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ag-drogen - Re: [Drogen- und Suchtpolitik] neuer Masterplan(??) Drogen als 2. Politik-Hauptthema, das polarisiert (neue Chancen zur übernächsten BTW)

ag-drogen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Drogen- und Suchtpolitik

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Re: [Drogen- und Suchtpolitik] neuer Masterplan(??) Drogen als 2. Politik-Hauptthema, das polarisiert (neue Chancen zur übernächsten BTW)


Chronologisch Thread 
  • From: Marie Gurke <marie.gurke AT web.de>
  • To: ag-drogen AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [Drogen- und Suchtpolitik] neuer Masterplan(??) Drogen als 2. Politik-Hauptthema, das polarisiert (neue Chancen zur übernächsten BTW)
  • Date: Fri, 30 Jun 2017 15:08:26 +0200

Hallo Lorenz, Hallo Liste,

eigentlich bin ich immer stummer Mitleser auf dieser Liste gewesen aber die Diskussion finde ich grade hoch spannend und muss mal meinen Senf dazu geben.

Meiner Meinung nach entspricht was du vorschlägst, in seinen Grundlagen, dem was ich mir für eine Legalisierung wünschen würde. Bzw. ich denke sogar, dass die meisten hier diese Punkte befüworten. Solche Punkte die ich aus deiner Mail raus gelesen habe sind:

1. Eine Legalisierung von Drogen auf Basis der Selbstbestimmung

2. Das Angebot von Hilfe bzw. Regulationen bei drohendem oder bestehendem kritischen/missbräuchlichem Konsum.

3. Qualitätssicherung, Jugendschutz und Verhinderung eines Schwarzmarktes auf dem so etwas umgangen wird.

Jetzt zu deiner konkreten Idee. Die Abgabe in Apotheken taucht immer wieder auf, grade im Zusammenhang mit Cannabis. Ich finde diese Idee aber eigentlich garnicht so günstig. Erst einmal, wie du schon schriebst, würden sich einige Apotheker quer stellen. Na gut andere nicht. Problem gelöst. Andererseits, würde ich aber behaupten, sind Apotheker ja nicht unbedingt ausgebildet um sich mit den Substanzen und vor allen Dingen deren Wirkungen umfassend genug aus zu kennen. Sie müssten demnach alle nochmal geschult werden zu dem Thema. Ob dann dazu noch so viele bereit sind, man weiß es nicht. Es gibt aber mit Sicherheit Leute die sich schon ziemlich gut auskennen und auch die Motivation hätten eine ausführliche staatlich kontrollierte Ausblidung und Eignungstests zu durch laufen. Verdrehterweise sind solche Leute heute auf dem Schwarzmarkt zu finden. Warum also nicht vorhandenes Wissen nutzen und Menschen die Chance auf einen legalen Beruf bieten. Schließlich entsprechen nicht alle "Dealer" dem Klischee das die Mehrheit der Gesellschaft von ihnen hat.

Da ich meinen Vorrednern hier im Thema Datenschutz zustimmen muss, möchte ich einen Gegenvorschlag zu deinem machen und ihn ebenfalls zur Diskussion stellen. Alkohol wird in unsere Gesellschaft häufig in kleine familiären Läden miteinander ausgeschenkt und konsumiert. Das Konzept wird auch Kneipe genannt ;) Meine Vorstellung zu einer Legalisierung würde sich genau in diese Richtung bewegen. Nur dass der "Wirt" staatlich geschult wäre und zwischen durch mal sagen würde: "Du da, mach dir mal Gedanken darüber wie viel du säufst, ich helfe dir dabei.".  Die Leute würden schnell ihre Stammclubs finden und könnten ihr Recht auf Selbstbestimmung in sicherer, kontrollierter Umgebung mit Aufklärungs- und Hilfsangeboten wahrnehmen. Eventuell ist mein Vorschlag nur ein weiter gedachte Cannabis Social Club oder auch Coffee Shop auch für andere Drogen aber das wäre meine Vorstellung zu einer Legalisierung. 

Ach und dann könnte man direkt mal alle schon bestehenden Kneipenwirte auf das oben genannte Verhalten umschulen.

So jetzt ist genug Senf dazu gegeben. Ich würde mich freuen, wenn so lebhafte praktische Diskussionen öfter auftauchen auf dieser Liste. Ich interessiere mich sehr für dieses Thema aber es ist nicht immer leicht in dieser Partei zu Themen und den Leuten die sie behandeln den Anschluss zu finden oder zu halten. Lebhafte Diskussion hilft da glaub ich den mehr oder weniger Neulingen wie mir. Kein Vorwurf und ich weiß auch nicht ob es zwingend der Zweck dieser Liste ist aber ich freue mich grade darüber musste das mal sagen.

