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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Psychische Belastungen in der Arbeitswelt

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

Listenarchiv

Re: [AG-Gesundheit] Psychische Belastungen in der Arbeitswelt


Chronologisch Thread 
  • From: "Martin E. Waelsch" <dr.m.e.waelsch AT t-online.de>
  • To: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Psychische Belastungen in der Arbeitswelt
  • Date: Fri, 3 Aug 2012 23:45:16 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Die Antwort der Bundesregierung liefert viele interessante Daten zu den
psychischen Belastungen an Arbeitsplätzen, sehr interessant die vergleichend
seit 2000 oder früher.

Die berichteten präventionsaktivitäten zeigen, wie wenig bei der RV und der
Unfallversicherung von psychischen Erkrankungen verstanden wird - oder nicht
verstanden werden will.

Insgesamt gesehen arbeiten sich alle in D und in der EU langsam an das Thema
heran. Es scheint für die beteiligten (arbeitgeber, Betriebsräte,
beschäftigte, Krankenversicherungen und Unfallversicherungen) aber immer noch
unbequem zu sein, über die normalität von psychischen Störungen zu reden,
Maßnahmen zu handeln.

Es ist zwar keine wissenschaftliche überprüfte Situation, aber ich kann mich
aus meiner alltäglichen Arbeit des Eindrucks nicht erwehren, dass die Zunahme
der psychischen Erkrankungen daran liegt, dass
1) die Arbeitswelt den Bezug zum Menschen verloren hat
2) die psychischen Störungen sehr lange zeit ignoriert, verschleppt und durch
insuffiziente Maßnahmen, Behandlungen chronifizieren

In der Klinik wie auch in der PIA muss ich immer wieder feststellen, dass
jahrelang zurück gesehen nicht hingeschaut und nicht behandelt wurde, vor
allem dann nicht richtig behandelt wurde, als die betroffenen bereits in
Behandlung waren.

Das gleiche wird bei Gutachten für die RV immer häufiger deutlich: es wird
schlecht, unzureichend und halbherzig behandelt, sogar Wiedereingliederungen
werden nicht regelrecht vorbereitet, so dass sie vom Ansatz her schon mal
nicht gelingen können. Unterm Strich gerechnet: wir produzieren durch
halbherzige Behandlungen chronifizierte Verläufe, die letztendlich, meistens
erst über die Klage beim Sozialgericht zu Berentung führen.

Aber es ist dringend notwendig über die Behandlung der Menschen in den
mArbeitswelten zu reden. Dringend notwendig die vorbeugende Strategie in den
betrieben und die behandlungsstandards zu verbessern, auch wenn es um
arbeitsbedingte psychische Störungen geht.

Es ist dringend erforderlich, dass psychische Störungen als normale
reaktionsmöglichkeit auf Lebensbedingungen verstanden, akzeptiert und von
allen beteiligten gelebt werden können.

Sollte es nicht gelingen, Danny Erden wir angesichts der demographischen
Entwicklung nicht nur Fachkräfte Mangel, sondern überhaupt einen Mangel an
arbeitsfähigen Menschen erklommen. Die referierten Statistiken sind ein
Vorgeschmack auf diese Entwicklung.
Um entgegen wirken zu können, den Trend umzudrehen, stoppen, zu kanalisieren
und wieder mehr an psychischer Gesundheit zu schaffen werden vielfältige
aktivitäten erforderlich sein, vor allem werden die Ökonomie,
Arbeitsvorbereitung, der gesamte Gesundheitsbereich, die Politik, das
Finanzwesen und das Bildungssystem eng verzahnt zusammen arbeiten müssen.

Die Problematik der Zunahme von psychischen Störungen ist ein komplexes
systemisches Problem, das in einem Bereich alleine isoliert nicht gelöst
werden kann.

Danke für den Beitrag und Hinweis.

HG

Dr. M. E. Waelsch über iPad

Am 03.08.2012 um 18:51 schrieb checkinger <checkinger AT news.piratenpartei.de>:

