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ag-umwelt - [Ag-umwelt] Artikel Tierversuche in der SZ (war:Re: [Ag-tierrecht] Link)

ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Ag-umwelt mailing list

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[Ag-umwelt] Artikel Tierversuche in der SZ (war:Re: [Ag-tierrecht] Link)


Chronologisch Thread 
  • From: René Heinig <hren AT hrz.tu-chemnitz.de>
  • To: AG Tierrecht <ag-tierrecht AT lists.piratenpartei.de>, ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de
  • Cc: stoan AT hrz.tu-chemnitz.de
  • Subject: [Ag-umwelt] Artikel Tierversuche in der SZ (war:Re: [Ag-tierrecht] Link)
  • Date: Fri, 04 Jun 2010 14:15:32 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-umwelt>
  • List-id: <ag-umwelt.lists.piratenpartei.de>

Christian Puzicha schrieb:
> Hallo,
>
> hier mal ein Zeitungsartikel, mit dem ich ein wenig mehr anfangen kann:
>
> *http://www.sueddeutsche.de/wissen/tierversuche-die-welt-ist-nicht-nett-1.951477-3
>
> *Grober Inhalt: Beliebigkeit einiger Tierversuchsgegner, Vergleich
> Tierversuche - Fleischkonsum, Verdienste der Tierversuche, Tierschaeden
> durch menschliche Existenz.
>

Selten etwas übleres gelesen.

Ich versuche mich mal an den wirren Ergüssen abzureagieren.

"Der Prozess um die Affenversuche des Bremer Hirnforschers Andreas
Kreiter ist deshalb ein Anlass, um diese weit verbreitete Haltung zu
diskutieren. Seit gestern nämlich verhandelt das Bremer
Verwaltungsgericht darüber, ob die Gesundheitsbehörde dem Forscher
verbieten darf, weiterhin an den Gehirnen von Makaken zu experimentieren."

Die Beschreibung des Ausgangspunkts hat Herr Weber zumindest noch ganz
ordentlich hinbekommen.


Mit den jetzt folgenden Sätzen versucht er an Hand seiner allwissenden
Glaskugel die Qualen der Tiere herunterzuspielen, ohne dass in
irgendeiner Weise zu belegen:
"Zwar bekommen die Tiere am Versuchstag nur wenig zu trinken, sodass sie
durstig nach Belohnung lechzen. Eine Qual ist das aber nicht."
"Im Standardversuch werden Mäusen Substanzen injiziert. Dann nimmt man
ihnen Blut oder Harn ab, am Ende werden sie eingeschläfert und seziert -
große Schmerzen entstehen dabei nicht. Eher selten kommt es zu starken
Belastungen, dann etwa, wenn die Versuchsziele den Einsatz von
Schmerzmitteln verbieten oder die Tiere als chronisches Krankheitsmodell
dienen. Allerdings erlaubt das Tierschutzgesetz solche Versuche nur,
wenn mit ihnen wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. Sie müssen so wie
alle Versuche den Behörden gemeldet und von ihnen genehmigt werden."
"Die Zugänge zum Gehirn werden den Tieren unter Vollnarkose gelegt, die
Elektroden spürt das Tier nicht, weil das Gehirn aus schmerzfreier
Materie besteht. Sie sind so dünn, dass es nicht zu Ausfallerscheinungen
kommt."

Wer sich vom Gegenteil überzeugen möchte, gerade auch was obiges
Beispiel mit den tollen Forschungen an Makaken betrifft:
http://www.youtube.com/watch?v=Sgkgwfahfiw


"Die Tiere arbeiten freiwillig bei dem Experiment mit, andernfalls - so
versichern Forscher - wäre es nicht durchzuführen."

Die Menschen arbeiten freiwillig mit, andernfalls - so versichert Dr.
Mengele - wäre es nicht durchführbar. Wo bleibt denn da das kritische
Element, ist Herr Weber Pressesprecher oder Journalist, das sollte er
sich hier wirklich fragen.


"Dabei geht es in der Viehproduktion meist gewalttätiger zu als im
Labor, wo wann immer möglich sorgfältig sediert wird - allein schon
deshalb, weil gestresste Tiere keine guten Daten liefern."

