ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
Betreff: AG Gesundheit
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- From: "mb" <michaela_bach AT web.de>
- To: <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 8
- Date: Sat, 14 Aug 2010 13:42:44 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
- List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>
Hallo,
Unabhängig von der IT-Absicherungsmöglichkeiten sehe ich große Probleme
bezüglich der Gesundheitskarte, insbesondere darin, dass sämtliche
medizinische Daten zentral auf einem Server gespeichert werden sollen. Der
Unsicherheitsfaktor ist doch in erster Linie der Mensch (Patient), wie beim
Banking:
- Künftig werden legal Arztpraxen, Krankenhäuser usw. Zugang zu allen
Patientenunterlagen haben. Will das der Patient wirklich? Möchte man
tatsächlich, dass noch nach Jahren früherer Fußpilz, Geschlechtskrankheiten
usw. bekannt werden? Ist das überhaupt relevant? Kann der Patient die
gespeicherten Daten überprüfen und löschen? Was ist, wenn er keine
PC-Kenntnisse hat (Ältere)?
- dass Begehrlichkeiten bezüglich der Patientendaten entstehen, versteht sich
wohl von selbst. Was soll denn der Patient tun, wenn ein potentieller neuer
Arbeitgeber (oder Betriebsarzt) die Herausgabe der Chipkarte fordert ? Das
ist bestimmt illegal, aber kann man das wirklich ablehnen?
Vor Gerichten, Sozialbehörden usw. muss schon heute eine
Einverständniserklärung abgegeben werden, dass sämtliche medizinische Daten
eingeholt werden können - das gilt dann wohl auch für die Gesundheitskarte
usw.
- kann wirklich ausgeschlossen werden, dass ein Gesetz die Daten anderen
Behörden zugänglich macht (Arbeitsargentur, ELENA)?
- schließlich der praktische Punkt: welcher (betagte) Patient ist denn in der
Lage, sich seine PIN-Nummer zu merken. Entweder er vergisst sie und kann dann
nicht behandelt werden . Oder er schreibt die PIN auf die Karte ...
- wem soll eigentlich die Informationsflut auf dem Server nutzen. Es werden
in kürzester Zeit Unmengen medizinischer Daten darauf landen (man denke nur
mal an den Datenmüll, der sich auf dem eigenen PC befindet). Kein Arzt hat
die Zeit, sich durch alle diese Unterlagen zu lesen, zumal der Name einer
Datei nur selten vernünftigen Aufschluss auf deren Inhalt bietet. So werden
wichtige Informationen nicht beachtet!!!
Mein Vorschlag:
- Chipkarten, auf denen einige relevante Daten direkt gespeichert werden für
Rezepte, Allergien usw. Die PIN-Nummer ist dann fakultativ.
- Klarsichtordner (Kosten 20 Cent), in dem der Patient wichtige medizinische
Unterlagen abheftet und zur Untersuchung mitbringt. Der Arzt kann die
Berichte rasch überfliegen und sich schnell ein Bild über die Problematik
machen. Regelmäßig kann der Ordner auf veraltete Daten überprüft werden.
Übrigens: bereits heute sind sämtliche Fachärzte verpflichtet, dem
behandelnden Hausarzt (der eigentlich alle wichtigen Daten des Patienten
haben sollte) einmal pro Quartal einen Behandlungsbericht zu schreiben. Die
Übermittlung funktioniert prima per Patient, Brief oder Fax.
Das Gesundheitskartensystem soll, je nach Autor, bis zu 12 Milliarden Euro
kosten. Wer soll das bezahlen?
Gruß Michaela
> Hallo,
> ich kann die Ängste rund um die Gesundheitskarte verstehen, allerdings
> teile ich sie nicht. Aber Sätze wie "Die Piratenpartei sieht mit großer
> Sorge, dass der Datenschutz bei diesem monströsen Projekt erneut nur
> als
> Nebenproblem abgetan wird" sind schlichtweg einfach nicht wahr. Ich
> studiere nun zufällig medizinische Informatik und verfolge die
> Entwicklung der Gesundheitskarte relativ intensiv.
> Die Spezifikationen des Sicherheitskonzepts umfasst mit Anhängen
> allein knapp 1000 Seiten, die jedem Interessierten öffentlich
> zugänglich
> sind (gematik.de). Zum Vergleich: Das Konzept zur Gesamtarchitektur
> umfasst mit Anhängen lediglich 353 Seiten. Das ist natürlich noch kein
> Maßstab für die Güte des Konzepts, wohl aber für dessen Umfang. Aber
> auch mein persönlicher Eindruck von der Güte des Konzepts ist wirklich
> gut. Ausgefeilte Rollenkonzepte, Zwei-Kartenprinzip, asymmetrische
> (oftmals auch Hybride) Verschlüsselung aller Daten, eine ausgefeilte
> PKI, gestufte Sicherheitszonen und eine kontinuierliche
> Weiterentwicklung und Prüfung des Sicherheitskonzepts sind nur einige
> Punkte die für das Sicherheitskonzept der Gesundheitskarte sprechen.
> Aber nicht nur ich, sondern auch unabhängige Institute die sich
> intensiver mit der Sicherheitsinfrastruktur der Telematikplattform
> beschäftigen kommen zu ähnlichen Bewertungen. Hier wird mit einer
> Sorgfalt vorgegangen, die in vielen anderen (oder beinahe) Projekten
> der Bundesregierung, man wirklich vermisst hat. So kommt das Fraunhofer
> Institut für Offene Kommunikationssysteme in einem Beitrag in "Sichere
> Serviceorientierte Architekturen im Gesundheitswesen" zu folgendem
> Urteil:
>
> "Das Sicherheitskonzept ist in der Lage den Datenschutz im Rahmen der
> aktuell spezifizierten Verwendung von administrativen (VSD, VOD) und
> medizinischen Daten (NFD) zu gewährleisten. Die Implementierung von
> wirksamen, verteilten Zugriffsmechanismen ist auf dieser Basis
> möglich."
>
> Ich bin wirklich ein Freund des Datenschutzes und der Piratenpartei,
> und
> ja, ich kann Ursula von der Leyen (aka Zensursula) und Wolfgang
> Schäuble
> nicht leiden, aber hier scheint es mir so, dass nach den vielen
> "Horrorprojekten" der Bundesregierung nun reflexartig aufgeschrien
> wird,
> ohne sich intensiver mit dem eigentlichen Projekt und der damit
> verbundenen Sicherheitsarchitektur zu beschäftigen. Datenschutz ist
> wichtig, aber durch reflexartige Kritik ohne sich intensiver mit der
> Sachlage auseinander zu setzen, verliert ein solcher Aufruf an
> Glaubwürdigkeit und hat schlimmstenfalls auch inflationäre Effekte für
> den Datenschutz - vielleicht kennt ihr ja die Geschichte von dem Jungen
> der immer "Wölfe,Wölfe" ruft.
>
> Viele Grüße und werdet nicht so wie dieser Junge
> Thorsten
>
>
>
- Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 8, mb, 14.08.2010
- Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 8, GargleBlaster, 14.08.2010
- Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 8, Jürgen Junghänel, 14.08.2010
- Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 8, Thorsten W., 14.08.2010
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