ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
Listenarchiv
Re: [AG-GOuFP] Aus RWER: Die Gleichgewichtsmodelle sind ein plutokratisches Werkzeug
Chronologisch Thread
- From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
- To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Aus RWER: Die Gleichgewichtsmodelle sind ein plutokratisches Werkzeug
- Date: Sun, 09 Nov 2014 16:01:45 +0000
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Hi Gerhard,
Die Gleichgewichtsmodelle sind ein plutokratisches Werkzeug
Was die meisten Kritiker eines allgemeinen Gleichgewichts vergessen zu
erwähnen, ist eigentlich der wichtigste Vorteil der Mainstreamökonomie:
Es ist eine Waffe, das Politische aus der Domäne des Ökonomischen zu
verdrängen.
Genau. Der Staat ist der Böse, der Gute ist der Markt, deswegen ist der Staat aufs Minimum zu reduzieren (Nachtwächterstaat). Hayek explizit: Sollten die "Massen" einen zu großen Einfluß gewinnen, ist ein "liberaler Diktator" der Demokratie vorzuziehen:
/
"Zur Bekämpfung der "abuses of democracy" schlug Hayek in den 1970er-Jahren die Schaffung einer Jury vor, eines Rats der Weisen. Dieser agiert über dem Parlament. Mehrheitsentscheidungen, welche die Freiheit der Individuen einschränken, wären dann nicht mehr möglich wie etwa eine Pflichtmitgliedschaft in der Sozialversicherung. Die Troika von Europäischer Zentralbank, Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds kann als Prototyp von Hayeks Jury angesehen werden." ( http://derstandard.at/1379292027264/Die-Finanzschmelze-und-der-schlaue-August )/
Von Anfang an waren es Kaufleute und Grundbesitzer, also das
aufstrebende Bürgertum, welches in der Demokratie (der 'Tyrannei der
Massen') ein gleichwertiges Übel sah, wie in der Tyrannei der
absolutistischen Monarchen.
Das gilt nur für die moderne "Massendemokratie", in der Lohnarbeiter die Wählermehrheit stellen. Die ist erst im 19. Jahrhundert mit der Bevölkerungsexplosion und "Bauernbefreiung" entstanden.
Demokratie und Selbstverwaltung wurden in der Antike gerade von den freien Grundbesitzern und Kaufleuten entwickelt und praktiziert. Die damaligen Arbeiter waren allerdings keine freien, sondern unfreie Sklaven: Eigentum ihrer Herren, nicht vertragsmündig ohne politische Mitspracherechte.
Das Problem, das der Autor anspricht, verwischt diese ungeheuer wichtige historische Differenzierung.
Der beste Weg ein System zu bestimmen, das die Verteilung des Wohlstands innerhalb einer Gesellschaft bewerkstelligt und dennoch eine
Beherrschung durch die Massen verhindert, ist die der Verdrängung des
Politischen aus dem Mittelpunkt.
Richtig. Für die freien Bürger des antiken Griechenlands dagegen stand Politik immer über dem "Business" - sowohl moralisch als auch ideologisch, denn die hatten nicht das Problem einer Arbeiterklasse mit Mitspracherechten und Interessen, die den ihren konträr zuwiderlaufen.
Immer wieder erstaunlich, wie solche super einfachen, auf der Hand liegenden Zusammenhänge (seit 1990) komplett ausblendet werden.
Zwar kann das Politische nie ganz verdrängt werden, jede menschliche Aktivität ist irgendwie auch politisch, jedoch kann es durch eine Macht ersetzt werden, die als unausweichlich dargestellt wird.
Richtig. Und daraus wird die moderne marktfundamentalistische Ideologie, die dem Humanismus der griech. Antike in vielen Punkten diametral entgegensteht (Menschenbild z.B.) und auch völlig unhistorisch argumentiert:
- der Markt macht immer alles richtig, wenn er etwas ineffizient macht, ist das der Beweis, daß er noch nicht frei genug ist und dereguliert werden muß;
- Menschen sind egoistische Machttiere, Mitleid ist Heuchelei, Solidarität mit Schwachen ebenfalls und obendrein dumm, läßt man die Menschen diese Triebe frei ausleben, resultiert für die Gemeinschaft das Optimum. Läßt man die Menschen dagegen Idealen folgen, entsteht Ineffizienz, Faulheit, Chaos und relative Armut.
