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Betreff: AG Gesundheit
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- From: olli0816 <olli0816 AT news.piratenpartei.de>
- To: ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-Gesundheit] Solidarische Gesundheitspolitik - 2. Entwurf
- Date: Sun, 22 May 2011 08:23:13 +0000
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Hallo, ich hatte ursprünglich meinen Beitrag im alten Forum, denke,
aber, dass er hier gut reinpasst.
Re: Bedingungslose Krankenversicherung für alle Menschen
Beitragvon olli0816 » 22. Mai 2011, 08:13
Ich habe mir die Beiträge durchgelesen und was ich an der Diskussion
vermisst habe, ist das Abwägen der gesetzlichen und privaten
Krankenkassen.
Ich bin auch dafür, dass jeder Bürger in Deutschland krankenversichert
ist, egal was er beruflich macht oder nicht macht. Soweit zur Forderung.
Jetzt wurde sehr viel philosophiert, wann jemand krank ist und wann
nicht. Es gibt unzählige Krankheitsbilder von denen ich keine Ahnung
habe. Ich habe aber eine ganz bestimmte Erwartung: Wenn es mir schlecht
geht, dass mir geholfen wird. Ich weiß, dass mir die Medizin heute nicht
alle Krankheiten abwenden kann und das es irgendwann zu Ende ist. Das
wollen viele nicht akzeptieren und wie in einem Kaufhaus das Medikament
gegen jedwede Krankheit bekommen. Das ist nicht möglich.
Aber schauen wir uns doch mal das System an, das uns heute begleitet:
Es gibt die gesetzlichen Krankenversicherungen, deren Leistungsfähigkeit
immer mehr nachlässt, da die Finanzen nicht ausreichen. Vor 20 Jahren
war ich in einer gesetzlichen Krankenkasse. Dort wurde z.B. noch der
Zahnersatz erstattet, man konnte zum Facharzt gehen und mußte keine
Zusatzgebühren bezahlen, die wie jetzt von den gesetzlichen
angekündigt, sprunghaft steigen sollen. Gleichzeitig war der
Beitragssatz noch niedriger. Heute wird das alles nur noch zum Teil
bezahlt mit Selbsterhalt und ich muß vorher zu einem Allgemeinarzt
gehen, bevor ich zu einem Facharzt darf. Selbst bei Krankheitsbildern, wo
es offensichtlich ist, dass der Allgemeinarzt mir nicht weiterhilft, muß
ich mir vorher die Überweisung holen. Was abgerechnet wird, erfahre ich
nicht und nach dem Punktesystem kann es mir auch keiner sagen. Da der
Besuch - abgesehen von dem Beitrag, den ich eh selber zahlen muß- für
mich kostenlos ist, wirds mich nicht interessieren. Also Gefahr von
Mißbrauch durch zu viel Abrechnung. Eine Konkurrenz durch
unterschiedliche Mitgliedsbeiträge ist abgeschafft worden. Die Ärzte
haben eine überbordernde Bürokratie, die viel Geld und vor allem Zeit
kostet.
Ich bin vor ca. 15 Jahren in die private Krankenversicherung gewechselt.
Hier möchte ich mal mit einer Behauptung aufräumen, dass private auf
Kosten der gesetzlich Versicherten leben. Ich bekomme ganz genaue
Abrechnungen, was der Arzt gemacht hat. Die brauche ich auch, um sie
entweder einreichen zu können oder selber zu bezahlen (was meistens der
Fall ist). Die Sätze entsprechen dem Faktor 3 der gesetzlichen, deshalb
hat der Arzt mich auch lieber. Gleichzeitig quersubventioniert sich der
Arzt mit meinen Beiträgen, da irgendwann das vorgeschriebene Kontingent
für gesetzliche ausgeschöpft sind und er für die gleiche Behandlung
wesentlich weniger Geld bekommt.
Wenn ich wegen einer Kleinigkeit zu einem Allgemeinarzt gehe, zahle ich
ohne Medikamente in der Regel 22-25 EUR, das ist etwas unterschiedlich.
Für einen Kassenpatienten darf er 8 EUR abrechnen und ist mit sehr viel
Bürokratie beschäftigt. Bei einem Facharzt bin ich mit 60 EUR dabei.
Ich bekomme eine Rechnung zugeschickt und kann dann selber entscheiden,
ob ich sie einreiche oder nicht. Wenn ich mir meinen Vertrag anschaue,
dann muß ich neben den monatlichen Beiträgen einen sog. Eigenbehalt
zahlen. Das heißt, bis zu diesen Kosten muß ich selber zahlen ohne
etwas von der Kasse erstattet zu bekommen. Wenn ich darüber bin, bekomme
ich alles ab der Grenze erstattet. Wenn ich das Glück habe und gesund
bin und nichts einreiche, bekomme ich Monatsbeiträge zurück. Dass
können bis zu drei Monatsbeiträgen sein, wenn ich mehrere Jahre nichts
einreiche. Das heißt, die Krankenkasse ermutigt mich, möglichst sparsam
mit den Ressourcen umzugehen. Deshalb ist dort auch der Missbrauch viel
geringer, da ich dafür belohnt werde, sparsam mit der Ressource
Gesundheit umzugehen. Man hat eine transparente Abrechnung, der Arzt muß
mir aufgrunddessen eine Rechnung stellen (haben viele an einen
Dienstleister ausgelagert, weil es für sie effizienter ist) und der Arzt
kann sich auf das wesentliche konzentrieren, nämlich seine Patienten.
