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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Finanzierung des Gesundheitswesens

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

Listenarchiv

Re: [AG-Gesundheit] Finanzierung des Gesundheitswesens


Chronologisch Thread 
  • From: Wolfgang Gerstenhöfer <wolfgang.gerstenhoefer AT gmx.de>
  • To: "AG Gesundheit" <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Finanzierung des Gesundheitswesens
  • Date: Tue, 12 Jun 2012 18:47:50 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Hi Wolfgang,

ganz so einfach können wir es uns meines Erachtens nicht machen.

Da stellt sich zum Beispiel die Frage, ob die Gesundheitsversorgung überhaupt eine hoheitliche Aufgabe eines Staates ist. Ich denke, daß sie es nicht ist.

Sicher ist die Bundesrepublik Deutschland ein Sozialstaat. Aber was ist ein Sozialstaat?

Ein Sozialstaat kann ein Staat sein, der selbst quasi bevormundend für die soziale Sicherheit seiner Bürger sorgt (Zwangssystem), oder ein Staat, der sicherstellen muß, daß jeder für seine soziale Sicherheit vorsorgen kann (z. B. mit Hilfe des bedingungslosen Grundeinkommens).

Die Gesundheitsversorgung besteht letztlich aus Angeboten von medizinischen Dienst- und Sachleistungen.

Warum soll jemand, der ein höheres Einkommen hat, für die gleichen Dienst- und Sachleistungen mehr bezahlen als jemand, der über ein geringeres Einkommen verfügt?

Wollen wir grundsätzlich einkommensabhängige Preise einführen?

Ist es sozial, daß die Krankenschwester für ihre lebensnotwendige Ernährung den gleichen Preis bezahlen muß wie der Chefarzt?

Deshalb gehört für mich die Umverteilung ganz eindeutig und auch mittel- bis langfristig ausschließlich in das Steuer- und Transfersystem. Nur dort spielt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eine Rolle.

Warum soll nicht jeder selbst entscheiden dürfen, wie sein Versicherungsschutz aussieht und welchen Anteil seines Einkommens er für seine Krankenversicherung aufbringen kann und will? Warum soll jemand für Versicherungsleistungen bezahlen, die er gar nicht in Anspruch nehmen möchte? Warum sich nicht für eine den Beitrag reduzierende Selbstbeteiligung entscheiden?

Warum soll man jemanden, der zwar ein niedriges oder auch "nur" das Mindesteinkommen (BGE) hat, das Recht nehmen, auf anderes zugunsten einer Krankenversicherung über dem Niveau eines Basisschutzes zu verzichten?

Auch das entspricht meiner Meinung nach der Freiheits- und Selbstbestimmungsidee der Piraten.

Wer soll den künftig die medizinischen Dienst- und Sachleistungen erbringen?

Sollen das Bedienstete des Staates mit einem festen Einkommen machen? Oder sollen das nach wie vor Selbstständige bzw. Freiberufler tun?

Wollen wir einen Gesundheitsdienst, der die Gesundheitsleistungen quasi zuteilt, oder wollen wir doch lieber einen Gesundheitsmarkt, in dem mündige Bürger, mündige Patienten eine Wahl haben?

Ich denke, man sollte nie vergessen, warum und für wen die gesetzliche Krankenversicherung geschaffen wurde.

Sie wurde in den 1880er Jahren geschaffen, um den immer stärker werdenden Sozialisten den Wind aus den Segeln zu nehmen, geschaffen, um Arbeitern, die sich keine andere Absicherung leisten konnten, einen Mindestschutz im Krankheitsfall zu bieten.

Heute sind nach dieser Definition rund 90 Prozent der Bevölkerung in Deutschland schutzbedürftig. Und künftig sollen es sogar 100 Prozent sein?

Bis in die 1940er Jahre - abgeschafft wegen des Krieges - hat es neben der Versicherungspflicht- auch eine Versicherungsberechtigungsgrenze gegeben.

Es war also vorgesehen, daß sich diejenigen, die über ein höheres Einkommen verfügen, selbst privat gegen die finanziellen Folgen von Krankheiten absichern.

Mit einer Einheits- und Zwangsversicherung für alle mit einkommensabhängigen Beiträgen sind wir nach meiner Überzeugung in der falschen Richtung unterwegs.

Daher werbe ich dafür, daß sich die Piraten zum einen dafür einsetzen, daß jeder eine möglichst große Wahlfreiheit hat, beim wem und wofür er sich versichern und welche medizinischen Dienst- und Sachleistungen er von wem erbracht haben möchte, und zum anderen für eine Finanzierung, die möglichst zukunftssicher, also weitgehend unabhängig von der Bevölkerungs- und auch von der Einkommensentwicklung ist.

