U. Fink und I.
Völker."


*Aber viel gravierender: *

Die 2-Klassenmedizin durch die PKV-Privilegien macht unser
Gesundheitssystem in höchstem Maße uneffektiv. Wir haben


*-- * Fehlallokationen von Spitzenchirurgen
*-- * Ruinierung der Forschung durch die Privatversicherten
*-- * Uneffiziente duale Strukturen (doppelte Facharztschiene,
Drehtürmedizin) - nur zum Wohle der Privatversicherten

*-- * Ungerechte Finanzierung, nur zum Wohle der Privatversicherten


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Das Parasitentum der PKVen ist wohl durch kaum eine andere Institution in
unserem Land zu übertreffen. Dass es dieses gibt, ist wohl den
undurchsichtigen Strukturen und Komplexität im Gesundheitssystem sowie
den Nebelkerzenwerfern geschuldet.


*d. Last not Least*

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Auch wenn ich hier vom Modell PKV nicht viel halte, so ist auch im
Bereich der GKV und des Sachleistungsprinzip nicht alles zum Besten
gestellt. Auch hier sind Verbesserungen, ein besserer Abrechnungskatalog
und Abrechnungskriterien, die einen Anreiz für Ärzte in ländlichen
Regionen

bieten, notwendig.


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Zwei: Solidarität im Beitrag

Pappchinese schrieb:
> 2. Auf der anderen Seite ist eine solidarisch orientierte in Grenzen
> gehaltsabhängige und somit für jeden finanzierbare GKV, mit der
> Sicherheit unabhängig von Vorerkrankungen und Alter versorgt zu
> werden.


Das derzeitige Problem ist ja viel dramatischer: Sieht man sich die
Geldflüsse vorurteilsfrei sachlich an, dann muss man feststellen, dass
die PKV auf *parasitäre Weise* im Gesundheitssystem fungiert: Sie ist
eine Art Steuerschlupfloch für Reiche in der Krankenversicherung und
müsste genauso konsequent dichtgemacht werden wie andere
Steuerschlupflöcher.


Entweder wird - bei Erhaltung der PKVen - der RSA auf diese übertragen
(was aber kompliziert ist - und immer wieder nachjustiert werden muss).
Oder wir schaffen die PKVen (im originär medizinischen Bereich) ganz ab.




Pappchinese schrieb:
> Oder alternativ wird alles über Steuern finanziert. Die Steuern sind
> progressiv, der Gutverdiener muss sich mehr an der Solidarität
> beteiligen.


Das ist in der Tat ein guter Vorschlag ...


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Drei: Bestandsschutz

Pappchinese schrieb:
> 3. Dazu soll aber auch alles erhalten bleiben was heute in der PKV
> bestand hat! Ob das mal so geht? Wie sieht es denn mit dem PKV Beitrag
> bei vielen Gesellschaften aus, wenn der Neuzugang endet? Eine
> Wechselmöglichkeit muss

> wahrscheinlich geschaffen werden.


Natürlich. Niemand darf benachteiligt werden, erworbene Bestände oder
Versicherungsleistungen müssen weiterhin gültig bleiben. Es muss ein
gerechtes Übergangsszenario aufgestellt werden. Das könnte z.B. so
aussehen, dass z.Zt. Privatversicherte dies auch bleiben - und sich für
diese nichts ändert.



Pappchinese schrieb:
> Natürlich kann man nicht jeder Position vollkommen gerecht werden.
> Denn die PKV Verteidiger sind ja für ein zweigliedriges System. Aber
> für die Zweiteilung sähe ich bei dieser Idee bisher nur eine
> Unterscheidung in der stationären

> Unterbringung. Denn die medizinische Versorgung und Behandlung wäre ja
> erstmal bei allen gleich.


Gut erkannt. Denn: Die Abschaffung der 2-Klassenmedizin wird nur durch
Abschaffung der PKVen gelingen, wobei:


Die "Abschaffung der PKV" bedeutet in diesem Zusammenhang:

*1.* Jeder kann sich nach wie vor versichern bezüglich: Kulinarische
Versorung, Medien am Krankenbett, Unterhaltungsschows im Krankheitsfall,
Hotelservice, Goldene Bestecke, Wunderheiler usw.


*2.* Niemand kann sich privat zusätzlich versichern bezüglich:
Medizinische Leistungen. Eine medizinische private Zusatzversicherung
führt immer zu diesen Verzerrungen, in welchen der Betuchte sich bessere
medizinische Leistung erkauft - und entsprechend Ressourcen für alle
anderen blockiert. Auf dem Gütermarkt wären solche Unterschiede o.k.,
im Gesundheitssystem führen sie aber dazu, dass Menschen unterschiedlich
lange leben, und ergo unterschiedlich viel wert sind.


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Generell ist zum jetzigen 2-Klassensystem aus GKV und PKV zu sagen: Wenn
wir ein Gesundheitssystem für alle in der Gesellschaft entwickeln
würden, ohne dass wir unsere eigene Position in der Gesellschaft schon
kennen würden (dem Gedankenexperiment des amerikanischen
Sozialphilosophen John Rawls folgend, der unter der Fiktion eines
„Schleiers der Unwissenheit“ *gerechte Institutionen* entwickelt
hat), käme ein solches System eines 2-Klassenstaates nicht in Frage,
weil es unfair wäre.


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