Grüße Marie


Am 29.06.2017 um 20:55 schrieb Lorenz Lassek:

Hallo zusammen,


Ich habe seit dem Hype vor ein paar Jahren den Kontakt zur Piratenpartei verloren und habe jetzt eine Idee, wie man mit langem Atem vielleicht wieder zurück auf die politische Bühne kommen könnte. Mein persönlicher "Masterplan", den ich zur Diskussion stellen möchte. Zunächst allgemeines vorweg bevor ich zum Thema Drogen und meiner Idee dazu komme (Frage: wen könnte ich für die allgemeinen Ideen am besten kontaktieren?)


Klare realpolitische Ansage: keine Koalition möglich, aber neben Opposition gibt es noch die realpolitische Möglichkeit der Tolerierung einer Regierung!!

Abgeordnete der Piratenpartei würden sich keinem Koalitionszwang ergo Fraktionszwang aussetzen (deshalb taugen die Piraten nur zur Tolerierung einer Regierung), sondern stattdessen sich an den Ergebnissen der liquid democracy Abstimmungen „orientieren“. Das bringt Bewegung in die Politik!! Die Etablierung eines funktionierenden liquid democracy-Abstimmungsmodell müsste oberste Priorität haben!!


So wie es die SPD gerade geschafft hat, ein (gesamtpolitisch betrachtet relativ) kleines Thema (Ehe für alle) durchzusetzen - zunächst mit der Ansage "Ohne 'Ehe für alle' keinen künftigen Koalitionsvertrag".

Vergleichbar könnte man für eine Tolerierung einer Regierung durch Piraten (neben dem obligatorischen Verzicht auf Ministerposten) die Drogenlegalisierung verlangen (und vielleicht noch das Stellen des Datenschutzbeauftragten). Der Datenschutz ist in der öffentlichen Wahrnehmung insbesondere der Piratenpartei ja völlig in den Hintergrund gerückt - ist halt leider so; kann man versuchen entgegenzuwirken, aber das scheint zumindest momentan wohl kaum aussichtsreich. Zumal die derzeitige Opposition ja diesbezüglich auch nicht die allerschlechteste Oppositionsarbeit leistet. Daher braucht es ein neues heftiges "Push-Thema" für einen Schub!


Zur Drogenpolitik habe ich nun eine Idee, die vielleicht (weiß ich nicht) nicht so liberal ist wie es in der Piratenpartei bereits Konsens ist(?), aber liberaler als alles was derzeit ernsthaft zur Diskussion steht und m.E. mit der Riesenchance auf mediale Beachtung, auf die alle Piraten gewartet haben und mit der Fähigkeit zu einer gesellschaftlichen Mehrheit (auf lange Sicht):


Und dies möchte ich zur Diskussion stellen:


Bei der Diskussion um Drogen geht es m.M. viel zu oft (mehr oder weniger direkt) um das "Recht auf Selbstzerstörung" (oder vorsichtiger ausgedrückt: Selbstschädigung). Das ist gesamtgesellschaftlich vermutlich kaum vermittelbar. Was völlig außer Acht gelassen wird, ist, dass bei so gut wie allen(!) Drogen auch nicht-missbräuchlicher Konsum MÖGLICH ist! Dies hängt zusammen mit den Konsumgewohnheiten und damit mit den Konsummengen und die ließen sich im Zeitalter der Digitalisierung festlegen:


Mengen, die auf einen nicht-missbräuchlichen Konsum schließen lassen, können auf eine sogenannte "Drogen-Karte" rezeptfrei in Apotheken gekauft werden. Auf dieser Drogenkarte werden lokal (selbstverständlich ohne Speicherung irgendwo anders - geschweige denn in Datenbanken!!) die gekauften Drogenmengen gespeichert (ggf. Löschung von allen Einträgen älter als 12 Monate oder so). Sind in dieser Variante datenschutzrechtliche Bedenken bereits ausgeräumt???


(Wahrscheinlich am besten dezentral möglich) gespeichert werden, bräuchte nur, WER so eine Karte bereits besitzt – nix weiter. Zur Einstiegshürde in den Drogenkonsum könnte man das Ausstellen dieser Karte sehr teuer machen (so wie ja auch E-Zigaretten aufgrund des relativ hohen Anschaffungspreises auch nicht zum Einstieg ins Rauchen verleiten).

Bei Gras könnte diese Menge z.B. bei 3 Gramm pro Woche liegen. Bei anderen Drogen kenne ich mich weniger gut aus - 2 Gramm Kokain im Quartal, 1 Dosis Heroin im Jahr, 3 Dosen Psylos im Jahr??? Darüber müsste man mit Drogenexperten (am besten welche mit eigenen Konsumerfahrungen) diskutieren. Wenn man für die Drogenkarte sehr viel Geld verlangt, könnte man das auch noch mit dem obligatorischen(?!?) Besuch eines Aufklärungsseminars über Risiken und v.a. safer use verbinden - sozusagen so eine Art Drogenführerschein...(optional?)

