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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Kritik der Gesellschen Zinstheorie von Samirah Kenawi

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Kritik der Gesellschen Zinstheorie von Samirah Kenawi


Chronologisch Thread 
  • From: Keox aka Daniel Worofka <piratkeox AT googlemail.com>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Kritik der Gesellschen Zinstheorie von Samirah Kenawi
  • Date: Tue, 21 Feb 2012 21:01:41 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hallo,



Am 21.02.2012 20:30, schrieb Christoph Ulrich Mayer:
> Ahoi!
>
>
>
> Der erste Abschnitt ist supergut ausgearbeitet. Wir könnten zumindest Teile
> davon in unser Wiki aufnehmen, was haltet Ihr davon?
>
>
>
> Gesell wird heute immer noch teilweise von seinen eigenen Anhängern
> missverstanden, er wollte den Zins nicht verbieten sondern das
> Missverhältnis der Macht auf dem Kapitalmarkt durch die Gleichstellung von
> Geld mit anderen Waren korrigieren. Dies geschieht über seine
> Umlaufsicherungsgebühr, die auch dem Geld einen Wertverfall bringt.
>
>
>
> Ein paar Korrekturen zur untigen Darstellung:
>
> Das Geld verfällt durch das Umlaufsicherungsgeld am Ende jeden Monats
> beispielsweise um 1%,

1% pro Monat halte ich für zuviel. Auch das die Umlaufgebühr nicht
kontinuierlich abgezogen wird, sondern an einem Stichtag fällig wird
halte ich für schlecht. Bei unbarem Geld sollte es kein Problem sein die
Gebühr anteilig jeden Tag einzuziehen. Das Problem ist das Bargeld. Wie
willst Du eine Umlaufgebühr bei Bargeld in der Praxis umsetzen?

wenn es nicht für Konsum ausgegeben wurde, das bedeutet, arme
Bevölkerungsschichten haben keinerlei Nachteil durch dieses Geld (denn
diese geben nahezu 100% aus).
>
> Ebenso behält das Geld seinen Wert, wenn es für produktive Zwecke verliehen
> wird. Nur wer es nicht für Konsum oder Kreditvergabe nützt, leidet unter
> dem Geldverfall.
>
> Damit wird auch sichergestellt, dass erarbeitete Vermögen nicht durch
> Inflation zerstört werden – aber eben auch nicht verzinst werden.
>
>
>
> Nullzins bekommt man auch mit Gesells System nur, wenn man die Geldmenge
> und Preise konstant hält. Im Gegensatz zum heutigen Geldsystem ist
> Geldmengenwachstum in seinem Modell aber eben auch nicht notwendig, weil
> über die Höhe der Umlaufsicherungsgebühr die Umlaufgeschwindigkeit
> (Tauschrate) des Geldes erhöht oder verringert wird, um ein konstantes
> Preisniveau zu halten. Das Preisniveau wird anhand eines Warenkorbs
> gemessen.

Das die Geldmenge konstant bleiben können soll, weil die
Umlaufgeschwindigkeit beliebig erhöht werden kann, halte ich für falsch.
Stell Dir einfach mal vor, daß in Deutschland die Geldmenge seit 1947
nicht mehr erhöht worden wäre. Die Bezeichnung Umschlagshäufigkeit halte
ich für treffender, weil dadurch deutlicher wird, daß Geld häufiger
benutzt wird, um etwas zu bezahlen. Dann merkt man auch, daß die Anzahl
an Bezahlvorgängen jeder Person abhängig von ihrem Einkommen ist. Wenn
Geld gespart wird, aber es nicht genügend Kreditnehmer gibt liegt es
einfach nur auf dem Konto ohne benutzt zu werden.

