Zum Inhalt springen.
Sympa Menü

ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] EZB als Saldendokumentierer?

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

Listenarchiv

Re: [AG-GOuFP] EZB als Saldendokumentierer?


Chronologisch Thread 

Am 06.07.15 um 09:31 schrieb Axel Grimm:
> ivl1705 schrieb:
>> Cencini unterscheidet explizit zwischen mikroökonomischer Ersparnis
>> (das schwäbische Hausfrauen Sparen) und makroökonomischen Sparen
>> (die endgültige Verwendung von Einkommen für Investitionsgüter).
>> Das Makrosparen stellt einen endgültigen Verzicht von Einkommen
>> zugunsten der Bildung eines Kapitalstocks, der der Volkswirtschaft
>> als Ganzes für alle Zeit zum Zwecke einer effizienteren
>> Produktion[1] zur Verfügung steht.
>
> Das verstehe ich nicht.

Dachte ich es mir doch, dass da noch ein Verständnisproblem ist. Aber
danke dass du nachfragst. In der Tat ist die Quantumökonomie eine
gewaltige Herausforderung für das herkömmliche ökonomische Denken.

Im Zentrum steht der Begriff der Finanzierung. Die Finanzierung kann man
sich als eine Folge von geplanten Zahlungen/Rückzahlungen im Zeitverlauf
vorstellen. In ihrer Finanzierungsfunktion stellen Banken die Kaufkraft
bereit, anfallende Zahlungen zu tätigen. Mit anderen Worten, Banken
verschaffen einem Unternehmen die Zeit, in der Produktion stattfinden
kann oder noch kürzer: Geld ist Zeit.

Für diese Dienstleistung verlangen die Banken einen Preis, den Zins.
Volkswirtschaftlich stellt dies ein Umverteilungseinkommen zugunsten der
Bank dar.

> Wieso ist Makroökonomisches "Sparen" im Sinne von investieren ein
> Verzicht auf Einkommen????

Beachte bitte, wir betrachten im Moment nur den Bereich des Fixkapitals
in der Bankenbilanz. Das Unternehmen hat durch seine Geschäftstätigkeit
ein Überschusseinkommen, eine Profit erzielt. Wenn dieses Einkommen zum
Erwerb eines Investitionsgutes verwendet, so findet ein 'absoluter
Tausch' statt: das monetäre Objekt Einkommen wird gegen das physische
Objekt Investitionsgut getauscht. Das Einkommen ist weg und wurde in
Fixkapital transformiert. Der Betrag bleibt unverändert, es hat sich
lediglich die Qualität des Bilanz-Eintrags geändert.

Du hast immer die Gleichsetzung von Sparen und Investieren kritisiert,
meines Erachtens zurecht, allerdings mit der falschen Begründung. Ich
hatte ja mal versprochen, mich näher mit dem Beitrag von Egmont
Kakarot-Handtke

<https://rwer.wordpress.com/2015/06/16/keenonomics-aggregate-demandchange-of-debt-and-some-misleading-critique/>

zu beschäftigen. Dieser Artikel ist insofern bemerkenswert, als er auf
die in meinen Augen wichtigsten Ökonomen für ein neues Paradigma direkt
Bezug nimmt (Schmitt, Stützel, Keen) und die naiv keynesianische
'I=S'-Interpretation aufs Korn nimmt. In 'Why Post Keynesianism is Not
Yet a Science' fasst er das so zusammen (meine Übersetzung):

> Keynes schlug vor, die Axiome der orthodoxen Theoretiker 'über Bord
> zu werfen', die 'euklidischen Landvermessern in einer
> nicht-euklidischen Welt' ähneln, aber nicht seinen eigene Aufruf
> beachtet.

Insoweit stimmt er mit Bernard Schmitt überein, dass die
naiv-keynesianische Interpretation nicht zielführend ist. In 'Debunking
Squared' würdigt er Keens 'bullshit detector', der es ihm ermöglicht,
die groben analytischen Schnitzer in der Mainstreamökonomie zu
entlarven. Lediglich Keens Definition von "“Total income = Wages plus
Profits” ist unzureichend, als bei Profiten zwischen ausgeschütteten und
einbehaltenen Profiten unterschieden werden müsse. Ich hatte diese
Unterscheidung bereits berücksichtigt, als ich bei institutionalisiertem
Fixkapital (Aktien) einen objektiven Wert hergeleitet habe:

Ausgabekurs x Anzahl der Aktien + Summe thesaurierter Gewinne

Abschliessend kommt Kakarot-Handtke zu der Feststellung

The First Law of balance mechanics says: saving:=loss and not
saving:=investment.

Dies ist gleichwertig deiner Auffassung Sparen:=Schulden.

