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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 10

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 10


Chronologisch Thread 
  • From: "mb" <michaela_bach AT web.de>
  • To: <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 10
  • Date: Sun, 15 Aug 2010 10:37:52 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Hallo,

hat sich mal jemand überlegt, warum die Gesundheitskarte trotz sehr hoher
Kosten eingeführt werden soll? Doch nicht, weil die Regierung/Kassen die
Information der Ärzte verbessern will. Es gibt wesentlich geeignetere
Projekte, um die Medizin mit zusätzlichem Geld zu verbessern. (Der ambulante
ärztliche Sektor erhält übrigens immer gleich viel Geld, unabhängig davon, ob
Doppeluntersuchungen, unnötige Therapien usw. erfolgen, d.h. Spareffekte sind
kaum zu erwarten). Natürlich bestehen Begehrlichkeiten bezüglich der
Patientendaten. Erst werden die technischen Möglichkeiten geschaffen, später
kommt der Informationszwang.



Nochmal: wo liegt der Vorteil einer 12 Milliarden teuren Gesundheitskarte
gegenüber einem Klarsichtordner, in dem der Patient seine wichtigsten
Unterlagen selbst sammelt. Der Ordner kann problemlos selbst sortiert
werden. Ein Arzt findet in kürzester Zeit die gewünschten Informationen. Der
Patient hat volle Kontrolle über den Ordner (diverse Patienten haben bereits
heute einen derartigen Ordner, der prima funktioniert).

Die meisten Patienten sind nun mal älter. Hast Du mal versucht, einem
75-jährigen das Schreiben einer einfachen SMS oder gar die Funktion eines PCs
zu erklären? Sicherlich gibt es diverse Senioren, die das können, die meisten
sind jedoch komplett überfordert. Soll dann etwa der Arzt für die paar Euro,
die er bekommt, noch die Gesundheitskarte sortieren?

Das Merken der PIN-Nummer ist ein sehr großes Problem, wie die ersten
Roll-out Versuche (ich glaub in Nordrhein) zeigen. Zahlreiche Patienten
können sich die PIN-Nummer eben nicht merken, dann funktioniert in der Praxis
überhaupt nichts mehr (kennst Du viele Senioren, die Homebanking machen oder
Geldautomaten benutzen?). Was ist bei bewusstlosen/dementen Patienten, bei
Hausbesuchen usw.?


Ich habe volles Verständnis dafür, dass sich Informatiker über die
Möglichkeiten der Gesundheitskarte begeistern. Hat aber mal jemand an die
Anwender (Arztpraxen, Patienten usw.) gedacht? Wir werden schon jetzt
gezwungen, eine elektronische Patientenakte zu führen. Ständig müssen wir uns
mit zahlreichen Zusatzprogrammen und neuen IT/Dokumentations-Vorschriften
herumschlagen. Keine Praxis hat Lust, sich in die detaillierten Möglichkeiten
der Gesundheitskarte einzuarbeiten. Dazu kommen ständige Diskussionen mit
Patienten über Sinn, Umfang usw. der Karte. Ich weiß schon heute, dass die
Datenflut auf den Servern Recherchen überwiegend sinnlos machen werden (trotz
Suchfunktion). Nur nebenbei: staatlich organisierte Programme funktionieren
nur selten sinnvoll: z.B. Arbeitsargenturen, digitaler Polizeifunk.

