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Re: [AG-GOuFP] Rechtliche Fundamente der Geldordnung & saldenmechanisch fundierte Konjunkturtheorie
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- From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
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- Subject: Re: [AG-GOuFP] Rechtliche Fundamente der Geldordnung & saldenmechanisch fundierte Konjunkturtheorie
- Date: Thu, 26 Apr 2018 22:10:20 +0000
Um das mal anhand Deines Beispiels der "Lohnzahlung" zu verdeutlichen:
Gehen wir der Einfachheit halber von einer Situation aus, in der weder Lohnarbeiter noch Unternehmen finanzielle Forderungen oder Verbindlichkeiten haben.
1) der Lohnabhängige erbringt eine Arbeitsleistung und erwirbt dadurch den vertraglich vereinbarten Lohnanspruch.
2) das Unternehmen überweist dem Arbeiter seinen Lohn 3 000 €, indem es sein Bankkonto mit Kto. Stand 0 um 3 000 € überzieht.
Buchungen:
Unternehmen
aktiv...................................................passiv
........................................................+ Verbindlichkeit ggü. Bank 3 000 €
Bank
aktiv...................................................passiv
+ Forderung ggü. Unternehm. 3 000 € ..... + Verbindl. ggü. Lohnabh. 3 000 €
Lohnabhängiger:
aktiv...................................................passiv
+ Forderung ggü Bank 3 000 €
Das Unternehmen ist jetzt netto gegenüber dem Lohnabhängigen mit 3 000 € verschuldet. Seine Forderungen sind gleich null, seine Verbindlichkeiten 2 000 €, ergibt ein negatives Nettogeldvermögen von 3 000 €.
Die Bank ist netto _nicht_ verschuldet (ihre Forderungen entsprechen ihren Verbindlichkeiten, ihr Nettogeldvermögen ist gleich Null).
Der Lohnabhängige hat ein positives Nettogeldvermögen von 3 000 €, da er 3 000 € Forderungen gegenüber der Bank und keine Verbindlichkeiten hat. Er hält jetzt - vermittelt über die Bank als Intermediär - Anrechte auf Sachvermögen des Unternehmens im Wert von 3 000 €.
Der Lohnabhängige hat einen Leistungsbilanzüberschuss (Güter-/Leistungs-Verkaufsüberschuss) von 3 000 €. Das Unternehmen hat ein Leistungsbilanzdefizit (Güter-/Dienstleistungs-Kaufüberschuss) von 3 000 €, denn es hat Arbeitsleistungen im Wert von 3 000 € vom Lohnabhängigen gekauft, bisher aber selbst keine Güter/Dienstleistungen verkauft.
Jetzt lassen wir den Lohnabhängigen für 3 000 € Konsumgüter beim Unternehmen kaufen und per Banküberweisung bezahlen.
Für den Lohnabhängigen ein Aktivtausch: aktiv + Konsumgüter, - Bankguthaben. Für die Bank zunächst ein Passivtausch: passiv - 3 000 Verbindlichkeiten ggü. dem Lohnabhängigen, + 3 000 € Verbindlichkeiten ggü. dem Unternehmen. Für das Unternehmen ein Aktivtausch: aktiv + 3 000 € Bankguthaben, - 3 000 € Konsumgüter.
Im letzten Schritt zahlt nun das Unternehmen seine Schulden gegenüber der Bank zurück: Bank und Unternehmen verrechnen ihre wechselseitigen gleich hohen Verbindlichkeiten. Bilanzverkürzung für das Unternehmen: aktiv - Bankguthaben, passiv - 3 000 € Verbindlichkeit ggü. Bank. Bilanzverkürzung auch für die Bank: aktiv - 3 000 € Forderungen ggü. Unternehmen, passiv - 3 000 € Sichtverbindlichkeiten ggü. Unternehmen.
Leistungstransaktionen - diese verändern das Nettogeldvermögen - fanden nur zwischen dem Unternehmen und dem Lohnarbeiter statt. Für die Bank fanden nur reine Finanztransaktionen statt (diese verändern das Nettogeldvermögen nicht (vom Zins haben wir dabei noch abgesehen).
