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ag-umwelt - Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Energiesteuer (auf Kraftstoffe) - Ölmarkt weltweit und Zahlungsbilanzen

ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Ag-umwelt mailing list

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Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Energiesteuer (auf Kraftstoffe) - Ölmarkt weltweit und Zahlungsbilanzen


Chronologisch Thread 
  • From: Johannes Nix <johannes.nix AT gmx.net>
  • To: Mailingliste der AG Energiepolitk <energie_und_infrastruktur AT lists.piratenpartei.de>
  • Cc: ag-steuerpolitik AT lists.piratenpartei.de, mmarichter AT aol.com, AG Umwelt <ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Energiesteuer (auf Kraftstoffe) - Ölmarkt weltweit und Zahlungsbilanzen
  • Date: Sat, 21 Jul 2012 19:10:23 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-umwelt>
  • List-id: <ag-umwelt.lists.piratenpartei.de>

Hallo Moritz,

ich gehe auf die Argumentation bezüglich der Entwicklung
in anderen Ländern lieber extra ein, weil das von
der primären Motivation einer Risikovorsorge,
nämlich pures Eigeninteresse, etwas weg führt.

Ich denke aber, es gibt auch hier gute Argumente dafür.

> Öl wird dann
> einfach weltweit teurer und derjenige, der es bezahlen kann,
> verbraucht es.

Die Konsequenzen sind kein Pappenstiel. Es gibt Daten und Prognosen der
Uppsala Global Energy Systems Group zu den Verschiebungen beim
Weltweiten Ölmarkt:

http://aleklett.wordpress.com/2012/05/24/energy-policies-will-lead-to-diesel-fuel-rationing-in-europe/

Demnach würden sich bei einer Fortsetzung der
Trends die Ölimporte in die OECD bis
2020 gegenüber den Zahlen von 2005
etwa halbieren.

Da wollte ich noch mal auf die Verlagerung von Raffineriekapazitäten
von den USA und den OECD Staaten nach Asien hinweisen, die
in vollem Gange ist. Hierzu gibt es zahllose Berichte im Netz:

==> news.google.com "refinery closing"

http://www.google.com/search?hl=de&gl=de&tbm=nws&q=refinery+closing&oq=refinery+closing&gs_l=news-cc.3..43j43i400.2290.8885.0.9507.28.4.0.6.0.0.1603.3880.3-1j0j1j0j1j1.4.0...0.0...1ac.jE-yTzc4j0I

Diese Verlagerungen machen langfristig dann Sinn, wenn wegen
drastischer Verteuerungen die Nachfrage einbricht. Man kann also
durchaus sagen, dass der "Markt", d.h. die Energieunternehmen auf die
bevorstehende Verknappung reagiert! Nur die Bevölkerungen merken davon
noch nicht so viel.

(Auch der Run auf die Stromerzeugung als zukünftigem Goldesel
hängt damit wohl zusammen, aber das führt weg vom Thema).

> Übrigens sind beim Ölverbrauch in
> anderen Ländern der Erde viel größere Effizienzgewinne möglich, als
> in Deutschland. In einigen Ländern wird Öl in Kraftwerken verbrannt!
> Es ist einfach vermessen, anzunehmen, dass wir 80Millionen Deutsche
> das Problem PeakOil mit einer Steuer zu lösen, wie gesagt, es wird ja
> dann weltweit gar nicht weniger Öl verbraucht!
> Übrigens sind beim Ölverbrauch in
> anderen Ländern der Erde viel größere Effizienzgewinne möglich, als
> in Deutschland. In einigen Ländern wird Öl in Kraftwerken verbrannt!

In Ländern, die selber Öl fördern, energetisch unabhängig
bleiben wollen und keine Kohle haben, kann das von einem
nationalem Standpunkt aus Sinn machen. In Ländern wie Japan
ist das jenseits einer reinen Notmaßnahme volkswirtschaftlicher
Irrsinn. Schließlich bedeutet das beim Eintreten einer
Ölkrise einen massive Verschiebung der Zahlungsbilanzen
und Devisenströme an die Öl liefernden Staaten.