Michaela





>
> > Hallo,
> >
> > Unabhängig von der IT-Absicherungsmöglichkeiten sehe ich große
> Probleme bezüglich der Gesundheitskarte, insbesondere darin, dass
> sämtliche medizinische Daten zentral auf einem Server gespeichert
> werden sollen. Der Unsicherheitsfaktor
> > ist doch in erster Linie der Mensch (Patient), wie beim Banking:
>
>
> Inwiefern ist es für dich problematisch dass verschlüsselte
> medizinische
> Daten auf den verteilten Servern der Fachdienste abgelegt werden auf
> die
> man nur Zugriff erhält, wenn die elektronische Gesundheitskarte, ein
> Heilberufsausweis und der PIN des Patienten vorliegen?
>
>
> > - Künftig werden legal Arztpraxen, Krankenhäuser usw. Zugang zu allen
> Patientenunterlagen haben. Will das der Patient wirklich? Möchte man
> tatsächlich,
> > dass noch nach Jahren früherer Fußpilz, Geschlechtskrankheiten usw.
> bekannt werden? Ist das überhaupt relevant? Kann der Patient die
> gespeicherten Daten
> > überprüfen und löschen? Was ist, wenn er keine PC-Kenntnisse hat
> (Ältere)?
>
>
>
> Also zuerst einmal ist die elektronische Patientenakte, wie schon
> Birger
> erwähnt, eine freiwillige Anwendung. Der Patient kann seine eigenen
> medizinischen Daten und Rezepte mit seiner eGK und PIN überprüfen. Dass
> ein Patient seine Daten überprüfen und in einem gewissen Umfang sperren
> oder löschen kann, erfordert schon das Recht auf informationelle
> Selbstbestimmung des Patienten. Dafür sollen sogenannte
> Patientenlesestationen / Kioske aufgestellt werden, die dies erlauben.
> Auch entsprechende Software/Hardware soll das auf dem eigenen PC
> ermöglichen. Ich kenne mich mit der Spezifikation der Kioske nicht aus,
> habe aber gehört, dass diese beispielsweise auch nur mit den Füßen
> bedient werden können. Ich glaube, man macht sich schon Gedanken darum,
> wie Behinderte oder ältere Menschen mit diesen Dingen umgehen können.
>
>
> > - dass Begehrlichkeiten bezüglich der Patientendaten entstehen,
> versteht sich wohl von selbst. Was soll denn der Patient tun, wenn ein
> potentieller neuer Arbeitgeber (oder Betriebsarzt) die Herausgabe der
> Chipkarte fordert ? Das ist bestimmt illegal, aber kann man das
> wirklich ablehnen?
> > Vor Gerichten, Sozialbehörden usw. muss schon heute eine
> Einverständniserklärung abgegeben werden, dass sämtliche medizinische
> Daten eingeholt werden können - das gilt dann wohl auch für die
> Gesundheitskarte usw.
>
>
>
> Nur mit der Karte kann er erst mal nichts anfangen. Er benötigt ja auch
> noch den PIN. Außerdem würde das weitreichende Konsequenzen haben, wenn
> es irgendwann raus kommt. Schließlich ist ein Arbeitnehmer ja meistens
> nicht für immer bei einem Arbeitgeber beschäftigt. Wenn der
> Betriebsarzt
> die Karte fordert und anschließend die Geschäftsleitung informiert,
> bricht er doch seine ärztliche Schweigepflicht oder nicht? Außerdem
> hätte er medizinische Informationen, die er im Rahmen der
> Anamnese/Körperlichen Untersuchung über den Patienten erfährt, auch
> ohne
> Gesundheitskarte der Geschäftsführung mitteilen können.
>
>
> > - kann wirklich ausgeschlossen werden, dass ein Gesetz die Daten
> anderen Behörden zugänglich macht (Arbeitsargentur, ELENA)?
>
>
> Wenn es irgendwann ein Gesetz geben sollte, welches so etwas verlangt,
> kann der Patient seine Daten leicht verweigern. Diese sind nämlich
> verschlüsselt und ohne die eGK (bzw. mit dem privaten Schlüssel darauf)
> des Patienten nicht lesbar. Wenn so etwas ermöglicht wird, müsste die
> gesamte Sicherheitsinfrastruktur geändert werden und diese hätte dann
> nichts mehr mit der aktuellen Gesundheitskarte und dessen Infrastruktur
> zu tun.
>
>
> > - schließlich der praktische Punkt: welcher (betagte) Patient ist
> denn in der Lage, sich seine PIN-Nummer zu merken. Entweder er vergisst
> sie und kann dann nicht behandelt werden . Oder er schreibt die PIN auf
> die Karte ...
>
> Also die meisten Menschen die ich kenne, sind in der Lage sich eine PIN
> Nummer zu merken, aber zum Problem: Hier wären vll. biometrische
> Merkmale ein zusätzliche Alternative. Soweit ich weiß, wird sowas auch
> aktuell diskutiert.
>
>
> > - wem soll eigentlich die Informationsflut auf dem Server nutzen. Es
> werden in kürzester Zeit Unmengen medizinischer Daten darauf landen
> (man denke nur mal an den Datenmüll, der sich auf dem eigenen PC
> befindet).
> > Kein Arzt hat die Zeit, sich durch alle diese Unterlagen zu lesen,
> zumal der Name einer Datei nur selten vernünftigen Aufschluss auf deren
> Inhalt bietet. So werden wichtige Informationen nicht beachtet!!!
>
>
> Also, da eine riesige Informationsflut ja nur entsteht, wenn sich der
> Patient dazu entscheidet die elektronische Krankenakte zu nutzen,
> beschränke ich meinen Kommentar auf diese:
>
> Das ist ja das tolle an IT und der elektronischen Krankenakte: Wissen
> kann kontextsensitiv dem Arzt zur Verfügung gestellt werden und
> gleichzeitig verdichtet und übersichtlich dargestellt werden (also
> Verarbeitungsunterstützung). Durch sogenannte Domänenontologien besitzt
> ein Informationssystem (KIS, APIS) Metawissen über die Daten in die in
> ihm abgespeichert werden und die Zusammenhänge zwischen diesen. Zum
> Beispiel weiß dann eine Maßnahme, welche Symptome für sie als
> Indikation
> dienen. Für die Konsistenz innerhalb der Krankenakte und zwischen den
> einzelnen Leistungsträgern sorgen Termiologieserver, Nomenklaturen wie
> SNOMED, und Klassifikationen wie das ICD. Übersicht über die Fülle von
> Informationen die im Laufe eines Patientenlebens entstehen ist eine
> wesentliche Unterstützungsdimension dieser IT-Systeme!! Hier ist aber
> noch viel mehr denkbar/möglich:
> - Entscheidungsunterstützung: Beispielsweise durch
> Symptomdokumentation,
> die es so wirklich noch in keinem KIS gibt. Sie kann die Basis liefern
> für Expertensysteme und den Arzt bei der Entscheidungsfindung
> unterstützen. Aber auch die multidimensionale Assessments die
> kontextsensitiv generiert werden, tragen zur Entscheidungsunterstützung
> bei (Insbesondere in der Geriatrie).
> - Dokumentationsunterstützung - z.B. die Vermeidung von
> Mehrfachdokumentation. Die medizinische Dokumentation kann dadurch
> vollständiger und hochwertiger werden - es ergeben sich ganz neue
> Möglichkeiten des Retrievals und Auswertung und Verarbeitung von
> Informationen.
> - Erhöhte Patientensicherheit beispielsweise durch Hinweise auf
> mögliche
> Kontraindikationen von Medikamenten die verschrieben werden sollen
> (natürlich kontextsensitiv in Abhängigkeit der Medikamente, die der
> Patient zu sich nimmt).
>
> Hier könnte man noch so viele weitere Dinge aufzählen ... aber meine
> Finger tun weh und ich will das Wetter ein bisschen genießen.
>
> Grüße
> Thorsten
>






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