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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - [AG-GOuFP] Gerechtes Geld? Teil 3

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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[AG-GOuFP] Gerechtes Geld? Teil 3


Chronologisch Thread 
  • From: "Winrich Prenk" <info AT high-end-studio.de>
  • To: <AG-Geldordnung-und-Finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: [AG-GOuFP] Gerechtes Geld? Teil 3
  • Date: Sat, 17 Oct 2015 20:57:37 +0200
  • Importance: Normal
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Gerechtes Geld?
 
3.4.) Das Geld als parteilicher Tauschmittler
 
Eine der klassischen Funktionen des Geldes ist seine Eigenschaft,
Tauschmittel zu sein. Meine These ist nun: Das Geld ist ein unfairer
und parteilicher Tauschmittler.(10) Diese These kann nur stimmen,
wenn es sich beim Geld um einen Tauschgegenstand handelt, der
im Verhältnis zu anderen Tauschgegenständen einen durchschnittlichen
Verhandlungs- und Abschlussvorteil bei Tauschgeschäften verschafft.
 
Das Geld unterscheidet sich von den übrigen Tauschgegenständen
vor allem dadurch, dass es ein “generalisiertes Tauschmedium” ist.
Das wird am klarsten im Vergleich mit einem Beispiel: Das Geld
unterscheidet sich von den Waren und Dienstleistungen, die im
Marktspiel gehandelt werden, ungefähr so, wie sich in einem
Kartenspiel, in dem der Joker für jede andere Karte eingesetzt werden
kann, eben dieser Joker von den anderen bestimmten Karten
unterscheidet. Das Geld ist der Joker unter den Tauschobjekten und
so wie der Joker im Kartenspiel Spielvorteile verschafft, so verschafft
auch das Geld im Wirtschaftsspiel Vorteile: Während ich auf dem
Markt für die Abnahme meiner Waren und Dienstleistungen ganz
bestimmte Nachfrager finden muss, die genau das brauchen, was ich
habe, hat der Anbieter von Geld ein leichtes Spiel; denn die Liquidität,
die er bietet, kann jedermann brauchen, und sie bietet außerdem die
Möglichkeit, dass der Geldbesitzer von seinem Geld eine Weile leben
kann, ohne etwas leisten oder sonst verkaufen zu müssen. Wer also
den Geld-Joker in der Hand hat, hat Spielvorteile im Wirtschaftsspiel
und kann diese Joker-Vorteile in Verhandlungssituationen ausspielen.
Ein Gemeinwesen also, das solches Geld, wie wir es haben, für die
Vermittlung von Tauschgeschäften zur Verfügung stellt, ergreift
Partei für die Geldbesitzer, denen es einen durchschnittlich besseren
Tauschgegenstand in die Hände gibt als den anderen. Insofern kann
und muss man von einer “kapitalistischen Parteilichkeit” unseres
derzeitigen Geldes sprechen. Ein solches Geld ist mit den
Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit schlechthin unvereinbar.
 
(10) Zum Folgenden wiederum Suhr, D., oben Anm. 3, S. 107-110;
und ders.: Geldordnungspolitik aus der Sicht des Grundgesetzes,
in: Fragen der Freiheit (hersg. vom Seminar für freiheitliche Ordnung,
Boll), Heft 161, März/April 1983, S. 3-21, 14 ff.: Geld und Gleichheit.
 
 
4.) Institutionelle Spuren der monetären Ungerechtigkeiten
 
Wenn die Analyse stimmt, ist zu erwarten, dass die bislang
diagnostizierten Ungerechtigkeiten des Geldwesens tiefe Spuren in
der Rechtsordnung überall dort hinterlassen haben, wo im
wirtschaftlichen Verkehr die Anbieter von Naturalleistungen mit den
Anbietern von Geld zusammentreffen und die Bedingungen des
Austauschs ihrer Leistungen aushandeln.
 
 
4.1.) Vorrechte des Kapitals
 
Angenommen, bei Vertragsverhandlungen zwischen den Anbietern
von Geld und den Anbietern von menschlicher Leistung spiele Geld
keine parteiliche, sondern eine faire Vermittlerrolle, die beiden
gleiche Chancen lässt: Dann ist zu erwarten, dass sich die
Zusammenarbeit zwischen Geld und Arbeit typischerweise in Form
von gleichberechtigter Partnerschaft ausgebildet hat. Das ist nicht
der Fall; also spricht der Befund nicht für eine unparteiliche
Vermittlerrolle des Geldes.
 
