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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Stefan Heidenreich

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Stefan Heidenreich


Chronologisch Thread 
  • From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Stefan Heidenreich
  • Date: Sat, 15 Mar 2014 23:38:42 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hallo Matthias,

auch wirtschaftshistorische Entwicklungen werden immer aus der Sicht einer Theorie, eines Modells gedeutet. Die Standard-Deutung zu den Entwicklungen ab den 70er Jahren (die Du wohl meinst, wenn Du schreibst: "bisher angenommen") ist die durch die Brille desjenigen Modells, das jetzt Mainstream ist.

Dieselbe Entwicklung wird natürlich von heutigen Keynesianern wie eben Flaßbeck, Spahn oder Schulmeister durch die Brille eines weiterentwickelten "keynesianischen" Modells (monetäre Theorie der Produktion) völlig anders analysiert und gedeutet.

Man kann nun beide Deutungen ebenso nebeneinanderhalten und vergleichen, wie man die zugrundeliegenden Denkmodelle nebeneinanderlegen und vergleichen kann - im Hinblick auf relative Plausibilität, Schlüssgkeit, Erklärungskraft (welches Modell kann mehr Einzelbeobachtungen im Rahmen einer einheitlichen Begrifflichkeit schlüssig in Zusammenhang bringen + erklären?) etc.

Wichtig finde ich, zu begreifen, daß die Mainstream-Deutung dieser Ereignisse die ideologische Funktion hat, "den Keynesianismus" pauschal für gescheitert und erledigt zu erklären. Tatsächlich konnte aber nur die Spielart des Keynesianismus, die damals Mainstream war, die neoklassische Synthese nämlich, diese Prozesse nicht erklären (und daher auch nicht politisch beherrschen).

Seither hat sich aber im keynesianischen Lager vieles getan - wie man Flaßbecks, Spahns und Schulmeisters heutigen Analysen dieser Ereignisse sehen kann.

Spahns Aufsatz kannte ich bisher nicht, danke für den Hinweis.

Schulmeisters Analyse der Entwicklung ist, da ebenfalls auf keynesianischer Grundlage konzipiert, ähnlich angelegt wie die Analysen bei Flaßbeck und Spahn, aber noch etwas breiter und umfassender.

Er betont, daß die damals (in den 70ern) herrschende Wirtschaftstheorien ("Lehrbuch-Keynesianismus" in Gestalt der neoklassischen Synthese, Monetarismus) die Entwicklungen nicht in einem einheitlichen Rahmen erklären konnten:

/"Da die entscheidenden Entwicklungen der 70er und 80er Jahre in den herrschenden Theorien nicht als Möglichkeiten enthalten waren, konnten sie weder systematisch beobachtet (!) noch analysiert werden. Dementsprechend wurden die einschneidensten Ereinigsse als voneinander unabhängige "exogene Schocks" gedeutet, deren Entstehung aus der Eigendynamik des weltwirtschaftlichen Systems nicht begriffen werden kann. Dies wird auch durch die Begriffe ausgedrückt, mit denen diese Ereignisse sprachlich festgemacht wurden, wie etwa als "Ölpreisschocks" (aber auch Begriffe wie "Schuldenkrise", "Dollarboom" etc. werden im Sinne unvorhersehbarer und plötzlich hereinbrechender "irrationaler Ereignisse verwendet)." ("Zur Krise der Weltwirtschaft der 70er und 80er Jahre", http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/ZurKriseDerWeltwirtschaft70er80er.PDF )/

Er entwickelt dann einen einheitlichen Rahmen, um diese Ereignisse im Zusammenhang deuten zu können.

Er führt am Ende dieses Textes besonders die Bedeutung einer unter der Wachstumsrate liegenden Zinsrate für eine realkapitalistische Spielanordnung aus, die mit der von Heidenreich erwähnten 1979er Entscheidung Paul Volckers beendet wurde.

Das nur als Hinweis, weil es sich vielleicht lohnt, die Deutungen von Flaßbeck, Spahn und Schulmeister im Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu vergleichen - und natürlich im Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Tenors dieser Position und der Mainstream-Deutung ("Stagflation", Phillipskurven-Debatte, etc.).

Ja, in jedem System kommt es zu Zielkonflikten und "Rationalitätenfallen" bzw. Paradoxa (Stützel) - denke ich auch (denn "conflicts are the stuff life is made of"). Dies wurde aber in der wirtschaftpolitischen Konzeption der 60er Jahre durchaus reflektiert: man wußte und benannte explizit, daß die im "magischen Viereck" formulierten wirtschaftspolitischen Ziele sich teilweise widersprechen und daher die Erreichung eines der 4 Ziele durchaus auf Kosten eines anderen gehen konnte:

http://de.wikipedia.org/wiki/Magisches_Viereck

Daß man noch 1944 ein System etablierte, das wieder eine Goldbindung beinhaltetete, zeigt, daß das Lernen aus der Krise zwar groß, aber noch nicht nachhaltig genug war (Keynes hatte in Bretton Woods - soweit ich weiß - für eine internationale Verrechnungseinheit (bancor) oder sogar Zentralbank ("clearing union") plädiert, konnte sich aber nicht gegen die US-Delegation durchsetzen, in deren Interesse es war, den Dollar zum Weltgeld zu machen).

http://de.wikipedia.org/wiki/Bretton-Woods-System
http://de.wikipedia.org/wiki/Bancor

Daß die Wirtschaftswissenschaften aber dermaßen verkommen konnten wie es heute der Fall ist, ist wirklich ein Schlag ins Gesicht jedes halbwegs vernünftig denkenden Menschen.

Ich will damit nur sagen, daß Keynes eine Revolution angezettelt hat, die zwar bis heute eine auf paradigmatischer Ebene unvollendete geblieben ist; trotzdem hat sich die keynesianische Tradition intern enorm weiterentwickelt (Stützel, Minsky, Monetärkeynesianismus, Stock-Flow-Consistenr Models, etc.) und sind aus meiner Sicht state of the art.




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