ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- Subject: [AG-GOuFP] Aufruf von 120 französischen Ökonomen
- Date: Sun, 7 Oct 2012 15:26:20 +0100 (BST)
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- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Le Monde: Paris; 02.Oktober. 2012
"Seit 2008 sieht sich die Europäische Union einer nie gekannten
Wirtschaftskrise ausgesetzt. Anders als neoliberale Ökonomen glauben
machen wollen, ist diese Krise keine Staatsschuldenkrise. Spanien und
Irland sind heute den Attacken der Finanzmärkte ausgesetzt, obwohl diese
Länder stets die Maastricht-Kriterien eingehalten haben. Der Anstieg
der Staatsverschuldung ist eine Folge des Einbruchs der
Steuereinnahmen(hervorgerufen teilweise durch Steuergeschenke an die
Reichen), der staatlichen Hilfe für private Banken sowie der
Inanspruchnahme der Finanzmärkte, um diese Schulden zu exzessiven
Zinssätzen zu bedienen.
Die Krise entspringt auch dem völligen Fehlen einer Regulierung des
Kredits und der Kapitalströme zu Lasten der Beschäftigung, der
öffentlichen Dienstleistungen und der Produktion. Sie wird von der
Europäischen Zentralbank (EZB) am Laufen gehalten, die bedingungslos die
privaten Banken unterstützt und jetzt von den Staaten eine „strikte
Konditionalität“ der Austeritätspolitik fordert, damit sie ihre Rolle
als „Kreditgeber der letzten Hand“ wahrnimmt. Diese Krise wird des
weiteren verschärft durch innereuropäisches Steuerdumping und durch das
Verbot für die EZB, den Staaten direkt Kredite zur Finanzierung von
Zukunftsausgaben zu gewähren – im Gegensatz zu anderen Zentralbanken auf
der Welt wie etwa der amerikanischen Federal Reserve. Schließlich wird
die Krise auch verschärft durch die extreme Schwäche des EU-Haushalts
und seine Deckelung auf die lächerlich niedrige Schwelle von 1,24% des
BIP.
François Hollande, der sich während der Präsidentschaftskampagne
verpflichtet hatte, den Fiskalpakt neu zu verhandeln, hat keinerlei
Veränderung bewirkt und hat sich dazu entschlossen, die
Austeritätspolitik fortzusetzen, die von seinen Vorgängern begonnen
wurde. Das ist ein tragischer Fehler. Die Ergänzung durch einen
Pseudo-Wachstumspakt mit lächerlichen Summen verbrämt lediglich (?) eine
von Merkel und Sarkozy durchgesetzte Schuldenbremse, die jegliche
staatliche Finanzierung von Zukunftsausgaben verhindert und zu einem
Programm drastischer Einsparungen bei allen öffentlichen Aufgaben
führt.
Indem dieser Vertrag die Möglichkeit der Staaten, ihre
Volkswirtschaften anzukurbeln, mehr als je zuvor einschränkt und indem
er einen ausgeglichenen Haushalt vorschreibt, führt er unweigerlich in
die Rezession und verschärft automatisch die bestehenden
Ungleichgewichte. Staaten, die unter dem Zusammenbruch der
Binnennachfrage leiden, müssen ihre staatlichen Ausgaben noch stärker
zurückfahren. In mehreren EU-Staaten, die sich bereits in der Rezession
befinden, bedroht diese Logik noch zusätzlich ihre Produktion und ihren
Arbeitsmarkt – und damit ihre Steuereinnahmen, wodurch sich die
Defizite am Ende noch vergrößern. So prognostiziert das
Konjunkturforschungsinstitut OFCE aufgrund der Austeritätspolitik
bereits jetzt 300.000 zusätzliche Arbeitslose in Frankreich für 2013.
Auf mittlere und längere Sicht wird dadurch der soziale und ökologische
Wandel, der beträchtliche Investitionen erfordert, in Frage gestellt.
Im Namen einer angeblichen „europäischen Solidarität“ schreibt der
Fiskalpakt in Wirklichkeit die staatliche Garantie für große private
Vermögen fest. Er meißelt automatische Austeritätsmaßnahmen in Stein,
die die vom Volk gewählten Abgeordneten absegnen müssen, und erzwingt
auf diese Weise Haushaltsentscheidungen, die von einer nicht vom Volk
gewählten Instanz diktiert werden.
Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), eine antidemokratische Institution par excellence,
darf Kredite zu etwas geringeren Zinsen (5%) gewähren. Aber diese
Kredite sind an die Durchführung einer drastischen Austeritätspolitik
gebunden, die den Bürgern aufgezwungen wird! Die staatliche Bürgschaft
für private Investoren ermuntert die Spekulation, statt ihr das Genick
zu brechen, indem man ihr die öffentlichen Schulden entreißt. Es gilt
uneingeschränkt festzuhalten: Austerität ist zugleich ungerecht,
unwirksam und antidemokratisch.
Alternativen sind möglich. Die Zukunft Europas erfordert eine
demokratische Debatte über die Auswege aus der Krise. Eine koordinierte
Ausweitung der Produktion, der Beschäftigung und der öffentlichen
Dienstleistungen in Europa wäre heute möglich.
Damit die EU eine solche Politik in Angriff nimmt, ist es dringend
erforderlich, die europäischen Institutionen zu reformieren und zu
demokratisieren. Ein Europäischer Fonds für soziale und ökologische
Entwicklung unter demokratischer Kontrolle könnte diese Dynamik
entfalten. Weiterhin könnte die EU eine Finanzkontrolle einrichten.
Die sozialen und ökologischen Herausforderungen sind immens. Es ist
möglich, die düstere Bilanz der neoliberalen Politik in Frankreich mit 5
Millionen Arbeitslosen und 10 Millionen Armen aufzubrechen. Um sich
dafür die Mittel zu verschaffen, muss man die Zwangsjacke der
Finanzmärkte ablegen und sich nicht von ihnen abhängig machen. Deshalb
lehnen wir die Ratifizierung des Vertrags über Stabilität, Koordinierung
und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalpakt) ab!"
lg
matthias
- [AG-GOuFP] Aufruf von 120 französischen Ökonomen, matthias garscha, 07.10.2012
- Re: [AG-GOuFP] Aufruf von 120 französischen Ökonomen, Pieter Hogeveen, 07.10.2012
- Re: [AG-GOuFP] Aufruf von 120 französischen Ökonomen, Thomas Irmer / ID Concept, 09.10.2012
- Re: [AG-GOuFP] Aufruf von 120 französischen Ökonomen, Systemfrager, 09.10.2012
- Re: [AG-GOuFP] Aufruf von 120 französischen Ökonomen, Pieter Hogeveen, 09.10.2012
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