ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
Betreff: AG Gesundheit
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- From: "Thorsten W." <jumpfunky AT web.de>
- To: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 8
- Date: Sat, 14 Aug 2010 15:58:07 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
- List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>
Hallo Michaela,
Am Samstag, den 14.08.2010, 13:42 +0200 schrieb mb:
Hallo, Unabhängig von der IT-Absicherungsmöglichkeiten sehe ich große Probleme bezüglich der Gesundheitskarte, insbesondere darin, dass sämtliche medizinische Daten zentral auf einem Server gespeichert werden sollen. Der Unsicherheitsfaktor ist doch in erster Linie der Mensch (Patient), wie beim Banking:
Inwiefern ist es für dich problematisch dass verschlüsselte medizinische Daten auf den verteilten Servern der Fachdienste abgelegt werden auf die man nur Zugriff erhält, wenn die elektronische Gesundheitskarte, ein Heilberufsausweis und der PIN des Patienten vorliegen?
- Künftig werden legal Arztpraxen, Krankenhäuser usw. Zugang zu allen Patientenunterlagen haben. Will das der Patient wirklich? Möchte man tatsächlich, dass noch nach Jahren früherer Fußpilz, Geschlechtskrankheiten usw. bekannt werden? Ist das überhaupt relevant? Kann der Patient die gespeicherten Daten überprüfen und löschen? Was ist, wenn er keine PC-Kenntnisse hat (Ältere)?
Also zuerst einmal ist die elektronische Patientenakte, wie schon Birger erwähnt, eine freiwillige Anwendung. Der Patient kann seine eigenen medizinischen Daten und Rezepte mit seiner eGK und PIN überprüfen. Dass ein Patient seine Daten überprüfen und in einem gewissen Umfang sperren oder löschen kann, erfordert schon das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Patienten. Dafür sollen sogenannte Patientenlesestationen / Kioske aufgestellt werden, die dies erlauben. Auch entsprechende Software/Hardware soll das auf dem eigenen PC ermöglichen. Ich kenne mich mit der Spezifikation der Kioske nicht aus, habe aber gehört, dass diese beispielsweise auch nur mit den Füßen bedient werden können. Ich glaube, man macht sich schon Gedanken darum, wie Behinderte oder ältere Menschen mit diesen Dingen umgehen können.
- dass Begehrlichkeiten bezüglich der Patientendaten entstehen, versteht sich wohl von selbst. Was soll denn der Patient tun, wenn ein potentieller neuer Arbeitgeber (oder Betriebsarzt) die Herausgabe der Chipkarte fordert ? Das ist bestimmt illegal, aber kann man das wirklich ablehnen? Vor Gerichten, Sozialbehörden usw. muss schon heute eine Einverständniserklärung abgegeben werden, dass sämtliche medizinische Daten eingeholt werden können - das gilt dann wohl auch für die Gesundheitskarte usw.
Nur mit der Karte kann er erst mal nichts anfangen. Er benötigt ja auch noch den PIN. Außerdem würde das weitreichende Konsequenzen haben, wenn es irgendwann raus kommt. Schließlich ist ein Arbeitnehmer ja meistens nicht für immer bei einem Arbeitgeber beschäftigt. Wenn der Betriebsarzt die Karte fordert und anschließend die Geschäftsleitung informiert, bricht er doch seine ärztliche Schweigepflicht oder nicht? Außerdem hätte er medizinische Informationen, die er im Rahmen der Anamnese/Körperlichen Untersuchung über den Patienten erfährt, auch ohne Gesundheitskarte der Geschäftsführung mitteilen können.
- kann wirklich ausgeschlossen werden, dass ein Gesetz die Daten anderen Behörden zugänglich macht (Arbeitsargentur, ELENA)?
