Zum Inhalt springen.
Sympa Menü

ag-umwelt - Re: [Ag-umwelt] TelKo Energiesteuern etc.

ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Ag-umwelt mailing list

Listenarchiv

Re: [Ag-umwelt] TelKo Energiesteuern etc.


Chronologisch Thread 
  • From: Gunnar Kaestle <gunnar.kaestle AT gmx.net>
  • To: Jürgen Grahl <juergen.grahl AT gmx.de>
  • Cc: Manfredo Mazzaro <mazzaro AT gmx.de>, AG Steuerpolitik <ag-steuerpolitik AT lists.piratenpartei.de>, Hartmut Ernst <pirates AT email.de>, AG Energiepolitik <energie_und_infrastruktur AT lists.piratenpartei.de>, Wolf von Fabeck <sfv-fabeck AT gmx.de>, Moritz Richter <mmarichter AT aol.com>, André Presse <andre.presse AT kit.edu>, AG Umwelt <ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de>, Peter Gerster <peter AT gerster.info>, Eric Manneschmidt <eric.manneschmidt AT gmx.de>
  • Subject: Re: [Ag-umwelt] TelKo Energiesteuern etc.
  • Date: Thu, 23 Aug 2012 13:23:20 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-umwelt>
  • List-id: <ag-umwelt.lists.piratenpartei.de>

Hallo Herr Grahl,

ich stimme Ihnen vollkommen zu, dass man eine solche Steuerreform nicht von heute auf morgen einführen kann, weil das eine sprunghafte Veränderung im gesamtsystem darstellt. Wenn ich mich recht erinnere, dann wurde die Ökosteuerreform auch in mehreren Schritten durchgeführt.
Solche fundamentalen Änderungen wie das Wechseln auf Energiesteuern, zusammen mit einer Mehrwertsteuererhöhung um eine Ausschüttung in Form eines Energiegeld/Grundeinkommens zu realisieren, müssten Schritt für Schritt eingeführt werden. Damit hat man die Chance, noch eine Rolle rückwärts zu machen, falls man merkt, dass es doch nicht klappt. Zum anderen wäre ein langsames Verschieben des "Arbeitspunktes" über viele Jahre notwendig, damit sich die techno-ökonomische Infrastruktur einer Volkswirtschaft anpassen kann.

Die angesprochene Nichtlinearität zeigt sich zum Beispiel auch in einer asymetrischer Reaktion auf Ölpreisbewegungen. Ein zunehmender Preis bewirkt ein verstärktes Interesse an energiesparenden Nutzungsformen, was bei einem Abrutschen des Preises nicht zum umgekehrten Prozess führt. Dies liegt an der ökonomischen Trägheit der angeschafften Infrastruktur und an der Hysterese, die sich aus einer differenzierten Betrachtung der Vollkosten und Grenzkosten ergibt: Ein hoher Preis führt bei Vollkostenbetrachtung zu einer Investitionsentscheidung. Der Fixkostenanteil spielt aber keine Rolle (sunk costs), wenn der Preis wieder nachlässt und man dann im Prinzip mit der "Billig-Technik" besser fährt.

Bezüglich der Besteuerung des Arbeitseinkommens glaube ich nicht, dass man in Zukunft komplett darauf verzichten können wird, allein um durch die progressive Belastung von Spitzenverdienern eine gewisse Lenkungswirkung zu erzielen. Des Weiteren sehe ich neben der Besteuerung des Einkommenstroms (proportionale Komponente) auch eine Besteuerung von Vermögen (integrative Komponente) aus systemdynamischen Aspekten als notwendig an, damit unser System nicht auseinander läuft.

