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ag-landwirtschaft - Re: [Ag-landwirtschaft] Nutztierpraxis aktuell: "Antibiotika - Wo ist der Skandal?"

ag-landwirtschaft AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Landwirtschaft

Listenarchiv

Re: [Ag-landwirtschaft] Nutztierpraxis aktuell: "Antibiotika - Wo ist der Skandal?"


Chronologisch Thread 
  • From: "Bernhard Mikus" <bmikus AT gmx.net>
  • To: <ag-landwirtschaft AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [Ag-landwirtschaft] Nutztierpraxis aktuell: "Antibiotika - Wo ist der Skandal?"
  • Date: Tue, 8 May 2012 10:59:38 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-landwirtschaft>
  • List-id: <ag-landwirtschaft.lists.piratenpartei.de>

Danke Detmar für deine Gedanken zum Thema, kann mich deinen
Schlussfolgerungen anschließen!

Ich denke auch es geht nicht darum alle Details bis auf die letzte
Kommastelle genau zu berechnen. Die Richtung der Entwicklung müssen wir
erkennen. Dort wo unbekannte Mengen (wird meines Wissens nicht erfasst)
Antibiotika verbraucht werden kann Gefahr für alle versteckt sein.

Auch deine Frage nach der "Verantwortung" die du stellst, ist so glaube ich
eine Schlüsselfrage für gute LW-Politik.
Bisher haften die meisten Bauern noch mit ihrem gesamten Vermögen (Hof und
Privatwohnung) für Fehler und Verstöße gegen Regeln und übernehmen somit auch
sehr viel Verantwortung.
Fast alle Lieferanten für Betriebsmittel, die ich auf meinem Betrieb habe
übernehmen nur sehr begrenzt Verantwortung für ihre Produkte (Dünger, Futter,
etc. ) sie haben ihre Haftung beschränkt. Ein Wortspiel: Sie sind ihre
Verantwortung los....verantwortungslos!
Wenn aber die Familienbetriebe weniger und größer werden (müssen) oder auch
nach und nach in GmbH s umgewandelt werden, dann ist das eine Entwicklung die
macht mich als Landwirt nicht glücklicher, einige wenige Kollegen vielleicht
reicher. Für die Gesellschaft ist nichts erreicht außer vielleicht das
kurzfristige "Vergnügen" billiger Lebensmittel. Der Kater kommt dann später
mit Resistenzen gegen Antibiotika und ähnlichem mehr ...

Vielleicht kann man da mal anfangen Piratenpolitik zu machen in dem wir nach
Transparenz und Verantwortung fragen.
Und bitte nicht breit über moralische Aspekte der Verantwortung diskutieren,
sondern ganz praktisch bei jedem Problemzusammenhang immer danach fragen, wer
bezahlt die Musik (...den Schaden, das Risiko, tritt in die Haftung ein).
Es darf z.B. den Chemieherstellern nicht erlaubt werden sich mit dem
Kleingedruckten auf den Verpackungen aus der Verantwortung zu stehlen. Wer
hier keine Rechtsabteilung hat versteht kaum wie geschickt alle Verantwortung
auf den Anwender abgeladen wird und welche Auswirkungen das haben kann.
Andererseits wenn gut erkennbar für den Anwender/Verbraucher ist, dass er
Gift kauft dann muss er das Risiko übernehmen.
Wenn ich z.B. rauche oder Fallschirmspringer bin, muss ich auch das
Gesundheitsrisiko tragen und evtl. höhere Beiträge für Versicherungen
bezahlen. Hier ist das Risiko auch offen erkennbar . Wenn es nun z.B. der
Industrie gelingt Risiken zu verschleiern, dann sollte Piraten Politik dafür
sorgen, dass die Zusammenhänge transparent werden und die richtigen Adressen
mit der Frage nach der Verantwortung konfrontiert werden.

Wenn z.B. für die Kernenergieerzeugung die Verantwortung in Form einen
Haftpflichtversicherung nötig gewesen wäre, dann hätte sich die kWh schon
früher so stark verteuert (Experten sagen auf 3 Euro/kWh), dass die
Unternehmen nach anderen Lösungen für die Energieerzeugung hätten suchen
müssen und können.

Bitte nicht Politiker Verantwortung für diese Dinge übernehmen lassen, denn
die sind im Zweifelsfall gerade nicht da wenn ein Störfall oder Supergau
eintritt. Oder wenn doch übernehmen sie bestenfalls die moralische
Verantwortung und treten dann zurück. Ausbaden muss es dann die Gesellschaft,
siehe Fukushima.

