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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Die PKV muss abgeschafft werden!

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] Die PKV muss abgeschafft werden!


Chronologisch Thread 
  • From: syna <syna AT news.piratenpartei.de>
  • To: ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Die PKV muss abgeschafft werden!
  • Date: Wed, 15 Jun 2011 19:01:41 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>
  • Organization: Newsserver der Piratenpartei Deutschland - Infos siehe: http://wiki.piratenpartei.de/Syncom/Newsserver



Guido Heymann schrieb:
> syna schrieb
>> Was ich deutlich machen will: Nicht die Ärzte, die i.d.R. mit hohem
>> Idealismus studiert haben, sind an den Fehlentwicklungen schuld. Auch
>> nicht die Mitarbeiter der PKV-Unternehmen.
>>
>> Das Problem ist die * *duale Vergütung* * , die zur 2-Klassenmedizin
>> führt

>> - und die extreme Verwerfungen in einigen, aber wichtigen Bereichen
>> herbeiführt.
> Grundsätzlich ist die "duale Vergütung", die hier oft diskutiert und,
> wie erkannt, zur Quersubventionierung verwendet wird,

> natürlich gefühlt hochgradig unsozial.
> Da ist aber wieder das Wort der "2-Klassenmedizin", das doch eine
> Präzisierung benötigt.

> Was ist die Alternative? Die "Ein-Klassen-Medizin"? Und ist diese
> wirklich allein von der Krankenversicherung abhängig?

>
> Ich versuche mal eine Definition der "Ein-Klassen-Medizin":
> - jedes Mitglied einer Gesellschaft erhält die gleiche
> Gesundheitsversorgung

> - unabhängig vom finanziellen und sozialen Status
> - und unabhängig vom Versicherungsstatus
>
> Einverstanden? Dann müssen jedoch Zusatzbedingungen erfüllt sein:
> 1) es darf keinen Zugang zu zusätzlichen, teureren und somit nur für
> besser Begüterte erschwingliche Leistungen geben.

> 2) der medizinische Wettbewerb muss deutlich begrenzt werden, denn
> dieser kann eine Verbesserung (oder auch Verschlechterung) der medizin.
> Leistungen eines Anbieters hervorrufen

> 3) das medizinisch Machbare darf die Grenzen des für die Allgemeinheit
> Finanzierbaren nicht überschreiten

> 4) alle, die medizinische Leistungen einfordern, müssen den gleichen
> Informationsstand haben, nur so können sie entscheiden, ob sie auch
> die gleiche Gesundheitsversorgung erhalten.

>
> Das wäre ohne tiefgreifende Zwangsmassnahmen kaum realistisch.
>
> Selbst wenn o.g. Bedingungen geschaffen würden, müsste eine
> Priorisierung stattfinden, weil das Leistungsangebot (sprich Zahl der
> Ärzte) begrenzt ist.

> Das Grunddilemma in der Medizin ist doch, dass es immer einen Mangel
> geben wird, sei er nun finanziell, personell oder..oder..

> Wenn ich die Gerechtigkeit erhöhen will, muss ich die
> Selbstverantwortung der Einzelnen stärken.

> Warum also nicht eine 3-, 4- oder 20-Klassen-Medizin. Ein modulares
> Versicherungssystem, in dem jeder seine persönlich wichtigsten Risiken
> absichern kann, also i.G. eine "PKV für alle". Sozial gepuffert durch
> volle steuerliche Absetzbarkeit etc.

>
> Guido (MaHe Berlin)


Ja, Guido Heymann,

ein schöner Beitrag! Sie haben schon wesentlichen Punkte, die für ein
gerechtes, human-ethisches Gesundheitssystem Orientierung sind,
genannt.


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Zwangsmaßnahmen

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Guido Heymann schrieb:
> "Das wäre ohne tiefgreifende Zwangsmassnahmen kaum realistisch."

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Jede Lenkung, Regulierung oder Eindämmung reiner Marktmechanismen auf
ein gesundes Maß sind natürlich Zwangsmaßnahmen. Das gilt für die
Regulierungen, die nach dem Desaster der Finanzkrise notwendig sind -
und genauso auch für ein aus dem Ruder laufendes Gesundheitssystem.

Anders ausgedrückt: Der Hedgefondmanager betrachtet die Regulierung
seiner Tätigkeit als "tiefgreifende Zwangsmassnahme". Und wendet sich
mit

allem rhetorischen Aufgebot gegen solche Maßnahmen.

Genauso ist es auch im Gesundheitsbereich. Und natürlich: Wenn wir
übereinkommen darin, dass das Gesundheitssystem auf der Einnahmeseite
nicht nach rein marktwirtschaftlich Kriterien (nach welchen nur der
finanziell Potente eine angemessene Behandlung erhält) funktionieren
soll,

sondern wir es ethisch regulieren wollen, dann müssen die
Rahmenbedingungen durch die Gesellschaft, durch den Staat (also durch
uns alle als Gemeinschaft!) gesetzt werden. Solche Rahmenbedingungen
sind Regeln (Gesetze). Da sich jeder an diese Regeln halten muss, genauso


wie sich jeder an die Verkehrsregeln halten muss, mögen die einen diese
als "tiefgreifende Zwangsmassnahmen" wahrnehmen.