Hier liegen zwei grundlegend falsche Behauptungen vor.

Erstens sind sicherlich die meisten Menschen, welche gegen Tierversuche
sind auch gegen nicht artgerechte (Nutz)Tierhaltung. Eine artgerechte
Haltung auf einer saftig grünen Weide ist natürlich grausamer als diese
Laborversuche, im Gegenteil, siehe:
http://www.youtube.com/watch?v=eWyTZw3a3is&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=EcNhDXFeImw
(Das sind doch völlig andere Bilder als diese Versuche an den Makaken?!)

Die zweite grundlegend falsche Behauptung ist, dass man nicht gestresste
Tiere möchte. Aber hier ist genau Gegenteiliges der Fall, da es gerade
darum geht an gestressten Tieren herumzuexperimentieren, denn an Tieren
die sich nicht in Ausnahmezuständen befinden hat man ja schon über
unzählige Jahre genug herumexperimentiert, bzw. sind das Tiere, die man
noch nicht absichtlich krank gemacht hat, um an dieser Krankheit
herumzuexperimentieren. Es geht eben gerade darum Tiere in solche
Zustände zu versetzen und dann etwas zu messen und dann mit dem
"Normalzustand" zu vergleichen, das ist überhaupt erst der Grundgedanke
dieser Tierversuche. Also hat Herr Weber noch nicht einmal das verstanden.


"In Bremen steht nun die Entscheidung darüber an, ob Andreas Kreiter
Grenzen überschreitet. Auch hier ist eine rationale Diskussion nur
schwer möglich, weil allein schon die Versuchsbeschreibung
Grusel-Phantasien bedient: Die Makaken sitzen bis zu vier Stunden mit
fixiertem Kopf im Primatenstuhl und blicken auf einen Monitor, während
implantierte Elektroden die Reaktionen einzelner Nervenzellen auf
visuelle Stimuli messen."

Hier widerspricht er sich gerade selbst. Erst behauptet er, es ist alles
harmlos und freiwillig und dann erzählt er was von Grusel-Phantasien und
4 Stunden lang *fixierter* Kopf. Das kann her Weber ja gern mal selbst
ausprobieren, 4 Stunden täglich, ich bin gespannt, ob er dann immer noch
schreibt, ist doch alles nicht so wild.


"Der schwächste Grund ist die Annahme, die Ergebnisse der Versuche
ließen sich nicht auf Menschen übertragen. In jeder Uni-Bibliothek lässt
sich nachlesen, dass ein Großteil des medizinischen Fortschritts auf
Tierversuchen basiert: Impfstoffe und Antibiotika, Schmerzmittel und
Anästhetika, Strahlentherapie, Bluttransfusion und Organtransplantation,
Herzoperationen und Nierendialyse - all diese Therapien wurden an Tieren
entwickelt."

Niemand hat behauptet, dass man in der Vergangenheit keinerlei
Erkenntnisse gewonnen hat. Aber wir leben nicht in der Vergangenheit,
Tiermodelle hat man zur genüge erforscht, vieles ist reine Spielerei für
die Leute und eine Qual für die Tiere. Es wäre ratsam, wenn Herr Weber
mal in die Uni-Bibliotheken gehen würde und sich durchliest, wie moderne
Forschungsmethoden aussehen.

Vergessen wird auch vollkommen darauf hinzuweisen, dass man nicht weiß
wie weit man jetzt wäre, wenn man nicht an Tieren experimentiert sondern
gleich auf die Entwicklung besserer Alternativen gesetzt hätte. Das weiß
man halt nicht, aber her Weber suggeriert mit seiner Aufzählung, dass es
das alles nicht geben würde. Aber Beweis durch Behauptung ist eben immer
schön, wenn man vom Thema keinerlei Ahnung hat.


"Irrig ist auch die Annahme, dass Alternativmethoden mit Zellkulturen
oder Computer-Simulationen die Tiere problemlos ersetzen könnten."