Dieses Prinzip ließe sich auch auf Arzneimittel und andere bedenkliche Stoffe
anwenden, die im Bereich der Landwirtschaft verwendet werden.
Für Piraten hätte es vielleicht den Vorteil, dass man sich nicht in endlosen
Diskussionen über die richtigen Wege und Ziele mit ihren moralischen Aspekten
verliert, sondern ganz pragmatisch auf einen guten Weg kommt. Und sich
nebenbei auch von der Politik der anderen Parteien mit ihren Glaubenssätzen
abhebt.
Ich glaube an den freien Markt... Ich glaube an die Biolandwirtschaft.... Ich
glaube an die Zukunft der Gentechnik....

Wenn man sich an diesen Dogmen abarbeitet entwickeln sich dann schier
endlose Argumentationsketten und es werden keine Entscheidungen getroffen.
Selbst Experten verlieren da den Überblick in so einem komplexen System,
gerade in der Landwirtschaft.

Zusammengefasst:
Haftungsfragen/Verantwortung besser organisieren und transparenter machen.
Keiner soll sich mit 25000 Euro GmbH aus der Verantwortung stehlen können
nicht die Lieferanten und nicht die neuen Großbetriebe die mit viel
Fremdkapital sehr profitorientiert in der LW tätig werden wollen.

Hier auch noch ein Feature das die Abhängigkeiten in der Geflügelproduktion
verdeutlichen will:

http://medien.wdr.de/m/1333523352/radio/dok5_feature/wdr5_dok_5_das_feature_20120409_1200.mp3

Hoffe habe nicht so viele von euch gelangweilt...
Gruß
Bernhard
(Aktiv in : Ackerbau, Imkerei, und noch ein paar Nebenjobs)


-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: ag-landwirtschaft-bounces AT lists.piratenpartei.de
[mailto:ag-landwirtschaft-bounces AT lists.piratenpartei.de] Im Auftrag von
Detmar Kleensang
Gesendet: Montag, 7. Mai 2012 20:07
An: ag-landwirtschaft AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Re: [Ag-landwirtschaft] Nutztierpraxis aktuell: "Antibiotika - Wo
ist der Skandal?"

Allerdings. Ich zitiere mal einen Abschnitt aus dem von Stephan verlinkten
Artikel:

Zitat:
Eine genauere Betrachtung der dieser Zahl zugrunde liegenden Studie zeigt,
dass bei 83% der untersuchten Mastdurchgänge mindestens eine
Arzneimittelbehandlung vorgenommen wurde, während bei 17% der Durchgänge
keine Behandlung stattfand. Aber auch diese Zahl liefert keinen Hinweis, wie
viele Hähnchen tatsächlich mit Arzneimitteln behandelt wurden, da sich die
Anzahl der Hähnchen je Mastdurchgang stark unterscheidet. Mehr Aufschluss
liefert eine repräsentative Untersuchung des Niedersächsischen Ministeriums
für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung, die
die tatsächliche Anzahl der behandelten Masthühner ausweist. Nach dieser
Studie wurden 76% der Masthühnchen in Niedersachsen mit Antibiotika behandelt.
/Zitat

Das hatten wir in einem Fachforum auch schon mal, diese Diskussion. Imho ist
es auch von Seiten des Ministeriums eine kaum belegbare wirklich gültige
Zahlenschubbserei mit ihrer "Gegenstatistik". Vertraue keine Statistik, die
du nicht selber... und so weiter.
Aber eine realistische Zahl dürfte auf jeden Fall eine der beiden letzt
genannten sein. Irgendwo in diesem Bereich jedenfalls.

Für die Tierhaltung und für die Verbraucher ebenso muss ich allerdings sagen,
spielen diese Zahlen keine so große Rolle. Ob es nun 96% sein sollen oder 83%
oder doch "nur" 76% des Geflügels, dass wenigstens einmal mit Antibiotika
behandelt wurde, dass reisst einfach nicht viel raus. Die Zahlen sind so oder
so deutlich zu hoch!

Da ist es kein Wunder, wenn einige auf systematische Fehler in den
Geflügelhaltungssystemen deuten, wenn so viele Tiere behandelt werden müssen
und das mit Medikamenten, mit denen man im Sinne der Gefahr von
Resistenzbildungen und späterer Unwirksamkeit, äußerst sparsam und wenn
überhaupt sehr genau arbeiten sollte.

