ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
Listenarchiv
- From: <CU_Mayer AT Menschen-gerechte-Gesellschaft.de>
- To: 'Jürgen Niccum' <j.niccum AT me.com>, "'AG-GOuFP'" <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Wachstumszwang nach Binswanger
- Date: Wed, 18 Apr 2012 08:33:50 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
- Organization: Evult
Danke für den Text- ist viel wertvolles drin.
Wachstum muss aber nicht quantitativ sein und auf Kosten der Natur gehen. Es kann auch qualitatives Wachstum geben, das zu Nachhaltigkeit führt, wenn dies belohnt wird. Zu dem Thema hab ich grad kürzlich Lösungen gepostet:
1. Das Werte-Siegel: Im Markt kann der Käufer nur das als Kaufkriterium verwenden, das er auch sehen/ wissen kann. Heute weiß der Konsument (und im "Geldmarkt" der Investor) größtenteils nicht, ob ein T-Shirt für 100€ nachhaltiger hergestellt wurde, als eines für 2€. Es ist unbekannt, welche Löhne, welche Arbeitsbedingungen, welche Korruptionsgrade, welche Umweltverschmutzung, CO2-Emission usw. dahintersteht. Um Werthaltigkeit und Nachhaltigkeit zu gewährleisten entstehen aber meist zusätzliche Kosten, z.B. Filteranlagen oder höhere Lohnkosten. Aus diesem Grund haben langfristig die Unternehmen mehr Geld, Größe und Erfolg, die nur auf ihre Kosten und nicht auf Umwelt und Mensch Rücksicht nehmen (ja, diese Aussage ist zu verallgemeinernd, es geht hier um die Tendenz). Sobald man aber transparent macht, unter welchen Bedingungen ein Produkt oder eine Dienstleistung entsteht, wird dies ein Kaufkriterium. Und wenn man den Grad der Verwirklichung von Werten und Nachhaltigkeit mit einem Mehrwertsteuersatz verknüpft, wird auch der Marktpreis der nachhaltigen Produkte günstiger und nahezu jeder kauft die nachhaltigen Produkte. Er würde ein Werte-Siegel in 3 Kategorien vergeben: Gold: 7% MWSt, Silber: 12% MWSt., Bronze: 19% MWSt, keine Kategorie erreicht: 50% MWSt. Die Einteilung würde nach Kriterien erfolgen, hier ein Vorschlag dazu: http://www.menschen-gerechte-gesellschaft.de/index_htm_files/Werte-Ethiksiegel.xls Eine kurze Einführung findet ihr auch unter: http://www.menschen-gerechte-gesellschaft.de/werte-siegel.htm
2. Gemeinwohl-Ökonomie: http://www.gemeinwohl-oekonomie.org/ Auch hier gibt es die Idee der Begünstigung von Unternehmen, die nach gesellschaftlichen Werten handeln, erfasst durch die "Gemeinwohl-Bilanz", auch hier ist eine Vergünstigung in Steuern aber auch bei Zoll, Finanzierung usw. vorgesehen. Die „Gemeinwohl-Ökonomie“ beschreibt die grundlegenden Elemente einer alternativen Wirtschaftsordnung. Sie wählt dabei drei Zugänge: * | Der Wertwiderspruch zwischen Markt und Gesellschaft soll aufgehoben werden. In der Wirtschaft sollen dieselben humanen Werte belohnt werden, die zwischenmenschliche Beziehungen gelingen lassen. * | Verfassungskonformität. Die Wirtschaft soll mit den heute bereits in den Verfassungen westlicher Demokratien enthaltenen Werten und Zielen übereinstimmen, was gegenwärtig nicht der Fall ist. * | Die wirtschaftliche Erfolgsmessung soll von der Messung monetärer Werte (Finanzgewinn, BIP) auf die Messung dessen, was wirklich zählt, die Nutzwerte (Grundbedürfnisse, Lebensqualitätsfaktoren, Gemeinschaftswerten), umgestellt werden. Inhalte: http://www.gemeinwohl-oekonomie.org/wp-content/uploads/2011/11/GWOE_20-Punkte-Zusammenfassung.pdf http://www.gemeinwohl-oekonomie.org/wp-content/uploads/2011/11/Matrix_3-0_final.pdf