Schließlich wird noch in vielen ölproduzierenden Ländern
Benzin subventioniert. Diese Subventionen sind aber
z.B. in Saudi-Arabien oder Nigeria schon 'notwendig', damit dort die
soziale Stabilität erhalten bleibt und die entsprechenden Regierungen
an der Macht bleiben, es sind in gewisser Weise versteckte Kosten der
Ölförderung. Die Lage ist ganz einfach: Wenn wir diese
Kosten nicht mit bezahlen, gibt es irgendwann kein Öl mehr für uns.

Siehe auch: "Warum der Benzinpreis nicht sinken darf"
(über die Notwendigkeit hoher Sozialaushaben in den
Förderländern):

http://www.heise.de/tp/artikel/36/36261/1.html

> Es ist einfach vermessen, anzunehmen, dass wir 80Millionen Deutsche
> das Problem PeakOil mit einer Steuer zu lösen, wie gesagt, es wird ja
> dann weltweit gar nicht weniger Öl verbraucht!


Nun, erstens wird heute das Prinzip des EEG in einer
Vielzahl von Ländern nachgeahmt. Da hat Deutschland
tatsächlich Maßstäbe gesetzt.

Zweitens würde ich hier ganz dreist mit Eigeninteresse
argumentieren: Wir können uns es nicht leisten, mehrere
Prozent unseres Bruttosozialprodukts zusätzlich für
Energieimporte auszugeben. Bereits heute machen Ölimporte
einen sehr erheblichen Teil der Handelsbilanzdefizite
der südeuropäischen Länder aus. Diese Defizite tragen
bereits heute maßgeblich dazu bei, die Zahlungsfähigkeit
und wirtschaftliche Stabilität von Staaten zu gefährden.

Siehe:

Report von US Diplomaten zu Erdöl und dem US Handelsdefizit:

http://energybulletin.net/stories/2012-05-20/oil-report-%E2%80%9Ddiplomatic-council-energy-security%E2%80%9D

Artikel von Hans-Josef Fell in der FTD : "Die Eurokrise ist auch
eine Ölkrise":
http://www.ftd.de/politik/europa/:rohstoffe-die-euro-krise-ist-auch-eine-oelkrise/70065551.html


Drittens bedeuten, auch wieder wegen der sehr geringen
Preiselastizität, Einsparungen am Weltmarkt von wenigen Prozent eine
spürbare Entlastung der Nachfrage, was die Preise auf dem Weltmarkt
drückt. Und unser Pro-Kopf-Ölverbrauch ist natürlich größer als der in
den Schwellenländern, also nicht ganz ohne Auswirkungen. Einsparungen
stabilisieren also die Weltwirtschaft, was auch wieder im Interesse
unserer exportorientierten nationalen Wirtschaft liegt. Vor allem aber
eröffnet es auch anderen Ländern Perspektiven für ein Wirtschaften nach
dem Öl.

Viertens könnte man, wenn man will, auch ethisch argumentieren. Ich tue
das eher ungern, aber nun denn: Die industrialisierte Landwirtschaft
ermöglicht - basierend auf Mechanisierung und Düngemitteln - erstmals
überhaupt in der Geschichte einem Großteil der Erdbewohner eine sichere
Nahrungsmittelversorgung. Sie ist bisher ohne fossile Treibstoffe nicht
denkbar, und Nahrungsmittelpreise und Ölpreise sind sehr hoch
korreliert:

http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:FAO_Food_Price_Index.png&filetimestamp=20120510133121

Zu hohe Ölpreise führen zu Nahrungsmittelknappheit wegen
dieser starken Abhängigkeit und wegen der zunehmenden Produktion von
Biosprit andererseits. Eine "Energy Famine" könnte somit zahllose
Menschen das Leben kosten. Weiteres "ethisches" Gewicht bekommt diese
Argument noch dadurch, dass die alten Industriestaaten ja bereits fast
die Hälfte der fossilen Energieressourcen weitgehend alleine verbraucht
haben.

Auch dieses vierte ethische Argument ist nicht unbedingt
frei von Eigennutz: Die Preiskrise bei Lebensmitteln hat z.B.
in vielen Ländern der Arabischen Welt zu massiven Protesten
beigetragen und somit dazu, dass Regierungen gestürzt wurden, die
westlichen Ländern nicht zuletzt einen billigen Zugang zu ihren
Bodenschätzen gestatteten.


Viele Grüße,

Johannes



  • Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Energiesteuer (auf Kraftstoffe) - Ölmarkt weltweit und Zahlungsbilanzen, Johannes Nix, 21.07.2012

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