Piratige Grüße
Wolfgang



----- Original Message ----- From: <wolfgang AT hennig-clan.de>
To: <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
Sent: Tuesday, June 12, 2012 1:49 PM
Subject: Re: [AG-Gesundheit] Finanzierung des Gesundheitswesens


Hi,

lass es uns nennen, wie man mag. Eine allgemeine Versicherungspflicht in der GKV oder ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem, das für alle Bürgerinnen und Bürger kostenlos ist.

Wer mehr verdient, sollte mehr zum Gesundheitssystem zusteuern.

Wer krank ist, sollte vom Solidarsystem aufgefangen werden und nach medizinisch notwendigem behandelt werden.

Wenn wir uns auf diese beiden Punkte einigen könnten, dann ist das doch schon ein Weg in die richtige Richtung. Bezahlt werden muss das ganze System von irgendjemandem. Und wenn wir uns das recht betrachten, wird es von uns bezahlt. Auch wenn die Arbeitgeber theoretisch einen Anteil an den Beiträgen zur GKV zahlen. Ob das Gesundheitssystem nun von Steuern, Gebühren, Abgaben, Spenden oder was auch immer finanziert wird - jemand muss es berappen.

Und letztendlich zahlen wir alle.

Die einen mehr, die anderen weniger. Je nach Leistungsfähigkeit.

Das wäre für mich gerecht.

Wenn es einen Spitzensteuersatz von 90% gäbe und das Gesundheitssystem steuerfinanziert wird, dann habe ich auch kein Problem, dass die bestverdienenden sich privat krankenversichern. Aber derzeit ist hier leider eine Diskrepanz, dass man hierzulande - wenn man über der Bemessungsgrenze für Renten- und Krankenversicherung liegt - für jeden Euro, den man mehr verdient rund 20 ct mehr hat, als derjenige, der unter dieser Grenze liegt.

Dies ist eher weniger gerecht nach meiner Meinung.

Es geht für mich nicht darum, die böse PKV oder die böse GKV abzuschaffen, sondern darum, dass ähnlich wie für andere hoheitliche Belange auch die Gesundheit zu einem von allen (nach Leistungsfähigkeit gestaffelt) finanzierten System wird.

Viele Grüße

Wolfgang

PS: Auch das BGE muss bezahlt werden - ratet mal, von wem? Von "uns"!


Ahoi zusammen,

... und ich dachte immer die Piraten seien für individuelle Freiheit - auch
deshalb die Forderung nach einem BGE - und nicht für kollektive
Zwagsbeglückung und aufgezwungene "Wohltaten".

Sicher wäre es schön, wenn eine Gesundheitsreform so einfach wäre ... dann
hätten wir sie wahrscheinlich bereits seit den 1960er Jahren ...

Im Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen gab es Plakate mit dem folgenden
Text:

"Wir halten uns an das Grundgesetz, da sind wir konservativ."

Soll das für Privatpatienten und die privaten Krankenversicherer nicht
(mehr) gelten?

Sowohl die privaten Krankenversicherer als auch die Privatversicherten
stehen unter dem Schutz des Grundgesetzes. Berührt sind hier mindestens die
Grundrechte auf Eigentum, auf Berufsfreiheit und auf die freie Entfaltung
der Persönlichkeit, möglicherweise auch das Grundrecht auf
Vereinigungsfreiheit.

Nur am Rande: Es gibt private Krankenversicherer, weil es Privatpatienten
gab, und nicht etwa umgekehrt. Es wird sie auch immer geben.

Bei einer Versicherungspflicht für alle und einer Bemessung der Beiträge am
gesamten Einkommen werden sich das dann allerdings wirklich nur noch die
Superreichen leisten können. Soll das sozial sein?

Einmal ganz abgesehen davon, daß eine weitere Erhöhung der
Beitragsbemessungsgrenze - und hier ist nicht die regelmäßige Anpassung an
die Einkommensentwicklung gemeint - auch an verfassungsrechtliche Grenzen
stößt.

Begonnen hat die gesetzliche Krankenversicherung in den 1880er Jahren als
reine Krankengeld-, als reine Verdienstausfallversicherung, da war ein
einkommensabhängiger Beitrag durchaus logisch und konsequent. Das ist aber
schon sehr lange her. Auch bei der Rentenversicherung kann ein
einkommensabhängiger Beitrag rechtfertigt werden, da sich die Leistungen,
die Rente am Einkommen orientiert.