Wie kommt er nur immer zu seinem Allwissen, gerade das wird ja vom Ärzte
gegen Tierversuche e.V. versucht zu erklären, dass es sogar viel bessere
Ergebnisse liefert, eben auch direkt für den Menschen und nicht für
einen anderen Organismus. Aber Herr Weber weiß natürlich alles besser,
so dass man nichtmal andere gerade auf diesem Thema spezialisierte
*Ärzte* für so einen Artikel auch zu Wort kommen lässt. Das spricht
besonders für seine Recherchearbeit, seine Neutralität und letztendlich
auch seine grundlegenden Fähigkeiten als Journalist.


"Am ehesten vorstellbar ist das noch bei Standardtests etwa auf
Schleimhautverträglichkeit. Schwierig ist es, wenn nach unbekannten
Effekten in Gesamtorganismen gesucht wird. Unmöglich ist es, wenn
Neurowissenschaftler höhere kognitive Leistungen erforschen wollen."
"Auch wenn solche Grundlagenforschung natürlich nicht sofort
medizinische Anwendungen produziert, steht doch fest, dass ein besseres
Verständnis des Gehirns die Voraussetzung ist für neue Therapien
verbreiteter neurologischer Erkrankungen wie Schizophrenie oder Demenz.
Mutig, wer hier ein schnelles Urteil fällen kann."

Alles kaum haltbare Behauptungen, gerade Effekte am Gesamtorganismus,
dem richtigen Gesamtorganismus, nämlich dem simulierten Menschmodell und
nicht der Laborratte lässt sinnvolle Schlüsse zu. Gerade auch durch
Simulationsmodelle hat man für die Neurowissenschaften die größten
Ergebnisse erzielt. Dieses Elektroden ins Gehirn eines Makaken stecken
bringt beim eine million und ersten mal auch nix weltbewegend Neues
mehr. Und diese Behauptungen man könne durch diesen Humbug irgendwann
Demenz (Alzheimer) heilen ist doch an den Haaren herbeigezogen. Gerade
Demenz hat etwas mit altersbedingten Abbauprozessen zu tun. Ich bin
gespannt, wie die Elektroden im Hirn eines Makaken den Jungbrunnen
erschaffen. Hier wird doch die eierlegende Wollmilchsau versprochen.

Einen grundlegenden Fakt den Herr Weber außerdem auf Grund seiner extrem
mangelhaften Recherche übersehen hat, ist der, dass ein Großteil der
menschlichen Krankheiten für die es noch kein Heilmittel gibt bei
anderen Tieren überhaupt nicht auftreten, wir sind nämlich doch
einzigartiger als Herrn Weber klar ist. Also wenn man auf Teufel komm
raus ohne Rücksicht auf Verluste alle Krankheiten heilen möchte, dann
kommt man nicht drum herum Versuche an Menschen durchzuführen. Die
Versuche sind ja laut Herrn Weber auch gar nicht so schlimm, viel Spaß
dabei.

Mir reicht meine durchschnittliche Lebenserwartung aus, damit diese um
ein paar Minuten länger wird braucht man nicht jedes Jahr mehrere
Millionen Tiere in Laboren zu quälen, bitte nicht.


"Natürlich ist nicht jeder Tierversuch notwendig: Einige Mäuse sterben
für medizinische Doktorarbeiten, die die Welt nicht braucht.
Pharmafirmen entwickeln auch überflüssige Medikamente. Mancher Professor
hängt aus Gewohnheit an einem Tiermodell, das sich ersetzen ließe."
"Womöglich wird die Einführung von Alternativmethoden tatsächlich nicht
mit dem gebotenen Einsatz vorangetrieben."

Kann man ja mal so nebenbei erwähnen, als wäre es völlig belanglos, auch
gleich völlig ohne Zahlen oder andere Fakten.


"Man darf darüber streiten, welche Belastung welche Tierart ertragen
muss. Aber das sind keine prinzipiellen Einwände. Vom Umfang und Zweck
her sind Laborversuche eine Tiernutzung, die sich besser rechtfertigen
lässt als die meisten anderen."

