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ag-drogen - [Drogenpolitik] Fallbeispiel: Cannabiskonsum als Ausschlusskriterium für Psychotherapie

ag-drogen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Drogen- und Suchtpolitik

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[Drogenpolitik] Fallbeispiel: Cannabiskonsum als Ausschlusskriterium für Psychotherapie


Chronologisch Thread 
  • From: bettinamail AT arcor.de
  • To: ag-drogen AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: [Drogenpolitik] Fallbeispiel: Cannabiskonsum als Ausschlusskriterium für Psychotherapie
  • Date: Tue, 8 May 2012 14:16:06 +0200 (CEST)
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-drogen>
  • List-id: Mailingliste der AG Drogenpolitik <ag-drogen.lists.piratenpartei.de>

Hallo AG

hier ein weiteres Beispiel (nur interessehalber, für die, die sich gerade mit
dem Cannabis + Medizinthema beschäftigen), zum Umgang mit Cannabis in der
Medizin - wobei es aber NICHT um die Verordnung eines entsprechenden
Präparates geht.

Vor ein paar Jahren ist eine Bekannte völlig aufgelöst auf mich zu gekommen,
da sie Probleme mit ihrer gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hatte.
Im Vorfeld hatte sie sich in einer Psychosomatischen Klinik aufnehmen lassen,
da ihr Leben aus den Fugen geraten war und sie dringend therapeutische
Unterstützung benötigte. Die Überweisung erfolgte durch den Hausarzt. Bei der
Aufnahmeurinuntersuchung in der Klinik wurde die Patentin positiv auf THC
getestet. Sie wurde zur Rede gestellt, erklärte, dass sie schon länger
gelegentlich, auf Partys oder am Wochenende, Cannabis konsumiere, dies aber
nicht als problematisch oder behindernd/belastend empfände. Seit es ihr
psychisch schlecht gehe sei sie darauf gekommen, dass abendlicher
Cannabiskonsum sie entspanne und ihr endlich wieder zu ausreichendem Schlaf
verhelfe. Der Grübelzwang lasse deutlich nach. Daraufhin erfolgte eine
disziplinarische Entlassung ohne große weitere Erklärungen.
Nebenbei bemerkt: Hätte die Patientin jeden Tag vor der Therapie gesoffen bis
zum Umfallen, wäre ihr das nicht passiert - das wäre gar nicht weiter
aufgefallen.

Weitere Bemühungen um eine ambulante Therapie scheiterten, da die
aufgesuchten Therapeuten als Voraussetzung für die Aufnahme einer Therapie
Cannabisabstinenz forderten. (Auch das wäre bei entsprechendem Alkoholkonsum
kaum passiert).
Schliesslich blieb es bei einer Behandlung durch den Hausarzt; die Patientin
hatte die Suche nach einem Therapeuten aufgegeben, da sie nicht bereit war,
eine Psychotherapie (die sie ja wirklich ernsthaft angehen wollte) mit einer
Lüge - also dem Verschweigen des gelegentlichen Cannabiskonsums bzw. des
Konsums als Selbstmedikation - zu beginnen. Zum Glück besserte sich der
psychische Zustand der Patientin soweit, dass sie ihr Alltagsleben bald
wieder aufnehmen konnte. In der Rückschau ist sie aber immer noch überzeugt,
dass ihr eine Psychotherapie viel Nutzen bringen würde ("familiäre Altlasten")

Einige Zeit nach der disziplinarischen Entlassung kam dann ein Schreiben der
GKV: Die Versicherte wurde darin aufgefordert, sich binnen einer bestimmten
Frist einer Suchttherapie zu unterziehen. Außerdem wurde sie aufgefordert,
ihren behandelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden.
Wir haben dann das unten angefügte Schreiben verfasst und konnten so weiteren
Schaden abwenden (es fand keine weitere Korrespondenz statt!).

In der Medizin geht es also bei weitem nicht "nur" um mangelnde Aufklärung
und Akzeptanz der Verordnung von THC aus med. Gründen. Schwierigkeiten
bereitet insgesamt die gesellschaftliche Stigmatisierung, die durch
Cannabiskonsum entsteht, und die resultierende mangelnde Akzeptanz im Bereich
der Medizin.
Umgekehrt ist es extrem schwierig (noch schwieriger als sonst) THC aus
"psychischen" Gründen verordnet zu bekommen, z.B. bei Schlafstörungen oder
depressiven Verstimmungen - auch, wenn die Patienten aus eigener Erfahrung
von einer positiven Wirkung berichten können, z.B. berichten, sie kämen mit
ihrem Alltag viel besser zurecht etc.. Man wird als süchtig und im Rahmen der
Sucht behandlungsbedürftig angesehen - das bedeutet häufig die Erwartung:
Abstinenz.
Dass Cannabis als - meiner persönlichen Meinung nach sehr aussichtsreiches
- Therapeutikum bei einigen psychischen Störungen zu erforschen wäre, haben
im bestehenden Milieu die Akteure oft noch gar nicht auf dem Schirm.
Und die mangelnde "Verordnungserfahrung", die wiederum als Grund genannt
wird, weiterhin der Einfachheit halber nicht zu verordnen, behindert gleich
noch das Ansammeln empirischer Erkenntnisse.

Grüße
Bettina

Brief an die GKV:

Sehr geehrter Herr xxx,

vielen Dank für Ihren Therapievorschlag, den Sie mir mit Ihrem Schreiben vom
xxx haben zukommen lassen.

Erfreulicherweise kann ich Ihnen mitteilen, dass sich meine gesundheitliche
Verfassung bereits wesentlich gebessert und stabilisiert hat. Wie Ihnen
offensichtlich bereits bekannt ist, konnte ich meinen wegen einer seit
längerem bestehenden depressiven Verstimmung geplanten Therapieaufenthalt in
xxx nicht absolvieren, da die Klinik mich von der stationären
Therapiemaßnahme aufgrund einer positiven Urinprobe ausschloss.
Glücklicherweise konnte ich inzwischen mit Hilfe meines behandelnden Arztes,
der mich nach meiner Rückkehr aus xxx auch bezüglich eines möglicherweise
bestehenden Suchtproblems kompetent beraten hat, die Depression soweit
überwinden, dass ich mich darauf freue, in den nächsten Tagen, nach
nochmaliger Konsultation meines behandelnden Arztes, meine Arbeit wieder
aufnehmen zu können.

Von einer Entbindung meines Arztes von der Schweigepflicht ohne Bestehen
einer dringlichen Notwendigkeit möchte ich derzeit Abstand nehmen. Gerne
bitte ich ihn jedoch um Erstellung eines ärztlichen Attestes über meinen
Gesundheitszustand. Bitte teilen Sie mir mit, ob Sie in Anbetracht der
geschilderten Umstände noch ein solches benötigen.

Mit freundlichen Grüßen
und nochmaligem Dank für Ihre freundliche Unterstützung





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