Da die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung schon lange
überwiegend nicht mehr einkommensabhängig sind (nur noch das Krankengeld),
ist es ohnehin schon bedenklich, dass die Beiträge nach wie vor
einkommensabhängig erhoben werden.

Der Solidarausgleich sollte deshalb - wie es sich für eine
Krankenversicherung gehört - zwischen Gesunden und Kranken stattfinden. Der
Ausgleich zwischen arm und reich gehört in das Steuersystem mit
entsprechenden Transferleistungen (negative Einkommensteuer, Bürgergeld,
bedingungsloses Grundeinkommen oder ...) sichergestellt werden. Da und nur
da gehört er hin.

Das ist auch gerechter, weil es tatsächlich alle Bürger - und auch die
Unternehmen - erfasst und die Last so auf wesentlich mehr und belastbarere
Schultern verteilt werden kann, ohne sie in eine Einheitskrankenversicherung
zu zwingen.

Klar zum Ändern?!

Piratige Grüße
Wolfgang


----- Original Message ----- From: <wolfgang AT hennig-clan.de>
To: <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
Sent: Tuesday, June 12, 2012 7:13 AM
Subject: Re: [AG-Gesundheit] Finanzierung des Gesundheitswesens


Hi,

ja, volle Zustimmung!

deiner Bewertung der Vorteile stimme ich zu.

Bei den Nachteilen sehe ich die Sache etwas anders.

* PKVs werden dadurch nicht unbedingt abgeschafft. Die Mitgliedschaft in
einer
PKV ist nur nicht mehr an die Beitragsbemessungsgrenze gebunden.

Bzw. die PKV stürzt sich auf Zusatzleistungen, wie vollen Zahnersatz,
Chefarzt, Heilpraktiker etc. Wenn die GKV sich auf das notwendige
beschränkt, bleiben für private Unternehmen genug Raum für zusätzliche
Sachen.

* Wettbewerb in der GKV ist von der Art der Finanzierung der GKVs doch
unabhängig. Wenn dann sollte er doch über Leistungen gehen. Wobei ich den
Sinn
von über 100 GKVs immer noch nicht einsehe.

Tja, das wird sich wohl kaum einem erschließen, warum wir so viele GKVen
haben. Aber letztendlich muss die Arbeit ja gemacht werden. Wenn statt 100
nur noch 1 GKV tätig ist, kann man nicht 99% der Betriebskosten sparen.
Und - Konkurrenz belebt das Geschäft.

* "Besserverdienende" können sich das ganze sicher leisten. Ich würde das
ganze
sogar als Vorteil für mehr Beitragsgerechtigkeit sehen.

Ja. Dadurch dass über eine einkommensabhängige Beitragsgrundlage die
Bemessungsbasis steigt, wird der Prozentsatz für die KV sinken, d.h. auch
die Beiträge für besserverdienende werden sich auf einem erträglichen Maß
bewegen.

Viele Grüße

Wolfgang

Gesendet: Dienstag, 12. Juni 2012 um 01:06 Uhr
Von: Checkinger <checkinger AT gmx.de>
An: "AG Gesundheit" <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
Betreff: [AG-Gesundheit] Finanzierung des Gesundheitswesens
Hallo und Ahoi

Weil Julitschka a.a.O. nachgefragt hat:

Meine Forderungen für die Finanzierung des Gesundheitswesens sind
bekannt einfach:

1. Abschaffung der Versicherungspflichtgrenze
2. Erhöhung/Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze

in der GKV.

Beide Schritte sind innerhalb des aktuellen Systems gangbar und können
deshalb sofort verwirklicht werden. Die BBG ist auch in jüngster
Vergangeheit bereits mehrfach "nach oben angepasst" worden. Die
Forderungen sind deshalb realistisch. Und sie sind eingängig,
verständlich, vermittelbar..

Vorteile:

* Allgemeine Krankenversicherungspflicht für Alle
* Heranziehung aller Einkommensarten zur Beitragsberechnung
* Gerechte Beitragshöhe, wenn jeder einen fixen Prozentsatz seines
Einkommens einzahlen müsste
* Das allgemeine Beitragsniveau könnte wegen deutlich höherer Einnahmen
sinken.
* Das ganze mündet ganz natürlich in ein steuerfinanziertes System als
Einstieg in das BGE


Nachteile:

* Faktische Abschaffung der PKV
* Verlust des Wettbewerbsprinzips in der GKV
* Deutlich Höhere Beiträge für "Besserverdienende"
* Angeblich gibt es verfassungsrechtliche Probleme

Ich würde mir wünschen, dass wir diese simplen 2 Forderungen hier
nochmal intensiv durchdiskutieren..

Klar zum Ändern !

Der Alex

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