Hätte der Lohnarbeiter "gespart", d.h. Konsumgüter für nur 1 000 € gekauft, hätte er nach wie vor einen Leistungsbilanzüberschuss von 2 000 € gehabt, das Unternehmen wäre also weiterhin bei ihm mit 2 000 € netto verschuldet gewesen, und er hätte weiterhin Forderungen auf Sachvermögen des Unternehmens im Wert von 2 000 € gehabt. Wäre das Unternehmen aber kreditwürdig für die Bank (erwartetet Erträge), hätte die Bank diesem erneut Kredit gegeben (Laufzeit verlängert, gegen weitere Zinsforderungen natürlich).
Das war aggregiert betrachtet während der 60er Jahre der Fall. Heute sind in D Unternehmen und private Haushalte "Nettosparer", d.h. halten positive Nettogeldvermögen gegenüber Staat und Ausland (haben Leistungsbilanzüberschüsse ggü. Staat und Ausland).
Usw.
moneymind schrieb:
Hallo Gerhard,
noch hierzu:
Die wesentliche Ergänzung von Schmitt und Cencini besteht in der 'Nichtlokalität' von Geld.
Ich würde sagen, es dreht sich hierbei nicht so sehr um die "Nichtlokalität" von "Geld" (das scheint mir eine eher unpräzise Ausdrucksweise zu sein), sondern darum, daß Zahlungsmittel grundsätzlich immaterielle Rechtstitel sind, die immer Rechts_beziehungen_ zwischen (Rechts-)Personen ausdrücken. Rechtstitel sind "nichtlokal" in dem Sinn, daß sie nicht mit dem Dokument, das sie beurkundet, identisch sind, sondern eben gerichtlich einklag- und durchsetzbare Rechts- und Verpflichtungsbeziehungen zwischen Rechtspersonen und einem diese garantierenden und notfalls durchsetzenden Staat darstellen.
Kurz erläutert in meiner Präsentation, "Monetary Sovereignty ...", S. 41-52:
http://www.academia.edu/34534697/Monetary_Sovereignty_Government_Debt_and_Taxation_Some_Clarifications_from_a_Legal_Institutionalist_Point_of_View_extended_version_ http://www.academia.edu/34534697/Monetary_Sovereignty_Government_Debt_and_Taxation_Some_Clarifications_from_a_Leg%E2%80%8Bal_Institutionalist_Point_of_View_extended_version_
Auch downloadbar hier:
https://www.dropbox.com/s/n2oyz6t224kcaju/Theil_WINIR_2017_Utrecht_comb.pdf?dl=0
Dies aber trifft nicht nur auf Zahlungsmittel, sondern auf alle Aktiva (=Vermögensrechte) und auf Schulden zu. Der immaterielle Saldo "Eigenkapital/Nettovermögen" hingegen drückt - wie jeder Saldo - keine spezifische Rechtsbeziehung aus, sondern eine aus Rechtsbeziehungen abgeleitete, immaterielle (und ebenfalls "nichtlokale", wenn Du so willst) rein buchhalterische Größe. Auf diese Größe bezieht sich die Kategorie "Profit" (Gewinn), denn die Gewinn-&Verlustrechnung ermittelt die Veränderung dieses Saldos (bei Kapitalgesellschaften zählen natürlich noch Einlagen der und Ausschüttungen an die Gesellschafter hinzu).
Der "nichtlokale" Rechtscharakter von Zahlungsmitteln trifft sowohl auf "Kreditzahlungsmittel" (Sichtguthaben bei Banken, Banknoten ...) als auch auf Warenzahlungsmittel (Scheidemünzen, früher Goldmünzen, Gold als internationales Zahlungsmittel im Goldstandard) zu: bei Kreditzahlungsmitteln handelt es sich rechtlich um Forderungen auf Vermögen, bei Warenzahlungsmitteln um Eigentumsrechte an materiellen Gegenständen, die aber ebenfalls eine Rechts_beziehung_ ausdrücken: nämlich das Ausschlußrecht des Eigentümers gegenüber allen anderen Rechtspersonen (BGB §903). Es geht hierbei also um die Beziehung zwischen dem Eigentümer, allen anderen Rechtspersonen und dem Staat, der dies garantiert und notfalls durchsetzt.