> Hallo und Ahoi zusammen,
>
> die Tatsache, dass hier im Moment gar keine Trolle unsere Aufmerksamkeit
> strapazieren, darf ich nutzen, um Euch auf diese interessante und
> informative Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der
> Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE zum Thema <<Psychische Belastungen in
> der Arbeitswelt>> hinzuweisen:
> http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/094/1709478.pdf
>
> Die für mich wichtigsten Textabschnitte habe ich hier unten schon
> rauskopiert.
>
> Piratengrüße !!!
>
> Der Alex, aka Checkinger
>
> <<<<<<<
>
> Deutscher Bundestag
> Drucksache 17/9478 17. Wahlperiode 30. 04. 2012
>
> Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des
> Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 26. April 2012 übermittelt.
>
> Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta
> Krellmann, Sabine Zimmermann, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und
> der Fraktion DIE LINKE. -
>
> Drucksache 17/9287 - Psychische Belastungen in der Arbeitswelt
>
> Im Jahr 2010 belegten Depressionen erstmals den Spitzenplatz bei den
> Fehltagen (vgl. Techniker Krankenkasse: Gesundheitsreport 2011). Die Zahl
> der Menschen, die wegen psychischer Störungen ins Krankenhaus mussten, hat
> in den vergangenen 20 Jahren um 129 Prozent zugenommen (BARMER GEK: Report
> Krankenhaus 2011). Im Jahr 2010 war nahezu jeder zehnte Ausfalltag auf eine
> psychische Erkrankung zurückzuführen (Analyse des Wissenschaftlichen
> Instituts der AOK). Zunehmend wird die Diagnose Burnout gestellt. Zwischen
> 2004 und 2010 sind die Krankheitstage wegen Burnout nahezu um das 9-Fache
> angestiegen (ebenfalls Wissenschaftliches Institut der AOK). Dies macht
> sich auch bei den Erwerbsminderungsrenten bemerkbar: Der Präsident der
> Deutschen Rentenversicherung Bund, Dr. Herbert Rische, weist darauf hin,
> dass psychische Störungen mit rund 40 Prozent der Fälle die häufigste
> Diagnosegruppe bei verminderter Erwerbsfähigkeit sind (Hamburger Abendblatt
> vom 5. August 2011).
>
> Als Berufsgruppen mit besonders deutlich erhöhten Durchschnittszahlen
> bezüglich der "Tage je 100 Versicherte" sind folgende zu nennen (Daten aus
> dem Bericht Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2010): • Sozialund
> Erziehungsberufe 298,8 (M: 216,3; F: 322,4); • Gesundheitsdienstberufe
> 246,8 (M: 230,0; F: 249,4); • Berufe in der Papierherstellung und im Druck
> 240,1 (M: 228,4; F: 273,8). Zum Anteil der Ausfalltage aufgrund psychischer
> Erkrankungen, der ursächlich in psychischen Belastungen bei der Arbeit zu
> sehen ist, liegen keine Daten vor.
>
> Nach der Krankheitskostenrechnung des Statistischen Bundesamtes beliefen
> sich im Jahr 2008 für die Gesamtbevölkerung die direkten Kosten für
> psychische und Verhaltensstörungen (Klassifikation nach ICD-10) auf 28,6
> Mrd. Euro, die damit - bezogen auf die entstandenen Gesamtkosten von 254
> Mrd. Euro - einen Anteil von 11,3 Prozent haben und nach Krankheiten des
> Herzkreislaufsystems und Krankheiten des Verdauungssystems den dritten
> Rangplatz einnahmen.
>
> Auf psychische und Verhaltensstörungen ließen sich im Jahr 2008 18 Prozent
> aller verlorenen Erwerbsjahre, ein Produktionsausfall von 26 Mrd. Euro und
> ein Ausfall an Bruttowertschöpfung von 45 Mrd. Euro (das sind 1,8 Prozent
> des Bruttoinlandprodukts) zurückführen. Der Anteil der Krankheitskosten,
> der auf die Arbeit zurückzuführen ist, ist grundsätzlich schwierig zu
> ermitteln und mit großen Unsicherheiten behaftet. Eine Schätzung von
> Bödecker und Friedrichs (2011) bezifferte die jährlichen Kosten auf etwa 44
> Mrd. Euro, wobei die direkten Kosten etwa 19 Mrd. Euro und die indirekten
> Kosten etwa 25 Mrd. Euro ausmachen. Auf psychische und Verhaltensstörungen
> entfielen nach dieser Schätzung insgesamt 6,3 Mrd. Euro (14,3 Prozent),
> wobei sich die direkten Kosten auf 3,0 Mrd. Euro und die indirekten Kosten
> auf 3,3 Mrd. Euro beliefen.
>
> Die BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragungen 1998/1999 und 2005/2006 zeigen
> einen Anstieg psychischer Arbeitsanforderungen. Während in der ersten
> Befragung 46,2 Prozent der abhängig Beschäftigten angaben, dass diese
> zugenommen haben, lag dieser Prozentsatz in der letzten
> BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung bei 49,8 Prozent
>
> Lediglich für die Zeitarbeit gibt die o. a.
> BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung (SuGA 2006) Hinweise. Entsprechend den