3. Energiesteuer + Lenkungsfunktion + evtl. verknüpftes Grundeinkommen Der Vorschlag, die Steuereinnahmen durch Energiesteuer zu verbessern und dadurch sinnvoll zur Nachhaltigkeit zu lenken ist auch schon oft geäußert worden, bisher aber nur teilweise umgesetzt. Ein ganz guter Vortrag hier: http://www.rosalux.de/fileadmin/static/archiv_rls-bw/cms/files/vortrag_ludewig.pdf
Alwine Schreiber Martens hat vorgeschlagen, die Energiesteuern anzuheben und die so entstandenen Mehreinnahmen für ein Grundeinkommen zu verwenden. So hätte jemand, der durchschnittlich verbraucht genausoviel in der Tasche wie vorher aber jemand der mehr verbraucht zahlt einiges mehr, die sparsamen haben einen geldwerten Vorteil. Hier das Konzept: http://www.sfv.de/lokal/mails/wvf/energieg.htm
4. Nachhaltigkeitsfond: In jedem Wirtschaftsunternehmen werden neue Produkte entwickelt, die die alten ablösen. Diese Entwicklungen werden von den Einnahmen durhc die aktuellen Produkte finanziert. Diesen Mechanismus gibt es in unserer Volkswirtschaft so nicht. Der Vorschlag ist also, auf nicht nachhaltige Technologien, Rohstoffe usw. eine Abgabe einzuführen (z.B. auf Öl), die in einen Fond fließt. Diese Fondgelder werden dann verwendet, um die Entwicklung von Zukunftstechnologien auszuschreiben, zu finanzieren und umzusetzen (z.B. Wasserstoffgewinnung in Wüstengebieten aus Meerwasser, Aufbau Pipeline und Wasserstofftankstellennetz in Europa, ...).
Von: ag-geldordnung-und-finanzpolitik-bounces AT lists.piratenpartei.de [mailto:ag-geldordnung-und-finanzpolitik-bounces AT lists.piratenpartei.de] Im Auftrag von Jürgen Niccum
Sehr interessante Lektüre! http://www.ivwl.uni-kassel.de/forschungskolloquium/binswanger-vortrag-0607.pdf Die Ge- winne der Unternehmungen sind grundsätzlich gleich der Differenz zwischen den Einnahmen und den Ausgaben der Unternehmungen – genauer: zwischen den Ein- nahmen und den Ausgaben der Unternehmungen für die Herstellung der Produkte, aus denen die Unternehmungen die Einnahmen erzielen. Damit alle Unternehmun- gen zusammen im Saldo Gewinne erzielen können, müssen also die Einnahmen al- ler Unternehmungen zusammen stets grösser sein als ihre Ausgaben. Wie ist das möglich? Es ist offensichtlich nicht möglich, wenn das Geld, das die Unternehmun- gen den Haushalten für ihre Produktionsleistungen bezahlen, das zu deren Einkom- men wird, einfach wieder von den Haushalten dazu verwendet wird, um die Produkte zu kaufen, die die Unternehmungen mit ihrer Hilfe hergestellt haben, wenn also das Geld nur im Kreis läuft. Denn dann würden sich Einnahmen und Ausgaben der Un- ternehmungen nur immer gerade ausgleichen. Es gäbe also im Saldo keine Unter- nehmungsgewinne. Ein positiver Saldo kann somit nur entstehen, wenn Geld zu- fliesst. Wie fliesst aber in der modernen Wirtschaft Geld zu? Wir wissen es bereits: indem die Unternehmungen bei den Banken Kredite aufnehmen, die die Banken mindestens zum Teil durch Geldschöpfung bereitstellen, also durch Vermehrung der Geldmenge auf dem Kreditweg. Wozu braucht aber die Unternehmung Kredite? Ich wiederhole: um zu investieren, um das aufgenommene Geld, zusammen mit dem reinvestierten Reingewinn für den Kauf von zusätzlichen Arbeits- und anderen Pro- duktionsleistungen der Haushalte zu verwenden. So steigen die Einkommen der Hausalte mit dem Wachstum der Produktion. Die Haushalte geben ihr Einkommen sofort aus, denn die Haushalte müssen ja überleben. Sie werden daher sofort zu Einnahmen der Unternehmungen. In diesem Zeitpunkt können die Haushalte aber nur die Produkte kaufen, die schon produziert worden sind, die also die Unterneh- mungen vor der neuen Investition hergestellt haben, für deren