Ebenfalls dargestellt in der oben verlinkten Präsentation "Monetary Sovereignty ...".
Ähnlich dargestellt haben das übrigens vor 10 Jahren auch zwei japanische Ökonomen:
Civil Law, Quadruple Entry System and the Presentation Format of National Accounts:
https://www.sanken.keio.ac.jp/publication/KEO-dp/109/DP109.pdf
Stützel war sich des Rechtscharakters von Vermögen und Schulden klar bewußt (siehe z.B. S. 48 der oben verlinkten Präsentation, "Monetary Sovereignty ...").
Er hat dies von John R. Commons' "Legal Foundations of Capitalism" (1924) und dessen "Institutional Economics" (1934) übernommen, aber weiterentwickelt, indem er Commons' Werk systematisch über die doppelte Buchhaltung mit BWL und Makroökonomie (Mehrsektoren- Kreislaufmodell einer geschlossenen Wirtschaft) verbunden hat, siehe seine Dissertation "Preis, Wert und Macht" (1952 - erst 1972 veröffentlicht!), wo er dieses Programm formuliert und mit einer Machttheorie von PReis und Wert vorbereitet. Durchgeführt hat er es dann nur ein Jahr später (1953) in den "Paradoxa der Geld- und Konkurrenzwirtschaft" (erst 1979 veröffentlicht).
Dies erlaubt die Unterscheidung in der Zahlung selbst (Angabe von Quelle, Ziel und numerische Form des Zahlungsbetrages) und dem Resultat der Zahlung, den geänderten Depotbeständen im Verrechnungssystem bei Quelle und Ziel.
Ja, dies ist Standardpraxis im Rechnungswesen. Stützel hat es von dort übernommen und systematisch auch als Basis der Makroökonomie genutzt.
Nicht nur Zahlungen (ob nun mittels Kredit- oder Warenzahlungsmitteln), sondern jede beliebige Transaktion, inclusive z.B. Warenkauf auf Lieferantenkredit, läßt sich so buchhalterisch abbilden. Die 3 typischen Varianten einer Zahlung: (1) per Warenzahlungsmittel, (2) per Kreditzahlungsmittel und (3) per bilateraler Verrechnung von Forderungen ("clearing", "netting", "offsetting") habe ich beispielsweise in der oben verlinkten Präsentation "Monetary Sovereignty ..." auf S. 38 buchhalterisch dargestellt und auf die zugrundeliegenden (immateriellen) rechtlichen Prozesse rückbezogen: (2) = Abtretung einer Forderung, BGB § 398; (3) Aufrechnung, BGB § 387.
Jetzt wird auch deutlich, was bei der Lohnzahlung passiert: Aus der
unspezifizierten numerischen Form im Bankdepot des Unternehmers ist
Geld-Einkommen im Bankdepot des Lohnempfängers entstanden. Die
schuldrechtliche Beziehung zwischen Lohnempfänger und Unternehmer ist
finalisiert. Das Geld-Einkommen auf dem Konto des Lohnempfängers
begründet den Anspruch auf seinen Anteil am gesamtwirtschaftlichen
Output.
Hier ist entscheidend, zwischen Brutto- und Nettoforderungspositionen bzw. den korrespondierenden Brutto- und Nettoverschuldungspositionen zu unterscheiden.
Nur eine _Netto_forderungsposition stellt Anrechte des Nettogläubigers auf Vermögen der Nettoschuldner dar (siehe z.B. Stobbe: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen, Kap. 2). _Netto_forderungs- oder Verschuldungspositionen, d.h. positives oder negatives Nettogeldvermögen eines Wi-Subjekts oder Sektors, ergeben sich im wesentlichen durch Leistungstransaktionen, d.h. Kauf und Verkauf von Gütern/Dienstleistungen.