In other words: Sozialdarwinismus pur, "Survival of the Fittest".
In diesem Sinne ist die Ideologie eines Allgemeinen Gleichgewichts eine Parallele zur Marxistischen Theorie: Beide postulieren die endgültige
Ausmerzung des Politischen von der ökonomischen Verteilungsfrage.
Genau.
Beides sind idealistische Illusionen, um uns von der Verbreitung und
Bedeutung der Demokratie abzulenken.
Da muß man schon unterscheiden zwischen der antiken Demokratie (Kaufsklavenkapitalismus) und der modernen (Lohnarbeiterklasse). Es ist klar, daß diejenigen, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ein Interesse an Demokratie haben, denn sie können ihre Interessen gegen eine Minderheit dann politisch durchsetzen. Die vermögende Minderheit fürchtet dies natürlich, bekämpft aber eben nicht die Demokratie direkt, sondern:
DIE MEINUNG, WAHRNEHMUNG und damit INTERESSEN der Mehrheit. Dies tut sie über Theorien (wie die Neoklassik, den Sozialdarwinismus etc.etc.etc.), die über Medienkanäle und Politikberatung zur herrschenden Wahrnehmung gemacht werden, die von der Mehrheit "für wahr genommen" wird.
Dies ist ein "legitimes" politisches Mittel, das der "Überredung" (Rhetorik), kompatibel mit den Abläufen einer Demokratie. Natürlich haben die Vermögenden hier materiell die Übermacht (Think Tanks finanzieren, Medieneigentum etc.). Die Lohnarbeiterklasse kann dem nur "besseres Denken" entgegensetzen, versagt aber genau hier seit Jahrzehnten auf der ganzen Linie.
Die Aura des Wissenschaftlichen verdeckt das eigentliche Politische
Ziel: den Status Quo bei der Verteilung zu erhalten.
Natürlich, was sonst?
So wie die Geschichte der Demokratie eine Geschichte der Inklusion ist, ist die Geschichte der Marktmagie eine Geschichte der Exklusion. Es ist
die Verteidigungslinie der Plutokratie, die Rolle der Regierung als
aktiven ökonomischen Akteur zu neutralisieren.
Wie gesagt: wer hier nicht die Unterschiede zwischen der antiken Demokratie (Athen, mit unmündigen Sklaven) und der modernen (mit freien, vertragsmündigen und politisch handlungsfähigen Lohnarbeitern) thematisiert, redet am Kern des Themas vorbei.
Die Ausssage 'Wir sind das Volk' nimmt für sich das Recht in Anspruch,
auf die Verteilungsergebnisse des ökonomischen Prozesses Einfluss zu
nehmen. Tatsächlich sind wir es, die diesen Prozess aufrechterhalten.
Wie gesagt: es ist ein Machtkampf um Wahrnehmungen - und darum, zu definieren, welche Wirtschaftspolitik im Interesse der Mehrheit ist.
Ideologie stellt immer das Interesse einer Partialgruppe als Allgemeininteresse dar, um Mehrheiten zu gewinnen. Dem neoliberalen Diskurs ist das - mithilfe v.a. auch (aber nicht nur) der völlig realitätsfremden Neoklassik - bisher im großen und ganzen gelungen. Aber natürlich wird diese Ideologie, bis zur letzten Konsequenz getrieben, an sich selbst scheitern.
Völlige Geschichtslosigkeit ist z.B. ein Teil der herrschenden marktfundamentalistischen Ideologie, der auch hier im Forum nach wie vor grassiert, ebenso Wachstumsfeindlichkeit und Öko-Apokalyptik.
- [AG-GOuFP] Aus RWER: Die Gleichgewichtsmodelle sind ein plutokratisches Werkzeug, Gerhard, 09.11.2014
- Re: [AG-GOuFP] Aus RWER: Die Gleichgewichtsmodelle sind ein plutokratisches Werkzeug, moneymind, 09.11.2014
- Re: [AG-GOuFP] Aus RWER: Die Gleichgewichtsmodelle sind ein plutokratisches Werkzeug, Gerhard, 10.11.2014
- Re: [AG-GOuFP] Aus RWER: Die Gleichgewichtsmodelle sind ein plutokratisches Werkzeug, moneymind, 09.11.2014
Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.