Re: [Ag-bauen-verkehr] Workshop kostenloser ÖPNV

[Andena <andena AT versanet.de>]

ThomasG schrieb:
> Ob er Unsinnig ist, mag ich nicht beurteilen, ich gehe noch immer davon
> aus, dass die Grundidee richtig ist. 


Natürlich ist die Grundidee eines "ÖPNV für lau" auf den ersten Blick 
durchaus charmant, besonders natürlich bei den Leuten, die heute hohe 
monatliche Nutzungsentgelte für die Benutzung des Personennahverkehrs 
zahlen. 
 

Die Monatskarte für Berlin kostet im Moment 74 € und im Jahresabo 
monatlich 58 €, das ist schon eine erkleckliche Summe. Trotzdem reichen 
die Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf in Berlin lediglich dazu aus, die 
Hälfte der für den dauerhaften Betrieb des ÖPNV erforderlichen 
Ausgaben zu decken. Die andere Hälfte sind Landesmittel und "Fahren auf 
Verschleiß". 
 

Im Prinzip haben wir derzeit eine geteilte Einnahmesituation. Der erste 
Teil (=50%) ist nutzungsabhängig und wird von den Nutznießern des 
ÖPNV, den Kunden, abhängig von ihren Erfordernissen gezahlt. Nach dem 
Motto: Wer mehr fährt, zahlt auch mehr. ;)
 

Der zweite Teil von ca 30% sind die Bestellungen der Bundesländer mit 
der das Grundgerüst der Infrastruktur festgelegt wird und (in gewisser 
Weise) die Vorhaltung der verkehrstechnischen Einrichtungen als 
gemeinschaftliches Interesse nutzungsunabhängig aus Steuermitteln (im 
Idealfall) oder aus Nettokreditaufnahmen (Realität) mitfinanziert wird. 

 

Der dritte Teil sind Subventionen - entweder als Direktinvestitionen für 
Neubauvorhaben oder Ausgleichszahlungen für Sozialtickets 
(=Sozialtransfers). 
 

Der vierte Teil ist schlicht und ergreifend die Verschiebung von 
eigentlich notwendigen Erhaltungsinvestitionen, also das "Fahren auf 
Verschleiß". Berlin und gerade die S-Bahn (als Tochterunternehmen der 
100%igen Staatsunternehmens Bundesbahn AG) sind da in den letzten 10 
Monaten sehr unrühmlich bekannt geworden. Noch immer fahren die S-Bahnen 
nicht vollständig ach dem eigentlichen Sollplan der Ausschreibung / der 
Landesbestellung. Aber auch die BVG (U-Bahn, Straßenbahnen & Busse) hat 
zunehmend spürbare qualitative Probleme bei ihrer Infrastruktur und im 
Fahrzeugpool durch verschleppte Investitionen und bei der Wartung. 
 

Hier in berlin sieht man sehr schön, was passiert, wenn man dem ÖPNV 
nicht genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stellt bzw durch 
Sparmaßnahmen im technischen Bereich an den Rand der Funktionsfähigkeit 
bringen kann. 
 

Durch einen Verzicht auf die nutzungsabhängigen Fahrscheinerlöse 
erschwert man nur die finanzielle Funktionsfähigkeit des ÖPNV. Und das 
selbst dann, wenn man für die Fahrscheineinnahmen einen gleichwertigen 
Ersatz in € findet. Der Durchgriff des Landes auf dann 100% der 
Einnahmengewährung lässt in Zeiten klammer Kassen eher vermuten, dass 
dann lediglich ein ÖPNV nach Kassenlage zur Verfügung stehen wird 
insbesondere mittels Ausdünnung der Leistungen. 
 

Und spätestens dann verkehrt sich der eigentlich gute Ansatz eines 
"Nahverkehrs für lau" ins Gegenteil bzw in "kein funktionstüchtiger 
Nahverkehr". 
 

Aber selbst abseits der Finazierungsfrage finde ich, dass ein System der 
nutzungsabhängigen Entgelte deutlich gerechter und charmanter ist als 
eine pauschalisierte Kopfprämie unabhängig ob man nun das Angebot des 
ÖPNV nutzt oder nicht. 
 

Gruß, Andena