Nettogeldvermögen = Zahlungsmittelbestand + sonstige Forderungen - Verbindlichkeiten. Habe ich 50 € in bar (Noten + Münzen), eine Forderung gegenüber B über 100 € gegenüber B aus meinem Verkauf von Waren zum Preis von 100 € an B auf Lieferantenkredit, und eine Verbindlichkeit gegenüber C über 120 € aus meinem Kauf von Waren bei C auf Lieferantenkredit, dann beträgt mein Nettogeldvermögen 50 + 100 - 120 € = 30 €. Ich bin also Nettogläubiger gegenüber dem Rest der Welt in Höhe von 30 €, habe also Anrechte auf Sachvermögen des Rests der Welt im Wert von 30 €.
Wir bewegen uns mit Nettogeldvermögenspositionen auf der Ebene der Einnahme/Ausgabe-Rechnung oder Leistungsbilanzrechnung. Letzerer Begriff ist zwar nur im internationalen Rechnungswesen üblich (Zahlungsbilanz v. Nationen), existiert aber auch für jede Einzelwirtschaft (siehe Stützel 1953/1979: Paradoxa der Geld- und Konkurrenzwirtschaft, S. 62-63).
Zu glauben, ich hätte Ansprüche aufs Sachvermögen des Rests der Welt im Wert von 50 € weil mein ZAHLUNGSMITTELBESTAND 50 € beträgt, wäre falsch. Ebenso falsch wäre es, zu glauben, ich hätte Ansprüche auf Sachvermögen des Rests der Welt in höhe von 150 € (mein Zahlungsmittelbestand von 50 €, plus meine Forderung über 100 €).
Meine Ansprüche auf Sachvermögen des Rests der Welt begrenzen aber _nicht_ die mir möglichen Käufe von Gütern, da ich ja auch auf Kredit kaufen kann. Meine möglichen Güterkäufe sind vielmehr begrenzt durch die Einschätzung meiner Kreditwürdigkeit durch meine potentiellen Kreditgeber.
Nettogeldvermögen + Sachvermögen (Eigentum) = Nettovermögen.
Ist mein Nettogeldvermögen positiv (Nettogläubigerstatus), ist mein Nettovermögen größer als mein Sachvermögen. Ich habe Ansprüche auf Sachvermögen des Rests der Welt in Höhe meines Nettogeldvermögens. Ist mein Nettogeldvermögen negativ (Nettoschuldnerstatus), ist mein Nettovermögen kleiner als mein Sachvermögen. Der Rest der Welt hat Ansprüche auf mein Sachvermögen in Höhe meiner Nettoschuldnerposition.
Unterscheidet Schmitt systematisch zwischen Zahlungsmittelbestand (Einzahlungen/Auszahlungen), Nettogeldvermögen (Einnahmen/Ausgaben) und Nettovermögen (Erträge/Aufwendungen)? Kannst Du mir Textstellen nennen, wo er diese Unterscheidungen trifft?
Stützel tut es konsequent, und dies ist absolut unverzichtbar, um unnötige Verwirrung zu vermeiden und präzise, mit täglicher BWL-Praxis präzise im Einklang stehende Aussagen machen zu können.
Die Kategorie "Nettogeldvermögen" stellt diejenige Kategorie dar, mit der sich Zahlungsmittelsphäre und Realvermögenssphäre systematisch und BWL-Praxisgetreu vermitteln lassen, auch im Makromodell. Die sytematische Integration von "Geld- und Realsphäre" wird so problemlos möglich, einfach durch den Import der begrifflichen Präzision der BWL (Rechnungswesen) ins Makromodell.
Siehe als Einstieg seine "VWL-eine Einführung auch für Fachfremde", 1. Hauptteil Kap. 5 (einzelwirtsch. Perspektive auf Rechtstransaktionen samt buchhalterischem Niederschlag) und 2. Hauptteil Kap. 5 (makroökonom. Perspektive, bis hin zu seiner genial einfachen und einfach genialen Konjunkturtheorie, die den Streit zw. Keynesianern und Antikeynesianern überflüssig macht).
Grüße
Wolfgang
- [AG-GOuFP] Rechtliche Fundamente der Geldordnung & saldenmechanisch fundierte Konjunkturtheorie, moneymind, 17.04.2018
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