Gruß Keox
>
>
>
> _______________________________________
>
> Zur Weiterentwicklung des Gesellschen Systems:
>
> • John Maynard Keynes hat diese Lösung von Silvio Gesell verarbeitet
> und hat vorgeschlagen, immer für eine leichte Inflation des Geldes zu
> sorgen, so dass auf diese Weise der Druck auf den Geldbesitzer ausgeübt
> wird, seine Reserven zu investieren oder zu verkonsumieren. Dies ist heute
> noch die Basis für die Geldmengensteuerung der Zentralbank. Man steuert die
> Geldmenge so, dass man 1 bis 2 Prozent Inflation sieht.
>
> • Diese Lösung führte jedoch nicht zu dem Sinken von Zins auf null
> und nicht zum Verschwinden der Vermögenseinkommen, sondern in den letzten
> Jahrzehnten zu immer mehr ausufernden Vermögenseinkommen. Aus einem Grund:
> Die Geldschöpfung erfolgt nur bei den Banken und nur die Banken, deren
> Eigentümer und deren Großanleger profitieren von dem Geldschöpfungssystem.
> Alle anderen werden über Kredite immer mehr verschuldet/ enteignet.
>
>
>
> Diese Erkenntnisse haben mich zu der Idee Wertschöpfungsentgelt geführt,
> das inzwischen im Wiki hinterlegt ist:
>
> http://wiki.piratenpartei.de/AG_Geldordnung_und_Finanzpolitik/ThemaWertsch%C3%B6pfungsentgelt
>
>
>
>
> Es verwirklicht aus meiner Sicht die marktwirtschaftliche Korrektur des
> Kapitalmarktes auf einfachst mögliche Weise, so dass Vermögen nur noch auf
> Inflationsniveau verzinst/ verrenditet wird. Alle Mechanismen des Marktes
> bleiben grundsätzlich unangetastet, doch die Waage wird deutlich zugunsten
> von Realwirtschaft und gesellschaftsdienlicher Leistungserbringung sowie
> breite Vermögensverteilung in der Bevölkerung korrigiert.
>
>
>
> Gruß
>
> Christoph
>
>
>
>
>
> Von: ag-geldordnung-und-finanzpolitik-bounces AT lists.piratenpartei.de
> [mailto:ag-geldordnung-und-finanzpolitik-bounces AT lists.piratenpartei.de] Im
> Auftrag von Rolf Müller
> Gesendet: Dienstag, 21. Februar 2012 09:20
> An: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
> Betreff: Re: [AG-GOuFP] Kritik der Gesellschen Zinstheorie von Samirah
> Kenawi
>
>
>
> Kritik der Gesellschen Zinstheorie
>
> Die Hans Böckler Stiftung plante 2007 eine Tagung zu Silvio Gesell, deren
> Schwerpunkt
> Gesells Zinstheorie sein sollte. Diese Tagung kam interessanterweise
> deshalb nicht zu­
> stande, weil zu wenig Gesellkritiker für die Tagung gewonnen werden konnten.
> Zwar ist es seltsam, dass eine Theorie nicht diskutiert wird, weil es nicht
> genug kritische
> Stimmen gibt, doch soll dies zum Anlass genommen werden, hier eine Kritik
> der Gesell­
> schen Zinstheorie zu versuchen.
> Beim Lesen von Gesells Text stößt man auf einen scheinbaren Widerspruch. So
> stellt
> Gesell zunächst fest,
> ... daß das Zinsverbot der Päpste die Geldwirtschaft aufhob ...,
> 1
> was den Schluss zulässt, dass Gesell zu der Einsicht kommt, dass
> Geldwirtschaft ohne
> Zins nicht funktioniert. Der Schlusssatz seines Buches lautet jedoch:
> Warum fällt der Zins niemals unter 3 [%], warum geht der Zins nicht auf Null
> zurück, und wenn es auch nur vorübergehend wäre, einen Tag im Jahre, ein
> Jahr
> im Jahrhundert, ein Jahrhundert in zwei Jahrtausenden?2
>
> Da Gesell weiß, dass ein Zinsverbot kontraproduktiv ist, weil mit dem Zins
> auch die Geld­
> wirtschaft unterdrückt würde, zielt sein Buch darauf, Bedingungen zu
> schaffen, die das
> zeitweise (!) Absinken des Zinses auf Null Prozent ermöglichen. Sein Ziel
> ist es, durch ein
> temporäres Nullzinsniveau vorübergehendem Preisverfall entgegen zu wirken.
> Nach Gesell besteht der Zins aus mindestens drei Bestandteilen. Soll der
> Gesamtzins auf
> Null fallen, müssten entweder alle drei Bestandteile gleichzeitig auf Null
> sinken, oder sie
> müssen sich irgendwie gegenseitig aufheben, so dass sie in der Summe Null