Herstellung sie also im Betrag der neuen Investitionssumme weniger Geld ausgegeben haben. Das bedeu- tet aber auch, dass die Einnahmen der Unternehmungen vor den Ausgaben für die Produkte, die sie verkaufen, steigen. So können im Wachstumsprozess gesamthaft, also im Saldo, stets Gewinne entstehen. Auf diese Weise hält sich der Kapitalisierungs- und Wachstumsprozess mit Hilfe der Schulden, die zu Geld werden, selbst im Gange. Er wird zu einem perpetuum mobile. Indem sich der Wirtschaftskreislauf zu einer Wachstumsspirale ausweitet, entstehen die Gewinne, die nötig sind, damit sich diese Spirale immer weiter ausweiten kann. Das ist die Essenz der modernen Magie. (Bild: Die Wachstumsspirale) * Allerdings hält sich der Kapitalisierung- und Wachstumsprozess im Sinne der Wachs- tumsspirale nicht nur selbst im Gange, sondern er muss auch immer weiter gehen, denn wenn nicht immer neues Kapital gebildet wird, also neue Investitionen aufgrund immer neuen Ausweitungen der Geldmenge erfolgen, die eine neue zusätzliche Nachfrage erzeugt, fällt die aus der letzten Investition nachrückende Angebotserhö- hung sozusagen ins Leere, d.h. es steht kein entsprechender Zuwachs der Nachfra- ge dem Zuwachs des Angebots gegenüber. Entsprechend sinkt die Gewinnrate. Wenn auch in Zukunft weitere Investitionen ausbleiben, sinkt die Gewinnrate schliesslich unter die Höhe, welche die Unternehmungen bzw. die Kapitalgeber im Minimum für das Eingehen des Investitionsrisikos erwarten. Das Risiko ist nicht mehr gedeckt. Dann werden die Unternehmungen nicht mehr für Ersatzinvestitionen sor- gen und so allmählich die Produktion auslaufen lassen. Ein immer grösserer Teil der Unternehmungen wird Verluste machen und daher durch Bankrott aus dem Produkti- onsprozess ausscheiden. An die Stelle des Wachstums der Wirtschaft tritt dann eine fortlaufende Schrumpfung der Wirtschaft. (Bild: Wachstum oder Schrumpfung) Daraus ergibt sich ein Wachstumszwang in dem Sinne, dass die Alternative zum Wachstum Schrumpfung ist. Das heisst: Stabilität und Null-Wachstum sind in der modernen Wirtschaft nicht möglich. Es darf kein Ende des Wachstums geben. Das Problem ist aber: Wir leben in einer endlichen Welt, die nur begrenzte Ressour- cen liefert, und leben ausserdem nicht nur von den Gütern, die man kaufen kann, sondern auch von Gütern, die man nicht kaufen kann wie gesunde Luft, sauberes Wasser, Ruhe, schöne Landschaft, intaktes Klima usw. Wenn die Wirtschaft immer weiter wächst, nehmen die Ressourcenvorräte ab, und die Produktion käuflicher Gü- ter verdrängt die nicht käuflichen Güter, von denen wir als Lebewesen abhängig sind, so dass wir als Lebewesen verarmen, indem wir als Wirtschaftswesen reicher wer- den. Damit verschulden wir uns gegenüber der Natur, weil wir nehmen, ohne etwas dafür zu geben, und damit gegen uns selbst, weil wir auch Teil der Natur sind. Diese Verschuldung kann nicht unendlich weitergehen. Das ist die Kehrseite der modernen Magie. * In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf die spezielle Rolle des Zinses einge- hen. Diese hat sich durch die Papiergeld- und Bankgeldschöpfung ohne Goldbindung völlig gewandelt. Der Zins ist nicht mehr ein Mittel, um die Geldbesitzer zu veranlas- sen, das Geld, das sie besitzen, für Investitionen freizugeben, es also zu kapitalisie- ren statt zu horten. Es ist heute vielmehr zur Einnahmequelle der Banken geworden. Diese bezahlen daraus - nach Abzug der Zinsen, die sie für die Spareinlagen bezah- len - die Produktionskosten des Geldes, nämlich die Kosten des Bankenapparats, auf