Wahrscheinlich empfielt es sich, das ganze einmal an einem einfachen Modell zu durchzuspielen, um zu schauen wie die Geld- und Warenflüsse sich verschieben. Der hier gezeigt Ansatz gefällt mir sehr gut:
http://www.itk.ntnu.no/ansatte/Andresen_Trond/econ/profit-poss2.pdf
http://www.itk.ntnu.no/ansatte/Andresen_Trond/econ/sysdyn-debtcrisis.pdf

Ein Grundeinkommen in der Höhe von X00 Euro pro Monat wird man allein über die Energiesteuer wohl kaum finanzieren können. Die generelle Frage nach einer Konsumsteuer muss man aber dennoch stellen können. Neben dem Energiekonsum gibt es noch andere Konsumgüter. Ich vermute, dass eine Umverteilung bzgl der Einkommensteuerung weniger stabil ist als eine Umverteilung per Konsumbesteuerung. Wenn man auf der EST-Seite bei den hohen abschöpft und dies den niedrigen zukommenlasst, dann reagiert das Gesamteinkommen empfindlicher auf konjunkturelle Schwankungen als wenn der "Output" (Konsumausgaben) für ein Umverteilungsmechanismus besteuert werden, das der Konsum ggf. noch durch privates Vermögen gepuffert wird.

Viele Grüße,

Gunnar Kaestle


Jürgen Grahl schrieb:

Lieber Herr Kaestle,

Ihre Beiträge der letzten Tage habe ich mit großer Zustimmung gelesen
und daher unkommentiert gelassen. An einem Punkt muss ich jedoch
(milden) Widerspruch anmelden:

Selbst mit einer Verbilligung der Arbeit um 30-50% (Wegfall aller
Steuern und Abgaben) reicht das m.E. noch nicht, um ein
Gegengewicht gegen eine weitere Verschiebung in Richtung Energie
hinzubekommen. Arbeit kann m.E. nicht mehr als Basis für die
Finanzierung des Staatshaushaltes dienen (und in einem weiteren
Denkschritt) auch nicht mehr für die Grundfinanzierung von privaten
Haushalten. Daher glaube ich, dass ein Grundeinkommen auf Basis
einer Konsumsteuer, insbesondere einer Energiekonsumsteuer ergänzt
um weitere persönliche Arbeitseinkommen, für die die das können und
nicht nicht auf der Basiskonsumstufe verharren möchten, langfristig
unumgänglich ist.

Von der Grundtendenz ist das genau richtig: Arbeit darf nicht weiter
der Haupttransmissionsriemen sein für die Verteilung des
Erwirtschafteten und die Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben.

Aber ein klein wenig überinterpretieren Sie die Ergebnisse zu den
Produktionselastizitäten hier doch. Bei einer statischen
Betrachtungsweise hätten Sie recht: Selbst bei einer kompletten
Verschiebung der Steuer- und Abgabenlast von der Arbeit zur Energie
hätten beide Faktoren dann ca. 35% Faktorkostenanteil, und es bliebe
immer noch eine leichte Schieflage, da Energie die deutlich höhere
Produktionselastizität hat. Der Punkt ist aber, dass die
Produktionselastizitäten nicht konstant sind: Wir reden hier über ein
sehr komplexes, hochgradig nichtlineares System; die durch eine
Energiesteuerreform angestoßenen Strukturveränderungen werden auch
die Produktionselastizitäten beeinflussen, und wir können kaum seriös
abschätzen, wie stark, so dass sich nicht genau sagen lässt, wie
diese nach der Reform aussehen werden. Die Folgerung, dass selbst mit
einer solchen Reform Arbeit "auch nicht mehr für die
Grundfinanzierung von privaten Haushalten" dienen kann, erscheint mir
zum jetzigen Zeitpunkt daher etwas übereilt. Es könnte sich sogar
durchaus zeigen, dass man gar keine 100%ige Umschichtung benötigt,
sondern z.B. bei 70% des Weges haltmachen kann. (Es könnte auch sein,
dass Sie recht behalten und 100% vielleicht gar nicht reichen, man
also die Energiesklaven noch stärker besteuern und die Einnahmen an
die Haushalte ausschütten muss.) Deshalb ist auch eine schrittweise
Umsetzung so wichtig, die Zeit lässt, den eingeschlagenen Weg immer
wieder nachzujustieren.

Viele Grüße, Jürgen Grahl


--
/^\
\ / Plain-Text Ribbon Campain
X Say NO to HTML in email and news!
/ \




Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.

Seitenanfang