Wer anfällig für Risikokonsum ist, wird auch nicht sofort in den Schwarzmarkt gedrängt, sondern wird versuchen, über wenig- oder nicht-konsumierende Freunde und Bekannte mehr zu bekommen (Grund für eine konservative Schätzung was nicht-missbräuchliche Mengen betrifft!). Die Karte bräuchte vermutlich ein Foto, damit man nicht so einfach die Karte von Bekannten benutzen kann. Wer damit scheitert, muss auch noch nicht in den Schwarzmarkt, sondern hat dann die Möglichkeit, sich vom Arzt mehr verschreiben zu lassen (z.B. evtl. Methadon statt Heroin, wobei ich weiß, dass Methadon umstritten ist...). Dort setzt dann die Suchtberatung an, Therapieplätze werden angeboten etc. - Verschreibung von mehr Drogen z.B. zur Überbrückung bis Therapiebeginn...


Eigenlob stinkt, aber ich finde dieses Konzept trotzdem genial. Und bin auf konstruktive Kritik gespannt! Selbstverständlich sind viele Details noch nicht ausgereift.


Ich habe von Problemen bei Methadon-Verkauf durch Apotheken in Wien gehört, dass die oft (meist zu bestimmten Zeiten) völlig überlaufen sind, was normale Kunden verständlicherweise abschreckt. Es gab Apotheker, die deshalb ihren Standort aufgegeben haben! Das ganze müsste also mit einem massiven Ausbau der Apotheken-Infrastruktur geschehen. Weiterhin auch die Weiterbildung der Apotheker zur Drogenberatung - nicht nur zum Thema "safer use", sondern auch zum Thema "steigende Konsummengen" - sprich: Sucht.

Je nach gesellschaftlicher Toleranz könnte man Apothekern freistellen, aus Gewissensgründen keine Drogen anzubieten...

Fraglich wäre weiterhin, ob auch online-Apotheken verkaufen dürfen sollten. Hier könnte man vielleicht obligatorische Aufklärungsvideos vor den Kauf schalten...


Weiterhin die Standard-Argumente für legalisierte Drogen, wahrscheinlich hinlänglich bekannt:


1. Trockenlegung des Drogenmafia-Sumpfes mit all seiner gefährlichen (oft tödlichen!) Kriminalität, wozu ja auch die Beschaffungskriminalität gehört. Eine Nische für Schwarzmarkt würde es (nach meinem Modell) weiterhin geben, aber (so hoffe ich) nahezu verschwindend kleine Nischen!


2. Reiner weniger gesundheitsschädlicher Stoff statt unnötig gefährliche gepanschte Scheiße beim Dealer


3. Konsum minderndes „product design“. An die Stelle des Reiz des Verbotenen tritt eine pharmakologisch-medizinisch-sterile Aura der Drogen!


Usw. usf.


Letztlich auch das „Recht auf Selbstschädigung“ eines mündigen Bürgers.


Alle Argumente müssten gewichtet werden und aufzeigen, dass falls ein Argument eher schwach sein sollte (z.B.: „was ist mit den gesellschaftlichen Folgekosten des Rechts auf Selbstschädigung?“), es nicht gleich durch die Argumente gegen eine Legalisierung (welche überhaupt?!) ausgestochen wird. Es muss sehr deutlich gemacht werden, dass das Gesamtpaket an Argumenten betrachtet werden muss!


Liebe Grüße, oder sagt man ahoi?

Lorenz Lasek


PS: Ja, der Apothekenverkauf von Drogen soll alle Drogen betreffen, denn was die gefährlichsten aller Drogen (z.B. Chrystal Meth, Carfentanyl) betrifft, so gibt es diese erst durch die folgenden Anreize aufgrund der staatlichen Prohibition und sie werden wohl mit der Zeit der Legalisierung marginalisiert oder sogar ganz verschwinden:


(1) Produktion unerforschter Stoffe (legal highs), die häufig gefährlicher als existierende sind, um Verbote zu umgehen.

(2) Produktion synthetischer Stoffe, da mit geringerem footprint als Pflanzenzucht möglich (Entdeckungsrisiko).

(3) Produktion besonders stark wirkender Substanzen, um beim Schmuggel, Transport und Verkauf möglichst viel "bang" aufs Volumen zu bekommen. Zur Zeit der Alkoholprohibition kauften die Leute weniger Bier und Wein und stiegen auf Vodka o.ä. um.


PPS: Über eine Übertragung dieses Modells auch auf Alkohol in speziellen Liquor-Shops wie in einigen skandinavischen Ländern möchte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht diskutieren – könnte aber auf sehr lange Sicht auch interessante Perspektiven bieten...


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