Nimmt man dagegen an, bei solchen Verhandlungen stünden
diejenigen in einem durchschnittlichen Vorteil, die persönliche
Leistung anbieten, dann ist zu erwarten, dass sich Formen der
Zusammenarbeit ausgebildet haben, bei denen die persönliche
Arbeitsleistung auch mit den besseren Rechtspositionen verbunden
ist. Das entspräche der rechtsphilosophischen und
verfassungsrechtlichen Wertung, wonach Vermögen und Eigentum,
die aus eigener Arbeit und Leistung stammen,besonderen Schutz
verdienen. Das ist erst recht nicht der Fall.
 
Wenn jedoch das Geld, wie hier angenommen, ein parteilicher
Tauschmittler ist, der typische Vorteile bietet, dann muss sich das
darin niedergeschlagen haben, dass die Geld- und Kapitalgeber in
den Institutionen, in denen sie mit den Anbietern von Arbeit und
Leistung zusammenarbeiten, sich Vorrechte haben ausbedingen
können; und zwar nicht nur Vorteile in der Form, dass sich der
Geldgeber eine dem Zins vergleichbare Rendite ausbedingen kann,
sondern auch derart, dass es sich in den Institutionen, die sich
unter den Bedingungen des überlieferten Geldes ausgebildet
haben, Entscheidungsvorrechte hat vorbehalten können. Genau
das ist der Fall. Also spricht der Befund für die Richtigkeit der
Analyse.
 
Die Vorteile des Kapitals gegenüber den anderen Beteiligten sind
zu Institutionen unserer Rechtsordnung geronnen und gesetzlich
kodifiziert worden. Sie sitzen uns so tief in den Gewohnheiten und
Institutionen, dass sie uns vollkommen legitim zu sein scheinen.
Sie werden sogar nach dem Modell “Sacheigentum” vorgestellt
und auf diesem Umweg geradezu als grundrechtlich geschützte
Herrschaftsrechte verkleidet, obwohl es sich dabei um alles
andere handelt als um Sachherrschaft von Menschen über tote
Gegenstände. So legt das überlieferte Gesellschafts-, Arbeits-
und Unternehmensrecht im großen Stile Zeugnis dafür ab, dass
und in welchem Umfang das überlieferte Geld kraft seiner
kapitalistischen Parteilichkeit zu kapitalistischen Institutionen
geführt hat.
 
 
4.2.) Strukturelle Benachteiligung von Selbstständigen
 
Wenn meine Analyse stimmt, dass Geld von seiner Konstruktion
her Verhandlungsvormacht verleiht, die zu Mitspracherechten und
Entscheidungsvorbehalten verhilft, dann ist auch zu erwarten,
dass in einer Geldwirtschaft wie der unsrigen z. B.
Genossenschaften im Regelfall kaum eine Chance haben, sich
durchzusetzen oder auch nur am Leben zu erhalten; denn sobald
es an Geld fehlt, muss sich die Genossenschaft nach externen
Geldgebern umsehen und begibt sich dadurch in jene
Verhandlungssituationen, in denen sie am kürzeren Hebel sitzt.
Mit der Selbständigkeit der Genossen als Genossenschaft ist es
dann schnell vorbei. Überhaupt sind die Bedingungen der
Geldordnung für unternehmerische Selbständigkeit strukturell
schlecht, und wenn meine Analyse zutrifft, müssen diese
strukturellen Nachteile dazu führen, dass immer weniger
Menschen selbständig arbeiten oder in Partnerschaften mit
ebenbürtigen Rechtsstellungen tätig sind.
 
Sollte es je in der Geschichte ein blühendes
Genossenschaftswesen gegeben haben und günstige
Bedingungen für selbständige Handwerker, Händler und
Unternehmer, dann muss zu jener Zeit eine andere Geldordnung
in Kraft gewesen sein – eine Geldordnung mit einem
Tauschmittel, das seinen Besitzern keinen unfairen
Verhandlungsvorteil gegenüber Anbietern von persönlicher
Leistung und Arbeit verschaffte. Rechts- und
Wirtschaftshistoriker können diese These durchaus prüfen,
indem sie einmal den Ursachen nachgehen, die im Mittelalter,
etwa zur Zeit der Gotik, dafür gesorgt haben, dass selbständige
Handwerker, tüchtige Händler und selbstbewusste Zünfte
beständig gediehen wie wohl nie zuvor und nie wieder in Europa.(11)
 
(11) Dazu Walker, K, Das Geld in der Geschichte, 1959, S. 29-98.
 