Hier wieder das Problem, dass er voraussetzt, dass jeder die brutalste
Massentierhaltung richtig findet. Außerdem ist es auch sehr schlechter
Stil ein Unrecht mit einem noch größeren zu relativieren, genauso
rechtfertigen die Chinesen die Unterdrückung in Tibet. Solange im Westen
Leute verschleppt und in Geheimgefängnissen gefoltert werden ist es doch
auch zu rechtfertigen, dass man ein paar böse Tibeter massakriert, denn
ein Übel rechtfertigt bekanntlich das andere.

Der Gedanke, dass beides falsch ist, wird sich dem einer Erbse ähnelndem
Gehirn von Herrn Weber nicht erschließen. Aber das könnte man ja mal mit
ein paar angeklemmten Elektroden untersuchen. :-)


"Auf Fleisch kann jeder leichter verzichten als auf vielleicht
lebensrettende Therapien"

Es geht ja auch darum bessere Forschungsmethoden durchzusetzen, damit es
diese lebensrettenden Therapien gibt. Das dies gerade nicht getan wird
hat Herr Weber ja weiter oben in einer Randnotiz erwähnt.


"Die interessante Frage ist, warum dennoch so viele Menschen gegen
Tierversuche eingestellt sind? Eine Antwort könnte sein, dass sie
Schuldgefühle kompensieren wollen. Sie ahnen, dass ihr Steak nicht in
zellophanverpackten Styroporschälchen in Supermarktregalen erzeugt wird.
So prügeln sie halt auf eine Branche ein, deren Ergebnisse sie
vermeintlich nicht brauchen: die Wissenschaft.

Hat Herr Weber die Elektroden doch schon selbst ausprobiert und sein
Gehirn völlig zu Brei verarbeitet. Es geht um eine ethisch vertretbare
Wissenschaft, nicht jeder halligalli, der massiv anderen fühlenden Wesen
schadet ist dafür notwendig.


"Die einzig ehrenwerte und einigermaßen logische vertretbare Haltung als
Tierversuchsgegner wäre, zumindest auf alle Fleischprodukte und einen
Großteil der medizinischen Therapien zu verzichten."

Es wird immer schlimmer...


"Doch selbst dann bleibt der Mensch in einem ethischen Dilemma gefangen:
dass er nämlich Tiere umbringt, einfach weil er da ist und lebt."

Deshalb gehört Tierquälerei, egal ob im Kuhstall oder Labor trotzdem
verboten. Sollen wir uns auch gegenseitig verstümmeln, schließlich gibt
es ja auch kannibalistische Völker und alles was man isst, darf man ja
zu welchem Zweck auch immer foltern. Dieser Logik folgt Herr Weber hier,
ich kann mir nicht vorstellen, dass das mit den grundlegenden Werten
unserer aufgeklärten Gesellschaft auch nur ansatzweise vereinbar ist.


Ich hoffe ich gehe richtig in der Annahme, dass dieses journalistische
Niveau nicht im Sinne der Süddeutschen Zeitung ist. Diesen Artikel hätte
man Herrn Kreiter, um den es ja wegen seiner Tierquälerei ging auch
getrost selber schreiben lassen können. Hier fehlt vollkommen eine
objektive ergebnisoffene Auseinandersetzung mit dem Thema. Die
Rechercheleistung ist absolut mangelhaft, was das Leiden der Tiere
angeht widerspricht er sich sogar selbst und seine wirren Vergleiche mit
vollkommen abstrusen Schlussfolgerungen sollten umgehend richtig
gestellt werden, bevor dieser Artikel noch größeren Schaden anrichtet.

Herrn Weber möchte ich nahelegen sich erst einmal mit einfacheren Themen
zu beschäftigen, wie dem Angriff Israels auf ein vermeintlich ziviles
Schiff mit für den Feind bestimmten Hilfsgütern auf internationalen
Gewässern, nein quatsch :-), vielleicht sowas wie Horoskope erstellen,
da kann er dann auch seine Glaskugel wieder gebrauchen.

Ich würde wegen diesem Fail gern irgendetwas an die Süddeutsche und cc
an die Ärzte gegen Tierversuche schicken. Wenn jemand Anregungen,
Verbesserungen an meinem Text hat immer raus damit?

Viele Grüße
LordSnow






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