Und auch wenn ich selber kein Geflügelhalter bin: es kann mir niemand
erzählen, dass Hähnchen einzeln behandelt werden, wenn sie krank sind. Das
ist bei den heute üblichen Stallgrößen überhaupt nicht möglich. Da werden
Medikamente ins Futter gemengt oder dem Tränkesystem beigefügt. Und dann
kriegen es eben ganze Partien. Auch wenn nicht alle Tiere dort erkrankt sein
sollten.

Ist eben auch schwierig, da einen vernünftigen Mittelweg zu finden. Anders
rechnet sich die Geflügelhaltung derzeit offenbar kaum. Wohl auch, weil die
Geflügelhalter selber oftmals gar keine freien Bauern mehr sind. Sie sind
keine eigenständigen Unternehmer mehr, sondern in ein System aus
Schlachtereiunternehmen und Futtermittelkonzernen vertikal integriert.

Bei diesem System ist der Einkauf der Futtermittel vertraglich vorgegeben und
an einen Hersteller gebunden. Die Futterpreise können nicht verhandelt
werden. Die Abnahme der schlachtreifen Hähnchen ist ebenso an ein
Schlachtunternehmen gebunden und die Abnahmepreise ebenso. Weder beim Ein-
noch beim Verkauf ist der eigentliche Geflügelhalter frei noch hat er
irgendeine Verhandlungsmacht. Preise werden diktiert. Aufzuchtmethoden werden
diktiert. Selbst die behandelnden Tierärzte werden teils aus diesem System
heraus gestellt.
Und seit geraumer Zeit sind Futtermittelhersteller und Schlachtunternehmen
auch noch ein und der selbe Konzern. Die Bauern hängen nur in der Mitte als
quasi Scheinselbstständige, die die Arbeit machen und die das Risiko tragen,
sollte mal was schief gehen. Bei der Haltung des Geflügels wie finanziell.

Aber nur so lassen sich derzeit anscheinend die Mengen und auch die
Ladenpreise realisieren.

Möchte man etwas anderes, dann sollte man ersteinmal dieses völlig
geschlossene System aufsprengen und transparenter machen. Dann bekommen wir
vielleicht mehr Möglichkeiten, im Sinne aller einzugreifen, wo etwas nicht so
läuft, wie wir es uns wünschen.

Vor allem müssen auch die Landwirte in die Lage versetzt werden, ganz
selbstständig wieder wirtschaften zu können und auch Teile des Risikos an
andere abgegeben zu können. Man erinnere sich an den Dioxin-Futtermischer
hier im Norden: der konnte nichts dafür und hat sich nachher durch eine
Pleite endgültig aus der Verantwortung gezogen. Die landwirtschaftlichen
Betriebe aber, die haften mit allem ihrem Eigenkapital, Grund und Boden und
dem letzten Hemd am Leib.
Hier sollte also auch dringend etwas an der Aufschlüsselung der
Verantwortlichkeiten getan werden.

Zurück zum Thema (fast): So sollte man etwa bei "Antibiotika-Skandalen" auch
erstmal genau hinsehen, wer verantwortlich war. Hat der Landwirt und
Geflügelmäster Schuld, wenn zu viel Antibiotika im Hähnchen ist? Oder wurde
der für den Betrieb zuständige Tierarzt vom "Mutterkonzern"
Schlachtunternehmen eingesetzt? In letzterem Falle wäre eine Schuldzuweisung
über systembedingte oder Einzelfehler unbedingt dem Konzern im Hintergrund
anzulasten, nicht dem Bauern!
Der Bauer hat nämlich durch dieses integrierte System so gut wie keine
Entscheidungsbefugnisse mehr was die Art der Haltung und die Weise der Mast
angeht. Also darf ihm nicht die Schuld für Missstände gegeben werden. Einzig
zum Vorwurf könnte man ihm machen, dass er bei derlei fragwürdigen
Wirtschaftskostellationen überhaupt mitspielt. Aber auch dieses wäre vielfach
der Not geschuldet, den Betrieb am Laufen zu halten...



Am 07.05.2012 um 19:10 schrieb Stephan Verbücheln:

> Die Studie wurde auch zur Unstatistik des Monats gekürt.
>
> <http://www.rwi-essen.de/forschung-und-beratung/fdz-ruhr/unstatistik-des-monats/archiv/#headline_970>
>
>
> Gruß
>
> --
> Ag-landwirtschaft mailing list
> Ag-landwirtschaft AT lists.piratenpartei.de
> https://service.piratenpartei.de/listinfo/ag-landwirtschaft


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