Leider wird darin keine Aussage darüber getroffen, welche Qualität diese
Aktivum-Passivum Beziehung hat (Schuldverhältnis Depotbesitzer <-> Bank
oder Subjekt-Objekt-Relation).

Mit der konzeptionellen Unterscheidung zwischen Finanzierungskapital und
Fixkapital wird die buchhalterische Grenze für den Übergang von
Geld-Ware bzw. Ware-Geld fixiert, wie es schon Marx formuliert hat.

Das Fixkapital oder Kapitalstock drückt die wertmässige Gleichheit von
nicht verausgabten Einkommens (geldseitig) und im volkswirtschaftlichen
Produktionsprozess verbliebenen Output (güterseitig). Ich bin auch nicht
glücklich, dass Cencini den Begriff 'makroökonomischen Sparen' verwendet
hat. Im Lichte eines 'Kooperativen Kapitalismus' fände ich die
Bezeichnung arbeitsteilig erzielter gesamtgesellschaftlicher Gewinn besser.

> Ich halte da Gegenteil für richtig: Investiern erfolgt zu dem
> Zwecke, ein höheres Einkommen zu generieren = KEIN Verzicht auf
> Einkommen, sondern die Vermehrung des Einkommes.

Fassen wir es doch so zusammen: Ziel eines jeden Unternehmens ist es
doch, einen permanenten Einkommensüberschuss (=Profit) zu generieren.
Das ist eine auf Dauer eingerichtete Tätigkeit. In deiner Formulierung
schwingt auch ein wenig Wachstumsideologie mit. Ein Taxiunternehmer hat
zu mir einmal gesagt: „Ein Geld verdienst erst, wenn der Wagen abbezahlt
ist.” Hinter dieser Aussage verbirgt sich eine realistischere
Vorstellung von Profit, als bei den neoklassisch verbildeten
Akademikern. Anders formuliert, ein Einkommensüberschuss kann auch dann
gebildet werden, wenn die physikalische Nutzungsdauer größer als die
Refinanzierungsdauer der Anfangsinvestition ist. Es gibt da noch das
Problem der Abnutzung. Die Bestimmung des optimalen Zeitpunktes der
Ersatzinvestition ist vom konkreten Produktionsprozess abhängig und
damit ein mikroökonomisches Problem. Innerhalb einer
gesamtwirtschaftlichen Analyse kann die Frage nicht beantwortet werden.

> Und wieso für "alle Zeit"? Die Sachgüter unterliegen dem Zahn der
> Zeit, die gegeh kaputt und damit ist es nicht "für alle Zeit".

Bei Sachgütern hast du natürlich recht. "Für alle Zeit" ist natürlich
insoweit einzuschränken, als sie zum Zweck der Produktion tatsächlich
zur Verfügung stehen.

Mit dem Begriff Fixkapital, wie er bei Quantumökonomen verwendet wird,
hatte ich anfangs auch Schwierigkeiten mit dem Verständnis. Im Gegensatz
zur betriebswirtschaftlichen Auffassung, welche den Verzehr im Laufe der
Zeit abschreibt, ist das makroökonomische Fixkapital in der Höhe zu
fixieren. Es stellt das monetäre Äquivalent des technologischen
Produktionsniveaus einer Volkswirtschaft zu einem beliebigen Zeitpunkt
dar. Um den tatsächlich auftretenden Verschleiss zu kompensieren, muss
das Unternehmen die von Cencini als Amortisationsgüter bezeichneten
Güter, wie Reparaturleistungen oder Ersatzteile nachfragen.

Diese Güter gibt es aber, direkt oder indirekt, nur auf dem
*Arbeitsmarkt*. Dies stellt
1. eine stärkere Umverteilung hin zu Arbeitnehmereinkommen dar und
2. rückt realwirtschaftliche Erwägungen wieder in den Vordergrund.

> Das mit dem effizient halte ich auch für einen Wunschgedanken.
>
> Mit dem Einbringen der "Volkswirtschaft als Ganzes " wird das Ganze
> als ganz toll hingestellt, dabei dient es nur der Vermehrung von
> Einkommen und Vermögen Weniger.