Wenn es irgendwann ein Gesetz geben sollte, welches so etwas verlangt, kann der Patient seine Daten leicht verweigern. Diese sind nämlich verschlüsselt und ohne die eGK (bzw. mit dem privaten Schlüssel darauf) des Patienten nicht lesbar. Wenn so etwas ermöglicht wird, müsste die gesamte Sicherheitsinfrastruktur geändert werden und diese hätte dann nichts mehr mit der aktuellen Gesundheitskarte und dessen Infrastruktur zu tun.
Also die meisten Menschen die ich kenne, sind in der Lage sich eine PIN Nummer zu merken, aber zum Problem: Hier wären vll. biometrische Merkmale ein zusätzliche Alternative. Soweit ich weiß, wird sowas auch aktuell diskutiert.- schließlich der praktische Punkt: welcher (betagte) Patient ist denn in der Lage, sich seine PIN-Nummer zu merken. Entweder er vergisst sie und kann dann nicht behandelt werden . Oder er schreibt die PIN auf die Karte ...
- wem soll eigentlich die Informationsflut auf dem Server nutzen. Es werden in kürzester Zeit Unmengen medizinischer Daten darauf landen (man denke nur mal an den Datenmüll, der sich auf dem eigenen PC befindet). Kein Arzt hat die Zeit, sich durch alle diese Unterlagen zu lesen, zumal der Name einer Datei nur selten vernünftigen Aufschluss auf deren Inhalt bietet. So werden wichtige Informationen nicht beachtet!!!
Also, da eine riesige Informationsflut ja nur entsteht, wenn sich der Patient dazu entscheidet die elektronische Krankenakte zu nutzen, beschränke ich meinen Kommentar auf diese:
Das ist ja das tolle an IT und der elektronischen Krankenakte: Wissen kann kontextsensitiv dem Arzt zur Verfügung gestellt werden und gleichzeitig verdichtet und übersichtlich dargestellt werden (also Verarbeitungsunterstützung). Durch sogenannte Domänenontologien besitzt ein Informationssystem (KIS, APIS) Metawissen über die Daten in die in ihm abgespeichert werden und die Zusammenhänge zwischen diesen. Zum Beispiel weiß dann eine Maßnahme, welche Symptome für sie als Indikation dienen. Für die Konsistenz innerhalb der Krankenakte und zwischen den einzelnen Leistungsträgern sorgen Termiologieserver, Nomenklaturen wie SNOMED, und Klassifikationen wie das ICD. Übersicht über die Fülle von Informationen die im Laufe eines Patientenlebens entstehen ist eine wesentliche Unterstützungsdimension dieser IT-Systeme!! Hier ist aber noch viel mehr denkbar/möglich:
- Entscheidungsunterstützung: Beispielsweise durch Symptomdokumentation, die es so wirklich noch in keinem KIS gibt. Sie kann die Basis liefern für Expertensysteme und den Arzt bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Aber auch die multidimensionale Assessments die kontextsensitiv generiert werden, tragen zur Entscheidungsunterstützung bei (Insbesondere in der Geriatrie).
- Dokumentationsunterstützung - z.B. die Vermeidung von Mehrfachdokumentation. Die medizinische Dokumentation kann dadurch vollständiger und hochwertiger werden - es ergeben sich ganz neue Möglichkeiten des Retrievals und Auswertung und Verarbeitung von Informationen.
- Erhöhte Patientensicherheit beispielsweise durch Hinweise auf mögliche Kontraindikationen von Medikamenten die verschrieben werden sollen (natürlich kontextsensitiv in Abhängigkeit der Medikamente, die der Patient zu sich nimmt).
Hier könnte man noch so viele weitere Dinge aufzählen ... aber meine Finger tun weh und ich will das Wetter ein bisschen genießen.
Grüße
Thorsten
- Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 8, mb, 14.08.2010
- Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 8, GargleBlaster, 14.08.2010
- Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 8, Jürgen Junghänel, 14.08.2010
- Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 8, Thorsten W., 14.08.2010
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