> ergeben.
> Sehen wir uns diese Bestandteile einzeln an, um zu sehen ob und wann ein
> Nullzins­
> niveau möglich wäre.
> Gesell unterscheidet den Urzins, die Risikoprämie und die Hausseprämie. Der
> Urzins ist
> jener Zinsanteil, der nach seiner Definition ungerechtfertigterweise, d.h.
> ohne Erbringen
> einer Gegenleistung – allein aufgrund der Sonderstellung des Geldes auf dem
> Markt – er­
> hoben werden kann. Diese Sonderstellung ergibt sich nach Gesell aus der
> Wertstabilität
> des Geldes, die es erlaubt, Geld in beliebigem Umfang und beliebig lange
> aufzubewahren.
> (Obwohl heute infolge schleichender Inflation faktisch kein wertstabiles
> Geld mehr existiert, hat
> das Geld seine Sonderstellung bewahrt, weil es durch Finanzmarktgeschäfte
> faktisch leistungslos
> vermehrbar ist. Solange man mit Geld Geld verdienen kann, werden
> Kaufkraftverluste infolge
> Inflation oft mehr als ausgeglichen. Boomende Finanzmärkte gestatten
> deshalb den Rückzug des
> Geldes aus der Warensphäre. Aus Sicht der Warenhändler erscheint das als
> Geldhortung, obwohl
> das Geld an den Finanzmärkten zirkuliert. Diese moderne Geldhortung kommt
> in Gesells Theorie
> noch nicht vor. Seine Idee, den Urzins in Kapital zu ersäufen, indem Geld
> durch Wertverlust in den
> Umlauf getrieben wird, geht am Problem vorbei. Denn das Geld zirkuliert
> unentwegt an den Finanz­
> märkten. Nur fließt es dabei genauso unentwegt an der Realwirtschaft
> (Warensphäre) vorbei. Statt
> den Preisverfall der Waren zu beenden, verstärkt der immer größer und immer
> schneller werdende
> Geldstrom an den Finanzmärkten den Preisverfall.)
> Ein weiterer Zinsanteil ist die Risikoprämie. Sie ist notwendig, um
> Rücklagen zur Ab­
> sicherung gegen Kreditausfälle zu bilden. Deshalb kann sie weder durch
> menschliches
> noch göttliches Gesetz abgeschafft werden. Ein pauschales Zinsverbot würde
> deshalb das
> Kreditwesen an sich lähmen, wie Gesell erkennt.
> In der Hausseprämie sieht Gesell einen zeitweise sinnvollen, weil
> regulierend wirkenden
> Zinsanteil. Zinsaufschläge in Form der Hausseprämie entstehen, wenn
> Preisanstiege er­
> wartet werden. Da solche Erwartungen spekulative Kauflust wecken, steigt
> die Kredit­
> nachfrage. Das veranlasst die Banker, die Zinsen hoch zu setzen. Die
> Kauflust wächst,
> sobald Kaufleute hoffen, vor einem Preisanstieg Waren günstig einkaufen,
> und nach
> Preisanstieg mit Extragewinn verkaufen zu können.
> Der Extragewinn wird durch den erhöhten Zins in Form der Hausseprämie
> teilweise von
> den Bankern abgeschöpft und mindestens theoretisch durch steigende
> Sparzinsen teil­
> weise an die Sparer weiter gereicht. Der Vermögenszuwachs in den Taschen
> der Geld­halter hebt sich nach Gesell jedoch dadurch auf, dass infolge des
> Preisanstiegs die Kauf­kraft dieses Vermögens sinkt. (Halten wir uns hier
> nicht damit auf, über jene nachzu­
> denken, deren Lohn trotz steigender Preise nicht wächst.)
> Gesetzt den Fall die Hausseprämie ist insofern ein berechtigter Zinsanteil,
> als sie Preis­
> anstiege infolge unkontrollierten Geldmengenwachstums neutralisiert, so
> kann dieses
> Modell doch nicht erklären, wie der Zins jemals auf Null sinken soll.
> Selbst wenn es ge­
> länge, den Urzins abzuschaffen, so bildet die Risikoprämie doch einen
> notwendigen, stän­
> dig positiven Zinsanteil, während die Hausseprämie zwar zeitweise auf Null
> aber nie da­
> runter sinken kann. Auch ohne Gesells Urzins kann der Zins in der Summe
> also niemals
> Null ergeben.
> Wenn wir Gesells Idee einer Hausseprämie aufgreifen und weiterentwickeln,
> bietet seine
> Zinstheorie allerdings tatsächlich Möglichkeiten, den Zins zeitweise auf
> Null zu drücken.