Nehmen Sie denn auch die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Landstraßen
oder die Fußgängerampeln als "tiefgreifende Zwangsmassnahmen" wahr?
Oder die Steuergesetze, die für die Finanzierung von Bildung und
Infrastruktur Voraussetzung sind? Wie wollen Sie ein Gemeinwesen
organisieren, ohne dass Sie Regeln, die Sie "tiefgreifende
Zwangsmaßnahmen" nennen, aufstellen?

Also natürlich: Wir müssen die Regeln festlegen. Und wir können die
Gesundheitsversorgung aus ethischer Sicht nicht den freien
Marktmechanismen rein profitorientierter Unternehmen überlassen.

Gerade die Abschaffung der PKV - und gleichzeitig eine solidarische
Finanzierung der GKVen (eventuell sogar rein durch Steuern nach dem
Beispiel England) - hätte den Charme, Zahl und Dschungel-Charakter der
Regeln zu lichten. Man könnte mit viel weniger Regeln und vor allem
einfacheren Regeln auskommen:

Die Zahl ihrer gefürchteten "tiefgreifenden Zwangsmaßnahmen" könnte
also

abnehmen, das ist eine *Chance* !


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Immer Mangel

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Guido Heymann schrieb:
> "Selbst wenn o.g. Bedingungen geschaffen würden, müsste eine
> Priorisierung stattfinden, weil das Leistungsangebot (sprich Zahl der
> Ärzte) begrenzt ist."

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Das ist wohl so - ganz unabhängig von den GKV-PKV-Überlegungen zur
Finanzgerechtigkeit. Das Leistungsangebot ist aber ein anderes (großes)
Thema!

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Guido Heymann schrieb:
> "Das Grunddilemma in der Medizin ist doch, dass es immer einen Mangel
> geben wird, sei er nun finanziell, personell oder..oder.."

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Das Grunddilemma, welches die Einnahmeseite betrifft, ist, dass die PKV
in ungehöriger Weise parasitär das durch GKV und Gemeinwesen
aufgebaute System für die Vorrechte und Vorzugsbehandlung seiner
Versicherten ausnutzt.

Das muss man klar sagen dürfen - und das kann man nicht durch Nennung
anderer (wichtiger) Probleme beschwichtigen!

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Guido Heymann schrieb:
> "Wenn ich die Gerechtigkeit erhöhen will, muss ich die
> Selbstverantwortung der Einzelnen stärken."

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Oh nein.

Wenn ich die Gerechtigkeit erhöhen will, muss ich vor allem gerechte
Strukturen schaffen!

"...die Selbstverantwortung der Einzelnen stärken ..." das geht ja
wieder in

die Richtung, dass derjenige, der höhere Bildung hat, der finanzielle
Power hat, dass derjenige sich eine bessere Versorgung, die im Ernstfall
Entscheidung über Leben oder Tod ist, verschafft. Freie
Selbstverantwortung des Einzelnen - das bedeutet: Mehr freien Markt.
Derjenige mit dem stärkeren Gebiss und den kraftvollen Pranken beißt
den

Schwachen weg.

So wie in der freien Wildbahn der Löwe die Gazelle erlegt? Ist das ihre
Vorstellung von unserem Zusammenleben, vom Gemeinwesen?

Für mich nicht!

Ich möchte, dass die ethisch-humanistischen Ideale, die der Medizin i.A.


zugehörig sind, auch gesellschaftspolitsch Bedeutung haben. Ich möchte
eine solidarische Gesellschaft, in der sich auch alte Menschen, Rentner,
Geringverdiener (die oft ihr Leben lang für einen Geringstlohn
geschuftet

haben) aufgehoben fühlen - und zumindest bezüglich der Gesundheit die
gleichen Leistungen bekommen.

Ich bin kein Marktgegner, ich verstehe sehr wohl die Vorzüge der
dezentralen Entscheidungswege eines freien, sich selbst regulierenden
Marktes. Für den Güter- und Dienstleistungsbereich ist ein freier Markt
(mit

Rahmenbedingungen!) meistens von Vorteil. Auf der
Einnahme-Erhebungsseite des Gesundheitssystems sind solche
Marktüberlegungen jedoch gänzlich fehl am Platze.


Deshalb:

Wenn ich die Gerechtigkeit erhöhen will, muss ich vor allem gerechte
Strukturen schaffen! Dann muss ich die *PKV abschaffen* und *eine
gerechte Beteiligung aller* an den Kosten des Gesundheitssystems
einführen.






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