dem der ganze Kredit- und Geldschöpfungsprozess beruht. Darüber hinaus zweigen sie einen Gewinn für sich ab. Einen Teil des Gewinns müssen sie in Eigen- kapital verwandeln. Dies führt zu einem gewissen Geldschwund, der das Ausmass der Geldschöpfung mindert. Die Höhe des Zinssatzes ist weitgehend von der Zentralbank abhängig, also nicht vom Ausmass des Sparens, denn die Zentralbank kann ja beliebig eigenes Geld nachschieben, indem sie sich verschuldet, die Schulden aber nie einlösen muss. So kann der Zinssatz trotz ständig steigender Nachfrage niedrig gehalten werden. Dabei sorgt die Zentralbank aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Mittel – es geht vor allem um die Festlegung der Konditionen, zu denen sich die Banken bei ihr refinan- zieren, also Zentralbankgeld erhalten können – dafür, dass der Kreditzins, welchen die Banken von den Unternehmungen verlangen, nicht zu hoch und nicht zu tief ist. Er muss tiefer sein als die im Durchschnitt zu erwartende Reingewinnrate, weil sonst nicht investiert wird und der Wachstumsprozess nicht weitergeht, und er muss so hoch sein, dass es nicht zu einem Geldzuwachs ohne eine entsprechende Auswei- tung der Produktionsmenge, also zu einer Inflation kommt. Diese würde die ganze Wirtschaft in Unordnung bringen. Dadurch würde ebenfalls das Wachstum der Wirt- schaft bedroht, weil dann die Geldpreise keine Orientierung mehr bieten. Darüber hinaus müssen natürlich – wie erwähnt – die Kosten der Banken und ihre Gewinner- wartungen "gedeckt" werden. Die Zentralbank hat also keine einfache Aufgabe. Im Grossen und Ganzen hat das globale Zentralbanksystem jedoch in den letzten Jahr- zehnten die Magie beherrscht, die zur Lösung dieser Aufgabe nötig ist. Aber gerade darum werden die langfristigen Probleme, die sich aus der Konfrontation des unend- lichen Wachstums mit der Endlichkeit der Welt immer grösser und die Problematik der ihr zugrunde liegenden Magie immer deutlicher. Ich komme zurück auf den Wachstumszwang. Dieser muss noch präzisiert werden. Unter Wachstumszwang ist nicht zu verstehen, dass eine beliebige, sondern nur, dass eine minimale Wachstumsrate aufrechterhalten werden muss – genauer: eine globale minimale Wachstumsrate –, die es ermöglicht, dass die Reingewinnrate so hoch ist, dass sie wenigstens das eingegangene Risiko kompensiert. Die Höhe der minimalen Wachstumsrate ist abhängig von dem von der Zentralbank vorgegebenen Zinssatz, vom Verhältnis von Eigen- und Fremdkapital und vom Ausmass der Geld- schwundrate. Auf die globale Wachstumsrate – nur auf die globale Wachstumsrate – kommt es deswegen an, weil das Kapital heute überall in der Welt investiert werden kann. Ich habe in meinem Buch "Die Wachstumsspirale" die minimale globale Wachstums- rate unter plausiblen Annahmen für die Höhe der genannten Grössen auf 1,8% ge- schätzt. |
- [AG-GOuFP] Wachstumszwang nach Binswanger, Jürgen Niccum, 18.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Wachstumszwang nach Binswanger, CU_Mayer, 18.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Wachstumszwang nach Binswanger, Pieter hogeveen, 18.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Wachstumszwang nach Binswanger, Axel Grimm, 18.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Wachstumszwang nach Binswanger, alex, 18.04.2012
- <Mögliche Wiederholung(en)>
- Re: [AG-GOuFP] Wachstumszwang nach Binswanger, piraten, 18.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Wachstumszwang nach Binswanger, CU_Mayer, 18.04.2012
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