> So lässt sich in Ergänzung zur Preisanstiegseffekte neutralisierenden
> Hausseprämie um­
> gekehrt analog eine „Baisseprämie“ denken, die Preisverfallseffekte
> neutralisiert. Wir
> müssen hier natürlich eher von einem Baisseabschlag reden, weil zur
> Neutralisierung von
> Preisrückgängen alle Geldvermögen mit einem negativen Zins belastet werden
> müssten,
> damit die Kaufkraft dieser Vermögen den sinkenden Preisen angepasst wird.
> Erst ein so­
> lcher negativer Zinsanteil vermag in Kombination mit der stets positiven
> Risikoprämie in
> der Summe zeitweise ein Nullzinsniveau zu schaffen.
> Doch statt während der Preisverfallszeiten einen Baisseabschlag (einen
> negativen Spar­
> zins) zu fordern, der das Spargeld in den Umlauf treiben und die Preise
> dadurch wieder
> heben würde, schlägt Gesell ein Schwundgeldsystem vor, das einen ständigen
> Kaufkraft­
> schwund in den Händen aller Geldbesitzer bewirkt.
> Als ständige Einrichtung kann das Schwundgeld zeitweisem Preisverfall nicht
> gezielt
> gegensteuern. Statt dessen belastet es den gesamten Geldumlauf dauerhaft.
> Während
> ein negativer Sparzins gezielt das Spargeld in den Umlauf treiben würde,
> schwächt
> Schwundgeld die Kaufkraft aller Bargeldnutzer kontinuierlich. Dabei werden
> Geringver­
> diener überproportional belastet. Denn oft verfügen sie nur über geringe
> bis gar keine
> Sparguthaben, so dass sie wenig bis gar nicht von Sparzinsen infolge von
> Hausseprämien
> profitieren. Obwohl sie durch steigende Preise bedingte Kaufkraftverluste
> selten durch
> Zinseinnahmen ausgleichen können, drohen ihnen durch Schwundgeld ständige
> Kauf­
> kraftverluste – und zwar ganz unabhängig von der Preisentwicklung.
> Geringverdiener
> mittels Schwundgeld kontinuierlich zum Kaufen anzuhalten, ist auch deshalb
> unsinnig,
> weil sie oft gar keine Möglichkeit haben, Kaufkraft zurück zu halten. Denn
> oft benötigen
> sie ihr komplettes Einkommen zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse.
> Geringverdiener
> müssen nicht zum Geld ausgeben motiviert werden. Ihre Grundbedürfnisse
> reichen als
> Kaufanreiz vollkommen aus.
> Schwundgeld scheint kaum geeignet, einem Preisverfall sinnvoll entgegen zu
> wirken. Es
> kann das Zinsproblem weder lösen, noch fördert es wirtschaftliche
> Gerechtigkeit. Eine
> gezielte Spargeldbelastung durch negative Zinsen würde hingegen nicht nur
> das Spargeld
> direkt in den Umlauf treiben. Durch negative Sparzinsen könnte auch der
> Kreditzins trotz
> positiver Risikoprämie zeitweise auf Null fallen. Negative Sparzinsen
> können aber nur
> durchgesetzt werden, wenn das Spargeld keine Möglichkeit hat, diesem
> Baisseabschlag
> auszuweichen. Das erfordert das Schließen der Finanzmärkte und das
> Unterbinden jeder
> Art von Wertpapierhandel. Außerdem müssen dem Spargeld alle anderen
> Fluchtwege in
> Sachwerte, Devisen, Kunst, Antiquitäten etc. versperrt werden. Um
> tatsächlich alles
> Spargeld durch negativen Zins in den Umlauf zu treiben, muss auch das
> Horten von Bar­
> geld verhindert werden. Gesells Schwundgeldidee erweist sich hier als
> genialer Vor­
> schlag. Da Schwundgeld voraussichtlich den Gebrauch von Bargeld senken
> würde, könn­
> ten „nebenbei“ enorme Mengen Baumwolle (zur Geldscheinherstellung) sowie
> Metall und
> Energie eingespart werden.
> Gesells Ideen sind noch immer interessant, sofern wir den Mut haben, sie
> weiter zu ent­
> wickeln.
> Berlin, 17.7.07
> -------------------------------------
> 1
> Gesell, Silvio (1991): Gesammelte Werke. Band 11. 1920. Die Natürliche
> Wirtschaftsordnung
> durch Freiland und Freigeld. 4. überarb. Aufl. – Lütjenburg: Gauke Verlag,
> S. 325
> 2
> Ebenda, S. 376
>
>
>
>




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