> Ergebnissen dieser Befragung arbeiten viele Zeitarbeitnehmer unter
> Rahmenbedingungen, die die Gesundheit negativ beeinflussen können. So sind
> Zeitarbeitnehmer in der Regel schlechter qualifiziert, ungünstigeren
> Arbeitsbedingungen ausgesetzt, mit ihrer Arbeitssituation unzufriedener,
> haben eine höhere Arbeitsplatzunsicherheit und einen schlechteren Zugang zu
> Gesundheitsförderungsmaßnahmen als ihre nicht in Zeitarbeit beschäftigten
> Kollegen.
>
> In der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung von 1998/1999 antworteten 49,3
> Prozent der abhängig Beschäftigten, dass sie häufig bei der Arbeit unter
> starkem Terminoder Leistungsdruck arbeiten müssen. In der Befragung von
> 2005/2006 stieg dieser Wert auf 53,5 Prozent. Von den Befragten, bei denen
> das häufig oder manchmal vorkam, gaben 52,1 Prozent an, dass sie sich
> dadurch belastet fühlten
>
> Entwicklung der Erreichbarkeitsanforderungen an die Beschäftigten: Laut
> einer Befragung des BKK-Bundesverbandes (2010) waren zum Zeitpunkt der
> Befragung im Jahre 2010 84 Prozent der Berufstätigen zwischen 18 und 65
> Jahren außerhalb der regulären Arbeitszeit für den Arbeitgeber, für
> Kollegen oder Kunden in beruflichen Angelegenheiten erreichbar. Im Detail
> gaben die Befragten an, zu 51 Prozent jederzeit (d. h. auch am Abend oder
> am Wochenende), zu 5 Prozent zu bestimmten Zeiten und zu 27 Prozent nur in
> Ausnahmefällen in beruflichen Angelegenheiten erreichbar zu sein. Am
> größten ist der Anteil der jederzeit Erreichbaren mit 86 Prozent unter den
> 40bis 49-Jährigen, Männer mit 86 Prozent häufiger als Frauen mit 81
> Prozent. Die Erreichbarkeit ist zu zwei Dritteln freiwillig, nur bei gut
> einem Viertel (26 Prozent) wird dies vom Arbeitgeber, den Kollegen oder
> Kunden erwartet. Zahlen einer repräsentativen Befragung aus dem Jahr 2009
> des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue
> Medien e. V. Bitkom (2010) fallen etwas geringer aus. Demnach sind rund
> zwei Drittel außerhalb der Arbeitszeit über Handy oder Internet erreichbar,
> davon ein Drittel jederzeit und ein Drittel zu festgelegten Zeiten. Auch
> hier sind Männer mit 73 Prozent eher erreichbar als Frauen mit 59 Prozent.
> Zwei Jahre später gab es eine deutliche Zunahme. Im Jahr 2011 waren es
> bereits 88 Prozent, die außerhalb der regulären Arbeitszeiten erreichbar
> waren.
>
> Zum Ausmaß von arbeitsbezogenen Tätigkeiten außerhalb der regulären
> Arbeitszeit gibt die BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung Auskunft: •
> Arbeitszeiten: In der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 1998/1999 gaben
> rund 8 Prozent der Befragten (abhängig Beschäftigte) an, tatsächlich mehr
> als 48 Stunden pro Woche zu arbeiten. In der Befragung 2005/2006 wurde dies
> von 14,9 Prozent angegeben. Von diesen geben rund 43 Prozent an, dass sie
> sich durch Überstunden oder Mehrarbeit belastet fühlen. • Schichtarbeit: In
> der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 1998/1999 gaben rund 21 Prozent der
> Befragten (abhängig Beschäftigte) an, in Wechselschicht zu arbeiten. In der
> Befragung 2005/2006 wurde dies von rund 27 Prozent angegeben (nach
> Belastung wurde in diesem Zusammenhang nicht gefragt). • Samstagsarbeit: In
> der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 1998/1999 gaben rund 56 Prozent der
> Befragten (abhängig Beschäftigte) an, regelmäßig oder gelegentlich an
> Samstagen zu arbeiten. In der Befragung 2005/2006 wurde dies von rund 67
> Prozent angegeben. • Sonnund Feiertagsarbeit: In der
> BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 1998/1999 gaben rund 29 Prozent der
> Befragten (abhängig Beschäftigte) an, regelmäßig oder gelegentlich an Sonn-
> oder Feiertagen zu arbeiten. In der Befragung 2005/2006 wurde dies von rund
> 40 Prozent angegeben.
>
> Nach der Statistik der jährlichen Ausgaben der GKV sind die Ausgaben der
> gesetzlichen Krankenkassen für die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF)
> vom Jahr 2000 bis 2010 von 14,9 Mio. Euro auf 42,2 Mio. Euro gewachsen. Die
> Daten für das Jahr 2011 liegen in der zweiten Jahreshälfte 2012 vor. Die
> mittlere jährliche Wachstumsrate der BGF-Ausgaben im diesem Zeitraum betrug
> 11,5 Prozent.
> --
> AG-Gesundheitswesen mailing list
> AG-Gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
> https://service.piratenpartei.de/listinfo/ag-gesundheitswesen




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