 
5.) Ökonomische Deutung der monetären Ungerechtigkeiten(12)
 
Wollte man die bisher aufgedeckten Ungerechtigkeiten umfassend
ökonomisch deuten, so liefe das auf eine grundlegende Kritik und
Umorientierung der monetaristischen Grundlagen der
Wirtschaftswissenschaften hinaus. Ich kann hier nur einige
Stichworte und Hinweise geben.
 
(12) Dazu ausführlich Suhr, D. oben Anm. 8.
 
 
5.1.) Neutrales Geld?
 
Bei den Bemühungen der Ökonomen um die Ursachen von Krisen hat
man immer wieder erörtert, ob die Krisen irgendwie mit dem Geld
zusammenhängen: Hat das Geld als solches oder hat wenigstens die
Geldmenge Auswirkungen auf die Preisbildung oder auf die
Verteilungsströme, die dann in einer Geldwirtschaft anders als in
einer Naturaltauschwirtschaft zu Problemen führen?(13)
 
Wenn ja, dann würde Geld nicht “neutral” wirken. Soweit Ökonomen
sich bei der Neutralitätsthese getreu ihren meist
quantitätstheoretischen Ansätzen nur auf die Neutralität der
Geldmenge konzentrieren, kommen die strukturellen Asymmetrien, um
die es hier geht, nicht in den Blick. Aber auch dort, wo die “Neutralität”
des Geldes nicht so eng quantitätstheoretisch aufgefasst wird, wird
nicht hinreichend bedacht, dass das Geld wegen seiner oben erläuterten
Doppelwertigkeit einen nach Märkten gespaltenen Wert besitzt: Es ist
auf den Geldanlagemärkten mehr Wert (Liquiditätswert) als auf den
Märkten für Konsum- und Investitionsgüter (Nennwert). Das hat zur
Folge, dass entbehrliche (marginale) Liquidität von den Märkten
angezogen wird, auf denen das Geld “mehr wert” ist, also zugleich
abgesogen wird von den anderen Märkten, auf denen Waren und
Dienstleistungen angeboten werden.
 
Wie wir spätestens seit Keynes wissen, wirkt sich diese Saugwirkung
der Anlagemärkte langfristig verhängnisvoll auf die wirksame Nachfrage
aus. Sie hat Fehlallokationen zur Folge und führt durch die strukturelle
Subventionierung der Wohlhabenden durch die Produzenten und
Konsumenten zu einer ständigen Umverteilung “von unten nach oben”
(Verteilungseffekte). Entgegen einer weitverbreiteten Überzeugung bei
den Ökonomen ist das Geld also nicht neutral.
 
(13) Siehe die Nachweise oben in Anm. 1!
 
 
5.2.) Strukturelle Arbeitslosigkeit(14)
 
Wer Geld verleiht, der hat z. Zt. (oder auch auf Dauer) mehr Geld als
Bedarf. Die Kassen, aus denen die Kredite kommen, kann man daher
verkürzt aber treffend bezeichnen als “Kassen mit Geld ohne Bedarf”.
Umgekehrt hat, wer Geld leiht, z. Zt. Bedarf nach Konsum- oder
Investitionsgütern, aber kein Geld in der Kasse: “Kassen ohne Geld
mit Bedarf”. Kredite sind dann nichts anderes als Transfers (auf Zeit)
aus Kassen ohne in Kassen mit Bedarf, und die Zinsen sind die Kosten
dieser Transfers. Die Zinsen wiederum fließen umgekehrt wie die
Kredite aus den Kassen mit Bedarf, in denen das Geld fehlte, in die
Kassen ohne Bedarf, in denen ohnehin schon entbehrliche Liquidität
zur Kreditvergabe führte. So strömen ausgerechnet durch die Kassen
ohne Bedarf wegen der Zinsen immer größere Beträge, die, bevor sie
wieder irgendeinem Bedarf zur Nachfrage verhelfen können,
Kreditkosten verursachen. Diese Kreditkosten wiederum belasten die
Kassen, in denen schon ohnehin weniger Geld als Bedarf war.
 