Warum glauben Sie, dass es Ärzte gibt, die nur noch Privatpatienten
nehmen oder diese bevorzugen? Mehr Geld und weniger Bürokratie.
Das ist in der Tat eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, aber die haben wir
immer schon gehabt, nicht nur in der Medizin. Und diese wird es immer
geben, da Leute mit Geld sich Ressourcen einkaufen können, die
H4-Empfänger oder Geringverdiener einfach nicht haben. Ich sehe da
allerdings auch noch keine Lösung für dieses Problem. Aber was man sich
einmal überlegen sollte, ist ein Konzept, aus den vorhandenen
Möglichkeiten eine effiziente und möglichst kostengünstige Variante
einer Krankenversicherung zu schaffen, die eine Grundversorgung für alle
gewährleistet. Und hier haben viele Forderer recht, wenn dort alle
Mitbürger einbezogen werden sollen. Aber nicht nach dem Muster von
Kopfpauschalen oder dem jetzigen System der gesetzlichen Krankenkassen.
Dieses System ist meiner Meinung nach seit vielen Jahren krank und wird
immer ineffizienter.
Ich denke, man kann durchaus Instrumente der konkurrierenden Wirtschaft
mit der Medizin vermengen. Aber nur in einigen Gebieten und bei anderen
muß man sie raushalten. Eine Riesenbehörde wie nur eine Krankenkasse
finde ich absolut nicht erstrebenswert. Wie alle Monopolisten wird eine
solche Organisation faul und selbstzufrieden. Das heißt, es müssen
viele Krankenkassen bestehen, die miteinander konkurrieren. Das darf
durchaus mit den monatlichen Beiträgen sein, Rückzahlungsvergütungen
wie bei den privaten Krankenkassen oder zusätzliche Dienstleistungen.
Aufgrund der Konkurrenzsituation muß jede Krankenkasse marktfähig sein
und sich anpassen, wenn sie überleben möchte. Im Gegenzug darf jeder
Versicherte die Krankenkasse ohne große Formalitäten wechseln. Keine
Krankenkasse darf sich verweigern, müssen also auch Problempatienten
annehmen. Dies wäre der Bereich, wo die Marktwirtschaft nicht greift (im
Gegensatz zu heute, wo sie als Problempatient mal versuchen, die
Krankenkasse zu wechseln. Viel Spaß dabei!). Es sollte direkte
Abrechnungen geben, die der Arzt an den Patienten stellt. Der Patient
reicht die Rechnung ein und ist dafür verantwortlich, dies zu tun. Wenn
es Eigenbehalte gibt, dann kann er das auch selber entscheiden. Was mit
dieser Methode erreicht wird, ist ein Bewusstsein für die Kosten und das
es kostet, wenn man zum Arzt geht. Das sind dann meine direkten Kosten
die ich verursache und die dann meine Krankenkasse bezahlen muß.
Krankenkassen können zusätzlich zur Grundsicherung Sonderleistungen
anbieten, die dann ähnlich wie bei den privaten besondere Dinge
beinhalten. Dann gibt es auch keine Unterscheidung zwischen gesetzlich
und privat - jede Krankenkasse darf zusätzlich anbieten was sie will und
zu welchen Tarifen.
Was die Grundsicherung betrifft:
Hier wäre der Gesetzgeber gefordert. Das heißt, es gibt einen Katalog,
bei dem aufgelistet ist, was erstattet wird. Dieses Recht hat jeder in
Deutschland, vom H4-Empfänger bis zum Selbstständigen, Beamten und was
auch immer. Dies soll alles beinhalten, wo ich Gefahr für mein Leben
habe und die Behandlung von schweren und chronischen Erkrankungen. Also
alles, wo ich einen Arzt brauche. Hier kommen dann wieder die Philosophen
ins Spiel, was man tatsächlich als notwendig erachtet. Ich denke aber,
durch die Praxisanwendung dieses Kanons werden die anfänglichen Fehler
nach und nach ausgemerzt und man sollte durchaus eine Klausel
reinschreiben, dass der Kanon erweitert werden kann, wenn ein
berechtigtes öffentliches Interesse besteht. Und dass es eine
Einklagbarkeit gibt, um Willkür möglichst zu vermeiden.
Vielleicht zum Abschluß ein paar Worte über Behandelbarkeit im Alter
und was tatsächlich gemacht wird. Man kann alte Menschen durchaus sehr
lange therapieren und laut unseren Gesetzen sollte es auch gemacht
werden. Die Praxis sieht hier anders aus: Es gibt durchaus Fälle, wo
diese Hilfe unterlassen wird. Das ist manchmal sogar im Sinne des
Menschen, häufig weiß dieser es aber nicht. Das ist geschuldet an den
Kosten, die das Altersheim nicht mehr umlegen kann oder wo die Familie
oder der beteilgte Mensch dieses nicht mehr übernehmen kann. Ethisch
sicher ein dunkelgrauer Bereich, keine Frage. Nur was wäre die bessere
Lösung? Hier entscheidet die Wirtschaftlichkeit, weil es für die
Allgemeinheit nicht zu finanzieren ist. Ich wollte damit nur ausdrücken,
dass es gerade, wenn es um Menschen oder Gesundheit geht, keine absolut
eindeutigen Lösungen vorhanden sind, die jeden zufrieden stellen.
- Re: [AG-Gesundheit] Solidarische Gesundheitspolitik - 2. Entwurf, olli0816, 22.05.2011
- Re: [AG-Gesundheit] Solidarische Gesundheitspolitik - 2. Entwurf, aloa5, 22.05.2011
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