So einfach ist es nicht. Einige Aspekte der Umverteilung habe ich ja
schon skizziert. Die Neoklassik berücksichtigt bei ihren Modellen im
einfachsten Fall nur die Sektoren Unternehmen und Haushalte. Banken sind
in diesem Modell dem Unternehmenssektor zugeschlagen. Das ist leider zu
einfach. Ein minimales volkswirtschaftliches Gesamtmodell einer
arbeitsteiligen Produktionswirtschaft braucht daher eine Instanz, in der
Wert registriert und dokumentiert wird. Ein Bankensystem aus
Geschäftsbanken, das den quantumökonomischen Buchhaltungsregeln folgt
und vermittelnder Zentralbank, stellt eine solche Instanz dar. Wenn
diese Voraussetzung nicht gegeben ist, wie es im heutigen Bankensystem
gegeben ist, dann entsteht eine Diskrepanz in der Maßzahl, welche
Cencini so formuliert:

N(105)≡A(100)

Dem nominalen Wert der Nachfrage (Einkommen) steht ein Angebot (Output)
mit niedrigerem realem Wert gegenüber. In dem Zahlenbeispiel ist ein
Output von 100 [WE] angenommen, wovon 5 [WE] im Investitionsgütersektor
entstanden sind. Diese zusätzlichen 5 [WE] treten immer noch
nachfragewirksam auf dem Markt auf, obwohl das entsprechende Einkommen
schon an die Beschäftigten im Investitionsgütersektor ausbezahlt wurde.
Hier hast du das anonyme Kapital das die derzeitige Weltwirtschaft so
durcheinander wirft. In dieser Diskrepanz liegt die makroökonomische
Ursache für Inflation und unfreiwilliger Arbeitslosigkeit. Das muss ich
aber an anderer Stelle noch detaillierter aufbereiten.

Bezeichnend ist, dass die Dichotomisierung in nominalem und realem Wert
in der Bruun'schen Systematik ein Merkmal der Anhänger der
Quantitätstheorie ist.

Darf ich ferner daran erinnern, dass die einzige Arbeit, in der eine
Doppeltzählung von Fixkapitalgütern erwähnt wird, in

Genreith, Heribert. „Field Theory of Macroeconomics“.
http://arxiv.org/ftp/arxiv/papers/1407/1407.6334.pdf
nachzulesen ist, in der er die Quantitätstheorie mit Hilfe des
Noether-Theorems untersucht?

Zur Erinnerung hier mein Diskussionsbeitrag vom 5.11.2014 mit dem Titel
'Grobe Klatsche für die Ökonomenzunft'

> Money Quote zum Begriff Kapitalstock (S.60)
>> But this classical notion is, in terms of theoretical handling of
>> macro-economy, not well founded: As buying and selling goods is
>> already accounted in the measure of GDP, and thus accounting it as
>> Capital is doubling it and thus getting sources and sinks
>> unbalanced.
>
> Für diejenigen, die im Englischen nicht so fit sind:
> Aber diese klassische Auffassung ist in Bezug aus eine theoretische
> Betrachtung der Makroökonomie nicht gut begründet. Da der Kauf und
> Verkauf von Gütern im Maß des BIP bereits eingerechnet wird, ist das
> Ausweisen [von Fixkapitalgütern] als Kapital eine Verdoppelung wodurch
> die Quellen und Senken unausgeglichen werden.

Wenn du so willst, zeigen wir mit der Quantuminterpretation dem
globalisierten Finanzkapital seine buchhalterischen Grenzen auf.

> Mir scheint, hier wird der Begriff "Einkommen" nicht als Einkommen
> im Sinne von Einkommen bedeutet, sondern eine andere Bedeutung
> aufweist.

Einkommen ist das Finanzierungskapital, wodurch Output monetarisiert
wird. Erst dann kann dem realen Output eine Zahl zugeordnet werden.
Dies findet regelmäßig auf dem Arbeitsmarkt statt. Wenn eine Leistung
erbracht wird, so soll sie auch bezahlt werden!

Besonders eklatant ist das im Bereich der Gemeingüter. Das
konkurrenzkapitalistische Paradigma, welches aus der
betriebswirtschaftlich motivierten Scheuklappenperspektive des
Unternehmens argumentiert, versagt in der Wohlfahrtstheorie (optimale
Allokation) vollends (Stichwort Tragik der Allmende). Wer hier auf
Ehrenamtliche und Altruisten spekuliert, nach dem Motto 'Ein Dummer wird
sich schon finden', darf mit Fug und Recht als Sozialschmarotzer
bezeichnet werden.

Als Monetäre Größe konstituiert das Einkommen einen Numeraire, das
homogene Maß, gegen das alle anderen Güter und Dienstleistungen
getauscht werden können. Es steht damit in direkter Konkurrenz zum
Walras-Numeraire der von den Gleichgewichts- und Wachstumsesoterikern
der orthodoxen Ökonomie mikroökonomisch hergeleitet wird.

Ich sehe die Quantumökonomie als das theoretische Rüstzeug, um ein
Grundeinkommen wissenschaftlich zu rechtfertigen und im weiteren Sinn
auch für einen echten Paradigmenwechsel vom Konkurrenzkapitalismus zum
Kooperationskapitalismus.

citoyen




Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.

Seitenanfang