Die Kosten für das monetäre (zeitweilige) Recycling der marginalen
Liquidität aus den Kassen ohne Bedarf in die Kassen mit Bedarf
wirken volkswirtschaftlich wie in den Kreislauf eingebaute Bremsen,
die am Ende so prohibitiv wirken können, dass die Nachfrage nicht
nur gehemmt wird, sondern stagniert. Zugleich handelt es sich bei
den Transferkosten, die in Form von Zinsen in die Kassen ohne Bedarf
abgeführt werden müssen, um ein Einkommen bei diesen Kassen,
dem keine volkswirtschaftliche Leistung gegenübersteht. Während in
die Kassen ohne Bedarf anschwellende Ströme von Einkommen ohne
Leistung fließen, fehlt dieses Geld dort, wo Menschen arbeiten und
etwas leisten wollen, um Einkommen in ihre Kassen zu leiten, mit
dem sie ihren Bedarf befriedigen können. Das Leistungsangebot
dieser Arbeitswilligen wird nicht nachgefragt, weil das Geld, das
dafür erforderlich wäre, zunächst einmal durch Kassen ohne Bedarf
fließt, bevor es unter Verursachung von hemmenden oder
blockierenden Kosten in die Kassen mit Bedarf zurückfließen kann.
So ist die Wirtschaft durch die Geldordnung auf Nachfragerückgang
programmiert, und der Nachfragerückgang erzeugt Arbeitslosigkeit.
So ist auf lange Sicht in unserer Geldordnung eine strukturelle
Arbeitslosigkeit geradezu angelegt.
 
(14) Zum Folgenden: Suhr, D., Auf Arbeitslosigkeit programmierte
Wirtschaft – Diagnose und rechtstechnische Behandlung des
Mehrwertsyndroms, in: Zeitschrift für Rechtspolitik
Nr. 9/1983, S. 221-227.
 
 
5.3.) Zwang zum pathologischen Wachstum
 
Wenn die Wirtschaft geldordnungsbedingt und strukturnotwendig zu
Nachfragerückgang und damit zur Arbeitslosigkeit führt, ohne das
man sich dieser Ursache bewusst ist, taucht das Problem auf, wie
man mit dem Symptom “Arbeitslosigkeit” fertig werden kann, ohne
es bei der monetären Ursache zu packen. Kennt man die Ursache,
wird verständlich, warum wir um Erreichung der Vollbeschäftigung
willen scheinbar zu Wachstum verurteilt sind: Wenn durch die Kassen
ohne Bedarf wachsende Ströme von Einkommen ohne Leistung fließen,
dann muss die monetäre Lücke, die in der übrigen Wirtschaft dadurch
gerissen wird, irgendwie wieder ausgefüllt werden. Das kann auf die
Dauer nicht (“nachfrageorientiert”) Konsumentenkredite geschehen,
weil dann der Tag absehbar ist, an dem die Konsumenten nichts mehr
kaufen können, weil sie nur noch Zinsen zahlen müssen. Bleibt nur der
Weg, die Wirtschaft (“angebotsorientiert”) über neue Investitionen
auszuweiten, Arbeitsplätze zu schaffen und mit den bezahlten Löhnen
das Geld unters Volk zu bringen, das wieder belebende Nachfrage
schafft, weil es in Kassen mit Bedarf fließt.
 
Wir sind also nicht deshalb auf dem Weg in ein verhängnisvolles
Wachstum, weil unsere Bedürfnisse explodieren, sondern im
Gegenteil: weil immer mehr Gelder durch Kassen von Menschen
strömen, die viel mehr Geld als Bedarf haben. So paradox es ist, aber
der derzeitige pathologische Wachstumszwang beruht darauf, dass
Menschen, die keinen realen Bedarf mehr haben, über zu volle Kassen
verfügen, so dass sie nur noch den abstrakten, pathologischen Bedarf
nach Zinsen und Renditen entwickeln, was mit Vollbeschäftigung nur
so lange noch eben vereinbar bleibt, wie die Wirtschaft etwa so
schnell wächst wie das Einkommen ohne Leistung, das durch die
Kassen ohne Bedarf strömt.
 
Damit schließt sich ein Kreis: Am Ende der ökonomischen Deutung der
monetären Ungerechtigkeiten stößt man auf die größte und schlimmste
der Ungerechtigkeiten selbst, nämlich auf die Massenarbeitslosigkeit
als strukturelle Folge von Mängeln in der Geldordnung. Die Mängel
bewirken, dass ausgerechnet denen Einkommen zugeführt wird, die
weder etwas leisten, noch einen Bedarf haben, und das zugleich
andere kein Einkommen erhalten, die sehr wohl etwas leisten wollen,
weil sie Bedarf haben und diesen bedarf befriedigen möchten.
 
Fortsetzung folgt
 
LG    Winnie
 
 
 
 
 
Wer fleißig arbeitet und Lohn dafür bekommt, kann für seinen Lohn alles erwerben,
was die Volkswirtschaft gegen Geld zu bieten hat. Er kann teilhaben an den
Leistungen der Volkswirtschaft und zwar in dem Umfang, wie er selbst durch seine
Arbeit zu diesen Leistungen beigetragen hat: In dem Maße, wie er



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